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Barbara Bachmann
Veröffentlicht
am 25.03.2014
LebenIm Land der Fußball-WM

Die Megacity

Veröffentlicht
am 25.03.2014
Leben im Chaos aus Zement und Staub: Unsere Autorin erzählt drei Lebensgeschichten aus São Paulo, der bevölkerungsreichsten Stadt der Südhalbkugel.
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São Paulo ist die bevölkerungsreichste Stadt der Südhalbkugel. Sie ist Wirtschafts-, Finanz- und Kulturzentrum Brasiliens. Ein Chaos aus Zement und Staub, dessen Metropolregion 20,5 Millionen Menschen einfängt. 20,5 Millionen Formen des Lebens und Überlebens. Von dreien, die kaum unterschiedlicher sein könnten, erzählt dieser Text.

Im größten Wohnhaus der Welt

In der Straße Avenida Ipiranga 200 steht ein Gebäude, das groß genug für eine eigene Postleitzahl ist. 5.000 Menschen leben im Copan, dem größten Wohnhaus der Welt. Geplant von Stararchitekt Oscar Niemeyer bietet es 116.152,59 Quadratmeter Wohnraum auf 32 Stockwerken. 1957 begann sein Bau, weil São Paulos Bevölkerung damals viel zu schnell wuchs, knapp zehn Jahre später wurde der 140 Meter hohe Komplex fertiggestellt. Die 1.160 Wohnungen variieren zwischen 26 Quadratmeter großen Ein-Zimmer-Appartments und 350 Quadratmeter großen Nobelbehausungen, alle ohne Balkon. Rund 100 Angetellte arbeiten im Copan, 70 Geschäfte sind im Eingangsbereich untergebracht. Eine Zeitlang war das Haus als Heimat von Drogendealern und Prostituierten verschrien, bis die Hausverwaltung in den 90er-Jahren wechselte. Heute ist das Copan eine der beliebtesten Wohnadressen São Paulos: ein geschwungener Brocken, schon von weitem sichtbar in einem Meer aus Wolkenkratzern.

Der Traum vom grünen Hausbau

70 Kilometer hinein ins Landesinnere ist es kaum vorstellbar, dass die Megacity São Paulo nur eine Autostunde entfernt liegt. Im tiefen Grün, einem Weinbaugebiet, dort, wo Rinder und Toucane sich gute Nacht sagen, und in einer Gegend, in der sich die meisten Menschen hinter hohen Zäunen, in sogenannten Gated communities einbunkern, sind Marcela und Gonzalo zu Hause. Wie wollen wir leben?, fragten sich die beiden vor drei Jahren. Sie haben die Antwort für sich gefunden, bauen seit drei Jahren an einem Haus, das so wenige Auswirkungen auf die Umwelt wie möglich verursachen soll. Nichts Neues kaufen, sondern Altes wiederverwerten oder Materialien verwenden, die die unmittelbare Umgebung hergibt. Daher sind die Ziegel aus Lehm gemacht und in der Sonne getrocknet, Türen und Fenster von abgerissenen Häusern entliehen. Die Verkleidung im Bad ist aus im Müll gefundenen Gegenständen gefertigt, monatelang legten die beiden Hausbauer Tausende von Glasteilen zu einem Mosaik zusammen. Glasflaschen in den Wänden lassen die Sonne durchscheinen, das Dach ist begrünt. Brasilianische Bauweisen, die lange vergessen waren, wurden hier wieder eingesetzt. Zum Beispiel Pau a pique, bei der in sich verschränkte Bambusstecken als Basis dienen und mit Lehm zu einer Wand verkleidet werden. Statt aus Chemie sind die Wandfarben aus Kalk, Sand und Wasser gewonnen. Auch das Abwassersystem ist ökologisch, Bananenbäume dienen als Filter. Der Traum vom grünen Hausbau wird in ein paar Monaten bezugsfertig sein.

Zuhause in den Straßen São Paulos

Wie er leben will, hat sich Raimundo Arruda Sobrinho nie direkt gefragt. Das Leben ist ihm einfach so passiert, sagt der Poet. „Hoffnung ist das schwerste Gewicht, das ein Mensch tragen kann. Es ist der Fluch des Idealisten“, schreibt er in einem seiner Texte. 34 Jahre lang, von 1978 bis 2012, hatte er kein Dach über dem Kopf. Stattdessen lebte er in den Straßen von São Paulo, die meiste Zeit auf einer Verkehrsinsel, zwischen zwei befahrenen Straßen. In der Zeit überlebte er die Militärdiktatur, schnitt sich aber weder Bart noch Haare. Er mied den Kontakt zu anderen Menschen, trug Plastiksäcke als Kleidung. Und jeden einzelnen Tag schrieb er Gedichte. Sein Leben änderte sich, als eine junge Brasilianerin auf ihn aufmerksam wurde. Beeindruckt von seinen Texten legte sie einen Facebook-Account für ihn an und veröffentlichte einige seiner Gedichte. Ein paar Monate später erhielt sie eine Nachricht aus dem knapp 1.000 Kilometer entfernten Goiania: „Raimundo ist mein Bruder“, schrieb ihr ein Mann. 50 Jahre lang hatte er Raimundo gesucht. Mit 23 Jahren zog dieser nach São Paulo, arbeitete als Gärnter und Buchverkäufer auf den Straßen, bis er selbst dort unterkam. Wieder und wieder überredete sein Bruder den Verschollenen, nach Hause zu kommen. Beim siebten Mal willigte er ein. Wenn er könnte, sagt Raimundo, würde er noch heute auf die Straße zurückkehren. Um unterzugehen in dieser Masse aus Menschen, inmitten des südamerikanischen Molochs São Paulo.

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