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Schön rund und glatt muss er sein, von signalrot bis neongrün. Die leuchtenden Farben als Synonym für Frische. Zu hundert Prozent frei von Makeln, Macken und Maden. Das ist das optimierte und omnipräsente Bild vom gesunden Apfel.
Wer einen Apfel isst, nimmt über dreißig verschiedene Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente zu sich. Das Kalium reguliert den Wasserhaushalt, das Pektin senkt den Cholesterinspiegel. Manche sekundären Pflanzenstoffe, die im Apfel enthalten sind, scheinen sogar das Krebsrisiko und die Anfälligkeit für Bronchial- und Lungenkrankheiten zu reduzieren. Nicht umsonst heißt es: „Una mela al giorno toglie il medico di torno.”
Doch der tägliche Apfel eliminiert nicht nur den Arztbesuch, sondern zunehmend auch die Biodiversität. Was (gut gewaschen) den Menschen gesund hält, kann die Wiesen krank machen, die Bienenvölker dezimieren und die Artenvielfalt torpedieren. Allein im Jahr 2016 wurden laut Istituto Superiore per la Protezione e la Ricerca Ambientale (Ispra) pro bewirtschaftetem Hektar in Trentino-Südtirol rund 62,2 Kilogramm chemische Wirkstoffe ausgeschüttet – eine Menge, die fast zehn Mal (!) höher ist als der nationale Durchschnitt.
Welche Auswirkungen solche enormen Mengen auf die Umwelt haben, dazu laufen gerade einige Studien mit experimentellem Aufbau an der Universität Bozen. Vor allem die Folgen von Pestiziden für Honigbienen soll geklärt werden. Auch das Forschungsprojekt „Biodiversity Monitoring” an der Eurac soll in den kommenden Jahren mehr Erkenntnisse über die Auswirkungen von Pflanzenschutzmittel bringen. Andreas Hilpold, der Koordinator des Projekts, erklärt, dass Südtirols Artenvielfalt seit Jahren zurückgeht. Besonders starke Rückgänge gab es in der Vogelwelt, bei Gefäßpflanzen, Tagfaltern und Heuschrecken.
Verantwortlich dafür ist – neben der Zerstörung des Lebensraums oder Verarmung der Landschaftsstruktur durch Monokulturen – eben auch der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Die Wirkung der Pestizide beschränkt sich nie ausschließlich auf die unerwünschten Organismen, die sogenannten Schädlinge. Pestizide schaden direkt oder indirekt über die Nahrungskette auch allen anderen Elementen eines Ökosystems. Auch der Mensch nimmt die Gifte über verunreinigtes Trinkwasser, über Nahrungsmittel oder ganz einfach über die Luft in den Körper auf.
Man macht es sich viel zu leicht, wenn man mit dem Finger pauschal auf die Landwirte zeigt.
Deshalb ging es zum Beispiel in meinem Elternhaus immer ganz hektisch zu, wenn mein Onkel, selbst Apfelbauer, beim Traktor die Spritze anließ. Seine Felder grenzen direkt ans Haus an. „Alle Fenster schließen, schnell!“, rief meine Mutter dann. Eine milchige, feinstaubige Wolke erhob sich über den Apfelbaumreihen und löste sich nur langsam hinter dem brummenden Traktor in der Luft auf. Idyllische Erinnerungen an eine Kindheit auf dem Lande.
Man macht es sich aber viel zu leicht, wenn man mit dem Finger pauschal auf die Landwirte zeigt, als wären sie todbringende Giftschamanen. Viele Bauern sind selbst in einem System gefangen, das ihnen wenig Handlungsfreiheit lässt. Wenn sich etwas ändern soll, ist ein Dialog mit ihnen unerlässlich. Gleichzeitig gibt es selbstgerechte und geradezu fahrlässige Versuche, eine Debatte über Pestizide und ökologische Alternativen im Keim zu ersticken. Mittlerweile hat Arnold Schuler angekündigt, seine Klage auf üble Nachrede, die er zusammen mit rund 1.600 Obstbauern gegen das Umweltinstitut München beziehungsweise dessen Referenten Karl Bär, Alexander Schiebel und den oekom-Verlag eingereicht hatte, zurückzuziehen. Stein des Anstoßes waren ein Plakat, das drei Tage lang in einer U-Bahn-Passage in München hing, und das Buch beziehungsweise der Film „Das Wunder von Mals“, in dem einige Sätze als diffamierend wahrgenommen wurden.
Der Gang vor Gericht hatte Konsequenzen, die über den Sachverhalt der Verleumdung weit hinausgingen: Die Umweltaktivisten sahen im Vorgehen der Südtiroler Landesregierung den Versuch, Kritiker per se mundtot zu machen. Erst der mediale Druck und die internationale Aufmerksamkeit, die die Klage nach sich zog, veranlassten Schuler zu einem Strategiewechsel. Doch das Signal, das die Klage aussendete, lässt sich wohl nicht so leicht rückgängig machen.
Ob man den Vorwurf der Verleumdung als berechtigt sieht oder nicht, ist eigentlich völlig egal. Entscheidend ist eher die Frage, ob es angesichts so dringender Probleme wie dem des Verlustes der Artenvielfalt und der gesundheitlichen Bedrohung durch Pestizide wirklich auf die Befindlichkeiten der Südtiroler Agrarwirtschaft ankommt. Eine offene und ehrliche Debatte muss in einer Demokratie, zumal bei existenziellen Themen, auch ein paar harschere Töne vertragen können.
„Wir können zwar aufhören, zu spritzen, aber wenn dieses Obst dann nicht gekauft wird, ist niemandem geholfen.“
Wenn sich die Landwirte in dieser Debatte zu Wort melden, stößt man vor allem auf zwei wiederkehrende Elemente: guten Willen und Ratlosigkeit. Dieser Haltung entsprechen genau zwei Argumente. Das eine lautet: „Wir würden ja gerne aufhören zu spritzen, aber ohne geht es gar nicht. Auch Bio-Bauern kommen nicht gänzlich ohne Pestizide aus.“ Das andere Argument, das hier anknüpft, lautet: „Die Konsumenten wollen sauberes, makelloses Obst. Wir können zwar aufhören, zu spritzen, aber wenn dieses verbeulte und teils schädlingsbefallene Obst dann nicht gekauft wird, ist niemandem geholfen.“
Beide Aussagen sind zumindest teilweise richtig. Gibt es also wirklich keine Alternative?
Zumindest das Argument, dass Bio-Äpfel auch nicht viel besser sind, muss man entkräften. Es stimmt einerseits, dass auch Bio-Apfelbauern meist nur auf synthetische Pestizide verzichten, während sie etwa Kupfer- und Schwefelpräparate weiter einsetzen. Andererseits ist die Belastung dadurch bereits um einiges geringer als bei Äpfeln aus konventionellem Ausbau.
Bei der Liste der Dirty Dozen – des „Dreckigen Dutzends“ – die von der amerikanischen Nonprofit-Organisation „Environment Working Group“ (EWG) einmal jährlich veröffentlicht wird, rangiert der Apfel sehr weit oben, meistens auf Platz vier oder fünf. Obst, das unter die Dirty Dozen fällt, ist besonders pestizidbelastet und sollte daher möglichst aus biologischem Anbau gekauft werden. In die Clean 15– die „Sauberen 15” – hingegen schaffen es nur die Obstsorten, die auch im konventionellen Anbau wenig Einsatz von Pflanzenschutzmittel erfordern und wo der Konsument deshalb bedenkenlos auf Bio verzichten kann. Dazu gehören etwa Spargel, Mais und Zwiebeln.
Das Risiko, bei Bio-Obst auf Pestizidrückstände zu stoßen, ist laut einer Studie des deutschen Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit im Allgemeinen viel geringer (35 Prozent) als bei Obst aus konventionellem Anbau (68 Prozent). Im Supermarkt zum Bio-Apfel und dafür etwas tiefer in den Geldbeutel zu greifen, lohnt sich also.
Wir Konsumenten müssen uns von der Erwartung eines glattgeschniegelten Hochglanz-Apfels endlich verabschieden.
Im Südtiroler Landtag sehen das auch die Grünen so. Vor einem Jahr haben sie einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, der das Angebot einer eigenen Ausbildung für Junglandwirte in Sachen Bio-Anbau vorsieht. Und bis 2030 soll schrittweise der Ausstieg aus der Pestizidwirtschaft erfolgen. Bislang blieb der Gesetzesvorschlag aber unbehandelt.
Sicher ist, dass der Umstieg auf Bio und auf pestizidfreie Lebensmittel sich für die Landwirte nur dann lohnt, wenn auf Seite der Konsumenten auch Nachfrage besteht. Dieses Argument der Bauern verdient es, mehr Gehör finden.
In anderen Worten: Wir Konsumenten müssen uns von der Erwartung eines glattgeschniegelten Hochglanz-Apfels verabschieden. Von jetzt an darf der Apfel – und auch jedes andere Obst und Gemüse – auch mal ein paar Macken haben. Vor allem öffentliche Gesundheitsbehörden und Lifestyle-Magazine, die Obst als gesunden Snack bewerben, sollten auf ihren Illustrationen endlich realistische und nachhaltige Früchte mit ihren natürlichen Mängeln präsentieren, anstatt Obst, das von einem Plastik-Imitat kaum zu unterscheiden ist.
Vor allem der Apfel, der ohne Pflanzenschutzmittel besonders häufig von Pilzbefall und anderen Schädlingen heimgesucht wird, wird uns dann mehr kosten, weil das Risiko des Landwirts, seine Ernte zu verlieren, höher ist und einen Preis hat. Im schlimmsten Fall muss auch mal ein Apfel entsorgt werden, weil ein Wurm darin sein Zuhause gefunden hat. Solange das für die meisten Konsumenten ein Problem ist, haben die Landwirte recht: Wer nicht imstande ist, den Wurm im Obst als Sinnbild eines intakten und giftfreien Ökosystems zu feiern, sollte wenigstens so konsequent sein und auf das Bauern-Bashing verzichten.
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