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„Ich hatte die Kunst in mir“, sagt Irma Hölzl, als wir durch die Räume des obersten Stockwerks im Palais Mamming gehen. Sie legt sich ein Tuch über die leuchtend gelbe Sommerjacke, darunter blitzt eine dicke, grüne Kette hervor. Mit Freude und Stolz begleitet sie mich von einem Raum zum anderen. Die meisten Ausstellungsstücke stehen für den vierten Teil der Ausstellungsreihe Mamming Now schon bereit. Ton, Keramik, Bronze – die bevorzugten Materialien der inzwischen 82-jährigen Bildhauerin treten hier in einen Dialog mit den Kunstwerken ihres Neffen Daniel Costa, der sich überwiegend dem Textilen verschrieben hat. Er kommt dazu, als wir mit dem Interview beginnen. „Das Aufeinandertreffen unserer Arbeiten gleicht einem Duett – sie sind komplett anders, doch vielleicht passen sie deshalb so gut zusammen“, meint Costa, der seine eigenen Werke als grob und archaisch bezeichnet, jene seiner Tante hingegen als elegant. Es folgt ein heiteres und herzliches Gespräch über Gefühl, Intuition und die Schönheit der Berührung.
Daniel, alles begann mit einem Stück Ton, den dir deine Tante in die Hand gedrückt hat …
Daniel Costa (richtet sich an Irma Hölzl): Ja, an diesen Ton kann ich mich erinnern, da war ich etwa vier Jahre alt. Ton hat bei dir immer eine große Rolle gespielt. Mit zehn oder elf habe ich dann den ersten Sommer bei dir in Meran verbracht. Jeden Sommer haben wir eine Skulptur zusammen gemacht. Damals habe ich von dir an Weihnachten auch meine erste Leinwand und Farben bekommen.
Warum interessierst du dich vorwiegend für Textilien?
C: Ich habe nie gedacht, dass sie ein Berufszweig sein könnten, aber dann hatten wir auf der Design Academy Eindhoven die Möglichkeit, uns ein halbes Jahr auf Textilien zu spezialisieren und wir haben einen Einblick in die vielen Textilunternehmen bekommen. Damals hat sich eine ganze Welt vor mir aufgetan. Stoff ist etwas Weiches, Dekoratives. Und es hat einfach etwas Faszinierendes, wenn man von einer losen Faser zu einem Textil kommt. Dieses Wärmende, Schützende hat etwas Urmenschliches. Textil kann ganz weich oder ganz kratzig sein. Diese Vielfalt mag ich sehr – nicht nur was Muster anbelangt, sondern eben auch in Bezug auf Struktur und Taktilität. Ein unterschätztes Material.
Wissen Sie: Wenn man als Künstler:in die Kunst nicht leben kann, wird man krank.
Irma HölzlFrau Hölzl, Sie waren Autodidaktin. Wie hat das künstlerische Schaffen bei Ihnen begonnen?
Irma Hölzl: Ich bin in den 1970er-Jahren von Brixen nach Meran gezogen und habe hier zunächst im Geschäft meines Mannes mitgeholfen, aber das hat mich nicht ausgefüllt. Ich habe gespürt, dass ich etwas Künstlerisches machen muss. Also habe ich einen Kurs besucht – ich wusste, ich muss etwas mit Ton machen. Dort habe ich ein abstraktes Kreuz gemacht und das ist so schön geworden … Ich hatte sofort dieses Gespür für den Ton und der Wunsch wuchs, mich immer mehr damit zu beschäftigen. Ich habe mich in mehrere Kurse eingeschrieben und bin dann so richtig aufgeblüht. Es ist mir viel besser gegangen – auch körperlich. Wissen Sie: Wenn man als Künstler:in die Kunst nicht leben kann, wird man krank. Auch wenn ich vor einer Leinwand stehe, dann überlege ich: Welche Farbe brauche ich heute? Und dann kommt es von innen heraus. Es wächst einfach.
C: In der Kunst als Autodidakt:in bezeichnet zu werden und die Fähigkeit, den eigenen Weg zu gehen, ist heutzutage ein Kompliment. Vieles ist so institutionell und vorgefertigt.
Wie ist es für Sie zu sehen, dass Daniel ebenfalls den Weg des Künstlers eingeschlagen hat?
H: Freude, nur Freude. Ich bin so glücklich und da ist so eine starke Bindung zwischen uns beiden. C: Ja, wir haben auch immer sehr viel Gesprächsstoff.
Gibt es in der Familie noch weitere künstlerisch Ambitionierte?
C: Nein, wir sind die Outsider. (beide lachen) Also, was die Kunst betrifft, sind wir schon beide die absoluten Exoten, oder?
H: Ja. (lacht)
Ich war lange Zeit extrem verkopft.
Daniel CostaWie ist es für Sie, Daniel Ihre Kunstwerke zu überlassen? Hat er nun – wie man so schön sagt – absolute Narrenfreiheit, damit zu tun, was er will?
H: Ich weiß, dass meine Sachen in guten Händen sind und sie durch Daniel weiterleben. Ich wünsche Daniel so viel Glück, wie ich es hatte. Ich konnte vielen Menschen Freude bereiten – und das ist etwas Schönes. Und das wünsche ich Daniel auch.
C: Danke, Irma.
Obwohl Irma Hölzl und Daniel Costa die Kunst bereits ihr Leben lang miteinander verbindet, ist Mamming Now die erste gemeinsame Ausstellung. Noch nie sind ihre Arbeiten gemeinsam in einem Ausstellungsraum gewesen und zueinander in einen Kontext gestellt worden, erzählen die Beiden und verraten auch, dass sie bereits mit dem Gedanken spielen, eine zweite gemeinsame Ausstellung zu realisieren. Tante und Neffe freuen sich über den neuen künstlerischen Dialog im Rahmen des Museums.
Erst durch die unterschiedlichen Aspekte könne man einen guten Dialog haben, so der 36-jährige Costa: „Es ist aber diese Mischung aus Anderssein und doch Berührungspunkte miteinander zu haben.“ „Unsere Werke singen miteinander“, ergänzt Irma Hölzl und lacht. Und Daniel Costa lacht mit. So viel Herzlichkeit zwischen den beiden. So ein natürliches Fließen.
Hast du auch eine so intuitive Herangehensweise wie deine Tante?
C: Dieses Intuitive und dieses Gefühl schätze ich sehr an Irmas Werke. Ich musste das tatsächlich erst lernen, das gibt einem keine Schule mit. Dabei lebt die Kunst ja vom Gefühl. Ich war lange Zeit extrem verkopft. Ausbildungen sehe ich an diesem Punkt als sehr gefährlich, weil man ständig die Stimmen der Lehrer:innen und der kunsthistorischen Referenzen im Kopf hat. Man hat zwar die Authentizität in sich, aber ich denke, manche brauchen einfach länger, das freizuschaufeln.
Oft wird den Künstler:innen etwas in die Schuhe geschoben, was man mit den Werken ausdrücken will, aber das ist meistens Blödsinn, weil kreative Prozesse komplex sind.
Und wie ist dir das gelungen?
C: Durch ständiges Arbeiten. Klar macht man dann mal Sachen, die nicht gut sind. Und es dauert, bis man herausfindet, wie man ein Gefühl in eine Form bringt. Das passiert nicht über den Kopf. Oft wird den Künstler:innen etwas in die Schuhe geschoben, was man mit den Werken ausdrücken will, aber das ist meistens Blödsinn, weil kreative Prozesse komplex sind. Ein Werk kann ein Bouquet an verschiedenen Emotionen sein. Ich habe mich durch die Arbeit immer mehr kennengelernt.
Welche Rolle spielen diese Emotionen dann beim Schaffen?
C: Vieles wird oft nicht so, wie man es sich vorgestellt hat. Gerade bei Ton und Keramik weiß man ja nie, wie es nach dem Brennen aussieht. Ich habe dieses eine Werk, eine zusammengefallene Krone, die ist ein gutes Beispiel dafür. Sie ist beim Brennen zusammengesackt und nur noch ein Fragment, aber sie hat für mich immer noch diese Kraft, die ich hineingegeben habe und ich weiß für mich, dass das Werk gut ist. Man muss fähig sein, den kreativen Prozess zu gehen – auch wenn das Werk kollabiert.
H: So ist es auch bei der Malerei. Ich bin eine spontane Malerin und wenn ein Bild gut ist, entsteht es schnell. Das ist so eine Gefühlssache. Die Wahl der Farben. Die Bewegung. Ich könnte dabei auch die Augen schließen, weil es ja von innen rauskommt.
C: Genau, man muss schon in der richtigen Stimmung und Verfassung sein. Ton ist für mich ein toller Schritt in dieser Entwicklung, weil man mit Ton arbeiten kann, ohne zu denken. Entweder es funktioniert oder es funktioniert nicht.
H: Da sind nur noch die Gefühle im Spiel.
Ästhetische Referenzen sind für mich keine gültigen Parameter.
Daniel CostaLassen sich Ästhetik und Gefühl immer vereinbaren?
C: Das ästhetische Gefallen ist schwierig, das hat für mich keine Referenz. Weil was mir heute gefällt, kann mir morgen oder in zehn Jahren nicht mehr gefallen. Deshalb habe ich für mich entdeckt, dass die Intensität und Tiefe des Prozesses wichtiger sind. Dann muss ich meinen Frieden mit dem Werk finden – auch visuell. Trotzdem spielt das natürlich eine Rolle, aber ich stelle es für mich zurück. Ästhetische Referenzen sind für mich keine gültigen Parameter.
Schwingt im Hinterkopf doch irgendwo der Gedanke mit, dass es anderen aber gefallen muss? Damit du erfolgreich bist, zu Ausstellungen usw. kommst?
C: Nein. Ich mache was, weil ich mir denke, dass es den Leuten gefallen könnte – und dann gefällt es den Leuten doch nicht? Dann fühlt man sich erst richtig leer.
Der Ausstellungstitel TAKTIL verweist auf das haptische Erleben. Wie wichtig ist das Berühren, das Formen mit den Händen im kreativen Prozess?
C: Das Taktile ist ausschlaggebend für die Lebendigkeit einer Oberfläche. Und mich interessiert die Haptik. Mit Keramik kann ich nicht das ausdrücken, was ich mit Fasern ausdrücken kann. Deshalb ist diese Neugierde da nach immer neuen Materialien und Techniken, um im Ausdruck präziser zu werden.
Der Teppich beispielsweise ist das stärkste Textil, bei dem ich mehr und mehr experimentiert habe. Die Strukturen wurden immer dreidimensionaler und größer, es sind lange zottelige Fäden reingekommen, Holz- und Keramikteile. Das Angreifen ist etwas unglaublich Tolles und absolut wichtig.
Wenn wir ein bisschen weitergehen und philosophieren: Was bedeutet euch Berührung sonst noch?
H: Einen lieben Menschen zu berühren, das ist für mich ein großes Verlangen.
C: Wenn man etwas nur sieht, ist es nur Imagination. Wenn man aber in Berührung kommt, checkt man es ab. Auch in menschlichen und intimen Begegnungen. Ich finde, meine Arbeiten haben auch etwas sehr Intimes. Man berührt erst, wenn man Lust darauf hat – sowohl menschlich als auch inhaltlich.
Irma Hölzls Arbeiten: kraftvoll, anmutig, verdichtet. Daniel Costas Werke hingegen wirken spielerisch, offen und rau. Die beiden Kunstschaffenden begegnen sich sowohl in ihrer Unterschiedlichkeit als auch in ihren Gemeinsamkeiten: der intuitiven Herangehensweise. Der Liebe zum Prozess. Zum Material. Und auf ihre liebevolle und respektvolle Art, um miteinander zu kommunizieren.
Dieses Interview wurde von unserer Redakteurin Sarah Meraner im Rahmen ihrer literarischen Begleitung der von Ursula Schnitzer kuratierten Ausstellungsreihe „Mamming now: gestern – heute – morgen“ geführt.
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