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Illustrations by Sarah
Wolfgang Mayr
Veröffentlicht
am 20.02.2023
LeuteChristoph von Hartungen

Zuvorkommend, aber streitbar

Vor zehn Jahren starb der Historiker Christoph von Hartungen. "Er schätzte den öffentlichen Disput. Er fehlt," schreibt Wolfgang Mayr.
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Christoph von Hartungen

Vor zehn Jahren, am 23. Februar 2013, starb Christoph von Hartungen. 58-jährig, an einem Herzinfarkt. Er war rodeln, mit befreundeten Historikerinnen und Historikern. „Bei unserem letzten Rodelausflug hatte Christoph eine rote Mütze auf, wir haben sie natürlich sofort als Jakobinermütze bezeichnet,“ erinnert sich die Historikerin Martha Verdorfer. Von Hartungen, ein Jakobiner? Verdorfer ergänzte ihre Beschreibung, er habe die Jakobiner-Zuschreibung mit „einem verschmitzten Lächeln quittiert.“

Von Hartungen war kein grün-alternativer Freak, Turnschuhe, Jeans und Lederjacke waren sein Ding nicht. Sein alltägliches Outfit waren Anzug und Krawatte. Trotzdem, stromlinienförmig war es deshalb keineswegs. Im Gegenteil, er war ausgesprochen offen, hinterfragend, ironisch, die leibhaftige Liberalität. Wie Arnold Tribus, Herausgeber der “Neuen Südtiroler Tageszeitung” und einst Mitstreiter von Alexander Langer, dem Gründer der Südtiroler Grünen.

Seinen Brotberuf Oberschullehrer setzte er engagiert um, genauso seine wissenschaftliche Leidenschaft, hinter historische Gewissheiten zu schauen. Es machte von Hartungen Spaß, an Tagen wie diesen – Andreas Hofer-Gedenken – bei Diskussionssendungen im damaligen noch RAI – Sender Bozen kreativ mitzumachen. Mit einem Augenzwinkern „pinkelte“ der Historiker den zum Mythos erstarrten antifranzösischen und antibayerischen Tiroler Freiheitskämpfer Andreas Hofer an. Während die „Heimattreuen“ Hofer als Leuchtfigur feierten, stufte von Hartungen den antirevolutionären Hofer als einen ausgewiesenen Reaktionär ein.

Mit einem Augenzwinkern „pinkelte“ der Historiker den zum Mythos erstarrten antifranzösischen und antibayerischen Tiroler Freiheitskämpfer Andreas Hofer an.

Noch ein Zitat von Martha Verdorfer über den Lehrer von Hartungen: „Den Schüler:nnen bot er sein umfassendes Wissen an, er zwang es ihnen nicht auf und ich glaube, die allermeisten von ihnen haben früher oder später begriffen, welch‘ ausgezeichneten Lehrer sie an ihm hatten. Einen Lehrer zudem, mit dem man auch über vieles andere sprechen konnte, nicht nur über Geschichte und Philosophie.“

Der Lehrer von Hartungen war auch deshalb spannend, weil er sich nicht hinter historischen Daten und Details versteckte. Er vertrat auch eine Meinung, eine aufklärerische, die oft zu einer aufrührerischen wurde, die zum Nachdenken anregte.

Politikwissenschaftler Günther Pallaver nennt den Historiker von Hartungen, dem die Verbreitung historischen Wissens ein großes Anliegen war, einen Aufklärer, „der daran glaubte, dass die Gesellschaft verbessert werden kann.“

Zurückhaltend und höflich trug Christoph von Hartungen seine Thesen vor, die es in sich hatten, weil provokant. Vom wissenschaftlichen Elfenbeinturm hielt er wenig, er mischte bei Diskussionen mit, beispielsweise über Südtirol und seine gern verdrängte nationalsozialistische Vergangenheit. Er scheute sich nicht, an Gedenktagen in Interviews diese auch zu hinterfragen, er protestierte, unterschrieb Appelle und organisierte Vorträge, würdigt ihn Günther Pallaver. Der Historiker warb auch für ein sprachübergreifendes und tolerantes Südtirol.

Es verwundert deshalb auch nicht, dass die Tageszeitung „Dolomiten“ von Hartungen unter die „selbsternannten Historiker“ einreihte. Dazu zählte eine junge Historiker:innen-Generation, beeinflusst von Claus Gatterer und seinen Thesen.

Von Hartungen warb für ein weltoffenes und gerechtes Tirol, würdigten die Grünen 2013 den Verstorbenen. Sie befanden, „ein wenig umwehte Christoph die altösterreichische, übernationale Aura der Habsburgermonarchie, mit deren Geschichte seine Familie tief verbunden war.“ Gut getroffen. Wie der ehemalige Koordinator vom Rai Sender Bozen, Franz von Walther, stand von Hartungen für das österreichische Tirol, für Weltoffenheit und liberale Bürgerlichkeit.

„So versunken er in der Tessmann in einem Buch lesen konnte, so feurig konnte er auch bei einer Sitzung seine Meinung vertreten.“

Nicht von ungefähr setzte ihm das emotional aufgeheizte Bozner Referendum gegen den Friedensplatz zu. Die aufgebrochene ethnische Frontstellung nervte ihn, den damaligen grünen Gemeinderat in Bozen. Eine „italienische“ Mehrheit in Bozen wollte den alten Namen zurück, den Siegesplatz.

Es gibt einen langen und kräftige roten Faden in der politischen Laufbahn von Christoph von Hartungen. Aktiv in der einst deutlich links positionierten Südtiroler Hochschülerschaft, dann Mitglied in der Sozialdemokratischen Partei Südtirols – einst gegründet vom SVP-Dissidenten Hans Dietl – und später Gemeinderat für die Grünen in Seis und in Bozen. Die Laufbahn eines Intellektuellen, die in der SVP – mit wenigen Ausnahmen – ausnahmslos fehlen.

Als Vorsitzender des Landesschulrates verlieh von Hartungen den Lehrenden eine Stimme. Der zuhörende Beobachter, der analytische Kritiker und Kommentator mischte sich als Vorsitzender – immerhin eine Person des öffentlichen, des Schullebens – „kritisch, mit aller Deutlichkeit, aber auch ausgewogen ein“, so Günther Pallaver.

Zwei Zitate zur Abrundung: „So versunken er in der Tessmann in einem Buch lesen konnte, so feurig konnte er auch bei einer Sitzung seine Meinung vertreten“, umschreibt Martha Verdorfer den doch schillernden, obwohl sich zurücknehmenden Christoph von Hartungen.

Die Grünen, die letzte politische Heimat des Historikers, erhoben Christoph von Hartungen zu einem europäischen und hochanständigen Südtiroler. Er war für sie ein Wanderer zwischen unterschiedlichen Zeiten und Welten.

Genau, dieser Kulturmensch, ein Mensch der zivilgesellschaftlichen Verantwortung, so Günther Pallaver, fehlt seit zehn Jahren in diesem Land, „seine Stellungnahmen und Positionen waren immer vom Gerechtigkeitssinn getragen und auf Vermittlung ausgerichtet.“

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