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Illustrations by Sarah
Barbara Plagg
Veröffentlicht
am 13.09.2023
MeinungMotherhood unPlagged

Don’t protect your daughter…

…educate your son. Aber wie werden aus kleinen Buben gute Männer? Barbara Plagg über die Herausforderung, aus ihrem Söhnchen weder Memme noch Macho zu machen. Und warum das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.
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Don’t protect your daughter, educate your son! Kennen Sie das? Das geht regelmäßig raus an alle Eltern, aber vor allem natürlich an die Mütter, wenn ein Verbrechen gegen eine Frau passiert ist. Und weil ich eine von diesen Müttern bin — ich hab’ nämlich einen Sohn — habe ich da jetzt mal ein paar erziehungstechnische Fragen zwecks praktischer Umsetzung. 

Ich spiele mit meinem Sohn mit Puppen und Kinderwagen, aber der Marvin aus der gelben Gruppe sagt, dass das idiotischer Mädchenkram ist. Ich erkläre meinem Sohn, dass es keine „Mädchen-“ oder „Jungssachen“ gibt, aber im Geschäft sieht er die Welt aufgeteilt in eine rosa Eisprinzessinnengalaxie und eine blaue Ninijawelt. Ich sage meinem Sohn, dass man die Haare tragen darf, wie man will, aber nachdem ihm monatelang alle Menschen (wirklich alle! Von wildfremden Menschen auf der Straße bis zur Erzieherin im Kindergarten) gesagt haben, er sähe aus „wie ein Mädchen“, bittet er mich, seine schönen Haare abzuschneiden. Ich erkläre meinem Sohn, dass man Probleme nicht mit Gewalt lösen kann, aber der Leon kann seine Probleme nur mit Gewalt lösen und drischt auf meinen Sohn ein. Ich erkläre meinem Sohn, dass er nicht zurückschlagen, sondern aus der Situation gehen und die Erzieherin einschalten sollte und der Leon brüllt ihm „Feigling“ hinterher. 

Ich erzähle meinem Sohn von tapferen Prinzessinnen und weinenden Kriegern, aber auf Netflix erledigt Mama Wutz die Hausarbeit, während Ryder regelmäßig Adventure Bay rettet. Ich erkläre meinem Sohn, dass Frauen die Weltgeschichte geprägt haben, erzähle von Rosalind Franklin, Hannah Arendt, Frida Kahlo und Sophie Scholl, aber er kommt von der Schule nach Hause und kennt nur Goethe, Humboldt, Picasso und Hitler. Ich vermittle ihm, dass Gott genauso gut eine Schwarze Frau im Rollstuhl sein kann, aber er bringt aus der Kirche einen arischen Jesus mit, zusammen mit dem ältesten Antiwitz, dass Frauen aus der Rippe des Mannes gebaut wurden. Ich vermittle mit Vehemenz, dass Frauenkörper alle unterschiedlich und wunderschön sind, aber er sieht nur normschöne, weiße Size-Zero-Frauen von Plakaten, Werbeflächen und Shampooflaschen lachen. Ich sage meinem Sohn, dass er lieben darf, wen er will, aber er wird bald draufkommen, dass alles, was aus einer vermeintlich maskulinen „Norm“ fällt, viel Schmerz und Stigma für ihn bereithält.

Mein Sohn sieht, dass sein Vater das Schwesterchen im Tragetuch herumträgt, Windeln wechselt und Elternzeit nimmt, aber er sieht auch, dass sein Vater oft der einzige Mann im Elki, auf dem Spielplatz und beim Abholen vom Kindergarten ist. Mein Sohn hört, dass sein Vater dafür gelobt wird, aber er hört auch, dass seine Mutter dafür kritisiert wird. Mein Sohn sieht, dass Frauen selbstständig und selbstwirksam sein können, aber er hört auch, wie mich unsere Nachbarin morgens auf dem Weg zur Arbeit eine Rabenmutter schimpft. Mein Sohn sieht, dass sein Vater und seine Mutter sich die Hausarbeit aufteilen, aber er sieht auch, dass die anderen Onkels kaum einen Finger rühren. 

Das schlimmste aber ist: Ich sage ihm, dass Frauen tragen dürfen, was sie wollen, aber er ertappt mich dabei, wie ich seinen Vater frage, ob der Rock für’s Meeting zu kurz sei. Ich sage ihm, dass sich Frauen nicht nach irgendwelchen Schönheitsvorstellungen zu richten haben, aber er sieht mich die Beine epilieren, den Lidstrich ziehen und die Haare färben. Ich sage ihm, dass Frauen stark und stolz sind, aber er sieht mich instinktiv zögern und die Straßenseite wechseln, als ich im kurzen Sommerkleid neben einer Gruppe feixender Männer vorbeilaufen muss. Ich sage ihm, dass Väter sich genauso gut wie Mütter um das Kind kümmern können (und das sieht er auch bei seinem Vater), aber wenn sein kleines Baby-Schwesterchen schreit, reiße ich es seinem Vater aus den Händen, weil ich glaube, dass ich es besser beruhigen kann. Ich gehe in die Luft, wenn Männer Frauen vorschreiben, was sie zu tragen haben, aber ich sage seiner großen Schwester, dass sie so jetzt echt nicht ausm Haus gehen kann. Ich halte private TED-Talks darüber, dass Frauen dieselben Fähigkeiten wie Männer haben, setze mich aber in neun von zehn Autofahrten auf den Beifahrersitz, und rufe seinen Vater, wenn irgendwo ein Loch zu bohren ist oder das Rad einen Platten hat — obwohl ich sowohl bohren als auch picken und pumpen selbst kann. 

Tja. Nichts leichter, als einen Sohn zu erziehen! Man muss nur erstens gegen die gängige kulturelle Norm erziehen, zweitens permanent die eigenen verinnerlichten patriarchalen Muster reflektieren und drittens als einzelnes Individuum die Last eines jahrhundertealten Gesellschaftssystems abfangen. Man muss sein Kind vor den Grundsätzen eines Gesellschaftssystems abschirmen, dessen Mitglied es gleichzeitig werden soll. Man muss sein Kind darauf vorbereiten, welche Glaubenssätze in diesem Gesellschaftssystem gelten, und ihm gleichzeitig verklickern, dass diese Glaubenssätze in großen Teilen sexistischer Unfug sind. Man muss sein Kind darauf vorbereiten, sich innerhalb der Geschlechter-Klischees zu bewegen und ihm gleichzeitig vermitteln, dass er diese aber nicht selbst reproduzieren soll. Echt chilliger Job! 

Scherz beiseite, chillig ist’s natürlich nur für’s Patriarchat, das männliche Monster schafft und sie den Müttern in die Schuhe schiebt! Menschen entwickeln als soziale Wesen ihre Identität — und das schließt Geschlechtsidentität und Geschlechterrollen mit ein — auf Grundlage der geltenden kulturellen Normen, die sie umgeben. Für die kulturellen Normen können Mama und Papa nichts, aber natürlich können sie etwas dafür, wenn diese mehr oder weniger unkritisch in die nächste Generation einzementiert werden. Aber eben nicht nur sie können etwas dafür! Denn Kinder sind keine Privatsache. Kein Mensch ist privat. Wir sind alle Teil eines sozialen Gefüges. Und wenn Personen mit einem Pimmel immer und immer wieder aus diesem sozialen Gefüge rausfallen, weil sie Frauen vergewaltigen, verletzen und töten, dann ist der Grund nicht im Privaten zu suchen, sondern im Gesellschaftlichen. Deswegen stimmt’s schon, so insgesamt: Educate your sons. Allein, das geht nicht nur an die Eltern raus, nicht nur an die Mütter, nicht nur an die Väter. Sondern an uns alle.  

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