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Illustrations by Sarah
Sarah Meraner
Veröffentlicht
am 27.03.2023
MeinungKommentar zum Mama-Sein

Mama vs. Society?

Mom-Bashing deluxe: Mit einem Kind wird das Leben zu einer völlig neuen Herausforderung. Unsere Autorin über das Mama-Sein inklusive ungebetener Ratschläge, Besserwisserei und einem Leben im Scheinwerferlicht der Gesellschaft.
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Mutter hält Kleinkind in die Luft

Vor sieben Jahren bin ich zum ersten Mal Mama geworden. Vorher habe ich – ganz “Mama-in-spe” konform – Bücher übers Schwanger-Sein gelesen, übers Eltern-Sein, darüber, was einem Baby alles fehlen kann, was man am besten in die Kliniktasche packt, und natürlich (!) einen Baby-Vorbereitungskurs besucht. „Ha, jetzt weiß ich alles und bin bestens vorbereitet auf das, was kommt.” Nope. Denn abgesehen davon, dass man sich nicht mal ansatzweise bewusst sein kann, wie es als Mama sein wird, ist man auch und vor allem auf den Rest, das große Drumherum, absolut nicht vorbereitet: weder auf das ständige Unter-Beobachtung-Stehen, die fehlende Wertschätzung noch auf die Rolle innerhalb der Gesellschaft und das System dahinter. Darüber, dass frau nicht unfehlbar sein und am besten nie laut aussprechen darf, dass Mama-Sein nicht immer nur Heiter-Sonnenschein bedeutet, sondern auch mal Verzweiflung, nie endende Sorgen und den einen oder anderen Nervenzusammenbruch, spricht niemand.

Liebe Leser:innen, verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin unglaublich gerne Mama, um nichts in der Welt würde ich meine beiden Söhne hergeben. Die beiden sind mein Ein und Alles. Aber die Rolle, in die ich als Mama von der Gesellschaft katapultiert werde, nun, mit der hadere ich seit Tag eins.

Glückwunsch, es ist ein … neues Leben!
Erblickt ein Baby das Licht der Welt wird auch immer eine Mama geboren – und neben all der wundervollen, zweifellos schönen Momente, die man als solche erleben darf, auch noch eine Menge andere Dinge: Selbstzweifel, Schuldgefühle, fehlende Me-Time sowie Paarzeit, Mental Overload, ein finanzielles Downgrade, Verzicht, die fehlende Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Zudem ein soziales Umfeld, das plötzlich stärker vertreten ist, als einem oft lieb ist. Es stehen nämlich plötzlich sehr viele Leute an Mamas Seite: Hinter ihr, vor ihr. Gefühlt sind überall Omas, Tanten, Onkel, Bekannte, Freundinnen, Nicht-Freundinnen, Oma-ähnliche Damen, alte, fremde Männer, Ärztinnen und Ärzte, andere Mütter, Kassiererinnen, Kollegen des Partners, Apotheker und eine Million andere Leute, die an ihrem Leben teil- und einige Dinge gemeinsam haben: das Besserwisser-Schmunzeln, gute Ratschläge und schiefe Blicke.

Tun Sie dies, tun Sie das! Was?
Ein Blick zurück zu den Tagen nach meiner ersten Geburt. Ich, noch völlig ahnungslos und erstmals froh um jeden Tipp, bekomme bereits im Krankenhaus jede Menge Anweisungen: „Sie müssen unbedingt stillen und wenn Sie stillen, müssen Sie zu uns Hebammen kommen, damit wir sehen, ob der Kleine gut trinkt.“ Ich wandle in den beiden Krankenhaus-Nächten Mombi-mäßig jede dreiviertel Stunde von meinem Zimmer ins Nido. „Verwenden Sie keinen Schnuller in den ersten sechs Wochen!“ Ich verwende keinen Schnuller, sondern lege den Kleinen immer brav an die schmerzende Brust. „Keine Stillhütchen verwenden!“ Mach ich doch, mit mega-schlechtem Gewissen. „Immer beide Brüste anbieten!“ Trinkt der Kleine nicht! Was mache ich bloß falsch? „Setzen Sie dem Säugling immer eine Mütze auf. Auch im Sommer.“ „Setzen Sie dem Säugling keine Mütze auf. Schon gar nicht im Sommer.“ Wie jetzt? Was? Tun Sie dies. Tun Sie das. Das dürfen Sie nicht. Und das schon gar nicht.

Irgendwann wusste ich nicht mehr, was richtig war und was falsch und erst viel später wurde mir klar: Es gibt kein Richtig und kein Falsch – jede Familie, jede Mama muss ihren ganz eigenen Weg finden. 

Die ersten Wochen war ich unglaublich überfordert. Nicht mit dem Kleinen, sondern mit diesem Überangebot an Ratschlägen, die von allen Seiten regelrecht auf mich einhagelten. Gefühlt jede:r hatte einen Tipp auf Lager. Irgendwann wusste ich nicht mehr, was richtig war und was falsch und erst viel später wurde mir klar: Es gibt kein Richtig und kein Falsch – jede Familie, jede Mama muss ihren ganz eigenen Weg finden. 

Diese Einsicht verdanke ich einer Ärztin, die mir den wohlgemerkt einzig brauchbaren Tipp mit auf den Weg gab: „Sie müssen auf gar niemanden hören. Sie müssen nicht mal das tun, was ich Ihnen sage. Auch ich habe nur eine Meinung. Die einzige, auf die Sie hören müssen, ist Ihre innere Stimme. Sie sind die Mama und wissen ganz genau, was richtig ist.“ Ich bin dieser Frau heute noch dankbar, denn durch sie begann ich endlich, meinem Gefühl zu vertrauen.

Mutter hält Baby-Füßchen

Und plötzlich kam es mir so vor, als bewegte ich mich in einem Hamsterrad und die Welt da draußen drehte sich ohne mich weiter. Feste wurden ohne mich gefeiert, berufliche Chancen zogen am Fenster vorbei, zusammen mit meiner Freizeit und Me-Time.

Zurück an den Herd
Doch mein Gefühl sagte mir in den letzten Jahren als Mama noch sehr viel mehr: Dass eine Frau, sobald sie Mutter wird, in eine Rolle gesteckt wird, die man als feministisch-emanzipierte Frau eigentlich nicht ganz oben auf ihrer „How I wanna be as a woman“- Liste hat. Auch bei mir war das so: Ich war viel zu Hause. Sehr viel zu Hause. Und viel am Spazieren. Am Haushalt schmeißen, am Kochen. Am Stillen. Am Schlafen, wenn es irgendwie ging. Und auf dem Spielplatz und dann wieder zu Hause. Und plötzlich kam es mir so vor, als bewegte ich mich in einem Hamsterrad und die Welt da draußen drehte sich ohne mich weiter. Feste wurden ohne mich gefeiert, berufliche Chancen zogen am Fenster vorbei, zusammen mit meiner Freizeit und Me-Time. Für ein paar Monate war ich kaum mehr für mich und mein Gehirn fühlte sich vom Schlafmangel und der fehlenden Stimulation irgendwann wie Matsch an. Ich fühlte mich kognitiv nicht mehr gefordert, gefördert oder gar gebraucht in der Welt.

Später, als ich dann wieder in den Beruf zurückkehrte, lernte ich die Begriffe Multitasking, Mental-Load und Alles-irgendwie-unter-einen-Hut-Bringen erst so richtig kennen. Es sei nochmal betont: Es ist Wahnsinn, was Mütter alles leisten – wo bleibt bitte sehr die Wertschätzung dafür?

Niemals wieder fehlerfrei!
Ganz schlimm waren für mich Anfeindungen anderer Mütter und Nicht-Mütter – ein Phänomen, dessen ich mir vor meiner eigenen Mutterschaft nicht annähernd bewusst war. Zwischen „So früh gibst du dein Kind in die Fremdbetreuung?“ und „So lange bleibst du Zuhause?“, zwischen „Jetzt hast du schon abgestillt?“ und „So lange stillst du?“ und „Was, das Kind schläft bei euch im Bett?“ und „Was, das Kind schläft schon im anderen Zimmer?“ zwischen „Du darfst das Kind nicht weinen lassen“ und „Du kannst das Kind auch ruhig mal weinen lassen“, zwischen „Du musst das Kind daran gewöhnen, abends unterwegs zu sein, dann kannst du es immer überall mitnehmen“ und „Das Kind muss einen klaren Rhythmus haben und abends spätestens um 19 Uhr ins Bett“ ließe sich die Liste an potentiellen Fehlern und Fehltritten, die man sich als Mama leisten kann, endlos fortführen.

Mom-Bashing deluxe
An eine Situation erinnere ich mich besonders oft zurück. Mit meinem Laptop sitze ich im Cafè, ich bin am Arbeiten und zwei Frauen ratschen am Tisch gegenüber. Die beiden sprechen über eine Bekannte und ich komme nicht umhin, als die beiden zu belauschen: „Woasch, sie hot ihre Kinder schun gern. Ober sie hot sie net so gern, dass sie für sie Dohoam bleiben tat.“  In meinem Bauch formte sich ein riesiger Wutball und ich hatte allergrößte Mühe, der guten Dame, die bis dato wohlgemerkt selbst noch keine Kinder hatte, nicht Kontra zu geben. Hätte ich es tun sollen? Später fragte ich mich noch oft, woher sich andere Leute, insbesondere Frauen, die Freiheit, pardon, Frechheit nehmen, dermaßen zu urteilen. Was zur Hölle geht sie das an, wie andere ihr Leben führen und ihre Kinder erziehen? Wer entscheidet über das „richtige Maß“ an Liebe? Warum herrscht nach wie vor der Glaube, eine Frau müsse alles andere aufgeben, sobald sie Mama wird? Kann man als Mama denn überhaupt noch irgendetwas richtig machen in den Augen dieser Gesellschaft? Als würde es nicht schon reichen, dass …

… frau automatisch wegen der Kinderbetreuung eine bestimmte Zeit nicht mehr arbeiten kann und somit oft in ein finanzielles Loch fällt, weniger Rente ausbezahlt bekommt und wieder von ihrem Partner abhängig wird, weil Care-Arbeit ja unbezahlte Arbeit ist. 

… frau – wenn sie dann irgendwann wieder in die Arbeitswelt zurückkehrt – fast immer nur in Teilzeit zurück kann.

– frau dann erneut wirtschaftliche Einbußen hat und wieder weniger Rente bekommt.

… frau alle körperlichen, hormonellen und psychischen Veränderungen aufgrund von Schwangerschaft, Geburt und Stillen durchmacht.

… frau die komplette mentale Last auf den Schultern trägt.

Ich gebe es zu: Auch ich habe schon über andere geurteilt. Warum ich das getan habe? Ich weiß es nicht. Vielleicht, weil ich unsicher war und selbst viele offene Fragen hatte. Vielleicht, weil ich den Weg der anderen schlichtweg nicht nachvollziehen konnte, weil er für mich persönlich nicht stimmig war. Aber: Man muss nicht immer alles nachvollziehen können, das ist ok und eigentlich kein Grund für Mom-Shaming. Ich bin inzwischen bei folgender Meinung angelangt: Jede soll ihr Leben und ihre Erziehung so gestalten, wie es für sie am stimmigsten ist – solange es den Kindern gut geht. Dann ist es ganz egal, ob eine Frau sich dafür entscheidet, 3 Jahre oder länger zuhause zu bleiben oder schon bald wieder zurück zur Arbeit geht, ob sie nur ein paar Monate oder gar nicht stillt. Es ist auch egal, ob das Kind Zuhause von Papa oder Mama betreut wird, ob es fremdbetreut wird in einer Einrichtung oder bei Oma oder beim Pinco Pallino – solange sich Kind, Mutter und Vater damit wohlfühlen, ist das doch völlig egal. Warum sich wer für irgendwas entscheidet, ist letztlich Privatsache.

Denn ja, sobald du Mama wirst, stehst du plötzlich anders da in dieser Welt, die dich umgibt. Du wirst quasi zum Allgemeingut – all deine Handlungen und laut ausgesprochenen Gedanken und Gefühle gehören nicht mehr dir alleine.

Mummy, be prepared!
Jetzt, bei Kind Numero zwei, bin ich viel entspannter, reflektierter und ich habe eine Art mütterliches Selbstbewusstsein entwickelt – mittlerweile gebe ich nicht mehr viel auf die Meinungen anderer. Ungefragte Ratschläge bekomme ich kaum, weil ich genau weiß, was ich tue und das auch klar kommuniziere. Aber damals, vor sieben Jahren, wünschte ich, man hätte mich auf all das vorbereitet. Denn ja, sobald du Mama wirst, stehst du plötzlich anders da in dieser Welt, die dich umgibt. Du wirst quasi zum Allgemeingut – all deine Handlungen und laut ausgesprochenen Gedanken und Gefühle gehören nicht mehr dir alleine.
Vielleicht sollte man daher die Babyvorbereitungskurse um ein Angebot erweitern: Mamavorbereitungskurse. Inhalte: Warum du anderen Müttern niemals ungefragt Tipps geben und du nie über andere Mütter urteilen solltest. Weiters: Vergiss dich selbst nicht und tu das, was dir gut tut. Zudem: Smash the system! Und last but not least: Wie dir die Gesellschaft mal gehörig den Buckel runterrutschen kann.

Aber jetzt mal ernsthaft: Ich wünschte, es gäbe mehr echte, ja wirklich echte Solidarität und Offenheit unter Frauen sowie mehr Familienfreundlichkeit in unserem System, um Mütter zu entlasten und sie wertzuschätzen. Um Männer mehr in die Kinderbetreuung einzubinden, so dass die Gleichberechtigung endlich einen Sprung nach vorne machen kann und der Gender Pay Gap endlich fällt. Ich wünschte, die Liste der gesellschaftspolitischen To-dos hätte hier ein Ende.

Das einzige, was hier aber endet, ist mein Artikel, den ich locker um weitere … na, sagen wir mal vier bis 143 Seiten ausbauen könnte. Aber nein, ich mache jetzt erstmal Schluss und genieße einfach mal das, was im komplett verrückten Gesellschaftstohuwabohu viel zu kurz kommt: das echte Mama-Sein.

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