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Thomas Vonmetz
Veröffentlicht
am 12.10.2021
LeuteInterview mit Max Silbernagl

Gelebte Inklusion

Veröffentlicht
am 12.10.2021
Max Silbernagl studiert, veröffentlicht Bücher, ist Leadsänger einer Punkband – und sitzt seit seiner Geburt im Rollstuhl.
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Max Silbernagl veröffentlicht Bücher, ist Leadsänger einer Punkband – und sitzt seit seiner Geburt im Rollstuhl. Hier im Bild mit seiner Band, den „Chaos Junkies“.

Max Silbernagl (25) hat spastische Tetraparese. Für seinen Alltag bedeutet das, dass er in den Bewegungen stark eingeschränkt ist und eine persönliche Assistenz rund um die Uhr benötigt. Unabhängigkeit zu genießen und ein autonomes Leben zu führen, ist für Max dennoch unverzichtbar. Deshalb will er auch nicht von seinen Eltern betreut werden.

Dass er auch allein gut zurechtkommt, zeigt sein Lebenslauf: Max hat die Matura am sozialwissenschaftlichen Gymnasium absolviert und sich erst kürzlich an der Uni Innsbruck im Fach Geschichte inskribiert. Zugleich hat er sein zweites Buch „Prinz Harrys Hochzeit und die Cocacolisierung des Spumaimperiums“ veröffentlicht, das Gedichte und Kurzgeschichten enthält. Seine größte Leidenschaft gilt aber der Musik. Er ist Leadsänger der Punk-Band „Chaos Junkies“ und schreibt die Texte größtenteils selbst.

Das Beispiel von Max Silbernagl zeigt: Echte Inklusion ist möglich, doch die Gesellschaft muss sie mittragen. Im Interview spricht er über seine Kunst und darüber, was das Leben von Menschen mit Behinderung in Südtirol auch heute noch schwierig macht.

Du bist immer in eine normale Schule gegangen, andere Länder haben Sonderschulen. Bist du froh, dass du nie eine solche Institution besuchen musstest?
Sehr froh! Ich würde nicht hier sitzen, wenn das der Fall gewesen wäre. Ich wäre sonst wahrscheinlich in eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung gekommen und hätte das „normale“ Leben nie kennengelernt. Genau das hat mich aber immer am meisten interessiert und tut es auch heute noch.

Als Mensch mit Behinderung gibt es häufig ein Spannungsverhältnis zwischen selbstbestimmtem Leben und benötigter Unterstützung.
Das ist ein schwieriges Thema, die Waage zu halten ist oft schwierig. Meistens gelingt mir die Balance recht gut. Ich lege viel Wert darauf, dass es meinem Umfeld und meinen Assistenzen gut geht. Wichtig ist mir persönlich ein freundschaftliches Verhältnis, obwohl ich nicht sicher bin, ob das die richtige Lösung ist. Es gibt viele Theorien dazu, aber es sind immer Theorien. Die Umsetzung ist dann jedem selbst überlassen. Ich verstehe auch die Distanz vieler Assistenzen, da sie zwangsläufig viel von meinem Privatleben mitkriegen. Viele nehmen dann meine Probleme mit nach Hause.

Das Recht, auch mal scheitern zu dürfen, ist entscheidend.

Was bedeuten für dich die Konzepte Integration und Inklusion?
Integration ist für mich: „Ja diese Person nehmen wir halt mit, er soll auch was sehen. Er macht ein bisschen mit beim normalen Leben.“ Bei der Inklusion soll der Betroffene aber mitten im Leben und der Gesellschaft stehen. Er oder sie ist unter den Leuten. Inklusion steht also eine Stufe höher als die Integration.

Fühlst du dich integriert oder gar inkludiert?
Viel hängt vom Umfeld ab. Wenn du ständig Leute um dich hast, mit denen du viel unternehmen kannst, dann fühlst du dich aufgenommen und inkludiert. In Innsbruck fühle ich mich nicht inkludiert, da ich erst seit kurzem dort bin und wenig Leute kenne. In Südtirol fühle ich mich inkludiert, da mich Freunde von sich aus anrufen und sich Zeit für mich nehmen.

Wer hat dabei den größten Einfluss?
Die Familie ist der wichtigste Faktor. Mir ist aufgefallen, dass häufig nicht die Betroffenen selbst das Problem haben, sondern die Angehörigen. Sie haben Angst loszulassen. Viele Eltern hüllen ihr Kind mit Behinderung in Watte. Wenn sie dann doch einmal auf den Kopf fallen, dann schmerzt es aber gewaltig. Meine Eltern waren lockerer und haben gesagt: „Du musst selbst fallen, um es zu begreifen. Probiere es einfach.“ Das Recht, auch mal scheitern zu dürfen, ist entscheidend.

Sonst sind sie bei der Privacy immer so pingelig, aber ich musste angeben, wie lange ich bei der Körperpflege benötige oder wie viel Zeit ich für den Toilettengang oder fürs Zähneputzen brauche.

Fördermodelle und Barrierefreiheit sind für Menschen mit Behinderung existenziell. Wie sieht es diesbezüglich in Südtirol aus?
In Bozen habe ich ein Jahr in einer WG gelebt, im Stadtkern war die Situation recht gut. Bei der Uni ist es super. Am wichtigsten sind behindertengerechte Toiletten. Behindertengerechte Infrastruktur wäre oft so einfach und fehlt trotzdem. Ein Beispiel: Ich gehe gerne ins Cineplexx, da ist ein toller Aufzug, der dich in den jeweiligen Saal führt. Nur kann ich den allein nie und nimmer benutzen, weil die Tür schwer zu öffnen ist. Einmal hat sogar die Elektronik versagt, weil es durchs offene Dach geregnet hat. Sie mussten mich dann die vier Stockwerke hinuntertragen. Menschen mit Behinderung sollten mehr beteiligt werden und Infrastruktur „austesten“, bevor sie in Betrieb genommen wird. So etwas gibt es nicht. Im Monitoring-Ausschuss von Menschen mit Behinderung haben wir diese Forderung immer wieder gestellt. Es wäre nicht so schwierig und unheimlich wichtig.

Würdest du dir mehr Unterstützung von der öffentlichen Hand wünschen?
Ich habe für den Beitrag „Selbstbestimmtes Leben“ angesucht, wo ich Geld bekommen habe. Doch beim Ansuchen muss man unglaublich viel von seinem Privatleben preisgeben, was wirklich schwerfällt. Sonst sind sie bei der Privacy immer so pingelig, aber ich musste angeben, wie lange ich z.B. bei der Körperpflege benötige, oder wie viel Zeit ich für den Toilettengang oder fürs Zähneputzen brauche. Klar, es gibt immer ein Deppen, die eine öffentliche Förderung ausnutzen. Trotzdem finde ich, dass man Menschen mit Behinderung mehr Vertrauen entgegenbringen, das heißt, die verletzenden Passagen zur Privacy streichen sollte.

Was sind die größten Hindernisse auf dem Weg zu mehr Inklusion?
Als ich in einer WG für Menschen mit Behinderung lebte, musste ich meine Assistenzen selbst organisieren. Ich bekam Pflegegeld und den Beitrag für selbstbestimmtes Leben, doch ich war dann der Chef. Es ist mehr Aufwand, auch finanziell. Wenn eine Assistenz nicht passt, ist es zum Beispiel schwierig, eine Neue zu finden.
In Innsbruck habe ich hingegen eine Beratungsstelle, wo ich meine Wünsche darlegen kann und eine Assistenz vermittelt bekomme. In Südtirol fehlt so ein zentraler Betreuungspool.

“Ohne Kunst könnte ich nicht leben”: Max Silbernagl (links) auf der Bühne

Wirst du bei Freizeitaktivitäten unterstützt?
Wenn du gute Leute um dich hast, ist einiges möglich. Offiziell wird davon ausgegangen, dass ich um 22 Uhr schlafen gehe. Ich habe es aber trotzdem geschafft, einmal in der Woche eine Assistenz bis 24 oder 1 Uhr zu bekommen.

Wie schwer ist es mit Behinderung, eine Arbeit zu finden?
Beim Vermittlungsdienst für Menschen mit Behinderung kommt jeder Mensch, egal welche Beeinträchtigung, auf dieselbe Liste. Die Betriebe nehmen dann diejenigen, die am besten selbstständig arbeiten können. Wer eine Assistenz hat, wird nur schwer eine Arbeit finden, da der Betrieb diese auch finanzieren muss. Viele Betriebe zahlen daher lieber die Ausgleichszahlung zur Befreiung von Pflichtaufnahmen, da ein Betrieb ab einer Mitarbeiteranzahl von 15 einen Menschen mit Behinderung anstellen müsste. Das ist dann meistens viel billiger und ist in der Privatwirtschaft gang und gäbe. Es geht nur ums Geld, was ich sehr traurig finde. Ich selbst war in einer halböffentlichen Struktur, da war es leichter, reinzukommen. In der Privatwirtschaft hat man als Mensch mit Behinderung so gut wie keine Chance.

Du hast gerade dein zweites Buch „Prinz Harrys Hochzeit und die Cocacolisierung des Spumaimperiums“ veröffentlicht. Außerdem singst du in der Punkband „Chaos Junkies“. Wie wichtig ist dir deine Kunst im Leben?
Das Schlimmste was mir passieren könnte, wäre, dass ich nicht mehr schreiben oder singen könnte. Es definiert mich als Mensch und ist Teil meines Charakters. In der Coronazeit ohne Band-Proben auszukommen war schwierig. Das Feiern habe ich auch sehr vermisst. Ich habe zwar viel geschrieben, aber ohne Inspiration und Erlebnisse war das nicht so berauschend.

Mein bester Freund sagt immer wieder zu mir: „Olm norret und flexibel bleibn im Kopf!“

Worum geht es in deiner Kunst?
Im letzten Buch habe ich meine Gedanken während des Lockdowns verarbeitet. Ich bringe meine Denkweise aufs Papier. Es geht um die Punkszene, das Leben als Punk und meine anarchische Gesinnung. Ich mache mir zu vielen Dingen viele Gedanken, und das spiegelt sich in meiner Kunst wider.

Erfährst du durch deine Kunst Selbstwirksamkeit?
Wenn ich auf der Bühne stehe, bin ich ein anderer Max. Vor kurzem hatte ich ein Konzert in Wien und die Leute sind voll abgegangen. Viele sagten mir, geiles Konzert, wann spielt ihr wieder und wo? Wann kommt die neue CD? Dann zwei Tage drauf, laufe ich durch Innsbruck, kein Mensch kennt mich und ich muss aufs Arbeitsamt. Erst bist du fast ein Star, dann der Mensch, der hofft, eine normale Arbeit zu bekommen.

Ein Satz, denn du immer wieder verwendest, ist: „Olm norret bleiben!“ Was heißt er für dich?
Mein bester Freund sagt immer wieder zu mir: „Olm norret und flexibel bleibn im Kopf!“ Diesen Spruch habe ich mir zu Herzen genommen. Wenn du alles schwarz und weiß siehst, dann wirst du nie „norret“ sein, höchstens auf negative Art und Weise. Wenn du die Welt aber bunt siehst, dann bist du positiv „norret“ und flexibel.

Menschen, die im sozialen Bereich tätig sind, sollten besser bezahlt werden. Von Luft und Liebe allein kann niemand lange leben.

Bist du oft zornig auf Gott und die Welt?
Oh ja, deswegen schreibe ich Bücher. Ich bin ein gemütlicher Zeitgenosse, aber wenn ich schreibe, gibt’s da mehr Negatives als Positives. In Gesprächen bin ich viel zurückhaltender und gebe mich zuversichtlicher. Wenn ich meine besten Freunde treffe, viele sind aus Barbian und dort gibt‘s viele „norrete Vegl“, dann rede ich über ernste Dinge. Sonst halte ich mich im normalen Leben zurück und schreibe auf, was mich belastet.

Was sind deine Forderungen, vor allem in Richtung Politik?
Es ist eine altbekannte Forderung, aber: Menschen, die im sozialen Bereich tätig sind, sollten besser bezahlt werden und mehr Wertschätzung erfahren. Sie verdienen es. Von Luft und Liebe allein kann niemand lange leben.

Was planst du für die Zukunft?
Momentan sieht es mit der Band gut aus, wir bekommen mehr Auftritte und sogar ein Management. Ich will aber nichts verschreien. Dann will ich weiterhin Bücher schreiben. Ich brauche zugleich Leute um mich, die mich wieder runterholen. Vielleicht treffe ich einen Menschen, der mich gernhat und den ich gernhabe. Mit dem ich eine Familie gründen kann, so klassisch Heimatfilm-mäßig. Es einfach gemütlich haben und Musik machen, bis ich von der Bühne abtrete. Damit wäre ich glücklich.

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