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Ihr denkt, ich hab’ frei. Ich mach’s mir bequem. Ich verlängere das Wochenende. Aber das stimmt nicht. Wenn Mamas wie ich eine 104er-Freistellung nutzen, haben wir nicht frei, sondern betreuen unsere Kinder mit Behinderung. Aber irgendwie scheint das vielen nicht klar zu sein. Deswegen richte ich als Mutter von einem Kind mit Behinderung diese Zeilen vor allem an Arbeitgeber:innen, Vorgesetzte, und Arbeitskolleg:innen – also an alle, die sich fragen, warum ich „schon wieder frei“ hab.
Dabei habe ich nicht „frei“. Ich habe nie frei, weil mein Kind mich nämlich braucht. Genau deswegen gibt es die 104er-Freistellung. Und zwar nicht, damit wir Eltern von Kindern mit Behinderung mal ‘ne chillige Auszeit von der Lohnarbeit haben, sondern damit wir die private Pflegearbeit leisten können. Die Freistellung und der Sonderurlaub stehen uns zu, weil wir zuhause gebraucht werden. Weil unsere Kinder mehr Betreuung, Pflege und Förderung brauchen als andere Kinder. Weil wir unsere Kinder zur Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie, Reittherapie und zu Arztvisiten begleiten und weil wir da – wie alle anderen – weder Tag noch Uhrzeit selbst auswählen können und außerdem dabei sein müssen, wenn wir von den Therapeut:innen die Anleitung für zu Hause bekommen. Wir brauchen die Freistellung, weil wir nicht so flexibel sein können wie Mütter mit „gesunden“ Kindern – denn unsere Kinder können wir nicht mal eben schnell der Oma, der Tante oder der Nachbarin geben.
Klingt einleuchtend, aber die Wahrheit ist: Auch wenn etwas nachvollziehbar und außerdem gesetzlich geregelt ist, wird es doch nicht gern gesehen. Die 104er-Freistellung bedeutet für viele von uns auch Stigma am Arbeitsplatz. Mal subtiler („Oh, hast du’s fein, du hast am Nachmittag frei!“ „Du bist aber unflexibel.“), mal weniger subtil („Du musst heute trotzdem nachmittags einspringen.“ „Nein, du darfst die Tage nicht vor oder nach deinem Urlaub nehmen, das ist ungerecht, weil du hast dann viel länger Urlaub als die anderen.“ „Nein, Dienstag geht auch nicht, da ist viel los im Büro.“ „Nein, am Montag und Freitag darfst du die Freistellung nicht nehmen, das ist ungerecht den anderen gegenüber, weil du hast dann ein verlängertes Wochenende!“)
Glaubt ihr wirklich, wir sind an verlängerten Wochenenden interessiert? Wir pflegen unsere Kinder 365 Tage, egal ob werktags oder wochenends! Und unsere Kinder sind darauf angewiesen, dass wir uns die Freistellung nehmen können. Wir sind nicht „unkollegial“, wir haben keine andere Möglichkeit. Das muss endlich gesehen und verstanden werden und diese Diskriminierung am Arbeitsplatz aufhören! Es kann nicht sein, dass Eltern von Kinder mit Behinderungen geringere Karrierechancen haben, Schwierigkeiten am Arbeitsplatz bekommen oder gar in die Kündigung gedrängt werden. Diese ständigen Kämpfe und Kommentare rauben uns Energie, die wir dringend für uns und unsere Kinder brauchen.
Und bitte: Hört auf zu fragen, warum wir denn „überhaupt arbeiten gehen, wo wir doch zu Hause genug zu tun zu haben.“ Ich gehe arbeiten, weil ich meine Arbeit liebe, weil ich dafür studiert habe, weil ich sie gut mache und weil ich mehr bin als Mami und damit Therapeutin, Lehrerin, Krankenpflegerin, Taxifahrerin und Hausfrau. Ich brauche meine Lohnarbeit und ich habe ein Recht auf diese Arbeitsstelle wie alle anderen auch. Und vor allem möchte ich mich weder dafür rechtfertigen müssen, warum ich arbeiten gehe, noch dafür, warum ich die 104er-Freistellung in Anspruch nehme. Gleichberechtigung beginnt da, wo Gesetze zur Inklusion nicht mehr als Privileg, sondern als Notwendigkeit verstanden werden – und wo wir Mütter von Kindern mit Behinderung unterstützt und nicht abgestraft werden.
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