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Illustrations by Sarah
Barbara Plagg
Veröffentlicht
am 20.05.2025
MeinungTheaterkritik

Die Hölle sind die anderen

Das Stadttheater Bruneck bringt Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ auf die Bühne: ein Kammerspiel über Schuld, Selbsttäuschung und gnadenlose Urteile. Unsere Autorin Barbara Plagg hat sich die Hölle aus nächster Nähe angesehen.
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Theaterkritiken sind an sich ja ein zweifelhaftes Genre. Da geht ein in der Regel selbstverliebter Herr, der selbst noch kein erfolgreiches Stück geschrieben hat, ins Theater und schreibt seine selbstgefällige kleine Privatmeinung auf, die gehandelt wird, als wäre sie ein gültiges Urteil. Sartre selbst, um den es heute geht, hätte dazu gesagt: „Es gibt eine Menge Leute auf der Welt, die in der Hölle sind, weil sie zu sehr vom Urteil anderer abhängen.“ Dass Urteile erstens oft hinfällig und zweitens oft halbseiden sind, was sie drittens aber trotzdem nie davon abhält, nicht doch höllisch weh zu tun, das wird im Stück „Geschlossene Gesellschaft“ deutlich. Es ist Sartres Klassiker des Existentialismus, jener philosophischen Strömung, die findet, dass man aus einem an sich sinnlosen Leben zwar theoretisch auch etwas Sinnvolles machten könnte, es praktisch aber nur in den wenigsten Fällen gelingt. Anders gesagt: Man ist haargenau immer dort, wo man zu sein verdient – weil man nämlich beschissene Entscheidungen getroffen hat. Im Falle von Joseph Garcin, Inès Serrano und Estelle Rigault ist das die Hölle und das geschieht denen auch ganz recht. Womit wir wieder bei den Urteilen wären und um kurz dabei zu bleiben: Die drei Schauspieler:innen machen das unter der Regie von Alexander Kratzer höllisch brillant.

Christine Lasta und Jasmin Mairhofer, im Hintergrund Mirko Roggenbock

Aber der Reihe nach! Die Hölle ist in Bruneck nicht dunkel und düster, sondern tatsächlich noch viel teuflischer: Steril weiß wie die grifflose Hochglanz-Küchenwand meiner Freundin Martina und die Lage für die Bewohner:innen insgesamt aussichtslos. Da kommt man nicht mehr raus. Und das Licht geht auch nie aus, nicht mal mehr mit den Augen blinzeln können die drei, um der Hölle auch ja nie nur für die Millisekunde „eines schwarzen Blitzes“ zu entwischen. Bühnenbildnerin Andrea Kerners hat einen großartig-gruseligen Job gemacht, denn schon nach drei Minuten ist man als Zuschauerin geläutert und möchte, wenn das nun wirklich die Hölle ist, sich niemals mehr etwas zulasten kommen lassen.

Es treffen sodann ein: Joseph, Inès und Estelle. Dass sie nicht zufällig und versehentlich hier gelandet sind, wird bald klar, aber man behält zunächst noch einiges für sich und überlegt, wo wohl der Folterknecht mit seinen Beinschrauben und Peitschen sei, den man in der Hölle doch zurecht erwarten würde. Er kommt nicht und Inès dämmert es schon bald: Man sei selbst vermutlich des jeweils anderen Folterknecht. Welches Folterwerkzeug jede:r für die anderen in den Händen hält, finden die drei dann in den kurzweiligen eineinhalb Stunden (ohne Pause, vorher Pipi machen!) auch ganz gut raus. Spoiler: Es sind weder Beinschrauben noch Peitschen, sondern bittere Urteile und was an Verachtung und Gewalt daraus halt so erwächst. Und vor allem: Wie man sich selbst durch die Urteile der anderen wahrnimmt und darunter windet. Alles in allem eine superchillige Hölle für den Teufel, weil der Mensch ihm sogar im Jenseits die Arbeit abnimmt – dass er es auf der Erde täglich tut, bezweifelt angesichts der aktuellen Weltlage und mit Blick auf Gaza und die Ukraine inzwischen eh keiner mehr.

Dass die Hölle tatsächlich die anderen sind, wird noch während der Vorführung einmal mehr bestätigt, als das Handy einer Zuschauerin klingelt.

Aber zurück nach Bruneck, wo man in der bis ins letzte Eck ausgeleuchteten Bühne jedes Härchen sieht, jedes Fingerkrümmen ins Auge fällt. Das macht den ständig präsenten Schauspieler:innen aber nichts, denn die Choreo sitzt reibungslos, sie füllen den Raum mal in Symmetrie, mal in Asymmetrie. Ein paar Mal rutscht dem unbedarften Zuschauer trotz Existenzialismus ein Lacher raus („Ich gehe jetzt!“ – Joseph hat die Schnauze voll), mal bleibt er einem auf Halbweg im Halse stecken („Ich bin doch schon tot!“ – Estelle will Inès umbringen). Christine Lasta gibt, wie immer flawless und in Perfektion, eine Inès, mit der man sich nun wirklich nicht in der Hölle wiederfinden möchte. Die Schauspielerin, die vor kurzem mit „Prima Facie“ die Bude füllte und es eine Wiederaufnahme brauchte, um der Nachfrage gerecht zu werden, spielt so überzeugend gut eine schlechte Person, dass man ihr gerne noch länger zuschauen würde, wäre es nicht so gruselig.

Jasmin Mairhofer, das feenhafte Wesen mit den unendlich langen Haaren und der sanftesten aller Stimmen, spielt sich wahnsinnig gekonnt mit hartem Ton in den menschlichen Abgrund einer fiesen Estelle. Sie ist so schön scheußlich, wie macht sie das nur? Selbst das gelingt ihr mit Leichtigkeit. Es wird deutlich: Es gibt nichts, was diese beiden Frauen nicht können. Hashtag Südtiroler Lieblingsschauspielerinnen. Aus Wien angereist hingegen Mirko Roggenbock, der mit seiner Präsenz die Hölle füllt und seine Figur gekonnt zwischen toxischer Männlichkeit und Selbstzweifeln oszillieren lässt und dabei eine super Performance hinlegt. Die drei funktionieren!

Dass die Hölle tatsächlich die anderen sind, wird noch während der Vorführung einmal mehr bestätigt, als das Handy einer Zuschauerin klingelt. Lasta pausiert kurz profimäßig in ihrem Monolog und macht ohne Wimpernzucken weiter, einerseits, weil Augenblinzeln in der Hölle ja eh nicht mehr geht, andererseits weil was will man auch sonst machen. Weitere interaktive Intermezzi gibt es keine, kaum ein Rascheln ist im Publikum zu hören, das hochkonzentriert die eineinhalb Stunden mitgeht. Dass Sartres Sprache ab und zu aus der Zeit gefallen und etwas kompliziert ist, machen die Schauspieler:innen mit ihrer Performance wett. Man kriegt vermittelt, was man verstehen soll. Am Ende gibt es für alle drei langen Applaus und nicht nur für sie, sondern auch für die, die hinter den Kulissen der Hölle an den Seilen zogen.

Wenn die anderen unsere Hölle sind, sind sie dann vielleicht auch unser Himmel?

Und während Jan Gasperi durch die Sitze geht und Zuschauerzettelchen einsammelt, Sabine Renzler draußen irgendwo rumspringt, die Schauspieler:innen sich im Backstage umziehen und an der Bar ein paar Theatergänger:innen den Stoff diskutieren, stellt man sich die Frage: Wenn die anderen unsere Hölle sind, sind sie dann vielleicht auch unser Himmel? Es scheint an diesem lauen Frühlingsabend zumindest eine Möglichkeit, wenn man sich das Team des Bruneckner Stadttheaters anschaut: Mit ihrer Teamfähigkeit, ihrem Elan und ihrer Motivation spielen sie ganz oben in der Südtiroler Theaterliga.

Es ist Bruneck, das sich Schulklassen ins Haus holt und sehr viel an Bildungsarbeit im Osten dieses Landes leistet, während andere Häuser einem elitären Theaterklassismus fröhnen und an den Leuten vorbeispielen. Es ist Bruneck, das sich an progressive und sensible Themen, ebenso wie an Klassiker heranwagt und in die Gesellschaft einspeist. Aber auch das ist nun ja nichts anderes als ein Urteil. Und wenn Sartres Stück uns noch was mitgibt, dann, dass es ja oft schon falsch ist, auf das eigene Urteil zu vertrauen, aber in der Regel gänzlich daneben, sich auf das der anderen zu verlassen. Deswegen müssen Sie sich schon selbst eines bilden und Ihre sinnlose Existenz vom Sofa mal wieder ins Theater verlegen. Es zahlt sich aus!

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