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Illustrations by Sarah
Teresa Putzer
Veröffentlicht
am 22.08.2023
MeinungKommentar zum Babyshaming

„Ich bin keine Reproduktionsmaschine!“

Egozentrisch, unreif und unweiblich: Die Attribute, die einer „kinderlosen" Frau zugesprochen werden, sind zahllos. Immer mehr Frauen entscheiden sich bewusst gegen das Kinderkriegen, was der Gesellschaft so gar nicht gefällt. Ein Kommentar über Babyshaming.
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*Neulich am Gynäkologenstuhl*

„Na, das sieht doch alles prima aus. Ein Kind würde sich hier drinnen sehr wohl fühlen und was gibt es Schöneres als Kinder?“

(Hmm, eigentlich eine Menge …)

„Sie sind jetzt 25, also befinden Sie sich am Höhepunkt Ihrer Fruchtbarkeit. Sie sollten dieses Vorhaben definitiv in den nächsten fünf Jahren angehen, danach tickt die Zeit!“

Tja, da musste ich erstmal schlucken. So saß ich letzte Woche etwas verdutzt bei der Besprechung der Frauenarztvisite – ich fühlte mich sichtlich unwohl und war etwas unschlüssig darüber, ob ich über diese skurrile Situation lachen oder weinen sollte. Erstaunt war ich keineswegs darüber, dass – wie so oft – ein Mann mir ungewollte Ratschläge zu MEINEM weiblichen Körper aufzwingt. Dennoch überraschte mich die Dreistigkeit eines Mitte 60-jährigen Gynäkologen, welcher – würde man zumindest meinen – genauestens über die Sensibilität solcher Fragen rund um den weiblichen Körper und den Kinderwunsch Bescheid wissen sollte. 

Darauf bedacht, ruhig zu bleiben, antwortete ich also nur knapp, dass mir gerade nicht der Sinn danach steht, jemals Kinder zu bekommen. Noch im selben Moment schnellte seine rechte Augenbraue nach oben und sein abwertender Blick traf mich. Nach seinem Gemurmel: „Ah, eine von denen sind Sie also …“ verließ ich wütend die Praxis. Wild entschlossen mir sofort eine:n neue:n Gynäkolog:in zu suchen und eine Beschwerde einzureichen, begleiteten mich seine Worte aber noch eine ganze Weile. „Eine von denen also.“ Aber von welchen eigentlich?

Eine von denen – um genau zu sein, eine von 20 % –, die im Alltag, im Gesundheitswesen, von der Gesellschaft, von Männern und Frauen dafür verurteilt werden, „kinderlos” bleiben zu wollen. Eine von denen, die gebabyshamed werden.

Das Babyshaming

Babyshaming bezeichnet die Diskriminierung, Beleidigung und Verurteilung von Frauen, die keine Kinder wollen. Die Motive hinter dem Shaming können variieren. Häufig geht es um konservative Rollenbilder oder Erwartungen an das „Weiblichsein“, die nicht erfüllt werden. Kurz gesagt, es geht um Sexismus … Mal wieder. Frauen ohne Kinder werden häufig die Attribute unreif, egoistisch, nicht weiblich genug und „verantwortungsdrückend“  zugeschrieben. Eine Drückebergerin eben. Eine Frau, die sich trotz Fruchtbarkeit vor eigenen Kindern drückt. 

Eine Studie des YouGov Instituts in Großbritannien zeigt, dass dort mehr als ein Drittel der Frauen – die noch „kinderlos” sind – niemals Kinder haben möchten. Ähnliche Werte und Tendenzen zu sinkenden Geburtenraten finden sich überall in Europa. So gibt es mittlerweile zahlreiche „Childfree-Communities“ auf Social Media, in denen sich Mitglieder über Diskriminierungserfahrungen austauschen.

Trotz fortschreitender alternativer Familienmodelle, gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, Patchwork-Familien, Forscher:innen wie Edith Vallèe (Pionierin im Bereich der Nicht-Mutterschaft) und enttabuisierenden Büchern wie „Regretting Motherhood“ von Orna Donath, in welchem die israeliche Sozioling von Müttern berichtet, die es bereuen Kinder bekommen zu haben und mit der Mutter Rolle etwas Negatives verbinden, gilt eine Frau ohne Kind in vielen Teilen der Gesellschaft weiterhin als Tabu.
So müssen sich Frauen ab Mitte 20 ständig rechtfertigen, weshalb sie keine Kinder haben. Überspitzt formuliert kann man also sagen, dass sich Frauen dafür entschuldigen müssen, ihren fruchtbaren Körper „nicht richtig auszunutzen“ und dem „wahren Sinn“ des Weiblichseins – nämlich der Reproduzierbarkeit – nicht nachgehen. Frauen mit Partnern* oder gar verheiratete Paare sind davon besonders betroffen, weil diese zumeist die Möglichkeit auf Kinder hätten und diese nur nicht „nutzen“. Die Feststellung, dass viele Frauen und Paare aber einfach keine Kinder haben möchten, wird als Argument im Diskurs ausgeklammert und nicht als Grund wahrgenommen. Bis ins hohe Alter müssen sich Frauen ohne Kinder diverse Narrative über unfruchtbare, extra wählerische oder gar egoistische, karrieregeile Frauen anhören.

Wie perfide dabei viele Männer und auch Frauen vorgehen, zeigen die Erfahrungen unserer Barfuss-Leser:innen, welche sich nach einem Aufruf auf Instagram mit ihren Geschichten zum Babyshaming gemeldet haben.

  • „Immer wieder muss ich mir anhören, dass ich etwas verpasse oder es irgendwann bereuen werde, keine Kinder bekommen zu haben.“
  • „Familientreffen sind der Horror für mich und meinen Freund. Jedes Jahr werden wir von unseren Verwandten ausgequetscht, wann wir endlich Kinder bekommen. Jedes Jahr verdrehen sie die Augen, wenn wir sagen, dass wir immer noch keine wollen.“
  • „Meine Meinung wird nicht akzeptiert. Egal wie viele Gründe ich meinem Gegenüber gebe, warum ich keine Kinder haben will, wird mir eingeredet, dass ich trotzdem welche haben sollte.“
  • „Mir wird dauernd gesagt, dass sich meine Meinung ändern wird. Ich weiß, dass das nicht der Fall sein wird.“
  • „Deine biologische Uhr tickt. Irgendwann wollen alle Frauen Kinder, das ist das biologische Grundgesetz.”

Die karrieregeile & egoistische Frau

Wer denkt, dass Vorbehalte und Diskriminierung gegenüber arbeitenden Frauen veraltet sind, denkt falsch. Nach wie vor gilt die aufstrebende Frau im Arbeitsfeld als egoistisch, während das männliche Pendant zu ihr als diszipliniert und ehrgeizig beschrieben wird. Kein Wunder also, dass kinderlosen oder viel eher kinderfreien Frauen, die einen akademischen Weg einschlagen oder einen gesellschaftlich angesehenen Beruf ausüben, häufig Egoismus und Karrieregeilheit nachgesagt werden. Alles für die Karriere, ohne Rücksicht auf Verluste: Dieses Credo der Babyshamer trifft den Nagel auf den Kopf, da hierbei davon ausgegangen wird, dass ein kinderfreies Leben automatisch ein Leben mit Verlust bedeutet. Dass für viele ein Leben mit Kindern ein Verlust bedeuten würde – nämlich ein Verlust von Lebensqualität, Freiheit, Unabhängigkeit und Glücklichsein – wird gekonnt ausgespart. Frauen können sich auf so vielen andere Arten und Weisen als in der Mutterrolle verwirklichen. 

Wir dürfen nicht vergessen, dass trotz vieler emanzipativer Errungenschaften das Berufsleben weiterhin von geschlechtsspezifischer Diskriminierung geprägt ist. Benachteiligungen wie der Gender Pay Gap, fehlende Aufstiegschancen, mangelnde Frauenquoten etc. spielen einen wichtigen Faktor bei der Frage nach dem Kinderwunsch. So verlieren viele Frauen durch eine Schwangerschaft und das Muttersein häufig die hart erarbeitete Position im Job. Besonders betroffen sind davon Frauen, die selbstständig arbeiten oder im privaten Sektor tätig sind. Nur wenige Berufe ermöglichen einer Frau nach mütterlicher Auszeit, genau dort weiterzumachen, wo sie aufgehört hat. Außerdem finden nun mal viele Frauen die Erfüllung im Beruf und nicht in den leuchtenden Kinderaugen. Das alles hat aber rein gar nichts mit Egoismus zu tun. Wäre es nicht egoistischer ein Kind zu bekommen, ohne es zu wollen, nur um einem – konservativ verharrten – Rollenbild zu entsprechen und die Gesellschaft glücklich zu machen? 

Wie stark die Aussage über karrieregeile Frauen ohne Kinder von Misogynie geradezu trieft, zeigt der Umkehrschluss: Mit dem Verweis darauf, dass kinderfreie Frauen rücksichtslose Karrierebiester seien, werden Müttern hingegen automatisch eine Karrierelaufbahn abgesprochen. Dass es sich bei der Kindsfrage für Frauen nicht automatisch um ein Entweder-oder handelt und viele Mütter eine wahnsinnig beeindruckende Karriere – trotz gesellschaftlicher Benachteiligung hinlegen – kann ja gar nicht sein. Das würde nämlich voraussetzen, dass Frauen bewusste Entscheidungen treffen können und das obliegt wohl nach wie vor ausschließlich den Männern. 

„Ich genieße es, beim Cocktailabend mit meinen Freundinnen nicht auf die Uhr schauen zu müssen, einen spontanen Mädels-Trip jederzeit buchen zu können und nur für mich selbst Verantwortung übernehmen zu müssen. Deshalb werde ich oft als egoistisch bezeichnet.“

-Barfuss Leserin  

Typisch Gen Z: Die entscheidungsunfreudigste Generation

Natürlich ist die Entscheidung Kinder zu bekommen oder eben nicht, keineswegs etwas Typisches für eine Generation. Und auch beim Babyshaming handelt es sich um ein generationsübergreifendes Phänomen, von dem unsere Großmütter aufgrund der veralteten Rollenbilder vielleicht noch mehr betroffen waren, als wir es heute sind. Dennoch zeigt sich ein klarer Trend  zum bewussten kinderfreien Leben bei den jüngeren Millennials und noch deutlicher bei der Gen Z. Mit den vielen Möglichkeiten der jungen Generation ergeben sich unendliche Optionen zur Lebensgestaltung. So finden sich junge Menschen heutzutage selten in einem geregelten Alltag, mit fixem/r Partner:in, fixem Job und fixem Wohnort wieder. Der Traum vom Eigenheim mit Familie ist nicht das Ziel der Gen Z. Diesen Traum kann sich – nebenbei bemerkt – auch niemand mehr leisten. Die Teuerungen sind aber nicht der ausschlaggebende Grund, warum sich so viele junge Menschen gegen die Gründung einer Familie entscheiden. Natürlich sind fixe Partner:innen, Eigenheim etc. keine Voraussetzungen für Kinder. Dennoch spielen Sicherheit und Stabilität eine große Rolle bei der Kinderentscheidung. Und Stabilität ist für uns GenZler ein Fremdwort. 

Genau damit beschäftigt sich eine Studie der Gera Hochschule in Thüringen, welche sich mit den Gründen und Motiven des Wunsches nach einem kinderfreien Leben auseinandersetzt. Hierfür wurden 1.100 Frauen, die keine Kinder haben und auch in Zukunft nicht haben wollen, nach ihren Motiven gegen eine Zukunft mit Kindern befragt. Mehr als zwei Drittel nennen hierbei: mehr Freizeit zur Verfügung, größere Möglichkeit zur Selbstverwirklichung und Freiheit vor Verantwortung in der Kindererziehung. Weitere Gründe, die genannt werden, denen die knappe Hälfte der Frauen zustimmen, sind: Sorge vor Überforderung, Angst vor Schwangerschaft und Geburt, ablehnende Haltung gegenüber Kindern und Zweifel an den eigenen elterlichen Fähigkeiten. Die Studie belegt zudem die Tendenz zum kinderfreien Leben der Gen Z, da die Gruppe der unter 18-Jährigen den größten Teil der Gesellschaft darstellt, die bereits jetzt weiß, keine Kinder haben zu wollen. 

Außerdem sind wir Gen Z-ler Teil einer Generation, die durch die Klimakrise, anhaltende Kriege etc. der Welt immer schon wortwörtlich beim Untergehen zugesehen hat und noch immer zusieht und das – um es in den Worten meines Frauenarztes zu sagen – in unseren fruchtbarsten Tagen. Aktuell erreichen uns täglich News über neue Umweltkatastrophen in nächster Nähe, welche der Klimakrise zu verschulden sind. Viele junge Frauen sehen daher in der ungewissen Zukunft eine Gefahr für ihre Kinder. Der Gedanke, in diese Welt keine Kinder setzen zu wollen, ist daher weit verbreitet. 

„Ich fühle mich wie eine Ware, die ihren Wert verliert, wenn ich nicht bald schwanger werde.“

– Barfuss Leserin

Eine Frau ohne Kinder ist nicht vollkommen

Bullshit. Pardon, aber was soll ich dazu sonst noch sagen? Mehrere Barfuss-Leserinnen haben uns bestätigt, dass sie oft damit konfrontiert werden, dass sie ihr „kinderfreies Leben bereuen werden und ihren weiblichen Körper wegschmeißen würden“. Später würden sie einmal „einsam, ohne Kinder und Enkel:innen dasitzen“ … Viel zu oft wird der Körper der Frau nach wie vor als Ware der Reproduzierbarkeit betrachtet. Weiblichkeit ist aber individuell und definiert sich darüber, was man selbst als weiblich empfindet. Wir sind keine Reproduktionsmaschinen. Also hört endlich auf, uns als solche zu behandeln!

Ein Leben ohne Kinder bedeutet nicht, irgendetwas verpasst zu haben, ein weniger seriöses oder erfülltes Leben gelebt oder die Weiblichkeit nicht zur Genüge ausgelebt zu haben. Eine Frau ohne Kinder ist nicht weniger weiblich als eine Dreifach-Mama. Hört auf, Frauen nach Kindern zu fragen oder ihnen gar einzureden, welche zu bekommen. Denn neben den Tatsachen, dass rund 8–10 % der Menschen unfruchtbar sind, keine Kinder bekommen können, 23 Millionen Fehlgeburten pro Jahr stattfinden und manche Frauen sich zutiefst Kinder wünschen, aber keinen Partner:in „finden“ etc. steht es jeder Frau* frei zu sagen, dass sie einfach keine Kinder haben möchte. 

Ich möchte meinen Kommentar über das Babyshaming nicht beenden, ohne darauf zu verweisen, dass sich dieser Artikel keineswegs als Vorwurf gegen das Mama- und Elternsein versteht. Ich finde Kinder toll, beobachte mit Freude progressive Entwicklungen in jungen Generationen und glaube fest daran, dass zukünftige Generationen alternative Lösungswege für gesellschaftliche Probleme wie die Klimakrise usw. mit sich bringen. Zusätzlich zolle ich jedem Elternteil – besonders den Müttern – den größten Respekt für ihre tolle, kräftezehrende Erziehung und Arbeit als Mutter und als Frau. Dass Frauen trotz gesellschaftlicher Hürden und andauerndem Mom-Shaming es schaffen eine tolle Mutter, Frau und Mensch zu sein und zumeist noch einen Beruf daneben stemmen, fasziniert mich. Ich könnte das nicht. Ich möchte es auch nicht. Und genau das ist der Punkt: Ich muss es auch nicht.  

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