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Illustrations by Sarah
Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 16.07.2018
LeutePatric Corletto im Portrait

Das Einhorn

Die erste App programmierte er mit 18, heute arbeitet Patric Corletto für ein internationales Start-up. Doch am liebsten wäre er CEO einer Gaming-Firma.
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Patric Corletto: “Man muss etwas riskieren können.”

Manchmal hat man das Gefühl, er komme gerade aus einer anderen Welt und müsse sich hier – unter gewöhnlichen Menschen und gewöhnlichen Gesprächen – erstmal wieder zurechtfinden. Wenn man mit Patric Corletto spricht, spuckt der 23-Jährige zuweilen Wörter aus, die man sonst nur auf IT-Fachkongressen oder in Vorlesungen für höhere Betriebswirtschaft hört – nicht aber in der Münchner Bar, in der wir sitzen.

Die Namen der angesagtesten Studentenkneipen der Stadt sagen ihm nichts. Denn trotz seiner Immatrikulation an der Technischen Universität München hat Corletto zwei Jahre im Ausland verbracht: mehrere Monate als Programmierer in San Francisco und dann ein Jahr in Neuseeland. „Für die Klausuren bin ich kurz nach Europa geflogen und habe mich einige Tage zuhause eingesperrt, um lernen zu können“, erzählt Corletto mit einem Grinsen.

Patric Corletto in Kalifornien

Inzwischen ist er wieder zurück und beendet sein Studium in Garching, mit der U-Bahn eine halbe Stunde vom Zentrum Münchens entfernt. Auch wenn sein soziales Leben darunter leidet: in Wirklichkeit ist ihm die Distanz zu München recht. So gibt es wenigstens keine Ablenkungen. In Garching hat Corletto reichlich Zeit. Und diese Zeit braucht er gerade, jede einzelne Minute.

Zeit fürs Studium? Keineswegs. „Ich bin zwar gerade dabei, meine Bachelorarbeit abzuschließen“, sagt Corletto, „aber das geht nebenher.“ Das Informatikstudium ist längst zu einem „pro forma“-Studium verkommen. Denn eigentlich hat Corletto bereits das, wovon die meisten seiner Studienkollegen nur träumen können. Einen Vollzeit-Job als führender Programmierer in einem vielversprechenden Start-up mit Sitz in San Francisco.

„Properly“, so heißt die innovative App des Start-ups, sitzt direkt an der Quelle millionenschwerer Investorengelder und ganz nahe an Silicon Valley. Mit der App können Wohnungseigentümer und Immobilienmanager einfach und schnell mit sogenannten Service-Providern, zum Beispiel Putzfirmen, interagieren und ihnen Anweisungen geben. Das klingt erstmal abstrakt. Doch die App kann praktisch jedem nützen.

„Was machst du zum Beispiel, wenn du fürs Oktoberfest deine Wohnung auf Airbnb vermieten möchtest, aber selbst gerade nicht in München bist? Und es ist kein Kumpel da, der die Schlüsselübergabe und die Putzarbeiten für dich übernehmen kann?“, fragt Corletto.

„Unser großes Ziel“, fährt Corletto fort, „ist es, einen Marktplatz von Service-Providern zu schaffen, die man über die App Properly kontaktieren und denen man vorgefertigte Anweisungen schicken kann.“ Die Erwartungen sind auf allen Seiten groß: bei Corletto selbst, der die App entwickelt, bei den Investoren und selbst bei Airbnb, der bereits ein Partner von Properly ist. Ein gesamter Dienstleistungssektor – die Vermietung von Privatwohnungen – könnte dadurch automatisiert werden.

„Von Anfang an war es unser Ziel, ein Unicorn zu werden –“

„Ein Uni- was?“, muss ich mal wieder nachhaken.

„Ein Unicorn“, schmunzelt Corletto. „Ein Einhorn, sozusagen“.

Unicorn, das ist Silicon Valley-Slang. Darunter versteht man ein Start-up mit einer Marktbewertung von über einer Milliarde Dollar.

„Eine App zu programmieren und zugleich noch die Matura machen, war doch schwieriger als gedacht.“

Als Corletto anfing zu programmieren, war er noch weit vom Unicorn-Ziel entfernt. Mit 12 oder 13 begann er, mit der Software Game Maker einfachste Computerspiele zu entwickeln. Daneben hat er bis heute noch andere Hobbies. In seiner Freizeit liest er viel, sein Lieblingsbuch: „Siddharta“ von Hermann Hesse. Auch mit neuen Sprachen kann er gut, zurzeit versucht er sich an Japanisch. Und sportlich ist er, so oft er kann, mit Rad, Snowboard und einem Paar Boxhandschuhen unterwegs. Dennoch war seit jenen ersten Erfahrungen für ihn klar: die Programmiersprache beherrscht er am besten, das ist seine Zukunft.

Seine erste App entwickelte er, als er noch zur Schule ging. Für Südstern, ein Netzwerk für Südtiroler im Ausland. „Ich dachte mir, das schaffe ich locker“, sagt Corletto mit einem schelmischen Lächeln. Sein Bier hat er vor lauter Erzählen noch kaum angerührt. „Aber eine App zu programmieren und zugleich die Matura machen, war doch schwieriger als gedacht.“ Aus dem Konzept brachte ihn das nicht. Die Endnote hatte etwas gelitten, aber die App war ein Erfolg.

Als Programmierer der Südstern-App durfte Corletto die offiziellen Aufnahmekriterien umgehen und wurde so der wahrscheinlich jüngste Südstern Südtirols. Vor etwa drei Jahren wurde dann ein anderer „Südstern“ auf ihn aufmerksam: Alex Nigg, seines Zeichens Unternehmer und Venture Capitalist – jemand, der das Geld von Investoren in potentiell profitable Start-ups investiert. Er hatte die brillante Idee, die hinter Properly steckt. Um sie umzusetzen, holte er zwei junge Südtiroler Talente nach San Francisco: Stefan Raffeiner, den Entwickler des beliebten Online-Klassenregisters, und Patric Corletto.

Trailer des Indie-Games ATONE

Aber das ist nur die eine Geschichte. Patric Corletto hatte direkt nach unserem Treffen noch eine Skype-Konferenz mit seinen Kollegen Ben und Sid, die in Neuseeland sitzen. Irgendwann gegen 3 Uhr morgens konnte er endlich schlafen gehen. Oft arbeitet Corletto mehr als 80 Stunden in der Woche, durchschnittlich an die zwölf Stunden am Tag, ohne Ferien. Denn in Neuseeland, wo er vor einem Jahr für Properly gearbeitet hatte, war noch etwas anderes, etwas Großes entstanden. Mit seinen Kollegen Ben und Sid hat er ein eigenes Projekt ins Leben gerufen: ATONE. Ein Indie-Game, in dem eine germanische Königstochter die Erde vor dunklen Mächten retten soll.

Protagonistin Estra aus ATONE

Dieses Game ist Corlettos große Ambition. „Stell dir vor, du willst einen Roman schreiben“, sagt er und lächelt wissend. „Dann wäre das Artikelschreiben nur noch eine Tätigkeit, die es dir erlaubt, Geld zu verdienen, indem du etwas machst, was du gut kannst. Aber das wirkliche Ziel, die echte Selbsterfüllung, läge in dem großen Roman. Genau dasselbe bedeutet für mich dieses Spiel, während ich weiterhin Apps entwickle.“

Wie in der Literatur ist es aber auch im Gaming-Business extrem schwierig, so erfolgreich zu sein, dass man von seiner Kunst leben kann. Wenn es schlecht läuft, und das ist der Regelfall, arbeitet man jahrelang für wenige hundert Euro Ertrag. Läuft es aber gut, kann man durchaus Millionen machen. ATONE legte schon mal einen guten Start hin. In nur eineinhalb Monaten sammelte der Trailer zum Spiel fast 15.000 Views. Das ist fürs Erste ein klarer Anreiz für Patric Corletto, weiterzumachen und das Spiel fertigzustellen.

Bis es so weit ist, bleibt dem jungen Programmierer nur wenig Zeit fürs Bücherlesen und das Erlernen neuer Sprachen. „Das ist das Thema, das mich neben meinem Beruf am meisten beschäftigt“, sagt er nachdenklich und findet endlich wieder die Ruhe, an seinem unberührten Bier zu nippen: „Bin ich nicht gerade dabei, etwas zu verpassen?“ Sobald seine Projekte beendet sind, stellt sich Corletto eine längere Auszeit in einem Shaolin-Kloster vor. Mindestens sechs Monate müssen das sein.

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