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Illustrations by Sarah
Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 25.08.2022
LebenInterview mit einer Geologin

Wenn der Berg bricht

Der Permafrost schmilzt, die Berge werden immer instabiler. Welche Gefahren das birgt und wie man am besten in den Bergen unterwegs ist, weiß die Geologin Ursula Sulzenbacher.
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In ihrem Job kommt es auf die inneren Werte an. Auch wenn ein Berg von außen betrachtet ruhig zu sein scheint, Ursula Sulzenbacher rückt ihm mit Messgeräten und Analysen zu Leibe, um zu verstehen, was unter der Oberfläche vor sich geht. So identifiziert die Geologin Risiken und Gefahrenzonen, damit gezielte Maßnahmen ergriffen und die Gefahr für Mensch und Infrastruktur minimiert werden kann.

Die sportliche Figur kommt ihr dabei nur zugute. Im alpinen Gelände müssen Daten oft erst unter schweißtreibenden Körpereinsatz erhoben werden. Anschließend werden sie am PC verarbeitet. Das erledigt Sulzenbacher in ihrem Büro in Bruneck. Ein zusätzlicher Faktor, der bei ihren Berechnungen in den letzten Jahren immer wichtiger wurde, so erklärt Sulzenbacher, ist der Klimawandel. Am Berg macht er sich durch Gletscherrückzüge und spektakuläre, aber auch gefährliche Felsstürze bemerkbar.

Ursula Sulzenbacher, Jahrgang 1977, ist studierte Geologin und lebt als zweifache Mutter in Toblach. Ihr Beruf führt sie immer wieder in die Berge.

Nach dem Gletscherabbruch auf der Marmolada hört man fast wöchentlich von neuen Felsstürzen. Was ist da los in den Bergen?
Über die Katastrophe auf der Marmolada können Glaziologen sicher Genaueres erzählen, aber im Allgemeinden sind dies natürlich Ereignisse, die direkt mit der globalen Klimaerwärmung zusammenhängen. Extremereignisse wie zum Beispiel Hitze-Wochen, Unwetter und so weiter, werden sich in den nächsten Jahren sicher fortsetzen und Auswirkungen auf uns und unsere Umwelt haben.

Auch auf die Stabilität der Berge?
Die Berge sind klimatischen Faktoren stark ausgesetzt. Ein Bergsturz in den Dolomiten ist vielleicht spektakulär, geschieht aber meistens ohne große Schäden für Mensch und Infrastruktur. Zum Problem werden vielmehr Erdrutsche und Felsstürze in der Nähe von urbanisierten Gebieten, also dort, wo auch Straßen und Siedlungen liegen. Die Unwetter zuletzt haben uns gezeigt, wie schnell es ganz lokal aufgrund großer Niederschlagsmengen zu Schäden an Gebäuden und Infrastrukturen kommen kann.

Welche Rolle spielt bei Bergstürzen der Klimawandel?
Die nachweislich steigenden Temperaturen führen zu Problemen im Hinblick auf Gletscherrückzüge und Auftauen des mit Permafrost stabilisierten Untergrundes. Der große Felssturz in Prags im Jahr 2016 ereignete sich, weil der Permafrost zunehmend auftaut. Permafrost ist dauerhaft gebundenes Eis, das Berge, die aus viel Schutt und Lockermaterial bestehen, zusammenhält. Wenn der Permafrost im Zuge der Klimaerwärmung schmilzt, werden diese Berge instabil. Das Material kann wegbrechen und zu Tal donnern.

Und das geschieht nun häufiger?
In den Permafrostgebieten ist das Risiko für solche Felsstürze angestiegen, da die Temperaturen stetig steigen und dadurch die Gebiete über 2.500 Meereshöhe destabilisiert werden. Andererseits: Steinschläge sind Teil eines natürlichen Verwitterungsprozesses, den es immer schon gegeben hat und auf die Frost-Tauverwitterung zurückzuführen sind. Die Alpen heben sich schon lange nicht mehr – im Gegensatz etwa zum Himalaya, der immer noch wächst –, sondern werden nach und nach erodieren.

Wer im Gebirge wandern geht, setzt sich bewusst der Natur aus. Ein geringes Restrisiko darf man dabei schon in Kauf nehmen.

Wenn man in den Dolomiten unterwegs ist, kann man sich nur schwer vorstellen, dass auch diese Felsgiganten vergänglich sind.
Ja, aber das muss uns nicht traurig stimmen, wir sprechen hier von einer Entwicklung über Jahrmillionen. Und wenn die Berge, die wir jetzt schön finden, so sind, wie sie heute sind, ist das ebenfalls der Erosion zu verdanken.

Sie sind selbst gerne im Freien unterwegs und nutzen die Wochenenden für Bergtouren. Machen Sie sich Sorgen, dass da vielleicht was runterkommt?
Das ist wie beim Autofahren: Man kann Unfälle nie ganz ausschließen. Mir kann jederzeit ein Ast auf den Kopf fallen oder ein Stein, den irgendwo jemand ausgetreten hat. Wenn ich in die Natur gehe, setze ich mich automatisch einem gewissen Restrisiko aus.

Unter bestimmten Bedingungen kann das Risiko jedoch ansteigen. Wann sollte ich als Wanderer oder Bergsteiger besonders vorsichtig sein?
Wenn man ins Gebirge geht, sollte man grundsätzlich den Wetterbericht im Blick haben und bei Starkregen oder schlechter Sicht auf die Tour verzichten. Nicht nur, weil man sich dann leichter verirrt oder an Trittsicherheit verliert, sondern eben auch, weil sich bei starkem Regen leichter Felsbrocken lösen können.

Welche Maßnahmen werden von offizieller Seite ergriffen?
Für besiedelte Gebiete und Infrastrukturen werden umfangreiche Gefahrenzonenpläne erstellt. Je nach Gefahrenzone ist die Bebauung mit bestimmten Auflagen verbunden oder ganz verboten. Dabei geht es häufig um das Vorbeugen von Überschwemmungen, Erdrutschen oder Lawinen. Wir haben beispielsweise die Hänge oberhalb eines Radweges untersucht und in einem Gutachten festgestellt, dass das Gelände durch starke Feuchtigkeit instabil werden kann. Bei bestimmten Wetterverhältnissen bleibt dieser Radweg nun geschlossen.

Die Alpen heben sich schon lange nicht mehr – im Gegensatz etwa zum Himalaya, der immer noch wächst –, sondern werden nach und nach erodieren.

Wie steht es um Wanderwege?
Bei der Maßnahmenplanung gibt es Prioritäten. An erster Stelle stehen besiedelte Gebiete und Orte, wo sich dauerhaft Personen aufhalten. Es folgen Infrastrukturen wie Straßen, Parkplätze oder Skipisten. Erst dann kommen Wanderwege. Der Grund: Menschenleben zu schützen ist höchste Priorität. Daher stehen Orte, wo sich Menschen häufig aufhalten, im Fokus. Also auch Schutzhütten. Wer aber im Gebirge wandern geht, setzt sich bewusst der Natur aus. Ein gewisses Restrisiko, sofern es gering bleibt, darf man dabei schon in Kauf nehmen.

Sie sind eine von vier Partnern in der eigenen Baukanzlei. Geologen sind also auch auf der Baustelle gefragt?
Die Baukanzlei wurde von meinem Vater gegründet. Als ich mich für das Geologie-Studium entschied, hätte ich nicht damit gerechnet, damit in den Familienbetrieb einsteigen zu können. Das hat sich inzwischen stark geändert. Aufgrund von strengeren Sicherheitsauflagen ist die Nachfrage nach Geologen gestiegen. Bei öffentlichen Ausschreibungen ist in der Regel ein geologisches Gutachten oder eine geologische Bauassistenz erforderlich. Immer öfter ist das aber auch bei privaten Bauvorhaben der Fall, vor allem bei größeren Projekten.

Fühlen Sie sich in dieser Branche als Frau manchmal allein?
In meinem Fachbereich trifft man auf viele Frauen. Aber auf der Baustelle bin ich tatsächlich oft die einzige. Negative Erfahrungen habe ich nie gemacht, im Gegenteil: Man kann es auch als Alleinstellungsmerkmal sehen. Als Frau wird man auf jeden Fall leichter wiedererkannt. Man hat vielleicht auch eine andere Art, Probleme anzugehen, fragt zur Sicherheit noch einmal nach und will nicht immer Recht haben. (lacht) Aber wer weiß, vielleicht ist das auch nur eine Charaktersache. Die gute Zusammenarbeit in gemischten Teams schätze ich jedenfalls sehr.

Früher hätte ich klettern müssen, um mir über einen Berghang einen Überblick zu verschaffen. Heute macht das die Drohne für mich.

Bedeutet die Digitalisierung nicht auch für Geologen mehr PC-Arbeit?
Die digitalen Medien unterstützen meine Arbeit maßgeblich. Früher hätte ich klettern müssen, um mir über einen Berghang einen Überblick zu verschaffen. Heute macht das die Drohne für mich. Mit bestimmten Softwares kann ich Steinschlag-Simulationen jetzt in 3D erstellen, anstatt aufwendige 2D-Modelle anzufertigen. Es gleicht sich also aus: Auf der einen Seite erübrigt die Digitalisierung manche Feldarbeiten, auf der anderen Seite wird auch die Büroarbeit effizienter.

Sie und Ihr Mann sind beide in Vollzeit berufstätig. Gehen Beruf und Familie unter einen Hut?
Gar nicht. (lacht) Wir können zum Glück auf ein Netzwerk von Freunden und Verwandten zurückgreifen, die uns unterstützen und die Kinder von der Schule holen oder zum Schwimmkurs bringen. Außerdem haben wir eine Kinderbetreuerin, die mittags kocht. Letzten Endes funktioniert das aber nur, weil unsere beiden Kinder – jeweils 10 und 12 Jahre alt – sehr selbständig sind. Das ist mir wichtig.

Sie sind auch als Gemeinderätin in Toblach tätig. Was hat treibt Sie in Ihrem politischen Engagement an?
Ich bin in Innichen, dem Nachbardorf, aufgewachsen und habe dort meine Wurzeln. Als Neu-Toblacherin kann ich mich durch meine Arbeit als Gemeinderätin von Toblach am Dorfleben von Toblach beteiligen und es aktiv mitgestalten. Im Gemeinderat bringe ich auch immer wieder meine Expertise als Geologin ein, ich kann kleine Projekte vorschlagen und werde von der Verwaltung darin unterstützt. Die Arbeit für und mit der Gemeindeverwaltung macht mir richtig Spaß.

Haben Ihr Einsatz im Gemeinderat und die Arbeit als Geologin etwas gemeinsam?
Die Gemeindepolitik ist geprägt von Entscheidungsfindungsprozessen, es wird diskutiert, verschiedene Meinungen werden dargelegt und schließlich versucht man, eine Lösung zu finden. Das ist bei meiner Arbeit genauso. Ob auf der Baustelle oder in der Gemeindepolitik, es ist wichtig, ein gutes Team zu haben, das gemeinsam an die Probleme herangeht.

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