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Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer wird mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Die 103-Jährige war bereits Trägerin des Bundesverdienstkreuzes erster Klasse. Mit der nun verliehenen höheren Auszeichnung würdigt der Staat ihr jahrzehntelanges Engagement gegen das Vergessen und für die Erinnerung an die Verbrechen der NS-Zeit. Friedländers beeindruckendes Lebenswerk mit ihrem unermüdlichen Einsatz als Zeitzeugin der Verbrechen des Nationalsozialismus werde gewürdigt, so Bundespräsident Steinmeier gegenüber dem „Spiegel“.
Wer ist Margot Friedländer?
Margot Friedländer wurde 1921 als Anni Margot Bendheim als Tochter einer jüdischen Familie in Berlin geboren. Sie und ihr vier Jahre jüngerer Bruder Ralph lebten nach der Trennung ihrer Eltern bei der Mutter in Berlin Kreuzberg. Mehrmalige Auswanderungsversuche kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs scheiterten. 1942 wurde ihr Vater in einem Vernichtungslager ermordet. Am 20. Januar 1942 plante die Mutter mit den beiden Kindern nach Oberschlesien, zu Verwandten zu flüchten, Ralph wurde jedoch von der Gestapo verhaftet. Die Mutter deponierte eine Handtasche mit ihrem Adressbuch und einer Bernsteinkette bei Nachbarn, bevor sie sich der Polizei stellte, um ihren Sohn zu begleiten. Die Nachbarn überbrachten Margot die letzte Botschaft ihrer Mutter: „Versuche, dein Leben zu machen.“
In Auschwitz wurde die Mutter in der Gaskammer getötet, ihr Bruder Ralph überlebte noch einen Monat. Von nun an lebte Margot Friedländer in verschiedenen Verstecken. Sie färbte sich ihre schwarzen Haare rot, tauschte den Judenstern mit einer Kette mit Kreuz aus und ließ sich sogar die Nase operativ verändern, um nicht als Jüdin erkannt zu werden. Unterschlupf fand die junge Frau bei Regimegegner:innen, doch im Frühjahr 1944 geriet sie an sogenannte „Greifer“ – Juden, die im Auftrag der SS andere Juden aufspüren und ausliefern sollten. Daraufhin wurde sie ins Konzentrationslager Theresienstadt gebracht, wo sie Adolf Friedländer wiedersah, den sie bereits von ihrer Arbeit als Kostümschneiderin beim Jüdischen Kulturbund kannte. Wie Margot hatte auch Adolf seine gesamte Familie verloren. Die beiden überlebten den Holocaust, heirateten und wanderten 1964 schließlich nach Amerika aus. Kinder sollten die beiden keine haben.
Ich hatte niemanden mehr. Aber ich wollte leben. Und ich wollte erzählen.
In New York arbeitete Margot Friedländer als Änderungsschneiderin und Reiseagentin. Nach dem Tod ihres Mannes 1997 besuchte sie einen Kurs für biografisches Schreiben – in einer ihrer ersten Geschichten erzählt sie von der Befreiung aus dem KZ. Durch ihre Erzählungen stößt Freiländer auf den Dokumentarfilmer Thomas Halaczinsky, der mit ihr in Berlin einen Dokumentarfilm drehte. 2008 erschien ihre erste Autobiografie „Versuche, dein Leben zu machen“.
Erst 2010 kehrte Friedländer wieder nach Berlin zurück, wo sie die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt. Hier widmete sich intensiv der Aufklärung über den Holocaust, insbesondere durch Begegnungen mit Jugendlichen.Mehrmals wöchentlich besuchte sie Schulen und Einrichtungen in ganz Deutschland, um über ihre Erfahrungen zu berichten – um ihren Hals gelegentlich die Bernsteinkette, die sie von ihrer Mutter vor deren Deportation erhalten hatte. Friedländers Botschaft:
Es geht nicht um Schuld – es geht um Verantwortung.
Ikone der Menschlichkeit
Margot Friedländer wurde im Laufe ihres Lebens bereits mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt, darunter das Bundesverdienstkreuz am Bande, den Verdienstorden des Landes Berlin, den „Talisman“ der Deutschlandstiftung Integration, das Bundesverdienstkreuz, dem Berliner Bär, den Deutschen Fernsehpreis – und zuletzt, im April 2025, mit dem Sonderpreis des Westfälischen Friedens sowie mit dem Großen Verdienstkreuz.
Auch auf dem Cover der deutschen Vogue war die einst modebegeisterte Friedländer zu sehen. 2023 gründete sie die Margot Friedländer Stiftung zur Fortführung der Zeitzeugenarbeit. Seit 2024 wird der bereits seit 2014 existierende Margot–Friedländer-Preis nun durch die Stiftung selbst vergeben. Ausgezeichnet werden sollen Menschen, die sich mit Aktionen und Initiativen für Toleranz, Menschlichkeit und gegen Antisemitismus oder Demokratiefeindlichkeit einsetzen.
Ich bin keine Richterin. Ich bin eine Zeitzeugin.
Margot Friedländer ist eine der letzten Zeitzeuginnen des Holocaust und – in einer Zeit, in der rechtsextreme Tendenzen in Europa wieder zunehmen – ihre Stimme wichtiger denn je. Mit Bedauern blickt sie auf die gegenwärtigen Entwicklungen, wie folgendes Interview zeigt: https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/margot-friedlaender-interview-100.html
Margot Friedländer, die unzählige Schulen besuchte, vor Tausenden von Schüler:innen sprach, immer und immer wieder in Fernsehsendungen auftrat, wurde zur Symbolfigur einer lebendigen Erinnerungskultur. Sie steht für Mut, Versöhnung und Menschlichkeit – und ist somit ganz klar einer jener Menschen, die uns bewegen.
Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.
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