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Illustrations by Sarah
Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 07.05.2018
LeuteInterview mit Alzheimer-Forscherin

Die Angst vorm Verfall

Alzheimer hat die Forscherin Barbara Plagg schon lange fasziniert – und geängstigt. Der Umgang damit ist etwas, das gelernt werden muss.
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Alzheimer gilt als ein Sinnbild des Alters und der Malheure, die damit verbunden sind. Denn zum körperlichen kommt hier auch noch der geistige Verfall hinzu. Und diese Art von Verfall ist es, die dem Menschen wirklich Angst macht. Wenn man sich an den eigenen Namen nicht mehr erinnert; verwandte Gesichter nicht erkennt; nicht mehr weiß, wie man eine Toilette bedienen soll. Es ist der damit einhergehende Verlust der Würde, vor dem viele Menschen sich fürchten. Verlust der Würde? Auch „Demenzzeit“ ist Lebenszeit, sagt die junge Forscherin Barbara Plagg. Alles hängt letztlich vom Umgang mit den Patienten ab, erklärt sie: Und da muss unbedingt ein Umdenken stattfinden.

Alzheimer ist ein unangenehmes, nerviges Thema. Wie Altern überhaupt. Müssen wir uns darüber unterhalten?
Lass es uns totschweigen und ewig jung bleiben! Nein, im Ernst: Ja, wir müssen reden, und zwar dringend. Statistisch gesehen sind wir hierzulande eine ganz schön lange Zeit in unserem Leben damit beschäftigt, alt zu sein. Wir sollten also schon eine Möglichkeit finden – fern von Anti-Aging-Produkten, bagatellisierender Verklärung und kopfloser Dramatik – über das Altern zu reden. Sofern wir überhaupt das Privileg haben, ein gewisses Alter zu erreichen, ist letztlich wenig so gerecht verteilt wie der zelluläre Verfall. Der trifft uns alle.

Die Alzheimer-Forscherin mit Lehrauftrag an der Uni Bozen Barbara Plagg

Und doch trifft der Verfall uns auf unterschiedliche Art und Weise. Bei vielen ist es nämlich Demenz, nicht selten in der Form von Alzheimer. Wie altern diese Menschen?
Altern an sich ist normal, eine Demenz hingegen stets ein pathologischer Prozess. Leider weiß man bei der Alzheimer-Demenz noch immer nicht, was das auslösende Agens ist, aber man kennt die charakteristischen Merkmale der Krankheit inzwischen recht gut: Bereits vor etwa 100 Jahren hat Alois Alzheimer die typischen Eiweißablagerungen im Gehirn beschrieben. Noch heute ist allerdings unklar, ob diese Ablagerungen nur ein begleitendes Epiphänomen oder ob sie ursächlich für die Krankheit sind. Symptomatisch steht bei Betroffenen meistens, aber nicht nur, der Gedächtnisschwund im Vordergrund – und der ist nach hinten aufgerollt: Was neulich passiert ist, vergisst man zuerst. Ganz zuletzt kommen die Kindheitserinnerungen, die in der Regel am besten verfestigt auf der Hirnrinde sitzen. Gedächtnisschwund bedeutet aber nicht nur das Verschwinden von biographischen Erinnerungen oder zu vergessen, wo man das Handy hingelegt hat: Das Gedächtnis zu verlieren bedeutet, dass ich meine Umwelt nicht mehr entschlüsseln kann, weil ich auf meine Erfahrungswerte nicht mehr zugreifen kann. Wenn ich nicht verstehe, was die Umwelt von mir will oder wie ich mich darin adäquat bewegen kann, dann weiß ich nicht, was ich vor einem Teller Suppe oder einer Straßenkreuzung zu tun habe.

Obwohl viele betroffen sind – allein in Südtirol leiden Schätzungen zufolge circa 12.000 Menschen an Demenz – ist die Unwissenheit groß. Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Demenz und Alzheimer?
Demenz ist ein Überbegriff für viele unterschiedliche Erkrankungen des Gehirns, die die kognitiven Funktionen beeinträchtigen. Eine bestimmte Form davon ist die Alzheimer-Demenz. Die wird in Mitteleuropa zwar am häufigsten diagnostiziert, es gibt allerdings Hinweise darauf, dass es sich meistens um eine Mischdemenz handelt.

„…dann weiß ich nicht mehr, was ich vor einem Teller Suppe oder einer Straßenkreuzung zu tun habe.”

Klingt danach, als ob die genaue Diagnose ein schwieriges Unterfangen sei?
Ja, die Diagnose ist schwierig. Im Grunde kann man immer nur von einem Alzheimer-Verdacht sprechen, 100-prozentige Gewissheit ist erst nach dem Tod eines Patienten möglich. Alzheimer-Symptome treten übrigens erst auf, wenn der Nervenzelluntergang schon fortgeschritten ist. Im Frühstadium ist die Krankheit zumindest auf Symptomebene nur sehr schwer erkennbar.

Welche sind erste Anzeichen?
Frühe Warnzeichen können sein, dass jemand seine Alltagsaufgaben nachlässiger bearbeitet, Probleme kaschiert, Herausforderungen meidet und verstimmt ist. Allerdings können solche Symptome bei sehr vielen unterschiedlichen Krankheiten auftreten und Demenzen sind niemals im Alleingang diagnostizierbar. Das ist ganz wichtig, wenn wir beispielsweise an Gunter Sachs’ Schicksal denken (Der Opel-Erbe hat nach Alzheimer-Verdacht Suizid begangen, die Diagnose stellte sich im Nachhinein aber als falsch heraus, Anm. d. Red.).

Kann man bereits in jungen Jahren feststellen, wer später anfälliger für Alzheimer ist? Und kann man dann überhaupt vorbeugen?
Einigen von uns wurde ein erhöhtes Krankheitsrisiko mit den Genen in die Wiege gelegt, einige fordern mit ihrem Lebensstil ihre Neuronen regelrecht heraus. Grundsätzlich kommt man auch mit ungesättigten Fettsäuren und Sonnengrüßen dem Verfall und Alzheimer nicht davon. Nach aktueller Studienlage können einige Lebensstilfaktoren den Erkrankungsbeginn aber nach hinten verschieben. Dabei ist insbesondere auf die klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren, auf Depressionen und oxidativen und chronischen Stress achtzugeben. Ich habe dazu eine Broschüre geschrieben (kostenlos bei der Uni Bozen erhältlich). Nach einem Vortrag sagte neulich eine Frau: „Also immer die gleiche Leier vom gesunden Leben.” Ja, genau, bis wir die Wunderpille erfunden haben, ist es immer die alte Leier: Wer gesund lebt, beugt nicht nur Kreislauferkrankungen vor, sondern tut auch seinem Hirn Gutes.

„Mithelfen und Unterstützen beginnt damit, dass wir darüber reden.”

Nun zur eigentlich großen Frage: Wie soll man mit Alzheimer-Patienten umgehen?
Wie man mit einem Menschen umgeht, hängt immer auch mit dem eigenen Glaubenssystem und der eigenen Befindlichkeit zusammen. Darum ist es schwierig, hier pauschal Rat zu geben. Ich empfehle immer zu „validieren“: Die Methode der Validation bedeutet, das Verhalten von Demenzpatienten für gültig zu akzeptieren. Es ist also OK, wenn ein Demenzpatient mit einem Schuh den Boden wischt oder seine Handtasche in der Mikrowelle aufbewahren möchte. Das erlaubt einen entlastenden und würdevollen Umgang, ohne den Betroffenen vor den Kopf zu stoßen, zumal man mit wiederholtem Zurechtweisen auch nichts erreicht – außer, dass man sehr schnell sehr müde und wütend wird. Natürlich ist es aber nicht immer möglich, sich auf eine Lebenswelt einzulassen, die praktisch diametral zu unseren gelernten und sozial erwünschten Normen steht. Wenn einen die eigene Mutter nicht mehr erkennt, ist es in vielen Situationen für den Betroffenen schwer möglich, das hinzunehmen. Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir als Gesellschaft, als Freunde, als Nachbarn, als Bekannte mithelfen und unterstützen – und das beginnt damit, dass wir darüber reden.

In Südtirol gibt es für Betroffene Anlaufstationen, Beratungszentren und ein Infrastruktursystem, das weiter ausgebaut wird. Sind wir auf einem guten Weg?
Wir sind auf dem Weg, aber der ist noch lang. Das beginnt damit, die Pflegebedürftigkeit von Demenzkranken richtig einzuschätzen, obwohl sie in der Regel eben nicht sichtbar ist und der Betroffene zum Beispiel auch noch gut zu Fuß ist – deswegen ist er/sie trotzdem ständig auf Hilfe angewiesen. Es ist außerdem sicherlich eine einseitige Strategie, nur in Unterbringungsstrukturen zu investieren – und das betrifft nicht nur Alzheimer-Patienten und ihre Angehörigen. Statt neue Heime zu bauen, sollte es uns darum gehen, eine sozialraumorientierte Lebenswelt zu schaffen, in der Erkrankte und ihre Familien ihren Platz haben dürfen. Ein Netz zu schaffen, das den Angehörigen bei der Pflege kräftiger unter die Arme greift, sie unterstützt und entlastet, damit so lange und so gut wie möglich zuhause gealtert werden darf. Letztlich wird das Alter (hoffentlich) auch uns nicht erspart bleiben, deshalb müssen wir uns fragen, wie eine Welt aussehen soll, in der wir selber gerne altern würden.

Danke für das Gespräch!

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