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Illustrations by Sarah
Sarah Meraner
Veröffentlicht
am 09.04.2024
LeutePorträt Arjun Pfaffstaller

Eine Frage der Multiperspektivität

Arjun Pfaffstaller will nicht auf seine Behinderung reduziert werden. Ein Porträt über einen, der sich gegen eine Diskriminierung von Menschen mit einer körperlichen Behinderung einsetzt und dafür seinen Intellekt und seine Vielseitigkeit als Wege gewählt hat.
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Ein Mittwochmorgen Ende März in der Eingangshalle der Uni Bozen: Es ist ruhig, wenige Student:innen gehen ein und aus, ihre dumpfen Gespräche lassen sich kaum erhaschen. Ich warte auf Arjun Pfaffstaller, den ich nur von seinen Bildern auf Instagram kenne. Im bunten Outfit – grüner Hose, blauem Jackett und gelber Krawatte – kommt der 27-Jährige schnellen Schrittes die Treppen herunter. Sein Langstock wirkt weniger wie eine Hilfe, als vielmehr wie ein eleganter Spazierstock. Der junge Mann sticht ins Auge – und wenn man sich näher mit ihm beschäftigt, hinterlässt er einen bleibenden Eindruck. Das hängt vor allem mit seinem Einsatz für mehr Inklusion und Diversität zusammen sowie seiner Aufklärungsarbeit bezüglich Ableismus. Unter Ableismus versteht man die Diskriminierung, die stattfindet, wenn Menschen auf ihre körperliche oder psychische Behinderung reduziert werden. Außerdem geht der Ableismus von einem vermeintlichen physischen und psychologischen Standard des Menschen aus, den Menschen mit Behinderung nicht erfüllen.

Arjun kennt die Uni wie seine Westentasche. Er sei täglich hier und besuche sehr gerne die Vorlesungen, sagt er. Im Studierraum, den er sich zum konzentrierten Lernen gemietet hat, werden wir uns knapp eineinhalb Stunden unterhalten. Der Neumarkter studiert Accounting and Finance in Bozen, studierte aber auch schon ein halbes Jahr in Regensburg. Generell ist er einer, der gerne und viel unterwegs ist. Am allerliebsten mit dem Zug. Damit ist er auch schon alleine nach Schottland und nach Syrakus gefahren und beweist damit ganz klar, dass seine Sehbehinderung kein Hindernis für irgendwas darstellt. Sie sei nichts Gutes, aber auch nichts Schlechtes, betont er. „Wie jede Behinderung ist die Sehbehinderung für mich ein neutraler Fakt, der nicht kommentiert werden muss. Ist aber schon oft passiert.“ 

Sein Unmut
Sätze wie „Na, du Ormer“ seien schon einige Male gefallen. „Eine Behinderung ist keine Last per Definition, es aber als Außenstehende:r anzudeuten ist äußerst problematisch“, klärt Arjun auf. Zumal dabei immer die geschichtliche Perspektive berücksichtigt werden müsse. Er spielt damit auf den Nationalsozialismus an: Der „Gnadentod“ von Menschen, die es vermeintlich nicht mehr wert waren zu leben, war ein mörderisches Programm in Nazi-Deutschland. Diesen Euthanasiemorden fielen nach Erkenntnissen der Nürnberger Prozesse ab 1939 über 275.000 Menschen mit Behinderung zum Opfer, an unzähligen weiteren wurden medizinische Versuche durchgeführt.

Neben vermeintlich „nicht bös’ gemeinten“ Aussagen, kommen dann auch „krass diskriminierende Sprüche“ – auch von Menschen aus der Öffentlichkeit. „Ich ärgere mich zwar über ableistische Aussagen und mache darauf aufmerksam, versuche aber normalerweise immer, ihnen mit einer gewissen Ironie zu begegnen.“ Arjun erzählt vom deutschen Stand-up-Comedian Felix Lobrecht, der erst jüngst mit einem Sketch für Furore gesorgt hat. Wortlaut Lobrecht: „Behindertenparkplätze sind ein Instrument, mit dem sich Behinderte in das Leben Nicht-Betroffener so … reinbehindern.“ Eine extrem ableistische und gehässige Aussage, findet Arjun und mit ihm eine ganze Community. „Aus historisch-ableistischer Perspektive ist diese Aussage absolut nicht in Ordnung. Sie suggeriert, dass Menschen mit Behinderungen bzw. deren Hilfsmittel ein Hindernis für andere seien und man diese sogar beseitigen sollte. Ich bin ja der Meinung, dass Comedy nicht alles darf. Man muss den Menschen ganz klar signalisieren, wenn eine Aussage niveaulos war“, sagt Arjun, der dem Comedian sogar eine Privatnachricht geschrieben hat. Antwort hat er bisher noch keine erhalten.

Nicht die Behinderung ist belastend, sondern die Barrieren sind es.

Arjun Pfaffstaller

Sein Alltag
Arjun nutzt ausschließlich Apple-Geräte, die für ihn barrierefrei sind, unter anderem lässt sich die Schriftgröße anpassen. Seinen Alltag lebt der Student möglichst barriere- und gefahrenfrei: mit seinem Taststock beispielsweise. Ansonsten besitzt Arjun ein äußerst gutes räumliches Vorstellungsvermögen, er kann die Perspektive wechseln und sich vorstellen, wie der Mensch neben bzw. vor ihm die Welt sieht. Damit prägt er sich sein Umfeld ein, kann den Gehweg der anderen einschätzen und sich mühelos fortbewegen. Der 28-Jährige betont: „Nicht die Behinderung ist belastend, sondern die Barrieren sind es.“ Denn die Welt ist bei Weitem nicht so barrierefrei, wie sie für Außenstehende vielleicht den Anschein hat. 
Mit dem Rennrad fährt Arjun nur abends, und zwar deshalb, weil da weniger Leute und vor allem keine Kinder mehr unterwegs sind, die er vom Rad aus nur schwer erkennen kann. Obwohl er selbst nicht Autofahren darf, dürfte er als Beifahrer aber Behindertenparkplätze nutzen – macht er aber nicht immer, weil er die lieber jenen überlässt, die sich mit dem Gehen schwer tun und sie einfach viel dringender brauchen.

Arjun im Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim bei Linz: Hier hält er im März einen Vortrag zum Thema Ableismus.

Sein Aktivismus
Der Mann oder die Frau im Rollstuhl, wie sie ihren Alltag meistern und wie sie dafür Bewunderung und Achtung ernten. Diese Darstellung der Community auf Social Media ist für Arjun falsch. „Die Themen Ableismus und Intersektionalität werden kaum aufgegriffen – auch das ist ein großes Problem, aber das zeigt sich ja auch bei anderen Themen wie Gadje-Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit.“ Das ist wohl einer der Hauptgründe, warum Arjun Pfaffstaller seinen Instagram-Kanal selbst als Plattform für diese wichtigen Themen nutzt. Die vielen positiven Feedbacks bestärken ihn darin, aktiv zu bleiben. Die meisten, die dem Neumarkter folgen, sind Nicht-Südtiroler:innen, aber auch einige Politiker:innen schätzen seine Arbeit. 

Arjun Pfaffstaller ist nicht nur im Finanzwesen bewandert und technologisch interessiert, er weiß auch bestens über die lokale, nationale und internationale Politik Bescheid. Arjun, der von 2018 bis 2023 selbst im In- und Ausland politisch aktiv war und parteipolitischen Aktivismus zum Thema Inklusion betrieben hat, bemängelt den fehlenden Widerstand auf den wieder vorherrschenden Rechtsextremismus und neu aufkeimenden Nationalsozialismus.
Im Schloss Hartheim bei Linz, einer ehemaligen Tötungsanstalt der Nazis und inzwischen eine Gedenkstätte hielt Arjun Pfaffstaller im März gemeinsam mit einer Wissenschaftlerin der JKU Linz im Rahmen einer internen Fortbildung einen Vortrag zum Thema Ableismus. Das Eintauchen in die Praxis ist für ihn neben dem Studium, all der Theorie und der Zahlen, die er so liebt, das Um und Auf. Auch in Bergisch Gladbach war der Aktivist schon für zwei weitere Vorträge. Aufklären – das ist wohl das Wort, mit dem sich das, was Arjun macht, am besten beschreiben lässt. 

Auch soziale Angelegenheiten benötigen eine fundierte Analyse.

Arjun Pfaffstaller

Seine Frage nach Multiperspektivität
„Es werden gerne Erwartungen implementiert, indem es heißt: Menschen mit Behinderung können das schon und jenes nicht, das können sie studieren, das aber nicht – das ist das Problem beim Ableismus. Damit ist immer eine Chancenungleichheit verbunden. Dabei muss man immer auf den einzelnen Menschen schauen.“ Auch Menschen mit Behinderung haben viele tolle, auch intellektuelle Fähigkeiten und sie können analysieren. Arjun Pfaffstaller beobachtet zudem weiterhin eine Gehässigkeit gegenüber Menschen mit Behinderung. Schwierig findet er auch, wie die Community als Kollektiv dargestellt wird. Dabei müsse man die ganze Thematik von der Multiperspektivität aus betrachten, ist Arjun überzeugt: Denn Menschen mit Behinderungen haben nicht eine, sondern unterschiedliche Meinungen. Sie haben unterschiedliche politische Einstellungen. Und es gibt jene, die sagen, sie wollen frei und unabhängig sein, aber solche, die gerne in einer Institution wohnen, wo sie umsorgt werden. „Diversität ist gut – man hat mehr Blickwinkel auf gewisse Themen und Probleme. Und man hat viel mehr Lösungsansätze.“ Hier bezieht Arjun auch den Fairness-Aspekt mit ein: mehr Diversität in der Repräsentation und das Recht, an Entscheidungs- und Normierungsprozessen beteiligt zu sein, wie man Straßen gestaltet oder Bahnhöfe baut beispielsweise. Auf diese Weise würden systematische Fehler reduziert werden, die bei nicht-diversen Strukturen aufkommen können.

Arjun beim Zugfahren – eine seiner großen Leidenschaften.

Seine Faibles
Wenn Arjun sich nicht gerade aktivistisch betätigt, dann kocht er gerne und – apropos Bahnhöfe – fährt mit Zügen durch Europa. Und weil sich der bekennende Zugfan fast alles merken kann, kann er auch genau sagen, welcher Zug wann wohin fährt und wann man umsteigen muss, um zum Reiseziel XY zu gelangen. Kurz: Er kennt so gut wie alle Fahrpläne innerhalb Europas auswendig. „Ich kann mir Sachen einfach schnell einprägen“, lächelt er, verrät aber auch, dass eine bestimmte Logik dahintersteckt. Und mir verrät das: Arjun schafft es, Logiken zu erkennen und sich Details und Infos aus den verschiedensten Bereichen zu merken. Egal, ob es um Fahrpläne, Dokus über Flugzeugkatastrophen, Geschichte oder Weltpolitik geht.

Wohin ihn seine Vielseitigkeit führen wird? Das weiß Arjun selbst noch nicht genau. „Entweder geht es für mich nach dem Studium in den Bereich Finanzen, oder vielleicht in die Beratung für Inklusion und Antiableismus oder aber womöglich sogar in den Eisenbahnsektor. Viele Algorithmen ließen sich dort nämlich auch noch verbessern.“ Die Möglichkeiten stehen ihm auf jeden Fall offen – und sie stützen Arjuns Wunsch nach Diversifikation und dem gemeinsamen Abbau gesellschaftlicher, systematischer Risiken.

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