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Der Ton macht die Musik – auch im Internet. Doch gerade der scheint immer rauer, respektloser und gewalttätiger zu werden, vor allem in gesellschaftspolitischen Diskursen. Auch Einzelpersonen – seien es Personen des öffentlichen Lebens wie auch normale User:innen werden in den Kommentarspalten auf Social Media immer wieder zur Zielscheibe für Hassrede (engl.: Hate Speech) im Netz. Der Begriff bezeichnet abwertende, beleidigende, diskriminierende oder bedrohliche Aussagen, die sich gegen Einzelpersonen oder Gruppen richten. Grundlage dieser Äußerungen sind meist Merkmale wie Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexuelle Orientierung, ethnische Zugehörigkeit oder andere Identitätsmerkmale. Das Ziel von Hate Speech: Hass zu verbreiten, Menschen herabzuwürdigen, auszugrenzen oder einzuschüchtern.
Thomas Schnitzer, Rechtsanwalt für Zivilrecht und Strafrecht in Meran, ist auf Internetrecht spezialisiert. Seit Jahren beschäftigt er sich mit Hassrede im Netz und stellt zum Glück auch fest: Hate Speech wird vermehrt thematisiert – und immer mehr Opfer wehren sich.
BARFUSS: Herr Schnitzer, Meinungsfreiheit und Hate Speech: Wo verläuft die Grenze?
Thomas Schnitzer: Artikel 21 der italienischen Verfassung garantiert freie Meinungsäußerung. Diese umfasst auch das Recht, Meinungen zu äußern, die von anderen abgelehnt oder als unangenehm empfunden werden. Allerdings ist diese Meinungsfreiheit nicht uneingeschränkt, sondern findet ihre Grenzen in den allgemeinen Gesetzen oder beispielsweise dem Schutz der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre. Schon der Ton in einem Kommentar kann beleidigend sein – leider kommen oft aber auch konkrete Bedrohungen und Beleidigungen vor. Dass jemand die Würde einer Person (dignità personale) verletzt oder ihr mit Drohungen Angst einjagt, darf nicht sein. Das steht unter Strafe und wird von den Strafverfolgungsbehörden geahndet.
Welche Formen von Hate Speech sind besonders häufig?
Aktuell steigen insbesondere bei Jugendlichen die Fälle von Body Shaming, also die abwertenden Äußerungen über das Aussehen von Anderen wie zum Beispiel die roten Haare der Mitschülerin, aber natürlich auch allgemein das Cybermobbing bzw. Cyberbullying (das gezielte Belästigen, Beleidigen, Bedrohen oder Bloßstellen von Personen über digitale Medien) und Revenge Porns, also Rachepornos, die oft im Stalking oder Erpressung münden und im Zusammenhang mit Hate Speech erwähnt werden können.
Wie ist Hate Speech im italienischen Strafrecht geregelt? Welche Paragrafen oder Gesetze greifen hier?
Im Rahmen einer Hassrede werden normalerweise die Verbrechen der Bedrohung (Art. 612), der Belästigung (Art. 660) oder der Rufschädigung (Art. 595) des Strafgesetzbuches begangen. Es gibt auch Fälle, in denen spezielle Schutznormen verletzt werden, wie zum Beispiel bei der Diskriminierung von Randgruppen (Art. 604 bis Strafgesetzbuch oder das Mancino Gesetz zum Schutz vor Rassenhass).
Diese Bestimmungen gelten natürlich auch in Südtirol. Es gibt bei uns Behörden wie beispielsweise den Landesbeirat für Kommunikation, die sich für den Schutz der freien Meinungsäußerung aktiv und wertvoll einsetzen und eigene Kampagnen gegen Hass im Netz führen.
Je mehr Leute sich gegen Hassrede wehren, desto besser bekommt man das Problem in den Griff.
Welche rechtlichen Schritte können Betroffene in Südtirol konkret einleiten, wenn sie online angegriffen werden?
Wenn eine Person Opfer eines Verbrechens wird, dann sollte sie Strafanzeige stellen – entweder über eine Polizeidienststelle oder über einen Rechtsanwalt mit Erfahrung im Bereich des Strafrechts und Zivilrechts. Der Anwalt sichert die Beweise, die dann im Strafverfahren vorgelegt werden können. Wird professionell vorgegangen, wird die Täterperson bestraft und das Opfer bekommt einen Schadenersatz.
Wagen es Betroffene denn, diesen Weg zu gehen? Und wie stehen die Chancen, einen solchen Prozess zu gewinnen?
Die Opfer schämen sich häufig und wollen nicht weiter aktiv werden, auch aufgrund des so genannten „Victim Blaming“ (Täte:rin-Opfer-Umkehr, die Schuld wird dem Opfer zugeschoben anstatt dem/r tatsächlichen Täter:in). Gerade Minderjährige, die nicht selbst handlungsberechtigt sind, wollen die Eltern oft nicht mit einbeziehen. Je mehr Leute sich aber gegen Hassrede wehren, desto besser bekommt man das Problem in den Griff. Wenn Hassrede offensichtlich gegeben ist, ist das, wie man so schön sagt „a gmahnte Wies“ – also die Chance, einen solchen Prozess zu gewinnen, ist dann hoch. Nicht in jedem Fall sind die Grenzen aber ganz klar.
Wie sehen die einzelnen Schritte aus und wie lange dauert so ein Verfahren normalerweise?
In der Regel wird eine Anzeige gemacht. Im Rahmen dieser Anzeige kann man eine Einigung finden, ohne vors Gericht zu gehen. Oft fordert die Täterperson eine Gegendarstellung oder es kommt zu einer Entschuldigung samt Schadensersatzzahlung – dann ist die Sache nach ein paar Monaten gegessen. Wenn es übers Gericht geht, dauert das Ganze an die zwei Jahre.
Kommt es zu einem persönlichen Aufeinandertreffen der beiden Parteien, die zunächst ja nur über das Internet Kontakt hatten?
Wenn eine Strafanzeige raus ist, bekommt der Täter oder die Täterin einen Prozess. Als geschädigte Person kann man sich am Prozess beteiligen, dem Prozess beiwohnen oder sich als Zivilpartei als Nebenkläger:in auf das Verfahren einlassen. Wenn die geschädigte Person den direkten Kontakt haben möchte, dann wird er ihr ermöglicht. Ich habe in diesen Fällen schon verschiedenste Szenarien erlebt: dass die Beleidigungen weitergegangen sind, teilweise wurde darüber gelacht und gesagt: „Ich mach das nie wieder.“
Welche Personengruppen sind Ihrer Erfahrung nach besonders häufig Zielscheibe von Hate Speech?
Leider sind immer noch Randgruppen der Gesellschaft das Ziel von Hassreden. Also schwächere Außenseiter:innen, auf die Hass abgelassen wird. Aber auch Hass zwischen den Geschlechtern findet oft statt. Auch im Rahmen von emotionalen Streitigkeiten, zum Beispiel bei Trennungen oder verletzten Gefühlen. In Südtirol gibt es oft Frauen in Führungspositionen, die von oben und unten angegriffen werden – es wird ihnen weniger die Kompetenz für ihre Aufgaben zugesprochen als Männern. Das beobachte ich stark.
Typisches Beispiel wäre hierfür wohl jenes von Katharina Zeller …
Ja. Dieser Fall zeigt sehr deutlich, wie schnell eine Person Opfer einer Hassrede werden kann.
Jede:r muss sich bewusst sein: Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, kein El Dorado, in dem man mit Worten einfach munter herumschießen kann.
Wer steckt typischerweise hinter solchen Hasskommentaren?
Das Täter:innenspektrum reicht vom „Wutbürger“ und von der „Wutbürgerin“ im Wohnzimmer bis zu strategisch handelnden Gruppen oder Social Bots. Studien zeigen, dass menschenverachtendes Gedankengut in allen Schichten und Altersgruppen vorkommt. Ökonomische oder soziale Probleme führen dann zum Hass, wenn die Umstände als Gefahr für das eigene Leben wahrgenommen werden. Täterpersonen fühlen sich an der Tastatur oft sehr stark, weil sie meinen unerkannt zu bleiben. Dies ändert sich aber oft rasch und kann zum Bumerang werden, weil jede Handlung im Internet Spuren hinterlässt – und die lassen sich nur schwer verwischen. Interessant ist die Tatsache, dass es sich ganz oft um dieselben Personen handelt, Wiederholungstäter:innen sozusagen.
Die Hemmschwelle im Netz ist geringer, dabei muss ich mich auch hier sehr wohl maßregeln. Jede:r muss sich bewusst sein: Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, kein El Dorado, in dem man mit Worten einfach munter herumschießen kann.
Wie kann es sein, dass bestimmte politische Akteur:innen so oft Hate Speech betreiben können – ohne jegliche Konsequenz?
Der Umgangston in der Politik ist oft sehr schroff. Wenn die Aussagen im Rahmen einer politischen Diskussion bleiben, können sie zulässig sein. Wenn jemand durch eine Aussage aber offensichtlich verletzt wurde, ist eine Anzeige vielleicht schon gestellt, die Personen sind schon aktenkundig und müssen demnächst vor Gericht. Das ist recht häufig der Fall. Bei öffentlichen Hassreden von Politiker:innen ist die Problematik folgende: Man kann innerhalb von drei Monaten eine Hassrede zur Anzeige bringen. Wenn das auf den letzten Drücker passiert, erfährt der Staatsanwalt erst nach diesen drei Monaten davon. Dieser hat dann zwölf Monate Zeit zu ermitteln und kann eventuell bewirken, dass die Ermittlungsfrist – falls der Fall kompliziert ist – nochmal ausgedehnt wird, und es vergeht nochmal ein Jahr. Es können mitunter zwei Jahre vergehen, bis es überhaupt zur Verhandlung kommt – es dauert also sehr oft sehr lange.
Sehen Sie in Südtirol genügend Engagement seitens der Politik oder der Öffentlichkeit, was Hate Speech anbelangt?
Die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Problematik von Hass im Netz ist ein fortlaufender Prozess. Dies kann durch Kampagnen, Aufklärungsarbeit und die Einbindung von Expert:innen und Betroffenen geschehen. Die Landesverwaltung zeigt hier einige sehr gute Initiativen, aber das Thema muss laufend analysiert und behandelt werden.
Es braucht unbedingt eine Kultur der digitalen Zivilcourage und vermehrt aktive Gegenrede.
Was müsste sich aus Ihrer Sicht rechtlich ändern, um Hass im Netz wirksam zu bekämpfen?
Aus rechtlicher Sicht sollten klare Gesetze und deren effektive Durchsetzung, insbesondere im Bereich der Strafverfolgung, sichergestellt werden. Dies beinhaltet die Zusammenarbeit mit Plattformbetreiber:innen, um rechtswidrige Inhalte schnell zu entfernen und Nutzer:innen zu sperren, die gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen. Da Hass im Netz keine nationalen Grenzen kennt, ist eine engere Zusammenarbeit auf europäischer und internationaler Ebene, beispielsweise durch den Digital Services Act unerlässlich (Anm. d. Red.: Der DSA ist eine EU-Verordnung, die darauf abzielt, einen sichereren und gerechteren digitalen Raum zu schaffen, indem sie neue Regeln für Online-Plattformen und Vermittlungsdienste festlegt).
Und wie kann man gesellschaftlich dagegen vorgehen?
Gesellschaftlich ist zum einen eine verstärkte Medienkompetenz unerlässlich: Eltern sollten mit ihren Kindern offen über den Umgang in den sozialen Medien reden und auch die Lehrpersonen mit einbeziehen. Außerdem braucht es unbedingt eine Kultur der digitalen Zivilcourage und vermehrt aktive Gegenrede (Counter Speech; Anmerkung d. Red.: Eine Strategie, um Hassrede und extremistische Inhalte im Internet zu entkräften und zu bekämpfen, indem man direkt und konstruktiv darauf reagiert). Wird man Zeug:in von Hassrede, sollte man nicht schweigen, sondern Betroffene unterstützen, Hasskommentare melden und aktiv an Gegenrede teilnehmen. Das sind alles wichtige Wege, um Hass im Netz zu bekämpfen.
Man hört oft Aussagen wie: „Besser ist es, bestimmte Leute und Aussagen zu ignorieren“ oder: „Egal, was man dem/der antwortet, er/sie hört eh nicht auf“ …
Bei der aktiven Gegenrede geht es nicht darum, mit den Leuten in die inhaltliche Diskussion zu gehen und gegenargumentieren zu müssen. Es reicht eine Mitteilung, wie: „Liebe:r User:in XY, du hast in deinem Kommentar einen beleidigenden Ton verwendet und den/die Nutzer:in XY damit bedroht. Das widerspricht den Regeln einer zivilen Gesellschaft und dem Verhalten in diesem Portal. Bitte lass das in Zukunft. Ich habe deinen Kommentar bereits (den Moderator:innen) gemeldet.“ Das ist digitale Zivilcourage. Und dann wäre es natürlich wichtig, dass diese Gegenrede möglichst viele Daumen nach oben bekommt.
Weiterführende Links und Kontakte:
Digital ist real:https://www.digitalistreal.it/
No Hate Speech Movement:https://neuemedienmacher.de/no-hate-speech-movement/Antidiskriminierungsstelle:
Tel. 0471 946 020
info@antidiskriminierungsstelle.bz.it
Forum Prävention:https://www.forum-p.it/de/hilfe-und-beratung–1-3339.html
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