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Warum werden Sexualstraftäter trotz ihrer Taten nur „sanft“ bestraft? „Mich regt sowas auf“, schreibt meine Kollegin Sarah Meraner im BARFUSS-Chat, dass Männer bei sexualisierten Übergriffen keine richtige Strafe verhängt bekommen.
Sarah hat Recht. Ich tippe auf Google Sexualstraftäter ein und es erscheint eine sehr lange Liste von Beispielen. Trotz sexuellen Missbrauchs und/oder Vergewaltigung sind die Strafen „überschaubar“, den Taten nicht angemessen.
Ja, die Taten dieser Männer, es sind fast ausschließlich Männer, werden dann auch noch kaum geahndet. Kritik darüber wird selten laut: die Sexualstraftat, nur ein Kavaliersdelikt? Außer wenn der sexuell Übergriffige oder Vergewaltiger ein Migrant ist.
Ein Beispiel: RAI – Südtirol meldet, dass ein 61-jähriger Mann aus dem Eisacktal in einem Vergleich einer Haftstrafe von acht Monaten zugestimmt hat. Er tat der minderjährigen Tochter einer Nachbarsfamilie wiederholt sexuelle Gewalt an. Nachdem der Verurteilte bereits die Hälfte der Haftstrafe abgesessen hat, „kann er die verbleibende Strafe in Form von gemeinnütziger Arbeit ableisten“, berichtet RAI – Südtirol.
In Vergangenheit war dieser Täter wegen anderer Sexualstraftaten bereits zu vier Jahren und sieben Monaten Haft verurteilt worden. Ein Wiederholungstäter also, der für seine Straftat mit gemeinnütziger Arbeit bestraft wird. Ein typischer Fall für Täter-Justiz.
Wie wird es dem Mädchen gehen?
Zu einer längeren Haftstrafe wurde ein 37-Jähriger verurteilt, weil er eine 16-Jährigen mehrfach sexuell missbraucht hat. Die Ermittlungen gehen auf eine Anzeige des Mädchens zurück. Der Mann habe sie an einer Bushaltestelle angesprochen und sie zu einer Party ins Trentino bringen wollen. Auf der Fahrt dorthin habe sie mehrfach vom Wasser getrunken, das er ihr angeboten hat. Das Mädchen vermutete, dass ihr damit Beruhigungsmittel verabreicht worden war. In der Folge vergewaltigte der Mann das Mädchen mehrere Male.
Der Mann wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt. Sechs Jahre für Entführung, Betäubung und Mehrfach-Vergewaltigung.
Ein weiteres Beispiel, einige Monate zurückliegend. Ein 24-jähriger Marokkaner hatte eine 25-Jährige gezwungen, in Siebeneich aus dem Bus zu steigen, um sie dann sexuell zu belästigen. Der Täter wurde kurz darauf von den Polizeibeamten festgenommen. Er wurde vom Gericht zu einer Haftstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt.
Was wurde aus dem Mädchen?
Im Mittelpunkt der Berichterstattung über sexuelle Gewalt stehen dann ausschließlich die Täter. Die Betroffenen werden am Rande erwähnt, so nebenbei. Und die Betroffenen werden immer zahlreicher. Laut dem Landesgericht verdreifachten sich die Fälle sexualisierter Gewalt an Minderjährigen, jene der Sexualdelikte stieg von 115 auf 124.
Auch die Ermittlungen wegen Misshandlungen in der Familie stiegen deutlich von 400 auf 530 an. Die Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum von Juli 2023 bis Juni 2024. Laut Staatsanwaltschaft ist die Häufung der Fälle darauf zurückzuführen, dass aufgrund der Aufklärung vermehrt angezeigt wird.
Zahlen. Dahinter stecken aber menschliche Schicksale, erlebte sexualisierte Gewalt und Demütigung. Die verhängten Strafen entsprechen tatsächlich diesen Straftaten.
Wie stark wird die junge Frau immer noch leiden?
Ein Vergleich: Laut dem deutschen Jura-Forum handelt es sich beim Auto-Diebstahl um eine schwere Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe zwischen drei Monaten und zehn Jahren bestraft werden kann. Autoklauen wiegt also schwerer als sexueller Missbrauch und Vergewaltigung.
Auch Steuerhinterziehende können härter bestraft werden als Sexualstraftäter. Bei einer überschaubaren Steuerhinterziehung kann der Täter eine Geldstrafe bezahlen oder wird mit fünf Jahren Gefängnis bestraft. Bei schwerer Steuerhinterziehung, also wenn es um satte Summen geht, kann eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren verhängt werden.
Autoklau und „Steuervermeidung“ – auch so ein schönfärberischer Begriff – werden härter bestraft als Vergewaltigung. Es ist aber noch schlimmer. Viele Verfahren gegen mutmaßliche Sexualstraftäter müssen bereits im Vorfeld eingestellt werden, zitiert die „Süddeutsche Zeitung“ eine Staatsanwältin. Von 100 Anzeigen wegen Vergewaltigung, die jeden Monat auf ihrem Tisch landen, könne sie vielleicht ein Drittel vor Gericht bringen, bedauerte die zitierte Staatsanwältin.
Autoklau und „Steuervermeidung“ – auch so ein schönfärberischer Begriff – werden härter bestraft als Vergewaltigung.
„Männer, die wegen Vergewaltigung vor Gericht stehen, haben eine große Chance, straffrei davonzukommen“, schreibt Verena Mayer in ihrer Kolumne „Vor Gericht“ ebenfalls in der „Süddeutschen Zeitung“. Die Autorin kommt zum Schluss, dass Mann für ein perfektes Verbrechen nicht bestraft wird, nämlich für Sexualstraftaten. Eine doch bittere Erkenntnis.
Zwei Urteile machen noch fassungsloser: Im belgischen Löwen wird ein 24-jähriger Medizinstudent von einem Gericht verurteilt, weil er eine Kommilitonin vergewaltigt hatte. Das Gericht spricht ihn zwar schuldig, setzt aber die Strafe aus. Begründung: Der Vergewaltiger ist „jung und begabt“. Vor Gericht zu stehen war Strafe genug, befand der Richter. Die stattgefundene Vergewaltigung wird zudem nicht im Strafregister des Mannes festgehalten.
Seine Kommilitonin wird wohl ihr Leben lang mit dem Trauma kämpfen müssen, das er ihr zugefügt hat, kommentiert die Wochenzeitung „Der Freitag“ diesen Fall, „das ist ein Freibrief für Vergewaltiger“. Für Frauen scheint der Rechtsstaat nicht zu gelten.
„Der Freitag“ berichtet über eine Serie ähnlich begründeter Urteile. So wurde in München ein 28-jähriger Feuermann wegen einer Vergewaltigung lediglich zu elf Monaten auf Bewährung verurteilt. Ein höheres Urteil hätte zu seiner Entlassung als Beamten geführt. Diese Konsequenz wollte die Richterin des Amtsgerichts München dem Mann nicht zumuten.
Wird das Gericht am 19. September die drei Männer freisprechen, weil ihr angeblicher Gruppensex freiwillig war?
Belgische, deutsche oder italienische Justiz. Diese versagt, wenn es um „sexualisierte Gewalt“ geht, sie versagt auch, Betroffene von sexualisierter Gewalt zu schützen. Das zeigen Statistiken: Nur ein Bruchteil von Tätern wird überhaupt angezeigt, weil die Frauen wissen, dass die Anzeigen meist folgenlos bleiben. Von ihnen wird wiederum nur ein geringer Prozentsatz verurteilt. Gewalt gegen Frauen wird nach wie vor systematisch verharmlost. Nicht Betroffene, sondern Täter werden geschützt.
Ein letztes Beispiel: Eine 30-jährige Finnin zeigte drei Kosovaren wegen Gruppenvergewaltigung in Gröden an. Die drei Männer bestreiten nicht die „sexuellen Handlungen“, weil sie einvernehmlich gewesen sein sollen. Die Frau hingegen wirft den drei Männern vor, sie vergewaltigt zu haben. Die Berichterstattung der „Südtiroler Tageszeitung“ darüber zweifelt die Straftat an: „War es eine Gruppenvergewaltigung?“, so der Titel des Beitrages.
Wird das Gericht am 19. September die drei Männer freisprechen, weil ihr angeblicher Gruppensex freiwillig war?
Anders in Spanien: 2022 trat in Spanien das sogenannte „Solo sí es sí“-Gesetz („Nur Ja heißt Ja“) in Kraft. Es sorgte auch international für Aufmerksamkeit, weil es sexualisierte Gewalt anders bewertet als etwa deutsche Gesetze: Sex gilt nur dann als einvernehmlich, wenn beide ausdrücklich zustimmen. Ohne Zustimmung wird er als Vergewaltigung gewertet – mit bis zu 15 Jahren Haft. Opfer müssen nicht mehr beweisen, dass sie sich gewehrt oder Nein gesagt haben.
Und zum Nachlesen: Werden Vergewaltigungen und andere Sexualdelikte zu milde bestraft?
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