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Illustrations by Sarah
Sarah Meraner
Veröffentlicht
am 13.04.2024
MeinungTheaterrezension

„Die Zeit vergeht, die feige Sau!“

Maxi Obexers Theaterstück „Gletscher“ erstmals auf Südtirols Bühnen: In der Brixner Dekadenz zeigt Regisseurin Elke Hartmann, was das Nichtleben und das Vergehen der Zeit mit Menschen macht.
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Dekadenz – Gletscher – 143

Was passiert auf einer Bühne, wenn nichts weiter passiert, als … warten? Eigentlich richtig viel, wenn die Darstellerinnen – so wie in diesem Fall Margot Mayrhofer und Jasmin Mairhofer – in Mimik, Gestik und mit ihrem Medium Stimme ordentlich abliefern. Sie müssen das Seelenleben ihrer Figuren nach außen tragen und das Nichtgesagte genau so gut transportieren, wie die ausgesprochenen Worte – denn genau das ist es, was diese Erzählung ausmacht.
Es ist die Geschichte von Destina, die im ehemaligen, schon längst heruntergekommenen Berghotel ihrer Eltern, mitten in einem Gletschergebiet, ihr Leben verbringt. Sie wartet auf ihren ehemaligen Geliebten Hanno, der von einer Gletscherbesteigung nie zurückgekehrt ist. Was von ihm geblieben ist, ist die gemeinsame Tochter Florinda und eine scheinbar unendliche Zeit des Wartens. „Wann hat er gesagt, dass er kommt?“, fragt Florinda immer wieder, wohlwissend, dass ihr Vater nie auftauchen wird.

„Er kommt mit dem Gletscher. Das dauert.“

Destina

Mayrhofer und Mairhofer oder: der starke Ausdruck
Destina, fein säuberlich herausgeputzt und mit aufgesetzter Positivität, lebt in der süßen Schwere der Erinnerung und blickt einem Wiedersehen mit ihrem Hanno entgegen – ein Wiedersehen, das es in der gewünschten Form nie geben wird. Margot Mayrhofer setzt die Rolle der Destina sehr schön um und verkörpert das elegante Auftreten und die gleichzeitige verbale Verruchtheit sowie eine Verbissenheit und zugleich romantische Sehnsucht nach Liebe und einem anderen Leben souverän.

„Wohin geht der Tag, wenn er geht?“

Florinda

Tochter Florinda, gespielt von Jasmin Mairhofer, hingegen verschmilzt mit ihrem türkisfarbenen Pullover mit den Fliesen des alten Pools und so scheint es ihr auch vorzukommen: dass sie eins wird mit diesem Hotel, das sie nie hat verlassen dürfen, denn es „könnte sein, dass Hanno heute kommt.“ Durch ihre Augen, die schon lange nicht mehr warten, sieht sie, wie die Welt draußen Jahr für Jahr vorbeizieht. Mairhofer switcht großartig zwischen kindlichen, rebellischen und verrückt anmutenden Geisteszügen sowie zwischen unsicheren, traurigen und wütenden Gefühlsebenen hin und her und zeigt damit ihren künstlerischen Facettenreichtum auf. Ihre Aggressionen werden förmlich spürbar, als sie auf dem weißen Kinderstuhl vor- und zurück schaukelt und die Sanftheit in ihrem im Dialekt gehaltenen Monolog geht direkt unter die Haut. 

Das Wort oder: die literarische Ebene
Aber es nicht nur das „Wie“ der Darstellerinnen, sondern auch das „Was“, also die Sprache der Autorin Maxi Obexer, die textlich den richtigen Mix aus literarischem Anspruch und Emotion gefunden hat. Es sind Worte, denen man genau zuhört, die sehr oft ein kurzes Sinnieren, Schmunzeln oder stummes Schluchzen entlocken und dem Stück eine poetische Akzentuierung verleihen. Die gebürtige Südtirolerin und Wahlberlinerin, die bereits in ihrer Studienzeit für ihre Theaterstücke ausgezeichnet wurde, freut sich darüber, dass ihr Stück, das übrigens auf einer wahren Begebenheit beruht, „nach Hause kommt“ und zum ersten Mal in Südtirol aufgeführt wird. „Diese Inszenierung kommt mir sehr entgegen“, sagt Obexer, die selbst bei der Premiere dabei war, „und die Schauspielerinnen setzen durch eine neue Weise die Akzente des Stücks in die richtige Balance.“

Das große Ganze oder: die kreativ-tiefgründige Inszenierung
Regisseurin Elke Hartmann, die mit Maxi Obexer im Austausch stand, setzt in ihrer Inszenierung von „Gletscher“ nicht auf die Liebe, sondern rückt die eigentlichen Themen der Geschichte in den Fokus: die Zeitlichkeit und das Nichtleben. Die Bühnengestaltung von Sara Burchia spiegelt die emotionale Tiefe der Geschichte wider. Dabei spart sie nicht mit Gestaltungsobjekten. Fuchspelz, Lampe, Ski, Klappbett, Staubwedel, Sessel, Fotorahmen, Puppe, Kronleuchter: Die Bühne wird zum perfekten Trümmerhaufen vergangenen Luxus, zum Gegensatz der Leere des Lebens von Destina und Florinda. Schließlich gibt es noch Stefano Bernardis Musik, die sich auf experimentelle und vielseitige Weise punktgenau in die Szenen und die Darbietung der Schauspielerinnen einfügt. Bernardi baut das Geräusch der schmelzenden Gletscher akustisch ein, streicht den Geigenbogen, lässt elektronisch-poppige Elemente einfließen und spielt mit den Stimmen der beiden Frauen. Damit bekräftigt er mit seinem musikalischen Part nicht nur deren tiefes Seelenleben, sondern lässt das gesamte Stück auch filmisch anmuten.

„Du schaust immer nur geradeaus. Aber ich bin hier.“

Florinda

Das Verstreichen der Zeit oder: Warten wir’s bloß nicht ab
Destina, die Auf-das-Leben-Wartende, die nicht akzeptieren will, und Florinda, das ungesehene Kind, das ihre eigene Existenz anzweifelt: zwei Frauen in einer Endlosschleife, die in ihrem Dasein und ihrer ambivalenten Beziehung wie eingefroren sind. Sie haben nur einander, lieben und verabscheuen sich, kennen jedes Wort der anderen. Sie wirken skurril und gezeichnet von ihrem einsamen Dasein, ihren unerfüllten Sehnsüchten und ihrem Groll. Und während die Zeit vergeht und verstreicht, sieht man in den Augen Florindas, die schon längst nicht mehr warten will, wie das Leben draußen an ihr vorbeizieht. 54 Jahre lang. Bis sie und ihre Mutter Hanno schließlich doch wiedersehen.

„Ich habe nicht gewartet. Ich habe Stunde um Stunde mein Leben gelebt.“

Destina

Ein Stück über das Verrinnen der Zeit, die Schwere der Akzeptanz und darauf, dass das Glück nicht einfach durch die Türschwelle tritt. „Gletscher“ ist eine Symbiose aus Literatur, Schauspiel und Musik und ein hervorragend umgesetztes Stück, das seine Messages von der ersten Minute an vermittelt und womöglich die eigenen „eingefrorenen“ To-dos zum Schmelzen bringt. Denn die Zeit – so lernen wir es in dem Stück – vergeht auch dann schnell, wenn sie langsam verstreicht.

„Gletscher“ – noch bis zum 21. April in der Dekadenz in Brixen zu sehen.

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