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Illustrations by Sarah
Sarah Meraner
Veröffentlicht
am 01.03.2023
LeuteInterview über Zukunft der Landwirtschaft

„Verstehen, in welcher Scheiße wir stecken”

Lisa Maria Kager betreibt auf dem Hof des Wandels regenerative Landwirtschaft – und wartet auf ein Umdenken der Gesellschaft. Sie weiß: Wenn wir jetzt nichts in unserem Kauf- und Ernährungsverhalten ändern, bleiben uns zukünftig nicht mehr als karge Böden.
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Lisa Maria Kager

Lisa Maria Kager ist ehemalige BARFUSS-Redakteurin und Texterin, tanzt gern Swing, liebt Yoga und lebt im Einklang mit sich und der Natur: Landwirtin Lisa Maria Kager gestaltet ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen. Ihr Mann Jakob, ihre Eltern, der kleine Kiran und sie bewirtschaften den Hof des Wandels”in St. Pauls – ganz im Sinne der Permakultur. Ein Herzensbetrieb, ein harter Job und vor allem: eine Mission für eine enkelgerechte Zukunft. Lisa Maria und ihre Familie hoffen auf einen Wandel, auch in den Köpfen der Menschen. BARFUSS hat die 30-Jährige zum philosophischen Interview getroffen. Ein sehr persönliches Gespräch über Veränderung und den Wert des Lebens.

BARFUSS: Lisa Maria, wie wichtig ist dir persönliche Veränderung?
Lisa Maria Kager: Wenn man ein selbstständiges und eigenverantwortliches Leben führt, ist Veränderung unabdingbar. Veränderung ist nicht etwas, das man gezielt sucht. Leben ist Veränderung. Veränderung macht das Leben spannend und bringt einen auch in der persönlichen Entwicklung weiter. Aber ich gebe zu: Eigentlich bin ich eine, die immer richtig Schiss vor Veränderung hat (lacht).

Steht Veränderung eigentlich nicht im völligen Widerspruch zu diesem allgemeinen Streben, bei sich selbst anzukommen?
Das ist immer nur ein kurzer Moment des Stillstands, in dem man sich denkt: „Geil, jetzt hab ich’s! Jetzt bin ich angekommen.” Darum schaue ich mir gerne die Natur an, weil sie mir so Vieles lehrt: Sie besitzt genau die Rhythmen, die wir Menschen vergessen haben. Die Veränderung ist im Grunde wie eine Welle – sie holt dich immer wieder ein und schwemmt das Bild, das du gerade in den Sand gezeichnet hast, mit sich fort. Dann malst du ein neues Bild. Das ist Bewegung, das ist der Fluss des Lebens. Ich merke bei mir selbst, wie viele verschiedene Dinge ich umsetze, ohne mir großartige Gedanken zu machen. Ich folge meinem Bauchgefühl schon mein ganzes Leben und das hat eigentlich immer prima funktioniert.

Welche positiven Veränderungen haben dich besonders geprägt?
Es waren die einschneidenden Momente, die mein Leben in eine bestimmte Richtung gelenkt haben: fürs Studium nach München gehen, zurückzukommen und mich selbständig machen. Dann lernte ich Jakob kennen, der mein Leben nochmal komplett durcheinander gebracht hat. Gemeinsam schlugen wir eine völlig andere Richtung ein und beschlossen gemeinsam mit meiner Familie, den Hof umzustellen. Die schönste und größte Veränderung meines Lebens war die Geburt meines Sohnes.

Die Herausforderung ist, sich auf dem Weg immer wieder selbst zu finden und gemeinsam weiterzugehen.

Gab es Veränderungen, die dir schwer zugesetzt haben?
Ja, der Tod meines Bruders Franz. Dieser Verlust ist ganz schwierig zu beschreiben. Irgendwie war da plötzlich ein riesiges Loch, gefüllt mit einer Million Fragen und keiner hatte auch nur eine Antwort auf eine davon. Dein Weg geht irgendwie weiter und über die Jahre gibt dir das Leben immer wieder eine Portion Trauer, die du gerade so verarbeiten kannst. Daran wächst man und ich habe sehr Vieles gelernt. Natürlich würde ich alles dafür geben, meinen Bruder noch auf dieser Welt zu haben – aber: Das Ereignis hat sehr viel in mir, in meinem Leben und in meiner Lebenseinstellung verändert. Diese Veränderungen betrachte ich als etwas Positives.

Hat der Name „Hof des Wandels” auch damit zu tun?
Ja. Nach Franz’ Tod flog jeder von uns in seine eigene Richtung aus, um seinen Weg zu finden. Am Ende haben wir wieder genau hier am Hof zusammengefunden und konnten unser Tun vereinen. Auch die allgemeine Entwicklung, die der Hof im Laufe der Jahre mitgemacht hat und sicher noch mitmachen wird, war für die Namensgebung ausschlaggebend.

Sind die Begriffe „Wandel” und „Veränderung” für dich dasselbe?
Wandel ist für mich der schönere Begriff. Er beinhaltet den Rhythmus und die Umwandlungsprozesse der Natur. Veränderung klingt in meinen Ohren nach einem Cut. Wandel ist etwas Fließendes, wie eine Blume, die vergeht, braun wird, ihre Samen fallen lässt und wieder neu zurückkommt.

Wie schafft ihr es, als Familie immer wieder zusammenzukommen?
Das ist auch ein ständiger Prozess (lacht). Wenn man zusammenlebt, muss man immer wieder neu zusammenfinden. Ich bin vor ein paar Jahren als junge Studentin zurückgekommen und habe auf dem Hof mittlerweile viele neue Rollen übernommen: Ehefrau, Mama, Managerin. So ist das bei meinen Eltern auch. Wir alle stecken in einer ständigen Veränderung. Die Herausforderung ist, sich auf dem Weg immer wieder selbst zu finden und gemeinsam weiterzugehen. Natürlich gehen die Meinungen auch mal auseinander – ich sehe das allerdings als persönliches Wachstum an. Wir sind alle nicht perfekt und haben unsere Fehler. Man lernt dazu und findet dadurch auch mehr Frieden in sich.

Lisa Maria Kager mit ihrer Familie

Der Hof des Wandels startet 2023 bereits in seine vierte Saison. Lisa Maria Kager ist überzeugt, dass die Welt um einiges besser werden würde, wenn Permakultur die geläufige Form der Landwirtschaft wäre. Dafür brauche es noch viel Eigeninitiative, sagt sie – sei es seitens der Bauern als auch der Konsument:innen.

Was würde sich durch die Permakultur verändern?
Landwirt:innen sollten beginnen, die Position einzunehmen, für die sie berufen sind: das Land zu bewirtschaften und ideal zu managen. Das bedeutet, es zu sehen, zu beobachten und so zu gestalten, dass es am Ende, wenn wir nicht mehr hier sind, ein reicheres Land ist. Was wir als Bäuerinnen und Bauern machen, ist: Pflanzen setzen. Diese Pflanzen binden Kohlenstoff, den wir in unserer Atmosphäre im Überschuss haben, und speichern ihn im Boden. Bewirtschaften wir ihn gut, schaffen wir einen humusreichen Boden, in dem sich Mikroorganismen und Bodenlebewesen tummeln.

Warum ist das so wichtig?
Dadurch bleibt er ein gesunder Boden, den auch noch unsere Folgegenerationen bebauen und von dem sie Nahrung generieren können. Viele gesellschaftliche Probleme wie den Klimawandel, würde es nicht mehr in diesem Ausmaß geben. Es darf kein Farming for the mass geben. Es braucht die Masse, die wieder zu Farmer:innen wird. Genau das muss passieren: Die Menschen sollten wieder zurück in die Landwirtschaft und sich ihr Essen selbst anbauen.

Gibt es einen Kompromiss zwischen der aktuellen und regenerativen Landwirtschaft?
Der erste Schritt in die richtige Richtung wäre das eigenverantwortliche Handeln der Landwirt:innen. Ich kenne beide Formen der Landwirtschaft und weiß, wie sie funktionieren, wie viel Mühe und Kopf hinter der Permakultur steckt und wie viel Wissen man sich selbst aneignen muss. Das alles ist anstrengend, aber notwendig. Wir müssen endlich verstehen, in welcher Scheiße wir stecken.

Wie kann eine stärkere Verbindung zwischen der Landwirtschaft und den Endkonsument:innen geschaffen werden?
Die Landwirtschaft hat meiner Meinung nach mehrere Aufgaben: zum einen, sich neue Systeme anzueignen und zum anderen besser zu kommunizieren. Es ist schwierig, Bindeglieder zwischen Landwirt:innen und Konsument:innen zu finden. Im Supermarkt wird man als Konsument:in nicht darüber aufgeklärt, woher die Lebensmittel kommen und wie sie produziert werden. Deshalb ist mir der Hofladen so wichtig.

Wir können das Land nicht zu Tode wirtschaften und die Verantwortung ständig vor uns herschieben.

Inwiefern?
Hier kann ich mit den Leuten direkt in Kontakt treten und mich für eine Sensibilisierung stark machen. Ich kann über die eigene Gesundheit und die Bedeutung der Landwirtschaft informieren. Die Menschen müssen sich wieder mehr für diese Themen interessieren, ansonsten haben wir in 30 Jahren – oder sogar früher – verwüstete Böden. Dieser Gedanke stimmt mich extrem traurig: Das ist doch unsere Lebensgrundlage. Was hinterlassen wir unseren Kindern, wenn wir auf diese Weise Landwirtschaft praktizieren, wie wir es gerade tun?

Hat dich euer Hof auch persönlich verändert?
Ja. Ich bin in bestimmte Themen sehr tief eingetaucht, habe durch unsere Arbeit gemerkt, wo wir als Gesellschaft stehen und nochmal mehr verstanden, was wir in unser aller Leben verändern müssten, damit unsere Welt eine Zukunft hat. Wir können das Land nicht zu Tode wirtschaften und die Verantwortung ständig vor uns herschieben. Ich bin da vielleicht alles in allem nochmal radikaler geworden, was den Blick in die Zukunft betrifft.

Hättest du dir das erwartet, als ihr mit dem Projekt gestartet seid?
Nein, niemals. Ich hätte aber auch nie gedacht, dass ich die Natur so gut kennen- und verstehen lerne. Mein Blick auf die Landwirtschaft hat sich von Grund auf verändert. Als wir mit dem Projekt gestartet sind, fand ich die Prinzipien der Permakultur schon toll, aber ich würde mit dem Blick und dem Wissen, das ich jetzt besitze, nie mehr vom damaligen Ausgangspunkt starten. Seither hat sich der Hof wieder sehr verändert – und unsere Entwicklung ist sicherlich noch nicht zu Ende.

Wie geht’s weiter?
Es steht fest: Wir müssen aus diesem Land das Beste machen – das ist unser Job. Wir sind hier auf dem Hof des Wandels mit einem Hektar Fläche leider extrem limitiert. Das Idealste wäre, mit Tieren nach dem Grass fed beef-Prinzip zu farmen, weil man so die Böden effizient mit Humus anreichern, Kohlenstoff speichern, den Boden pflegen und gleichzeitig noch Fleisch generieren kann – und das alles mit ganz wenig Input.

Welche Veränderungen wünschst du dir für deinen Sohn Kiran und deine Enkelkinder?
Dass wir als Gesellschaft – und da schließe ich mich selbst ein – Eigenverantwortung auf allen Ebenen übernehmen. Wir müssen unseren Problemen in die Augen schauen. Ich bin der Meinung, dass jede:r etwas Positives für die Welt beitragen und sie verändern kann. Absolut jede:r.

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