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Julia Tappeiner
Veröffentlicht
am 22.02.2021
LeuteInterview zur Zwangsprostitution

Grundursachen bekämpfen

Veröffentlicht
am 22.02.2021
Tausende nigerianische Frauen werden in Italien zwangsprostituiert. Beatrix Bauer erforschte die Hintergründe und erhielt dafür den Förderpreis für Chancengleichheit.
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Menschenhandel
Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung aus Nigeria nach Italien

Moderne Sklaverei, die gibt es. Und zwar überall, auch in Europa, mitten unter uns. In Italien zeigt sie verschiedene Gesichter: Caporalato – die Ausbeutung von Saisonsarbeitern – ist in einigen Tomatenfeldern Italiens traurige Realität. Ebenso traurige Realität auf vielen Straßen Italiens sind sexuell ausgebeutete nigerianische Frauen. Beatrix Bauer aus Dorf Tirol wollte am Ende ihres Studiums der Erziehungswissenschaften an der Universität Innsbruck mehr über das Thema herausfinden: Warum entsteht Menschenhandel? Wie kommt es, dass gerade Nigerianerinnen in Italien so stark davon betroffen sind? Und was wird dagegen getan? Ihre Forschungsergebnisse teilt sie mit BARFUSS im Interview.

Du hast mit deiner Masterarbeit den Förderpreis des Landesbeirates für Chancengleichheit 2020 gewonnen. Was erforscht du in deiner Arbeit?
In meiner Arbeit habe ich den Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, der zwischen Nigeria und Italien besteht, genauer betrachtet. Ich habe Faktoren in beiden Ländern, die einen solchen Handel beeinflussen, untersucht und aktuelle sowie frühere Maßnahmen, welche auf nationaler und internationaler Ebene getroffen wurden, beleuchtet.

Beatrix Bauer erhielt für ihre Masterarbeit den Förderpreis für Chancengleichheit

Obwohl Sklaverei schon längst abgeschafft wurde, werden manche Menschen heute noch wie eine Ware gehandelt. Wie sieht diese Realität aus?
Der Begriff Menschenhandel meint die Anwerbung, Beförderung oder Beherbergung von Menschen, welche durch Mittel wie Zwang, Täuschung oder Gewaltandrohung aus ihrem sozialen Umfeld gerissen und in ausbeuterische Verhältnisse versetzt werden. Im Fall von Nigerias Frauen und Mädchen handelt es sich dabei meist um sexuelle Ausbeutung. Die Frauen werden häufig mit falschen Versprechen getäuscht und nach Italien gebracht, wo sie sich dann auf der Straße verkaufen müssen. Sie werden isoliert, misshandelt und manipuliert, sodass sie sich oft nicht trauen, nach Hilfe zu suchen oder anzunehmen.

Ein weit verbreitetes Täuschungsmanöver, um nigerianische Frauen nach Europa zu locken, ist ein Voodo-Ritual, das Frauen ihren Schleppern verpflichtet. Es herrscht der Glaube, ein böser Zauber fiele über die Frau und deren Familie, sollte sie sich der Prostitution entziehen, und sich somit nicht an die „Abmachung“ mit den Tätern halten.

Warum hast du gerade das Thema Frauenhandel für deine Arbeit gewählt?
Ich habe meine Masterarbeit im Bereich der Migrationspädagogik geschrieben und wollte mich mit Sklaverei auseinandersetzen. Ich erinnerte mich, dass wir in der Oberschule das Thema Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung im Italienischunterricht behandelten. Wir durften damals auch an einem Vortrag von Isoke Aikpitanyi teilnehmen, einem ehemaligen Opfer und heutiger Aktivistin, die sich aktiv gegen den Menschenhandel einsetzt. Daher begann ich eine Recherche zu der Thematik und kam schnell zum Entschluss, die aktuelle Lage dieser Frauen aufzeigen zu wollen.

Wie gerät ein Mensch in eine Lage, verschleppt und ausgebeutet zu werden? Und wie kann ein Phänomen, dass so illegal und menschenunwürdig ist, überhaupt entstehen?
Allgemein sind die Ursachen für diesen Menschenhandel sehr vielfältig: Arbeitslosigkeit, Korruption, soziale Ungleichheit und politische Instabilität. Auch moderne Phänomene in Politik und Wirtschaft tragen dazu bei, wie etwa die Globalisierung, der Zerfall der Grenzen oder die ungleiche wirtschaftliche Entwicklung. Ein wichtiger Begriff ist hierbei die Vulnerabilität. Vulnerabilität beschreibt Lebensbedingungen, welche dazu beitragen, dass Menschen anfälliger für Menschenhandel werden. Besonders gewichtig soll Armut für diese Vulnerabilität sein, doch sind andere Faktoren, wie etwa das Geschlecht oder eine geringe Schulbildung, ebenso ernst zu nehmen. Besonders Frauen und Mädchen weisen in Nigeria eine hohe Vulnerabilität für Menschenhandel auf.

Im Fall von Italien sind Ursachen für die weit verbreitete Zwangsprostitution die hohe Nachfrage, das Bestehen eines großen Sexmarktes und ein hohes Maß an Immigration.

Nach Schätzung der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2010 werden jährlich zwischen 4000 und 6000 Frauen zur sexuellen Ausbeutung nach Westeuropa geschleppt. Italien gilt als das Land mit der höchsten Anzahl an nigerianischen Zwangsprostituierten, insgesamt sind laut Schätzungen ca. 8.000 bis 10.000 auf dem Straßenstrich in Italien tätig. Warum ist gerade Italien so betroffen?
Im Fall von Italien sind Ursachen sicherlich die hohe Nachfrage, das Bestehen eines großen Sexmarktes und ein hohes Maß an Immigration. Zudem haben sich die Täter*innen sehr früh ein Netzwerk aufgebaut und sich mit der italienischen Mafia verbündet. In Nigeria wird zudem ein positives Image von Migration nach Italien geschaffen, wodurch viele Frauen auf ein besseres Leben und einen gutbezahlten Job hoffen.

Welche Maßnahmen gegen die sexuelle Ausbeutung wurden von der italienischen Regierung getroffen?
Im italienischen Strafrecht gibt es ein eigenes Gesetz, welches den Menschenhandel kriminalisiert. Bereits 1958 wurde das Merlin-Gesetz erlassen, welches kriminelle Tätigkeiten rund um Prostitution beseitigen sollte. Das Ministerium für Chancengleichheit setzte das “sistema anti-tratta” durch, welches weitere Gegenmaßnahmen beinhaltete, darunter eine kostenlose Notrufnummer, Straßeneinheiten und die Erleichterung der Identifikation. Zudem gibt es zahlreiche Organisationen wie das IOM, Gruppo Abele oder On the Road, welche den Opfern vor Ort Unterstützung in Form von Unterkunft, Beratung oder Jobvermittlung anbieten. Auch setzten sich zahlreiche ehemalige Opfer stark für die Bekämpfung des Menschenhandels ein, wie etwa Isoke Aikpitanyi oder Blessing Okoedion. Beide schrieben eine Autobiografie, halten Vorträge und leisten Aufklärungsarbeit.

Wie sieht die Situation in Südtirol aus?
In Südtirol wurde zur Bekämpfung des Menschenhandels das Projekt “Alba” gestartet. Grob formuliert geht es um die soziale und berufliche Eingliederung von Menschen, welche Opfer von Menschenhandel, sexueller oder Arbeitsausbeutung sind. Dieses Projekt wurde durch die Provinz Bozen initiiert und wird durch regionale Organisationen ausgeführt, darunter La Strada – Der Weg, Voluntarius und Consis. Genauere Informationen oder Daten zu den Projekten waren mir leider nicht zugänglich.

Die Maßnahmen konzentrieren sich zu sehr auf die Strafverfolgung und arbeiten weniger an der Beseitigung der Grundursachen, wie Armut, geringer Bildung oder Korruption.

Was tut der Herkunftsstaat Nigeria gegen die Zwangsprostitution seiner Bürgerinnen? Von einer Nigerianerin weiß ich, dass der neue König von Benin, dem Bundesstaat Nigerias, in dem diese Praxis besonders verbreitet ist, vor ein paar Jahren einen Beschluss erlassen hat, der die Voodoo-Rituale und die damit verbundene Zwangsprostitution untersagt. Beginnt tatsächlich ein Wandel?
Auch in Nigeria gibt es Gesetze und Maßnahmen gegen den Menschenhandel. Doch fruchten diese nur mäßig. Das liegt an der hohen Korruption im Land und die Gesetze und Projekte werden nur in einigen Teilen des Landes umgesetzt. Die Situation ist allgemein sehr schwierig, doch gibt es sicherlich Maßnahmen, die eine Verbesserung erwirken, wie etwa die zahlreichen gemeinnützigen Organisationen, die potenzielle und ehemalige Opfer unterstützen. Das Verbot der Voodoo-Rituale ist sicher ein wichtiger Schritt in der Bekämpfung des Menschenhandels und dessen Anwerbung. Von einem Wandel würde ich dennoch nicht sprechen, solange sich die Lebensbedingungen in Nigeria nicht verbessern.

Wird genug getan, um Menschenhandel und Zwangsprostitution zwischen Nigeria und Italien zu beenden?
Ich denke, dass auch die hohe Anzahl an Maßnahmen und Organisationen nicht ausreicht. Das bestätigen die hohen Opferzahlen und einige Berichte der UN, nach welchen beide Länder noch erhebliche Problemfelder in der Bekämpfung des Menschenhandels aufweisen. Was mich besonders beunruhigt hat, war die Tatsache, dass Nigeria und Italien seit längerer Zeit keine Zusammenarbeit zu dieser Thematik geleistet haben und dies nach meinen Recherchen in nächster Zeit auch nicht beabsichtigen. Zudem sehe ich es als problematisch an, dass sich die Maßnahmen zu sehr auf die Strafverfolgung konzentrieren und weniger an der Beseitigung der Grundursachen arbeiten. Auch die ehemalige UN-Sonderberichterstatterin zum Menschenhandel Ezeilo vertritt diese Auffassung und ist sich sicher, dass die Umsetzung der Sustainable Development Goals der UN große Verbesserungen mit sich brächten.

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