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Julia Tappeiner
Veröffentlicht
am 21.03.2022
LeuteScotty im Portrait

Ein Fahrlehrer als Psychologe

Veröffentlicht
am 21.03.2022
Scotty ist der beliebteste Fahrlehrer Bozens. Bei einer Fahrstunde mit Suppen- und Klogleichnissen erzählt er, warum Fehler wichtig sind und was die Jugend heute ausmacht.
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Das junge Mädchen geht unsicher auf den weißen Opel zu. Auf den Seitentüren abgebildet sind drei aufeinander zurasende Bahnen in schwarz, orange und grau – das Logo der Fahrschule „Haslach“. Der Fahrlehrer ruft dem Mädchen zu: „Mogsch hait ned fohren?“ „Na!“ antwortet sie mit einer Mischung aus Witz und Ernst, worauf Scotty in schallendes Gelächter ausbricht.

Vor zehn Jahren bereitete Scotty auch mich auf die Fahrprüfung vor. Damals hieß es in meiner Klasse und im Freundeskreis: „Bisch du a beim Scotty? Cool!“ oder „Frog, ob in Scotty als Fohrlehrer kriagsch!“ 10 Jahre nach bestandener Führerscheinprüfung hocke ich auf dem Rücksitz desselben Fahrschulautos und fühle mich wieder wie 18. Wie damals, vergeht auch heute keine Fahrstunde mit Scotty ohne Gelächter.

„Wenn du so Suppe essen tasch, wia du Auto fohrsch, donn tasch dor olle Zähne ausserschlogen“, witzelt er, als seine Schülerin den Winker erst setzt, nachdem sie schon abgebogen ist, „Du muasch jo a zersch in Mund auf tian, bevor in Löffel onsetzsch.“ Scottys legendäre Sprüche erreichen immer das Ziel: den Fahrerneulingen die Angst zu nehmen, und die panische Starrheit, wenn mitten auf der Kreuzung wieder mal der Motor abstirbt. Stattdessen wird die eigene Panne mit einem Witz übergangen, erneut auf die Kupplung gedrückt und weiter geht’s.

Die Brüder Hons und Scotty der Fahrschule Haslach

Der 57-jährige Fahrlehrer ist unter der Südtiroler Jugend eine Institution. Fast jeder 18-Jährige kennt Scotty, der mit bürgerlichem Namen Kurt Franceschini heißt, und der mit seinen zurückgegelten Haaren früher aussah, als sei er aus dem Musical-Film “Grease” in die Realität gestiegen.

Gemeinsam mit seinem Bruder Hons führt er die Autoschule Haslach. Die erste Filiale öffnete sein Bruder 1980 in Bozen. Als sich die Anfragen aus Eppan und Terlan häuften, folgten zwei weitere Schulöffnungen in den beiden Gemeinden. Seitdem formen die Brüder und das Team der Fahrschule Haslach die Autofahrer und Autofahrerinnen auf Südtirols Straßen – im Jahr stellen sie zwischen 400 und 500 Führerscheine aus.

„Dor Scotty wor olm so witzig”

Für jeden Mechanismus, egal wie technisch und alltagsfremd er klingen mag, findet Scotty eine passende Metapher, mit der jeder und jede etwas anfangen kann. Seinen Rat, die Kupplung auf Steigungen lieber zu wenig auszulassen, und falls das Auto nach hinten rollt, den Fuß noch ein paar Millimeter nach oben zu heben, untermauert er mit folgendem Beispiel: „Es isch jo a besser zu wianig Solz in die Suppe zu tian als zu viel, oder? Weil nochsolzen konnsch olm no.“

Neben Suppen-Gleichnissen fallen auch weniger „feine“ Vergleiche. So erklärt Scotty die Grundregel, nach dem Überholen stets auf die rechte Fahrbahn zurückzukehren, auch wenn 200 Meter weiter schon die nächste Überholung ansteht: „Wenn du afn Klo hucksch und in a Stunde wieder kacken muasch, donn bleibsch jo a ned hucken. Sondern geasch auser, damit a ondorer in dor Zwischenzeit gian konn.“

Scottys Vergleichen folgt häufig sein schallendes Gelächter, rauchig im Abgang. Wegen der Zigaretten, die man stets zwischen seinen Mundwinkeln antrifft.

Der Fahrlehrer spricht ununterbrochen, seine Augen sind überall auf der Straße. Zwischen seinen Erklärungen stellt er immer wieder Fragen an seine Schülerin. Falsche Antworten nimmt er nie übel, sondern wischt sie, wie so vieles in seinem Alltag, mit Humor beiseite. „Drahnsch du es Lenkradl in dor Kurve schun wieder auf, oder bol sie fertig isch?“ „Bol sie fertig isch?“, antwortet die Schülerin unsicher. „Sog es ondore“, antwortet Scotty lachend!

“Wenn du so Suppe essen tasch, wia du Auto fohrsch, donn tasch dor olle Zähne ausserschlogen.”

Sein offenes, humorvolles und geduldiges Gemüt scheint wie geschaffen zu sein für den Job des Fahrlehrers. Doch der Weg zum Fahrlehrer stand für Scotty nicht von Anfang an fest. Scotty ist gelernter Hydrauliker. Als die Firma, in der er arbeitet, in Konkurs geht, fragt sein Bruder Hons, ob er ihn in der Fahrschule unterstützt. Aus ein bis zwei Tagen die Woche wird bald ein permanenter Job und so bleibt Scotty in der Autoschule Haslach. Heute bedeutet ihm die Arbeit alles.

Drei Generationen von jungen Menschen begleitet Scotty nun schon bei einem ihrer aufregendsten Lebensabschnitte. Er kennt die Südtiroler Jugend daher wie kaum ein anderer, und spricht – so drückt er es aus – ihre Sprache. Dadurch hält er sich auch selbst jung. „Gleichaltrige sagen zu mir oft ‚du bisch a boccia‘. Ja, hoffentlich bleibe ich so!“ freut sich Scotty und lacht.

Wohl auch deshalb nimmt er nicht nur die Rolle des Fahrlehrers ein, sondern manchmal auch die eines guten Freundes oder Psychologen. Schülerinnen und Schüler öffnen sich ihm gerne, teilen ihre Sorgen aus dem Alltag. „Ich glaube, ich weiß mehr über manche meiner Buabn und Gitschen, als die Mama zuhause“, erzählt er sichtlich stolz. Er freut sich über das Vertrauen. „Das liegt vielleicht an der Enge im Auto“, vermutet er. „In dem geschlossenen Raum erzählt man sich Dinge, die man auf der Straße nicht unbedingt erzählen würde.“ Und dabei wissen seine Schüler: Was sie Scotty im Auto erzählen, bleibt im Auto.

Fahrlehrer Scotty

Die jungen Leute schätzen Scotty, bedanken sich bei ihm in Briefen (früher) und Whatsapp -Nachrichten (heute); Manche der Briefe hängen noch in seinem Büro, einige Whatsapp-Nachrichten zeigt er mir auf seinem Handy. Auch ältere Schüler, die vor 10 Jahren oder mehr bei ihm Autopraxis absolviert haben, erinnern sich mit einem Schmunzeln an ihn. „Er war immer gut gelaunt und witzig“, erzählt eine ehemalige Schülerin. Ein anderer Schüler erinnert sich: „Man hat sich jedes Mal auf die Autostunde mit Scotty gefreut!“

Gleichzeit merkt Scotty auch eine Veränderung an der Jugend von heute: „Die jungen Leute sind weniger praktisch veranlagt als früher“, beobachtet Scotty. Das liege auch daran, dass die meisten damals zuhause auf dem Hof schon Traktor fuhren, die Eltern die Kinder mit 14 oder 15 Jahren bereits ans Steuer ließen. Heute rufe sogar die Mutter für den Sohn an, um einen Termin vorzumerken oder käme vorbei, um das ärztliche Zeugnis abzugeben. Vor allem den Jungen fehle es an Selbstständigkeit. „Ihnen wird jeder kleine Stein aus dem Weg geräumt, anstatt sie selbst machen zu lassen, damit sie es lernen“, seufzt der Fahrlehrer.

„Traut euch, Fehler zu machen“

Die größte Herausforderung an seinem Job? Die Prüfungen, gesteht Scotty: „Es wird ja nicht nur der Schüler geprüft, sondern ich werde jedes Mal mitgeprüft.“ Nicht nur deshalb leide er bei jeder Fahrprüfung mit seinen Schützlingen mit.

“Ich weiß mehr über manche meiner Buabn und Gitschen, als die Mama zuhause.”

Wie ein guter Freund oder Psychologe gibt Scotty neben Fahr-Tipps auch Ratschläge fürs Leben. Als er seine Schülerin dazu anhält, dem Auto von der Seite Platz zum Rausfahren zu machen, philosophiert er über die Wichtigkeit von Nächstenliebe – im Straßenverkehr, wie im Alltag: „Egoismus kennen haint olle. Altruismus wianiger.“

Was er den jungen Menschen fürs Autofahren und fürs Leben mit auf den Weg geben möchte? „Traut euch, Fehler zu machen!“ Viele Schülerinnen und Schüler machten im Unterricht oft etwas nicht, weil sie dächten, es sei falsch. Und gerade das sei falsch. „Wenn du vom Hochhaus springst, dann mach, ich fange dich unten auf. Aber mach den Fehler mit mir, damit du beim nächsten Mal auf dem Hochhaus alleine weißt, wie du dich zu verhalten hast.“

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