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Illustrations by Sarah
Wolfgang Mayr
Veröffentlicht
am 25.12.2024
MeinungKommentar

Fremde Heimat

„Heimat Fremde Heimat“ war das erste interkulturelle Fernsehmagazin des ORF, das den Fokus auf Minderheiten jeglicher Art setzte. Nach 35 Jahren wurde es jetzt eingestellt. „Ist das Magazin nicht mehr zeitgemäß?“, fragt sich Wolfgang Mayr in diesem Rückblick und Kommentar.
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2019 feierte die Redaktion 30 Jahre „Heimat Fremde Heimat“ im Burgtheater mit viel Prominenz. Der Künstler Andre Heller meldete sich mit einer Video-Botschaft und appellierte an den ORF, die Sendung „nicht anzurühren“. So als ob er es geahnt hätte. Seit dem 22. Dezember 2024 gibt es diese Sendung nicht mehr, die mehr als „nur“ eine Sendung war. Alexander Pollak von SOS-Mitmensch nennt die Absetzung von „Heimat Fremde Heimat“ einen großen Schaden, weil damit Themen wie Minderheiten und Vielfalt aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden. „Das aufzugeben ist nicht ohne Risiko“, bedauert Pollak. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Zwei Jahre nach der Pensionierung der Redaktionsleiterin Silvana Meixner – mit Lorbeeren verabschiedet – war am 22. Dezember Schluss, zum letzten Mal strahlte der ORF die Sendung „Heimat Fremde Heimat“ aus. Eine Sendung, die seit 35 Jahren unterschiedliche Minoritäten verbindet, die nationalen Minderheiten, die migrantischen „Communities“ und diverse andere Minderheiten.

Ein reizvolles Labor über das bunte Österreich der ethnischen, kulturellen, religiösen und sexuellen Vielfalt.

Ein reizvolles Labor über das bunte Österreich der ethnischen, kulturellen, religiösen und sexuellen Vielfalt. Die Republik Österreich, demokratische Enkelin der multinationalen Doppel-Monarchie. „Heimat Fremde Heimat“ war auch ein Bindeglied zwischen den verschiedenen Minderheitenredaktionen in Kärnten und im Burgenland. Kein Zufall, ging die Sendung doch 1989 gleichzeitig mit den Schwesterredaktionen im Burgenland (Dober Dan Hrvati) und in Kärnten/ Koroška (Dober Dan Koroška) auf den Schirm.
Nicht der ORF hatte damals entdeckt, dass Österreich mehr ist als die Mehrheitsbevölkerung. Im Land lebt eine überschaubare Zahl an Österreicher:innen, deren Muttersprachen Slowenisch, Kroatisch, Ungarisch und Romanes sind. In den Metropolen stellen die Nachfahren von Arbeitsmigrant:innen und Geflüchteten einen nicht unbeträchtlichen Teil der Wohnbevölkerung. Wie die nationalen Minderheiten wurden auch sie im ORF nicht gehört und nicht gesehen.

Smolle, Kletzander, Meixner
Es war der Grünen-Abgeordnete Karel Smolle, ein Kärntner Slowene, der die erwähnten ORF-Sendungen „erhandelt“ hatte. Erstmals waren die „anderen Österreicher:innen“ zu hören und zu sehen. Gesicht und Stimme für dieses diverse Österreich im Fernsehen wurde die Journalistin Silvana Meixner. Für sie war der Begriff „Diversität“ die Programm-Vorgabe. Sie und ihre Mit-Redakteur:innen zeigten auf, wie sich die Probleme marginalisierter Gruppen – autochthone, migrantische, sexuelle Minderheiten, Menschen mit Behinderungen – ähnelten, wie diskriminierend sich Mehrheitsstrukturen auf Marginalisierte auswirkten. Aber auch Alternativen wurden gesucht und aufgezeigt, wie die langsam entstandenen minoritäre Allianzen.
Meixner und ihr Team brachen Nischen auf, Enklaven, vernetzten sie, wie die migrantischen Communities, Volksgruppen, Frauenfragen, Menschen mit Behinderung und LGBTIQ+. Sie wurden zu Agierenden, die ihre Anliegen formulierten.

Menschenrechts-Journalismus
Es war Fernseh-Journalismus mit einem Hauch aktivistischer Menschenrechtsarbeit. Als Verantwortliche kam Silvana Meixne ins „Visier“ des Neo-Nazis Franz Fuchs, der Meixner 1993 eine Briefbombe „schickte“. Sie kam mit den Worten zurück, sie sei wieder da und sie lasse sich von den Nazis nicht vom Schirm bomben. Ihre Reaktion darauf: noch mehr Diversität.

2019 feierte die Redaktion 30 Jahre „Heimat Fremde Heimat“ und zwar im Burgtheater mit viel Prominenz. Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek würdigte Silvana Meixner und „ihre“ Sendung: „Es ist  bewundernswert, dass Silvana Meixner diesen Anschlag auf ihr Leben überwinden und etwas Großartiges aus dieser Sendung machen konnte! Das ist aller Ehren und Ehrungen wert.“

Zwei Jahre nach ihrem Ausscheiden stellte der ORF Meixners Sendung, ihre Erbschaft, ein.

Als Meixner 2023 in den Ruhestand ging, wurde sie von der ORF-Generaldirektion gefeiert. Magazine-Hauptabteilungsleiterin Lisa Totzauer würdigte die Zielstrebigkeit Meixners und ihr Eintreten für Werte, die in der Hektik des Arbeitsalltages oft ins Hintertreffen geraten würden. Zwei Jahre nach ihrem Ausscheiden stellte der ORF Meixners Sendung, ihre Erbschaft, ein.

Harmonisch war das Verhältnis zwischen ORF-Spitze und der Minderheiten-Redaktion selten. 2003 ersetzte der ORF die Moderator:innen von „Heimat Fremde Heimat“, Silvana Meixner und Lakis Jordanopoulos, durch einen ehemaligen „Zeit im Bild“-Moderator. Dagegen hagelte es Proteste, der ORF windete sich mit fragwürdigen Argumenten aus dem selbst verursachten Schlamassel.

Pionier Kletzander
Vorarbeit für Meixner leistete Helmuth Kletzander, er schuf die Grundlagen für Heimat Fremde Heimat. Mit seinem Gespür für Geschichten holte Kletzander 1998 auch einen Preis für seine Redaktion. Schon Kletzander war „minoritärer“ Netzwerker, organisierte 1998 mit der Österreichischen Liga für Menschenrechte, mit der Initiative Minderheiten und dem Boltzmann-Institut im ORF-Zentrum in Wien die Internationale Tagung Minderheiten und Menschenrechte. Kletzander sorgte dafür, dass mit Meixner und Meryem Citak Nichtdeutschsprachige in ihren Muttersprachen moderierten, „Gastarbeiter:innen“ in ihren Sprachen (mit Untertiteln) interviewt wurden. Eine innovative Leistung von Kletzander, der sich Angehörige der verschiedenen Communities in „seine“ Redaktion holte.

Die Diversität ging also frühzeitig online.

Kletzander öffnete die ORF-Tür weit und setzte, inspiriert von der großen BBC, aufgrund minimalem Budget auf Video-Journalist:innen, die überall ausschwärmten und direkt vor Ort berichteten. Er entwickelte mit einer Mitarbeiterin eine eigene Website für die Sendung, Volksgruppen/Diversität, „Heimat Fremde Heimat“. Die Diversität ging also frühzeitig online, die neben der 30-minütigen Sendung (um 13.30 Uhr auf ORF 2) Veranstaltungen, Initiativen, Kuriositäten, Projekte, nationale und internationale Neuigkeiten aus interkultureller Sicht spiegelte.

Meixner-Stempel
Silvana Meixner drückte dem Kletzander-Pilotprojekt einige Jahr später ihren Stempel auf. Meixner und ihr Team entwickelten interkulturelle Projekte, sprachen damit Junge an und interkulturell Bewegte. Sie ging damit an Schulen,  „ORF goes to schoolund präsentierte die divers gewordene Schüler:innenschaft. In Projekten wie „Schule fürs Leben – das Projektwurde mit hunderten Schüler:innen Methoden des Widerstandes gegen rassistische Praxis aufgegriffen. Immer öfter rückten weibliche Vorbilder in den Vordergrund. Aus diesen Projekten entwickelte sich eine Art Kaderschmiede für ethnische Jouranlist:innen.

Redakteure von „Heimat Fremde Heimat“, Meryem Citak und Mehmed Akbal, besuchten Moscheen, kritisierten deren Abschottung von der Mehrheitsgesellschaft und wurden dafür von türkischen Medien übel attackiert. Citak besuchte die „neuen Österreicher:innen“, die Nachfahren der Arbeitsmigrant:innen, für ihren Film „Kolarić’ Erben – Die Tschuschenkinder von einst“ erhielten sie den Journalistenpreis Prälat Ungar.

Was verbindet, was trennt, was kann voneinander gelernt werden?

Neu war auch, dass in Sendereihen das Verhältnis zwischen Österreich und den Nachbarländern über die Volksgruppen erklärt wurde. In einer Großstadt-Serie stellte „Heimat Fremde Heimat“ die europäischen Hauptstädte aus der Sicht von Communities und Volksgruppen vor.

Eine nicht unbedeutende Rolle spielte auch Südtirol im Format „Heimat Fremde Heimat“. Es ergab sich eine Zusammenschau zwischen jungen Südtiroler:innen und Angehörigen der österreichischen Minderheiten. Was verbindet, was trennt, was kann voneinander gelernt werden? Daraus entstanden – den Südtiroler ORF-Journalisten Claus Gatterer als Vorbild – die interkulturellen Claus-Tandems, die junge Journalismus-Aspirant:innen aus Südtirol und den österreichischen Communities und Volksgruppen zusammenführten.

Nicht nur eine Sendung
Und immer wieder ging es auch um den österreichischen Nationalsozialismus, um die Opfer der Nazis. Sie wurden gemeinsam gesehen, das Leid jüdischer Menschen, von Roma, Kärntner Sloweninnen, Zeugen Jehovas und LGBTIQ+. Das transgenerationale Trauma fand Platz in der Berichterstattung.

HFH praktizierte die Gegenrede, in der Reihe die „Weitblicke“. Prominente saßen an einem virtuellen Stammtisch und redeten und argumentierten gegen Fremdenfeindlichkeit, Hass, Neid und Angst an. Mehr als 200 Prominente aus der Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft beteiligten sich.

Neu war, dass der Frauenanteil bei den Interviewpartnerinnen so hoch war, dass die Redakteurinnen scherzhaft angehalten wurden, auch Männer zu interviewen.

Neu war, dass der Frauenanteil bei den Interviewpartnerinnen so hoch war, dass die Redakteurinnen scherzhaft angehalten wurden, auch Männer zu interviewen.

Die Sendung stand tatsächlich für einen diversen Journalismus, der vieles einschloß. Auch Musik. Im Projekt „Hausgemacht“ war die Musik der österreichischen Volksgruppen zu hören und zu sehen.

Und, nicht weniger wichtig und bedeutsam: Seit April 2015 steht die Sendung auch im Teletext-Gehörlosenservice mit Untertiteln zur Verfügung. Eine Sendung, die abwechselnd von Ajda Sticker und Marin Berlakovich moderiert wurde. Eine Sendung, gestaltet von einer Redaktion, die sich zu einem Kompetenzzentrum in Sachen Diversität entwickelt hatte.

Hausgemachte Konkurrenz
All das gibt der ORF jetzt auf. Laut Teletest schauten sich letzthin 50.000 Personen die Sendung an, davor und danach sollen es deutlich mehr sein. Seitenblicke, Weekend, Rosamunde Pilcher.

Aber nicht nur. Der ORF platzierte auch die anderen Minderheitensendungen in Burgenland, Kärnten und der Steiermark auf 13 Uhr, also „Dobar dan, Hrvati, Dober dan, Koroška“ beziehungsweise „Dober dan, Štajerska“ als Konkurrenz zu „Heimat Fremde Heimat“. Unbewusst oder gewollt? Und überhaupt, Minderheitensendungen am Sonntag, zur Mittagszeit. Da kann man kaum von Primetime reden. Das sagt viel aus.

Dieses Format wird im neuen Jahr ersetzt, „durch ein neues, zeitgemäßeres Volksgruppenmagazin wie auch ein Reportageformat“, berichtet „Die Presse“, die darauf hinweist, dass einen entsprechenden „Standard“-Bericht der ORF der  österreichischen Nachrichtenagentur APA bestätigt hatte.

Siehe auch: Zwischen Schwund und Digitalisierung, Vom Versuch, »normal« zu sein, Diversität, volksgruppen.orf,

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