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Julia Tappeiner
Veröffentlicht
am 17.12.2020
LeuteInterview mit Daniel Felderer

„Es gibt kein Argument gegen vegan“

Veröffentlicht
am 17.12.2020
Daniel Felderer ist Fitnesstrainer, Aktivist für Tierrechte und hat einen eigenen Podcast. Wie der Mensch mit fühlenden Mitlebewesen umgeht, findet er inakzeptabel.
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Es begann mit einem 17-minütigen Video. Darin spricht der 22-jährige Daniel Felderer aus Prad über Veganismus und Tierwohl. „Wenn ich damit zwei bis drei Leute erreiche und sie zum Nachdenken anrege“, so dachte er, „bin ich sehr zufrieden.“ Mit der Aufmerksamkeit, das sein Video erregte, hätte er nicht gerechnet: 10.000 Views und 150 Nachrichten später entscheidet der Fitnesstrainer und Videograph, das Thema in seinem eigenen Podcast „Af Dialekt“ zu vertiefen. Heute dreht er Videos für Tieraktivisten, darunter Joey Carbstrong. Carbstrong erreicht mit solchen Videos mehrere Millionen Menschen, darunter die US-amerikanische Sängerin Billie Eilish, die ebenfalls vegan lebt. Um der Südtiroler Gesellschaft das Thema näher zu bringen, plant Felderer weitere Projekte, von denen er noch nicht zu viel verraten will. Er fängt aber schon mal mit einem Interview für BARFUSS an.

Wie bist du auf das Thema Veganismus aufmerksam geworden und seit wann lebst du vegan?
Vor fünf Jahren war ich mit Freunden in einem All-you-can-eat-Restaurant in Meran, damals aß ich noch alles. Als ich auf dem Buffet diese Berge an Fleisch und Fisch sah, wurde mir erstmals bewusst, dass es sich hier um Lebewesen handelt, die von irgendwo herkommen müssen. Da kam mir in den Sinn: Irgendwas läuft hier falsch. Nach diesem Erlebnis wurde ich zunächst Vegetarier. Vor zwei Jahren ging ich nach Australien, wo ich auf einer Veranstaltung von Tieraktivisten („Anonymous for the Voiceless“) zum ersten Mal mit dem Thema Veganismus konfrontiert wurde. Dort wurden Videos von Schlachthöfen, Tierfarmen und Tierindustrie gezeigt. Mit einer Aktivistin, der ich erzählte, ich sei Vegetarier, hatte ich eine Stunde lang ein Gespräch – das inspirierendste meines Lebens. Dieser Tag war für mich wie eine Neugeburt, denn ich hatte das Gefühl, etwas Essenzielles eingesehen zu haben: Jahrelang habe ich nach einem Muster gelebt, einfach nur, weil ich es so gewohnt war. Und dafür mussten Unmengen an Tieren leiden und sterben. Dieses Muster abzuwerfen war eine unglaubliche Befreiung. Seitdem lebe ich vegan, das heißt: Ich ernähre mich nicht nur rein pflanzlich, sondern kaufe auch keine Lederprodukte, gehe nicht in den Zoo oder Zirkus und lehne alle Produkte mit Tierversuchen ab.

Dir geht es also weniger um ökologische oder gesundheitliche Aspekte des Veganismus, sondern vor allem um das Tierleid. Warum?
Ganz genau. Es ist extrem wichtig, dass man sich in die Rolle des Opfers begibt. Es ist leicht zu argumentieren, der Mensch sei schon immer Fleischfresser gewesen, es gehöre zur Tradition usw. Aber wenn man sich in die Position des Tieres begibt und nachvollzieht, was es alles durchmachen muss, während es für uns eine ziemlich einfache Entscheidung ist, auf alternative pflanzliche Produkte umzusteigen, gibt es keine Argumente mehr für einen nicht-veganen Lebensstil. Niemand auf der Welt wird rücksichtsloser ausgebeutet als Tiere: 74 Milliarden Landtiere pro Jahr existieren nur für den menschlichen Konsum, das sind 10 Mal mehr Nutztiere als die Erde Einwohner hat. Aufgerechnet auf 5 oder 10 Jahren ergibt das unglaubliche Mengen an geschlachteten und misshandelten Tieren. Fische sind hier noch gar nicht mitgezählt.

„Als Veganer vorzichtet mon af nix, mon entscheidet sich aktiv dorzua, des nimmer zu unterstützen, dass Tiere ausgebeutet und ermordet werden“ – ein Zitat aus deinem Podcast “Af Dialekt”. Dennoch stehen viele Menschen einem veganen Leben skeptisch gegenüber, weil sie finden, auf zu viel „verzichten“ zu müssen. Was entgegnest du diesen Bedenken?
Zunächst würde ich entgegnen: Was wiegt mehr – ein vorübergehender Genuss für deine Geschmacksknospen oder die komplette Existenz eines Tieres? Man muss sich bewusst machen, warum jemand vegan lebt. Und wenn man die Motivation dahinter wirklich versteht und sich mit dem Opfer, also dem Tier, verbindet, dann redet man auch nicht mehr von „Verzicht“. Ich sage ja auch nicht: „Ich verzichte auf Rassismus“ oder “Ich verzichte darauf, meine Frau zu schlagen.“ Zu diesem Thema würde ich übrigens jedem die Dokumentation “Dominion” empfehlen.

Wir töten den Fisch, um das Algenöl aus seinem Körper zu bekommen, das wir eigentlich direkt von der Pflanze kriegen könnten.

Es gibt also nichts, was du an deinem alten Allesfresser-Dasein vermisst?
Absolut nichts. Wenn ich daran denke, dann wird mir eher schlecht. Es ist einfach so, dass man mit der Zeit einen gewissen Ekel dagegen entwickelt. Und man nimmt den Geruch von Tierprodukten auch ganz anders wahr. Man sieht ein Tier nicht mehr als Produkt, sondern als das, was es ist: ein fühlendes Individuum.

Eine häufige Kritik gegen rein pflanzliche Ernährung lautet: Man kriegt nicht alle Nährstoffe, die Diät ist somit ungesund. Fake News?
Interessanterweise kommen solche Argumente meist von Menschen, die sich überhaupt nicht mit Ernährung beschäftigen. Wenn man der Wissenschaft folgt, weiß man: Eine vegane Ernährung kann alle Nährstoffe abdecken. Außer B12. Aber dieser Stoff befindet sich nicht im Fleisch, sondern in Erde, Wurzeln und ungewaschenem Gemüse und wird durch das Tier beim Essen aufgenommen. Wir essen sozusagen den „Mittelmenschen“. Heute jedoch wird B12 den Tieren als Ergänzungsmittel ins Futter gemischt, weil es natürlich kaum mehr vorkommt, da wir alles so stark waschen und anders produzieren als früher. Ein Veganer nimmt das Ergänzungsmittel halt direkt ein, anstatt über das Tier. Dasselbe gilt für Omega 3: Leute denken, sie bräuchten Fisch dafür. Aber woher kriegt der Fisch diesen Stoff? Über Algen. Das heißt, wir gehen her und töten den Fisch, um das Algenöl aus seinem Körper zu bekommen, das wir eigentlich direkt von der Pflanze kriegen könnten, wo der Fisch es ursprünglich her hatte. Ich persönlich nehme Omega 3 durch Algentabletten zu mir, weil es einfacher ist. Man kann aber genug davon auch natürlich bekommen, durch Samen, Nüsse und bestimmte Öle.

Besonders Männer, die viel Sport betreiben, denken oft, sie bräuchten Fleisch und Eier, um an ihre Proteine zu kommen. Als Fitnesstrainer bist du sehr muskulös und sportlich: Fitness, „Männlichkeit“ und veganer Lebensstil schließen sich also nicht aus?
Ich bin überzeugt, dass man durch eine rein pflanzliche Ernährung sogar besser Muskeln aufbauen kann. Die Regeneration ist besser, man fühlt sich fitter. Pflanzliche Lebensmittel enthalten teilweise sogar mehr Proteine als tierische Lebensmittel. Und wie gesagt, die Tiere erhalten ihr Protein auch nur über Pflanzen. Also warum essen wir die Pflanze nicht direkt, ohne dafür Opfer zu bringen? Zum Thema Männlichkeit: Was ist bitte männlich daran, sich selbst nicht kritisch zu hinterfragen und stattdessen blind der Masse nachzurennen? Was ist männlich daran, andere zu bezahlen, damit sie Tiere ausbeuten, misshandeln und aufs Brutalste schlachten?

Was ist männlich daran, andere zu bezahlen, damit sie Tiere ausbeuten, misshandeln und aufs Brutalste schlachten?

Veganismus wirkt sich auf das soziale Leben aus: Mit Freunden ins Restaurant zu gehen muss dann geplant werden oder ganz ausfallen, falls das Menü keine veganen Alternativen bietet. Wie erlebst du das?
Meine Freunde wissen, dass ich bei Grillfeiern nicht vorbei komme und so tue, als wäre alles okay, während vor uns abgehackte Körperteile liegen. Aber man geht ja nicht jeden Tag ins Restaurant, und wenn, dann ist es für die Freunde sicher kein Problem, sich mal auf etwas Neues einzulassen. Das ist eine Frage des Respekts, finde ich. Und mein Umfeld ist sowieso sehr offen in dieser Hinsicht. Mein bester Kumpel ist jetzt vegetarisch geworden, meine Mama lebt mittlerweile auch vegan.

In Orten wie Berlin oder London gibt es vegane Alternativen zuhauf. Doch wie einfach ist es, in Südtirol, dem Land des Specks, vegan zu leben?
Südtirol ist extrem am Wachsen, was Veganismus angeht. Natürlich ist es nicht dasselbe. In London etwa gibt es einen veganen Metzger. Aber das braucht es eigentlich nicht unbedingt. Im Naturalia in Meran gibt es zum Beispiel eine Riesenauswahl für Veganer. Ich glaube, jeder Ort hat einen Bioladen mit gutem Tofu. Auch in Naturns gibt es das vegane Hotel La Vimea. Ein neues Ersatzprodukt, das Fleisch am Nächsten kommt, ist zum Beispiel das “Beyond Meat”, das gibt es mittlerweile auch in Südtirol, im Fantasy in Schlanders habe ich es mal gesehen oder im Pims in Bozen. Auch das Bewusstsein beginnt sich in der Südtiroler Gesellschaft zu wandeln. Ich habe etwa von Leuten gehört, die von einer Tierlandwirtschaft komplett auf pflanzliche Landwirtschaft umgestiegen sind. All das ist möglich.

Das klingt wirtschaftlich aber nicht so leicht umsetzbar, wenn man bedenkt, dass in Südtirol teilweise die ganze Existenz einer Familie vom bäuerlichen Viehzuchtbetrieb abhängt?
Kein Veganer sagt: Wir müssen von heute auf morgen alle vegan leben. Das ist ein Prozess, der über Jahre gehen wird. Das Ziel muss sein, dass jene Leute, die beruflich in der Tierzucht involviert sind, umgeleitet werden von den Konsumenten und der Wirtschaft. Wenn Leute ins Geschäft gehen und sagen, ich will kein Fleisch mehr kaufen, sondern pflanzliche Produkte, dann geht der Absatzmarkt für Fleischproduktion runter und pflanzliche Alternativen werden rentabler. Solche Beispiele gibt es einige: Ich war erst vor kurzem auf einer ehemaligen Milchfarm in England, die jetzt zu 100 Prozent auf die Produktion von Hafermilch umgestiegen ist. Der Konsument spielt hier eine enorme Rolle, denn das Angebot passt sich an die Nachfrage an. Ich bin sicher, dass viele Bauern ihre Familienbetriebe gleich weiterführen, aus emotionalen Gründen oder einfach wegen der Tradition und weil sie nichts anderes kennen. Gerade deswegen sollte man Alternativen aufzeigen.

Mehr Menschen legen heutzutage Wert darauf, wo ihr Essen herkommt, und entscheiden sich für eine vegetarische Ernährung oder konsumieren bewusst weniger Fleisch – und wenn, dann nur das Freilandrind beim Bauern des Vertrauens. Von diesen Mittelwegen hältst du aber nichts?
Das ist ein heikles Thema. Ich unterscheide aber zwischen Menschen, die bewusst sind, und solchen, die nicht bewusst sind. Das heißt, viele Menschen sind sich gar nicht bewusst, dass sie mit ihrem Geld zur Misshandlung und Schlachtung von Tieren beitragen. Hier ist es wichtig, mit den Leuten zu reden, sie aufzuklären. Wenn man sich dann anfängt bewusst zu werden, ist es sicher ein erster Schritt, Produkte tierischen Ursprungs zu streichen. Doch das Endziel muss Veganismus sein. Wer weiterhin Tierprodukte isst, obwohl er sich bewusst ist über seine Rolle im System, den sehe ich als direkten Tiermissbraucher. Stell dir vor, ich stelle dich vor die Entscheidung: Entweder ich quäle dich und bringe dich dann um oder ich bringe dich während eines glücklichen Lebens spontan um oder ich bringe dich gar nicht um. Natürlich ist die Massenhaltung schlimmer, als eine glückliche Almkuh, aber die Kuh wird immer noch gegen ihren Willen aus dem Leben gerissen. Wir vergessen oft, dass wir eine dritte Option haben. Es ist viel einfacher für uns, vegan zu leben, als in der Position von einem Tier zu stecken.

Veganes Rezept zum Nachmachen von Daniel Felderer

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