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Illustrations by Sarah
Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 05.04.2024
LabernDie Gegenwart in einem Zitat

„Es reicht nicht, den Krieg zu gewinnen“

Die UN hat erstmals eine Waffenruhe im Gaza-Krieg gefordert. Aber wie sorgt man nachhaltig für Frieden?
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Mit KI generiertes Foto

Die Osterwoche, beziehungsweise die dritte Ramadan-Woche, begann mit einer guten Nachricht: Die UN hat erstmals eine Waffenruhe in Gaza gefordert. Die Resolution ist völkerrechtlich bindend. Eine Waffenruhe angesichts der über 30.000 Todesopfer und fast zwei Millionen Vertriebenen in Gaza wäre dringend notwendig. Nur: Wie geht es danach weiter? Wie kann man einen Krieg nicht nur pausieren, sondern ihn beenden?

Ausgerechnet beim Thema Krieg muss ich mit einer privaten Begebenheit anfangen – und tu hier mal so, als könnte das jedem passieren: Stellen Sie sich also vor, Sie holen Ihren Partner am Bahnhof ab. Es ist schon Mitternacht und Sie sind schlecht gelaunt, denn eigentlich wollten Sie schon längst im Bett sein. Doch aus reiner Bequemlichkeit hat Ihr Partner den letzten Zug genommen.

Als Ihr Partner schließlich aus dem Bahnhof auf die Straße tritt, bleiben Sie im Auto sitzen. Weil Sie in zweiter Reihe geparkt haben, werden Sie sich später rechtfertigen. Aber wenn Sie ganz ehrlich sind, auch wegen der schlechten Laune. Ihr Partner jedenfalls ist entrüstet. Zwei Wochen haben Sie sich berufsbedingt nicht gesehen, was für ein kaltherziger Mensch bleibt da im Auto sitzen, anstatt auf die geliebte Person zuzustürmen und sie zu umarmen?

Aus konfliktsoziologischer Perspektive sind alle Bedingungen für eine Eskalation erfüllt. Während ein Meinungsstreit ein Thema braucht, worum es sich drehen kann, braucht ein Beziehungsstreit vor allem eins: Vorwürfe, mit denen sich beide Seiten zum Fortsetzen des Konflikts motivieren können. Im Gegensatz zum Meinungsstreit geht der Beziehungsstreit an die Substanz. Denn wer die Vorwürfe annimmt, müsste nicht nur seine Meinung, sondern sein Verhalten hinterfragen. Man müsste ein Fehlverhalten eingestehen.

Am besten funktioniert der Machtkonflikt zwischen zwei Menschengruppen. Wer hier nachgibt, gibt nicht nur den Anspruch auf, moralisch im Recht zu sein, sondern verliert reale Privilegien, Einfluss, Macht.

Noch viel schlimmer ist der Machtkonflikt. Er braucht außer Vorwürfen auch Drohungen und Gewaltakte, Opfermythen und Feindbilder. Am besten funktioniert der Machtkonflikt zwischen zwei Menschengruppen. Wer hier nachgibt, gibt nicht nur den Anspruch auf, moralisch im Recht zu sein, sondern verliert reale Privilegien, Einfluss, Macht. Und wer unterliegt, verliert schlimmstenfalls sein Leben.

Die letzte Eskalationsstufe erreichte der Machtkonflikt zwischen Israel und den Palästinensern am 7. Oktober, als Hamas-Kämpfer über 1000 mehrheitlich zivile Israelis niedermetzelten. Kurz danach kündigte Israels Verteidigungsminister an: „Es wird keinen Strom, kein Essen, kein Wasser geben.“ Etwa ein halbes Jahr später sind fast zwei Millionen palästinensische Zivilisten vor den Bomben auf der Flucht, Hilfsorganisationen warnen vor einer biblischen Hungersnot.

Die letzte Eskalationsstufe eines Machtkonflikts ist fast immer dieselbe: die völlige physische Vernichtung des Gegners. Doch diese grausame Hoffnung erfüllt sich fast nie.

Ziel eines gerechten Krieges kann deshalb nur der Frieden sein, schrieb Aristoteles vor 2300 Jahren in seiner Nikomachischen Ethik:

„Es reicht nicht aus, den Krieg zu gewinnen. Es ist wichtiger, den Frieden zu organisieren.“

Das historische Zitat wirkt, als sei es in Bezug auf den heutigen Nahostkrieg entstanden. Wenn Israel zwei Millionen Menschen vertreibt, ausbombt und verhungert, wird es sehr wahrscheinlich den militärischen Sieg davontragen. Aber es schafft zugleich die Grundlage für neue Opfermythen und Feindbilder, für neue Drohungen und Gewaltakte über viele Jahrzehnte. Selbst wenn es uns nicht um Menschenrechte ginge, wäre es als pragmatische Verbündete Israels unsere Pflicht, seiner rechtsnationale Regierung die Unterstützung in einem Krieg zu verweigern, dessen Sieg dem Land keine Sicherheit, sondern nur fortwährende Feindschaft bringen kann.

Aber wie könnte Frieden aussehen?

Die soziologische Perspektive hat gezeigt, was die Grundbedingung eines Machtkonflikts sind: Ansprüche auf Privilegien, die für den anderen zugleich Diskriminierung und Entrechtung bedeuten. Solange die israelische Regierung das Westjordanland besetzt hält, illegale Siedlungen fördert und eine Zwei-Staaten-Lösung torpediert, solange ein Großteil der Palästinenser ein grundsätzliches Existenzrecht Israels ablehnt, kann es langfristig keinen Frieden geben.

Solange die israelische Regierung das Westjordanland besetzt hält, illegale Siedlungen fördert und eine Zwei-Staaten-Lösung torpediert, solange ein Großteil der Palästinenser ein grundsätzliches Existenzrecht Israels ablehnt, kann es langfristig keinen Frieden geben.

Dabei wäre Frieden für alle Parteien schmackhaft. Wenn Palästinenser und Israelis fürchten müssen, alles zu verlieren, nicht nur den ganzen Besitz und den ganzen Einfluss, sondern auch die Sicherheit und das eigene Leben, wäre schon der geteilte Besitz, die geteilte politische Macht ein Gewinn für beide Gruppen. Weil sie vollständige Sicherheit und Selbstbestimmung bringen würden.

Das alles klingt vielleicht naiv und sehr einfach. Gut so! Konflikte – und ihre Lösung – sehen von innen meistens komplizierter aus als von außen. Wer sagt, ein Konflikt sei zu kompliziert, um ihn zu lösen, hat seine Unparteilichkeit meistens schon verloren und betrachtet ihn von innen, wo alles verworren und vertrackt aussieht. Weshalb auch in Beziehungsstreiten eine Paartherapie helfen kann – weil sie die nötigen Klarsicht von außen einbringt.

Um zu unserem Beispiel zurückzukehren: Ja, Sie hätten Ihren Partner etwas herzlicher begrüßen können. Ja, er hätte auch einen Zug nehmen können, der zu einer christlichen Uhrzeit ankommt. Das Gute an Beziehungskonflikten: Sie müssen, um für Frieden zu sorgen, in der Regel wenigstens keine großen Ansprüche auf Macht und Besitz aufgeben, sondern nur aufs vollständige Rechthaben. Das ist freilich schwer genug.

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