Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus
Seit ihrer Gründung tut sich die UNO schwer, eine einheitliche Definition für Terrorismus zu finden. In der Politikwissenschaft, dem Fach von Franz Eder, Assoziierter Professor an der Universität Innsbruck, ist man eindeutiger. Von einem Terrorakt spricht man dann, wenn von nichtstaatlichen Akteuren Gewalt angedroht oder angewandt wird, um ein politisches Ziel zu erreichen. Das trifft auf 9/11 zu, auf den neuesten Anschlag in London vom 15. September, genauso wie auf die Anschläge des separatistischen „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS) in den 60er-Jahren. Heute hat Terror in unseren Breiten zumeist einen islamistischen Hintergrund. Doch ist der Islam wirklich die Ursache? Und wird uns diese Art von Terroranschlägen – von Einzeltätern ausgehend, gegen Zivilisten gerichtet, islamistisch geprägt – weiter erhalten bleiben? Ein Gespräch mit dem Terrorismus-Experten Franz Eder.
Terror ist kein neues Phänomen. Die Opferzahlen von Terrorismus waren in den 70er- und 80er- Jahren sogar deutlich höher als heute. Dennoch scheint die Angst jetzt größer und diffuser zu sein. Warum?
Das hat einerseits damit zu tun, dass die Terroristen von damals aus unserer eigenen Gesellschaft kamen. Sie haben zum Teil für Ziele gekämpft, die so einige Bürger sogar unterschrieben hätten, auch wenn sie das Mittel der Gewalt ablehnten: für soziale Gerechtigkeit, gegen den Polizeistaat oder für mehr politische Autonomie im Falle von Separatisten. Vor allem waren jene Anschläge aber gegen staatliche Organe gerichtet, gegen Wirtschaftstreibende, gegen die Vertreter der Polizei oder des Militärs. Die Gewalt war aber nicht gegen die Zivilgesellschaft gerichtet. Das ist der große Unterschied zu heute: Man trifft ganz bewusst normale Menschen in Alltagssituationen.
Warum hat sich das geändert?
Als die Attentäter noch aus der Mitte unserer Gesellschaft kamen, konnten sie kaum die Zivilgesellschaft selbst treffen, denn sie brauchten sie an ihrer Seite, um ihre Ziele zu erreichen. Islamistische Terroristen sehen sich hingegen nicht als Teil dieser Gesellschaft. Deswegen haben sie auch weniger Scheu davor, die Zivilbevölkerung in ihren Kampf miteinzubeziehen. Sie kämpfen zum Beispiel für den Islam, beziehungsweise für das, was in ihren Augen der Islam ist, oder für die Befreiung Palästinas – das sind alles Themen, die mit Europa eher wenig zu tun haben.
Kann man sagen, dass der Terrorismus von heute generell einen islamistischen Hintergrund hat?
Es ist gefährlich zu sagen, dass der Islam der Ausgangspunkt für den Anstieg terroristischer Anschläge ist. Eine bestimmte Interpretation des Islams bietet als Ideologie zwar vielen Individuen eine Rechtfertigung ihres Handelns – er ist für sie ein Vorwand, um ihren gewaltbereiten Extremismus auszuleben. Doch die Faktoren, die den Extremismus verursachen, sind anderswo zu suchen: Das ist meistens die gefühlte soziale und ökonomische Ausgrenzung innerhalb der Gesellschaft, in der diese Individuen leben. Es wäre aber fatal zu sagen, der Islam an sich sei die Ursache. Es gibt eine überwältigende Mehrheit von Menschen, die dem Islam angehören und die friedlich und gemäßigt sind.
Und dennoch drängt sich die Frage auf: Wenn Menschen mit ihren Lebensbedingungen unzufrieden sind und nur nach einem Vorwand suchen, um sich zu radikalisieren, warum bietet sich da gerade der Islam an?
Das ist eine berechtigte Frage, die bis jetzt auch noch nicht richtig beantwortet ist. Es gibt jedenfalls innerhalb des Islams einige Bewegungen, die ein sehr striktes, autoritäres Weltbild haben, in dem auch Gewalt eine große Rolle spielt. Weil es diese Vorstellungen im Islam bereits gibt, werden sie dann in bestimmten Milieus wiederaufgegriffen und daraus entsteht der Extremismus.
Hat es dann nicht doch mit dem Islam zu tun, dass gerade dort gewisse fundamentalistische Haltungen so gut gedeihen konnten?
Das hat meines Erachtens vor allem mit gewissen politischen Entwicklungen zu tun, die sich in Ländern abspielen, in denen eben der Islam und nicht eine andere Religion dominiert. Also nochmal: Religion wird hier als Rechtfertigung verwendet für etwas, das eigentlich andere Motivationen hat.
In seinem Buch „Clash of Civilizations“ sagte der Politikwissenschaftler Samuel Huntington 1996 vorher, dass die Konflikte des 21. Jahrhunderts hauptsächlich aus dem Kampf verschiedener Kulturen und Weltbilder entstehen werden. Ihr Aufeinandertreffen ist in einer globalisierten Welt unvermeidbar. Viele sehen diese Prophezeiung jetzt bestätigt, unter anderem im Phänomen des islamistischen Terrorismus. Teilen Sie diese Sicht der Dinge?
Vollständig kann ich diese Sicht nicht teilen. Huntington argumentiert, dass es drei große Kulturräume gibt, den asiatischen, den islamischen und den christlich-westlichen. Dabei habe jede Kultur ihre eigenen Wertevorstellungen, die nicht mit denen der anderen Kultur vereinbar sind. Deswegen komme es früher oder später zu Auseinandersetzungen. Natürlich kommt es auch zu Auseinandersetzungen, aber es ist eine grobe Vereinfachung, den gesamten islamischen Raum als eine Einheit zu sehen. Dasselbe trifft auch auf die anderen Kulturräume zu. So kommt es, dass die Opfer islamistischer Anschläge hauptsächlich Muslime selbst sind. Ich würde also davor warnen zu sagen, dass wir uns tatsächlich in einem Kampf der Kulturen befinden und wir unsere Werte gegen einen großen Feind von außen verteidigen müssen.
Italien ist von terroristischen Anschlägen bisher verschont geblieben. Kann man sich auch hier in Tirol sicher fühlen?
Absolut ja. Wenn man davon ausgeht, dass Terroristen trotz allem rationale Akteure sind, die mit ihrem Anschlag möglichst erfolgreich sein wollen, dann ist ein Anschlag in – sagen wir mal – Klausen wenig sinnvoll. Nicht nur, weil es dort schwierig wäre, große Menschenansammlungen zu treffen, sondern auch, weil es weitaus weniger interessant ist als ein Anschlag etwa in Rom, das viel mehr Menschen ein Begriff ist.
Wird sich der Charakter des internationalen Terrors in absehbarer Zukunft noch ändern oder bleibt der islamistische Hintergrund erst einmal erhalten?
Der islamistische Hintergrund – darin besteht weitgehend Einigkeit – wird sicher noch einige Zeit bestehen bleiben. Der Charakter der Anschläge hat sich hingegen permanent geändert. Die ersten Anschläge waren organisierter, von den Flugzeugangriffen von 9/11 bis zu den Bombenattentaten von Madrid. Jetzt hat man es mit Attentätern zu tun, die mit Schusswaffen angreifen, zum Teil sogar mit Macheten. Das hat sich geändert. Und auch innerhalb dieser einzelnen, radikal-muslimischen Gemeinschaften wuchs zuletzt der Widerstand gegen extremistische Akteure, sodass sie auch hier stärker sozial geächtet werden. Das Ende ist es aber bestimmt noch nicht.
Professor Franz Eder war im Rahmen der quer.denken-Reihe in Bozen und Meran, wo er mit Markus Lobis Gespräche zum Thema „Internationaler Terrorismus“ führte.
Support BARFUSS!
Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus:
https://www.barfuss.it/support