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Barbara Plagg
Veröffentlicht
am 27.11.2020
MeinungKommentar zur Gewaltprävention

Ich klage an

Veröffentlicht
am 27.11.2020
Ein Beschlussantrag zur Gewaltprävention wurde am Tag der Gewalt gegen Frauen abgelehnt. Dabei macht uns jede unterlassene Möglichkeit, häusliche Gewalt zu verhindern, zu Komplizen.
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Am heurigen Tag der Gewalt gegen Frauen, in diesem Katastrophenjahr, in dem die häusliche Gewalt zugenommen und von der UN bis hin zur kleinsten lokalen Organisation unisono alle dazu aufrufen, den Schutz von Frauen und Kindern zu verstärken, hat der Südtiroler Landtag einen Beschlussantrag zur Gewaltprävention versenkt. Wichtig sei Gewaltprävention schon, so der Konsens, und ja, die müsse früh beginnen, denn erwiesenermaßen ist die Sozialisierung in Kindheit und Jugend ausschlaggebend. Sprich: Wer später keine toten Frauen will, muss vorher bei der Prävention beginnen. Man war sich einig, ermordete, geschundene und verletzte Frauen sind eher kein Qualitätsmerkmal für eine erfolgreiche Frauen-, Familien und Gesellschaftspolitik, denn bekanntlich sind zusammengenommen all die tausend Einzeltäter das Produkt einer strukturellen Problematik — und ja, hier stellen die Zahlen Südtirol leider ein eher schlechtes Zeugnis aus. Doch dann, als wäre dieses verdammte Jahr nicht schon kafkaesk genug, wurde am Tag der Gewalt gegen Frauen der lachhaft bescheidene Beschlussantrag (1. altersgerechte Angebote für Jungs und Mädels in allen Schulstufen zur Gewaltprävention, 2. fixe Finanzierung dafür und 3. Weiterbildungsprogramme für Pädagog*innen) abgelehnt weil, ja, warum eigentlich?

Mir fällt kein einziger triftiger Grund ein, der über den Schutz von Frauen und Kindern steht und während alle, die dagegen gestimmt haben oder sich enthalten haben, gleichermaßen anzuklagen sind, sind die Neinsagerfrauen besonders hervorzuheben. Denn dass nun Politiker wie der Frauen-können-keine-technischen-Berufe-Franz (übrigens selbst das beste Beispiel dafür, wo uns fehlende Sensibilisierung hinführt) dagegen stimmen, ist in keinem Fall akzeptabler, nur weniger verwunderlich. Wenn sich aber die soziale Flanke der Mehrheitspartei, die genau diese „Frauen”-Themen bespielt, sie sich auf ihre Programmfahnen schreibt und damit auf Stimmenfang geht, jetzt hinstellt und sagt, es gäbe „da schon schon sehr viel“ und geschlossen dagegen stimmt, wenngleich die Zahlen und Appelle der im Bereich Tätigen eine andere Sprache sprechen, dann haben wir ein Problem: Dann wird die gesellschaftliche Notwendigkeit von jenen, die allen voran die politische und moralische Aufgabe hätten, für dieses Thema einzustehen, komplett verkannt — trotz der regelmäßig im Jahresreigen (Tag der Frau, Muttertag, Tag der Gewalt gegen Frauen etc.) repetitiv auf uns herabregnenden Facebook-Lippenbekenntnissen.

Bis unsere Männer im Südtiroler Landtag endlich geschlossen für Frauenthemen einstehen (was selbstverständlich sein sollte, aber ich nicht sicher bin, ob wir das noch erleben dürfen), hätten die paar weiblichen Stimmen bei diesem Antrag, der in seinen drei Punkten mit 17 zu 14 (Punkt 1 und 2) und 17 zu 15 (Punkt 3) versenkt wurde, auf jeden Fall den Unterschied machen können. Ich entschuldige mich an dieser Stelle stellvertretend bei all den Opfern und Hinterbliebenen, in deren Ohren es wie Hohn klingen musste, zu hören, es würde ja schon genug getan: Es wurde nicht genug getan für euch. Und das tut mir unendlich leid.

In typischer Politposse stimmt man geschlossen für oder gegen etwas, denn mehr als der Inhalt entscheidet scheinbar, wer einen Beschlussantrag eingebracht hat.

Man stelle sich jetzt außerdem vor, man lebe in einem Land, in dem ein führender Politiker in derselben Chose am Tag der Gewalt gegen Frauen mit seiner Aussage beeindruckt, dass ihn „der vermittelte Eindruck störe, als wollten sich Männer nicht zum Thema äußern“, denn an Tagen wie heute (also am Tag gegen Gewalt an Frauen) würde man sehen, dass das „Gegenteil“ der Fall sein würde. Geäußert schon, dafür gestimmt dann aber doch nicht, auf jeden Fall aber haben am 25. November sämtliche Politiker*innen fleißig Posts gegen Gewalt an Frauen von ihren Pressereferent*innen veröffentlichen lassen. Diese Posts, die noch nie auch nur einer einzigen Frau in einer Gewaltsituation geholfen, sondern nur dem eigenen Stimmenfang gedient haben, sind vor der Tatsache, dass am selben Tag gegen die Gewaltprävention gestimmt wurde, der Gipfel der Scheinheiligkeit. An allen anderen Tagen hingegen nennt man ein solches Verhalten schlicht positive Diskriminierung, denn wenn ein Mann sich selbst oder von anderen für seinen Facebook-Post („Schaug, er findet Gewalt a bled!“) gelobt wird, ist das nicht progressiv, sondern provinziell. Nun gibt es Gottseidank auch sehr viele Männer, die sich tatkräftig in diesem Bereich einsetzen, ein Facebook-Post zählt da allerdings nicht dazu. Doch in einem hatte der Politiker Recht: Prävention kann nicht alleine in den Bildungseinrichtungen passieren, sondern ist ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag. Aber hüben wie drüben sind es in allen Bereichen nicht Worte und Posts, die Frauen vor Gewaltsituationen retten, sondern Taten.

Doch die Wahrheit hinter der Abstimmung ist vermutlich viel weniger im Inhalt, als in der Parteipolitik zu finden: In typischer Politposse stimmt man geschlossen für oder gegen etwas, denn mehr als der Inhalt entscheidet scheinbar, wer einen Beschlussantrag eingebracht hat— und der kam in diesem Fall aus den Bänken der Opposition, nämlich von Foppa, Dello Sbarba und Staffler. Der wesentliche Grund für Entscheidungen, die nicht inhaltlich, sondern politopportunistisch getroffen werden, liegt im Parteiwesen, das allzu oft nicht im Sinne der gesellschaftlichen Notwendigkeiten, sondern zugunsten der strategischen Selbsterhaltung entscheidet. Parteisoldat*innen, die aus strategischen Gründen Gewaltprävention erschweren oder verhindern, gefährden mit taktischen Verzögerungen in Finanzierung, Umsetzung und Planung auf lange Sicht Frauen und Kinder. Politische Spielchen, die man von mir aus in der Diskussion um Parkplätze, aber gewiss nicht in der Diskussion um Gewalt gegen Frauen ausleben kann. Der Landesbeirat für Chancengleichheit scheint derweil von außen betrachtet zu einer Farce degradiert zu werden, deren wichtige Forderungen und Wertehaltungen übers Jahr hinweg scheinbar geduldig zur Kenntnis genommen werden, im Entscheidungsstübchen aber offensichtlich nur dann für die Mehrheitspartei den Handlungsrahmen stellen, wenn der Beschlussantrag aus den eigenen Reihen kommt.

Kohärent katastrophal für diesen für Südtirol denkwürdigen Tag gegen Gewalt an Frauen fiel der Umgang mit Kritik vonseiten der Bevölkerung aus, der die Neinsager konsequent mit der Opferrolle begegnete („Jetzt erlaubt sich das fiese Volk uns zu sagen, dass es mit unserer Entscheidung nicht einverstanden ist.“). Man fasse zusammen: Da lehnen Politiker*innen Präventivmaßnahmen zum Schutz von Frauen und Kindern ab und heulen ein paar Stunden später bei Kritik der Bürger*innen von „verbaler Gewalt“ und „wenig Solidarität unter Frauen“. Wäre es ein Witz, das wäre die Pointe. Weil es aber eine Tragödie ist, ist diese ultimative Geringschätzung von Frauen, die tatsächlich Opfer von Gewalt sind, das miserable Leitmotiv: Man sitzt ganz oben an den strukturellen Stellschrauben, aber setzt seine eigenen (politischen) Befindlichkeiten über die Dringlichkeiten und Notwendigkeiten der Schutzbedürftigen ganz unten. Für alle Frauen da draußen in Gewaltsituationen, für alle Überlebenden und Opfer von Gewalt, für alle Kinder, in deren Familien Gewalt an der Tagesordnung ist, stelle ich klar: Wer den Unterschied zwischen Kritik und Gewalt nicht begreift, hat keine Ahnung und ist nicht wählbar.

Man sitzt ganz oben an den strukturellen Stellschrauben, aber setzt seine eigenen Befindlichkeiten über die Dringlichkeiten der Schutzbedürftigen ganz unten.

Der Landeshauptmann selbst, der an der Abstimmung nicht teilgenommen hat, war in seiner Wortmeldung zum Thema sehr reflektiert und erkannte in vielen Aussagen seiner Kolleg*innen „eine Tendenz zur Relativierung“. Am Abend nach abgelehntem Beschlussantrag postete er ein Bild, wo er selbst im Gespräch mit der alternativen Nobelpreisträgerin Monika Hauser abgebildet ist und betont, wie wichtig es sei, „der Gewalt gegen Frauen endlich einen Riegel vorzuschieben und die Chancengerechtigkeit zu verbessern“. (Ironie oder geniale versteckte Kritik am Abstimmungsverhalten seiner Kolleg*innen?) Viele fragten sich, was Dr. Hauser, die 1996 das Bundesverdienstkreuz abgelehnt hatte, weil sie mit politischen Entscheidungen der BRD nicht einverstanden war, wohl vom versenkten Beschlussantrag halten würde — und ich habe sie einfach mal selbst gefragt. In Ihrer Antwortmail schreibt sie unumwunden: „Gewaltprävention ist eine Voraussetzung für Geschlechtergerechtigkeit — und zwar solidarisch über Parteigrenzen hinweg.“ Denn, so schreibt Hauser, „nur Mehrheiten und ernsthaftes Engagement können die Umsetzung der Istanbul-Konvention politisch voranbringen.“ Alles, was in unserer Macht steht, muss getan werden, um Frauen zu schützen.

Und in unserer Macht steht je nach Rolle, Position und Umständen nicht dasselbe, aber möglicherweise ein kleines Bisschen: Bin ich Nachbar*in, schaue ich nicht weg, bin ich Journalist*in, berichte ich nicht in tendenziöser Täter-Opfer-Umkehr („Der arme Verliebte war halt so verzweifelt, weil sie ihn verlassen wollte.“), bin ich Politiker*in, ermögliche ich Gewaltprävention, bin ich Pädagog*in, arbeite ich mit den Kindern an der Sensibilisierung. Ein paar wenige kleine Knoten im Auffangnetz reichen nicht, aber viele kleine Knoten halten den tiefsten Fall. Wenn wir auch nur eine Frau, ein Kind damit retten, haben wir alle gewonnen. Und ich klage an, denn die Politik hat nicht alles in ihrer Macht stehende getan, nein, sie hat mal wieder nicht mal das Knüpfen kleiner Knötchen im Netz zum Schutz der Frauen und Kinder ermöglicht. Das ist eine Grundhaltung, die fern von jedem politischen Kalkül, nicht akzeptiert werden kann.

Die Ablehnung des Beschlussantrags zeichnet ein fatales Bild des Landtags nach außen in seinem Umgang mit und seinem Verständnis von Gewalt gegen Frauen. Empört euch, Südtiroler und Südtirolerinnen, egal welchen Alters, welchen Geschlechts, welcher politischen Ausrichtung! Diese eine Sache, die uns alle gleichermaßen betrifft, ist schlicht zu wichtig für Taktikspielchen. Politische Eiertänze interessieren uns nicht, von den Ausreden lassen wir keine einzige gelten und traut euch bloß nicht mit den üblich ollen Floskeln, man würde ja eh nochmal was einbringen und „eine ganzheitlichere Lösung anstreben“ oder „es lag an den Formulierungen“ zu kommen. Es ist eure politisch Aufgabe und eine dringende gesellschaftliche Notwendigkeit, Frauen und Kinder besser schützen — tut es. Wir alle sind nicht die Täter, aber wir werden zu Kompliz*innen, wenn wir nicht das tun, was wir tun könnten, um Frauen und Kinder zu schützen. Denn all die kleinen unterlassenen Möglichkeiten ergeben am Ende zusammengenommen den großen Fehler, der bei jedem einzelnen Opfer unverzeihlich bleiben wird.

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