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Kann sich irgendjemand noch an die Wattkarten des Künstlers Egon Rusina erinnern? Genau. Die mit den kauzig karikierten Südtiroler Prominenten, von Eva Klotz bis Luis Durnwalder. Inzwischen sind sie ja beide schon Geschichte. Die Karten selbst mögen noch künstlerischen oder nostalgischen Wert haben, aber eines ist nach der letzten Landtagswahl sicher: Die Karten wurden gründlich neu gemischt. Als einziger Anker der Stabilität stehen die Grünen da: 2013 drei Sitze, auch jetzt wieder drei Sitze (wenn auch knapp). Der ganze Rest sind entweder Gewinner, die so richtig abräumten, oder Verlierer, absolute Loser. Die SVP verlor fast 4 Prozentpunkte und erzielte somit einen neuen Negativrekord. Genauer betrachtet setzt sie aber lediglich den Trend nach unten fort, den sie schon seit zwanzig Jahren verfolgt. Berücksichtigt man die Skandale, die sich seit der letzten Landtagswahl ereignet haben, insbesondere den Rentenskandal, so hält sich der Schaden aber in Grenzen. Die richtig großen Erdrutsche sind weiter rechts heruntergedonnert.
Das aktuelle Wahlergebnis ist ein überraschendes, aber auch eines, das aus dem Konzept bringt. War nicht so oft von Überfremdung die Rede, gab es da nicht diese unzähligen Foren, wo sich besorgte junge Mütter genauso wie schäumende, rechtschreiblose „Ausländer raus“-Schreier tummelten, beide vereint von der Sorge um randalierende, gewalttätige Migranten? Oder das große Dilemma namens Doppelpass mit seinen lautstarken Verfechtern aus der Andreas-Hofer-Fraktion? Beides Themen, welche die Medien wochenlang dominierten. Konkret von all dem übrig geblieben ist nicht viel, zumindest wenn man sich jetzt die Parteien anschaut, die von diesen Debatten profitieren wollten. Die Süd-Tiroler Freiheit verliert ein Mandat und behält mit 6 Prozent Stimmenanteil noch zwei. Richtig hart trifft es aber die Freiheitlichen, die rund zwei Drittel ihrer Wähler verloren haben (von fast 18 Prozent 2013 auf 6,2 Prozent). Ein „Desaster“, wie Ulli Mair es bezeichnet.
Vom Desaster der anderen profitiert haben indes nur zwei Parteien, allerdings aus dem Stand heraus und mit Pomp: Paul Köllensperger erreicht mit seiner Bewegung 15,2 Prozent und die Lega 11,1 Prozent. Der Ausflug nach Kastelruth hat sich für Salvini also rentiert.
Extreme Verluste, extreme Gewinne: Einen Mittelweg kannte diese Wahl nicht. Umso irritierender wirken vor diesem Hintergrund die Worte des im Amt bestätigten Arno Kompatscher: „Südtirol hat die Mitte gehalten.“ Die Mitte? „Es hat keine Radikalisierung gegeben“, präzisiert Kompatscher. Was das bedeutet, liegt angesichts von 11,1 Prozent Wählerstimmen an die Lega weiterhin immer im Unklaren. 36,9 Prozent erhielt die rechtsradikale Partei allein in Leifers, aber auch in anderen Gemeinden überschritt sie die 30-Prozent-Marke locker. Einen solchen Erfolg hatte es für eine italienischsprachige Partei in Südtirol – abgesehen von der damals notorisch gewählten Democrazia Cristiana – nur einmal seit 1945 gegeben. Es war in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre, da begann der Movimento Sociale (MSI), eine neofaschistische Partei, unter den italienischsprachigen Südtirolern immer mehr Zuspruch zu sammeln. Die aggressiv nationalistische Partei setzte ihren Triumphzug in Südtirol bis 1993 fort, kurz bevor sie aufgrund der Verluste im übrigen Italien aufgelöst und in die gemäßigtere Alleanza Nazionale (AN) überführt wurde.1993 jedoch, da holte sie in Südtirol noch einmal beachtliche 11,6 Prozent.
Womöglich bezieht sich Kompatscher aber nur auf die deutschsprachigen Südtiroler, wenn er von politischer Mäßigung und ausbleibender Radikalisierung spricht; die Italiener sind eine andere Geschichte. „Walsche“ Radikalisierung, darüber lässt sich in Südtirol offenbar hinwegsehen.
Was danach kam, weiß man noch: Die italienische Rechte zersplitterte, löste sich auf, und was an Scherben übrig blieb, räumte Berlusconi mit seiner „discesa in campo“ auf. Es folgten Misswirtschaft, Sexaffären und internationale Blamagen. Inzwischen stehen die Zeichen wieder auf Rechts unter den italienischsprachigen Südtirolern. Und das soll nicht heißen, dass die Italiener im Land zu einem großen Teil bedrohliche Faschisten seien. Das Problem ist eher – so hat man inzwischen sogar in Hamburg erkannt –, dass die Italiener sich hier selbst bedroht fühlen, ob begründet oder nicht: „Italienischsprachige, die weniger als 30 Prozent der Bevölkerung ausmachen, fühlen sich seit langem marginalisiert, auch weil sie in der Politik vergleichsweise schlecht vertreten seien“, so schreibt „Spiegel“. Das klingt plausibel: Wer sich fremd im eigenen Staat fühlt, der ist für nationalistische Biertischsprüche und Slogans à la „Prima gli italiani“ natürlich umso empfänglicher.
Womöglich bezieht sich Kompatscher aber nur auf die deutschsprachigen Südtiroler, wenn er von politischer Mäßigung und ausbleibender Radikalisierung spricht; die Italiener sind eine andere Geschichte. „Walsche“ Radikalisierung, darüber lässt sich in Südtirol offenbar hinwegsehen. Dass Kompatscher durch dieses mutwillige Ignorieren der italienischsprachigen Bevölkerung aber wieder genau jene Töne anschlägt, die die Italiener erst in die Hände der rechtsextremen Lega getrieben haben, ist allzu offensichtlich. Etwas mehr Feingefühl wäre jetzt, falls man die vielgerühmte Mitte weiterhin halten will, unbedingt ratsam.
Kompatschers Fehleinschätzung lässt sich aber auch viel simpler erklären. Dazu reicht es zu wissen, dass die Lega auch Regierungspartei in Rom ist. Und das große Fragezeichen, das jetzt noch zu klären bleibt, ist: Mit wem will die SVP in Südtirol regieren? Am besten wohl jemand, der am Hebel der Macht sitzt. Da will man den künftigen Koalitionspartner doch nicht gleich als Rechtsradikalen oder gar als Faschisten bezeichnen.
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