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Illustrations by Sarah
Teresa Putzer
Veröffentlicht
am 26.06.2023
LeuteInterview mit Nathan Previdi

„Zu politisch“

So lautete das inoffizielle Statement zur Rede eines Schülers am Tag der Republik. Was da genau passiert ist, verrät Nathan Previdi im Interview mit BARFUSS.
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2023-06-02 (2)

Nathan Previdi ist 16 Jahre alt und besucht das Sprachengymnasium Walther von der Vogelweide in Bozen. Der gebürtige Bozner hat einen Youtube Kanal (Link Studio Previdi), auf welchem er Interviews zu Themen der Politik und Klimakrise veröffentlicht. Als Sieger des „Quiz Politische Bildung 2022/23“ wurde er um eine Rede für den 2. Juni, den Tag der Republik, gebeten. Nathan entschied sich jedoch im letzten Moment gegen das Halten jener Rede, da die vom Regierungskommissariat genehmigte Rede nichts mehr mit seinem Ursprungstext zu tun hatte. BARFUSS hat sich mit Nathan getroffen.

BARFUSS: Nathan, was ist an den Tagen vor dem 2. Juni passiert?
Nathan Previdi: Meine Originalversion der Rede, die ich für den Tag der Republik schreiben sollte, wurde – nachdem ich diese bereits überarbeitet hatte, weil die Erstversion zu „wütend“ gewesen sei – von einem Mitarbeiter der Pädagogischen Abteilung komplett verändert. Die Version des Mitarbeiters wurde beim Regierungskommissariat eingereicht, welche aber nichts mehr mit meiner Rede zu tun hatte.

Was wurde geändert?
Alles. Einzig der Anfang und Schluss sind dieselben geblieben. Der Hauptteil – inklusive aller Inhalte rund um die Gefährdung der Demokratie in Italien – wurde gestrichen und ersetzt. Diese „neue“ Rede hatte nichts mehr mit meiner Ursprungsversion zu tun, weshalb ich mich weigerte diese vorzutragen, da ich weder hinter den Worten noch den Inhalten der Rede stand. Nach dem Austausch mit dem Mitarbeiter der Pädagogischen Abteilung hat sich dieser für sein starkes Eingreifen und die Umgestaltung der Rede entschuldigt. Das Problem war, dass er seine Version bereits dem Regierungskommissariat zugeschickt hatte. Meine Rede, also der Originaltext, wurde daher erst am 1. Juni nachgereicht, was natürlich extrem spät war. 

Daher wollte das Regierungskommissariat deine Rede nicht?
Genau. Das offizielle Statement des Regierungskommissariats war, dass die Rede aus zeitlichen Gründen – also wegen dieser späten Abgabe – nicht vorgetragen werden könne. Zugleich hat das Kommissariat aber der Landesschuldirektorin Sigrun Falkensteiner mitgeteilt, dass die Rede unangemessen und zu politisch für den 2. Juni sei – auch wenn das Kommissariat diese Begründung medial jetzt nicht mehr zugeben will. 

Das, was für mich nicht okay und skandalös ist, ist der mangelnde Austausch und das man mich zuerst um eine Rede bittet, die man aber auch nach besprochenen Änderungen nicht akzeptiert.

Woher weißt du von der inoffiziellen Begründung des Redeverbots?
Die Landesschuldirektorin hat meiner Mutter vom Gespräch berichtet und diese wiederum mir. Es ist mir wichtig zu betonen, dass ich bei diesem ganzen Fauxpas rund um die Rede niemandem die alleinige Schuld geben will, da es gewaltige Kommunikationsprobleme zwischen allen Parteien gegeben hat. Fehler und Missverständnisse passieren und das ist auch okay. Das, was für mich nicht okay und skandalös ist, ist der mangelnde Austausch und das man mich zuerst um eine Rede bittet, die man aber auch nach besprochenen Änderungen nicht akzeptiert. Mir wurden die wahren Gründe, also die konkreten Punkte und Inhalte der Rede, die „zu politisch“ seien, bis heute nicht verraten und erklärt. Ich wurde außen vorgelassen und das, obwohl es sich um meine Rede handelt.

Deine Rede war also „zu politisch“. Was bedeutet das für dich?
Gute Frage. Demokratie bedeutet Politik und Demokratiebewusstsein bedeutet wiederum Politikbewusstsein. Wie also eine Rede über die Demokratie und deren Gefahren am Tag der Republik „zu politisch“ sein kann, ist mir schleierhaft. Natürlich geht es an diesem Tag um ein vereinigtes Italien; also um einen Tag, der Einheit schaffen soll. Ich verstehe daher, dass eine Rede am 2. Juni nicht indoktrinieren oder eine gewisse politische Richtung einschlagen noch in irgendeiner Art und Weise spalten darf.

Die einzige Richtung, die meine Rede einschlägt, ist die Richtung der Demokratie und das sollte nicht bedenklich sein.

Worum geht es konkret in deiner Rede?
Ich bin in meiner Rede auf drei Themen eingegangen, die eine Gefahr für die italienische Demokratie darstellen: der zunehmende Neofaschismus, der durch die Regierung teilweise gerechtfertigt und normalisiert bis hin institutionalisiert wird, die Arm-Reich Schere und die Klimakrise, welche ich als große Gefahr für demokratisches Miteinander sehe.

Warum? Was ist an der Klimakrise demokratiegefährdend?
Wir können uns keine Klimakrise leisten, da diese zu Radikalisierungen führt. Wenn Extremwetterereignisse zunehmen, wie wir sie in Italien schon beobachten können, Menschen ihre Häuser und ihr Hab und Gut verlieren, folgt eine Radikalisierung und Polemisierung unterschiedlicher Personengruppen. Das hat die „Flüchtlingskrise“ 2015 bereits gezeigt, aufgrund welcher demokratiegefährdende Parteien (und derer Polemisierung) hohen Zuspruch erlebten. Sollten vermehrt „Klimaflüchtlinge“ nach Italien kommen, wird es zu neuen Entwicklungen des Populismus kommen, was wiederum die Demokratie stark belastet.

Viele Italiener:innen erkennen in neofaschistischen Tendenzen keine Gefahr für die Demokratie.

Ist die Demokratie in Italien gefährdeter als in anderen Ländern?
Zum Teil ja. Italien hat sich nie wirklich mit der eigenen historischen Vergangenheit und dem Faschismus auseinandergesetzt beziehungsweise Verantwortung übernommen. Länder wie Deutschland haben eine Periode der Vergangenheitsbewältigung durchlebt, Italien nicht. Daher erkennen viele Italiener:innen in neofaschistischen Tendenzen auch keine Gefahr für die Demokratie.

Zurück zu deiner Rede. Du durftest die Rede also nicht halten, hast dich aber dennoch dafür entschieden, diese auf deinem Youtube-Kanal zu veröffentlichen. Warum?
Meine Mutter hat mich zu diesem Schritt ermutigt. Sie fand das Verbot, die Erklärung dessen und das ganze Procedere rund um meine Rede viel skandalöser als ich. Ohne sie hätte ich diesen mutigen Schritt nicht gemacht. Aufgrund der vielen positiven Reaktionen bin ich jetzt aber sehr froh, das Video veröffentlicht zu haben.

Wie waren die Reaktionen auf das Video?
Die ersten Reaktionen waren ausschließlich positiv. Sowohl Bürger:innen in den Kommentaren, aber auch meine Direktorin und Mitschüler:innen haben sich sofort hinter mich gestellt. Natürlich finden sich – wie im Internet üblich – auch Haterkommentare, auf welche ich aber nicht eingehe. Es gab auch einen Artikel auf „Il Giornale“, in dem ich als Person ziemlich diffamiert werde und sich eine Falsch-Information an die andere reiht. Mich hat aber auch konstruktive Kritik erreicht und auf zwei Punkte meiner Rede aufmerksam gemacht, die ich heute nicht mehr so einbauen würde.

Die da wären?
Die Nennung des Journalisten Fabio Fazio und die Aussage, dass „Faschisten ungestraft Menschen verprügeln“, würde ich heute weglassen oder anders kontextualisieren. Meine Intention war es lediglich auf konkrete Beispiele einzugehen, um die Rede greifbarer zu machen. Ich wollte damit auf den Angriff von Neofaschist:innen auf eine Schüler:innengruppe in Florenz oder die unzähligen Demos von Neofaschist:innen, die mit ausgestrecktem Arm durch die Gegend laufen und nicht verboten werden, verweisen. Diese Verweise wurden teilweise missinterpretiert, da die Aussage “ungestraft Menschen verprügeln” einfach nicht ganz korrekt ist. Ich wollte nur politisch Stellung beziehen und exemplarische Gefahren aufzeigen, ohne parteipolitisch zu arbeiten oder zu indoktrinieren.

Es gibt in Südtirol definitiv viel Luft nach oben, was das politische Engagement betrifft.

Apropos: Politisch Stellung beziehen. Mit deinen 16 Jahren hast du bereits politische Auszeichnungen erhalten, zeigst Kontroversen auf deinem Youtube-Kanal auf und bist auf vielen weiteren Ebenen politisch engagiert. Wie nimmst du das Politikbewusstsein deiner Generation wahr? Bist du eine Ausnahme oder repräsentierst du eine politikbewusste junge Generation?
Puh, schwierige Frage. Es gibt in Südtirol definitiv viel Luft nach oben, was das politische Engagement betrifft. In meiner Wahrnehmung sind junge Menschen in Südtirol nicht so politisch wie in Deutschland. Aber auch hier zeigen sich Tendenzen, dass immer mehr Gleichaltrige politisch interessierter und engagierter werden. Dabei spielt die Informationsvermittlung über soziale Medien und die dadurch ermöglichte Sicht auf das politische Engagement junger Generationen und deren Aktionen in anderen Ländern eine ganz wichtige Rolle. Ich wünsche mir, dass künftig mehr junge Menschen, vor allem auch Schüler:innen, politisch „gebildeter“ und engagierter sind. Das sollte in erster Linie die Aufgabe der Schule sein. Es gibt zwar bereits das Fach der Gesellschaftlichen Bildung, aber aus meiner Erfahrung kommt da bei uns Schüler:innen nicht wirklich viel an.

2023-06-02 (2)

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