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Illustrations by Sarah
Teresa Putzer
Veröffentlicht
am 15.08.2023
LeuteInterview mit Eva Reisinger

„Männer töten, das ist ein Fakt!“

Eva Reisinger antwortet auf die Gewalt an Frauen mit der Utopie des wehrhaften Feminismus. Ihr neues Buch „Männer töten“ präsentiert eine Gesellschaft, in der die Frauen das Sagen haben.
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Die Glocken klingen und in einem kleinen Dorf in Oberösterreich beginnt die katholische Pfarrerin ihren Gottesdienst: Der neue Roman von Eva Reisinger verdreht geschlechtsbezogene Konventionen des Patriarchats. Die Autorin von „Männer töten“ lebt in Wien und setzt sich seit geraumer Zeit mit der Gewalt an Frauen und den zunehmenden Femiziden in Österreich auseinander.

BARFUSS: Eva, worum geht’s in deinem Buch „Männer töten“?

Eva Reisinger: Der Titel verrät bereits vieles (lacht). Es geht wortwörtlich ums „Männer töten“ und zwar auf mehreren Ebenen: Männer töten auf der ganzen Welt. Das ist ein Fakt, den wir besonders anhand von Österreich beobachten können. Im EU-Vergleich sterben in keinem Land – außer in Österreich – mehr Frauen als Männer durch Mord. Allein dieses Jahr (Stand 24. Juli) verzeichnet Österreich 16 ermordete Frauen. Auf der anderen Seite spielt der Titel mit der Verschiebung von Macht: Die Geschichte verleiht Frauen inhaltlich, stilistisch und auf formaler Ebene Macht.

Innerhalb der vergangenen Jahre wurde viel zu wenig zum Schutz der Frauen getan. Das stimmt mich unfassbar wütend und traurig.

Das Thema rund um geschlechterbezogene Gewalt begleitet deine Arbeit seit geraumer Zeit …

Leider ja. Als ich 2018 beim jungen Medium der ZEIT in Berlin gearbeitet habe, hat Österreich den traurigen Höchstrekord von 41 ermordeten Frauen innerhalb eines Jahres verzeichnet. Aufgrund tiefster Betroffenheit habe ich ein Feature zu den Femiziden in Österreich, den Hintergründen und Lösungs-/Präventionsmaßnahmen verfasst. Heute ist das Thema aktueller denn je. Innerhalb der vergangenen Jahre wurde viel zu wenig zum Schutz der Frauen getan. Das stimmt mich unfassbar wütend und traurig. Nicht zuletzt deswegen habe ich mich fürs Schreiben eines fiktiven Romans zum Thema entschieden.

Was sind die zentralen Themen deines Buches?

In meinem Buch spreche ich viele großen Themen an, weshalb ich eine Protagonistin erschaffen habe, mit der sich hoffentlich viele Menschen identifizieren können. Die Hauptfigur Anna Maria kommt aus Wien, lebt in Berlin und ist eigentlich durch und durch ein Stadtmensch. Beim Fortgehen verliebt sie sich in einen Landwirt, weshalb es sie nach Oberösterreich zieht. So erwacht sie eines Tages im oberösterreichischen Engelhartskirchen. Dort erwartet die Wienerin ein so gar nicht typisches Landleben und keine bäuerlich-patriarchalen Strukturen. Anna Maria findet sich im Matriarchat wieder …

Die Protagonistin symbolisiert eine privilegierte, naive und recht unreflektierte weiße Cis-Frau. Erst durch Beobachtungen innerhalb der Geschichte erkennt Anna Maria patriarchale und matriarchale Strukturen und deren Auswirkungen.

Inwiefern handelt es sich bei Anna Maria um eine Identifikationsfigur?

Ich habe mich für diese Protagonistin entschieden, da sich viele Themen in ihr verankern. Zu Beginn der Geschichte würde sich Anna Maria sicherlich nicht als Feministin bezeichnen, da sie sich nie großartig mit Geschlechterfragen oder Chancengleichheit auseinandergesetzt hat. Sie symbolisiert eine privilegierte, naive und recht unreflektierte weiße Cis-Frau. Erst durch Beobachtungen innerhalb der Geschichte erkennt Anna Maria patriarchale und matriarchale Strukturen und deren Auswirkungen. So begreift sie erst nach der Auseinandersetzung mit geschlechterbezogener Diskriminierung, dass sie selbst als Frau von solcher in ihrem Leben betroffen ist und bereits einiges über sich ergehen lassen musste. Viele Ungerechtigkeiten sind ihr einfach nicht aufgefallen, da patriarchale Strukturen bereits zu stark in ihrem Kopf verankert sind.

Also geht’s in deinem Buch vor allem um geschlechtsbezogene Diskriminierung?

Ja und nein. Ich wollte keine theoretische Abhandlung des intersektionalen Feminismus schreiben, diese sind wichtig und gibt es bereits. Durch die fiktive Erzählung will ich neue Menschen erreichen und eine neue Sichtweise ermöglichen: Eine, in die man sich hineinfühlen und mit der man sich identifizieren kann. Feministische Themen werden daher im Buch nur anhand praktischer Erlebnisse thematisiert und nicht auf einer Metaebene reflektiert. Mein Buch versteht sich nicht als Handlungsvorschlag oder gar als Antwort auf das Patriarchat. Ich wollte mit der Fiktion Emotionen erreichen und patriarchale Strukturen spürbar machen.

Von welchen Strukturen sprechen wir dabei?

Anhand des Berufslebens der Protagonistin zeige ich auf, dass sich patriarchale Strukturen auch zwischen Frauen abspielen können, da sie als Praktikantin einer Chefin einfach nicht – egal wie gut sie sich in ihrem Job beweist – aufsteigen kann. An der Figur ihres Ex-Freundes greife ich ein anderes patriarchal verstecktes Klischee auf: Der super-linke Mann und progressive DJ, der auf Instagram postet, wie wichtig Feminismus sei und im Versteckten seine Freundin wie Dreck behandelt. Er ist das Symbolbild für den typischen – ach so linken – Typ, der auszuckt, wenn sich seine Freundin von ihm trennen will.

Es geht mir darum, dass wir uns endlich zusammenschließen, da wir alle patriarchalen Machtmissbrauch und Gewalt am eigenen Leib erfahren oder in unserem Umfeld wiederfinden.

Welche matriarchalen Strukturen finden sich in deinem Buch?

Viele. Zum Beispiel gibt es im Dorf eine Pfarrerin, obwohl es sich um einen katholischen Ort handelt. Die Frauen im Dorf sind zudem sichtbarer und lauter. Sie feiern, tanzen und müssen sich nie zurückhalten. Auch auf politischer und geschichtlicher Ebene habe ich matriarchale Strukturen eingebaut: Die Frauen von Engehartskrichen geben ihren Besitz und ihren Nachnamen weiter, da dies nicht mehr den Männern, sondern nun den Frauen vorbehalten ist.

Du entwirfst also eine Utopie des wehrhaften Feminismus. Kann dieser eine Lösung für das Patriarchat und die Gewalt an Frauen darstellen?

Natürlich ist Gewalt auf Gewalt selten eine Lösung. Mein Buch versteht sich also nicht als gewaltsamer Aufruf zum wehrhaften Feminismus. Der Aufruf ist viel eher solidarisch bestimmt: hin- statt wegschauen. Es geht mir darum, dass wir uns endlich zusammenschließen, da wir alle patriarchalen Machtmissbrauch und Gewalt am eigenen Leib erfahren oder in unserem Umfeld wiederfinden. Daher definiere ich den wehrhaften Feminismus als ein solidarisches Aufeinander-Schauen und Aufeinander-Acht-Geben. Der wehrhafte Feminismus im Buch hat für mich einen großen Reiz dargestellt, alte Rollenbilder und gesellschaftliche Strukturen einmal umzudrehen.

Eines kann ich versprechen: In meinem Buch drehe ich den Spieß um.  

Inwiefern?

Ich will nicht zu viel spoilern, aber Gewalt nimmt in meinem Buch eine sehr große – aber in dieser Form unbekannte – Rolle ein. Gewalt gilt normalerweise als eine Struktur des Patriarchats. In meinem Buch wird sie auf das Matriarchat umgewälzt. In so vielen Büchern, Filmen usw. sterben immer nur Frauen. Niemand ist erstaunt, wenn beim hundertsten Tatort mal wieder eine Frau von ihrem Freund umgebracht wurde. Diese Gewalt ist bereits in unseren Gehirnen normalisiert, weshalb wir den Skandal dahinter oft nicht mehr erkennen. Eines kann ich versprechen: In meinem Buch drehe ich den Spieß um.  

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