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Barbara Bachmann
Veröffentlicht
am 10.09.2015
LebenEin Tabuthema

Wenn Kinder sterben

Veröffentlicht
am 10.09.2015
Der Tod ist immer noch ein Tabu – umso mehr, wenn die Verstorbenen Kinder sind. Zwei Südtiroler Mütter erzählen von ihrem Verlust.
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Ihr erstes Kind sollte Katharina heißen, da waren sich Michaela und Stephan von Beginn an einig. Benannt auch nach einem Mädchen mit Down-Syndrom, das Michaela, 31, wohnhaft in Lajen, aus ihrem Heimatdorf Kastelruth kannte und ihr immer imponiert hatte. „So voller Leben ist sie, so wünschten wir uns unsere Katharina.“ Aber wenn die Friseurin heute ihrer Tochter nahe sein will, muss sie dafür auf den Friedhof gehen. Dort liegt sie begraben, Katharina, 2.050 Gramm, geboren und gestorben am 26. September 2012.

Bis zum siebten Monat verlief Michaelas Schwangerschaft problemlos. Aber im August 2012 stellten die Ärzte fest, dass Katharina an einer Nierenbeckenerweitung litt. Weitere Untersuchungen ergaben einen Herzfehler, außerdem war sie überdurchschnittlich klein. Bei der letzten Visite, am 24. September 2012, rieten die Ärzte des Krankenhauses Bozen zu einer Geburtseinleitung. Michaela wählte den Termin zwei Tage später.

Am Tag der Geburt raste gegen 15 Uhr das Babyherz so stark, dass die Ärzte die Geburtseinleitung abbrechen mussten. Das Mädchen sollte genügend Kraft für die Geburt haben. Am Abend entschieden sie sich für einen Kaiserschnitt, 30 Minuten dauert er im Normalfall. Nach einer Dreiviertelstunde aber lag Michaela immer noch im Operationssaal. „Ich verstand nicht, was passiert war und hatte viel Blut verloren“, sagt sie heute. Als man sie wortlos in ihr Zimmer schob, vorbei an ihrer weinenden Mutter, begann sie zu ahnen.

Kurz darauf erhielt sie Gewissheit, „Michi, wir müssen sie gehen lassen“, sagte Stephan, ihr Partner, die tote Katharina im Arm. Vier Tage später verließ Michaela das Krankenhaus, ohne ihr Neugeborenes, im Gepäck eine Karte mit seinem Hand- und Fußabdruck. Dass ein Kind heute noch bei der Geburt sterben kann, sagen Michaela und Stephan, hätten sie damals nicht für möglich gehalten.

Der Umgang mit einem Tabu

„Der Tod ist immer noch ein Tabu“, weiß Rudi Sampt, Leiter der Notfallseelsorge im Schlern-Gebiet. Er hinterlässt Fassungslosigkeit und Schmerz. Beim Tod eines Kindes potentialisieren sich diese Gefühle. Tage später schenkte Rudi Sampt Michaela und Stephan ein Buch, in dem sie alle Erinnerungen, Ultraschallbilder, Gedanken festhalten sollten, die sie mit Katharina verbanden. „Die Trauer geht nicht von alleine weg“, sagt Sampt. Rituale wie diese sollen helfen, mit unerwarteten Verlusten zurechtzukommen.

Seit November letzten Jahres leitet er gemeinsam mit seiner Kollegin Paula Grünfelder Trauerseminare, in denen sie sich unter anderem dem Tod von Kindern und Jugendlichen widmen. Die beiden möchten eine neue Trauerkultur in Südtirol etablieren. Momentan sei sie noch sehr traditionell geprägt. In Deutschland hat Rudi Sampt gemeinsam mit seiner Kollegin einen Lehrgang zum Trauerbegleiter absolviert, im nächsten Jahr bieten sie die Ausbildung erstmals auch in Südtirol an. Für Eltern, die ihre Säuglinge verloren haben, organisieren Sampt und Grünfelder Ende Oktober ein Seminar.

„Die Kunden, die trotzdem gekommen sind, waren wie Therapeuten für mich“, sagt Michaela.

Nach dem Verlust ihres Kindes war es Michaela am liebsten, wenn Freunde und Bekannte sie direkt auf das Erlebte ansprachen, statt ihr wortkarg gegenüberzustehen. Manche seien ihrem Friseurstudio eine Zeit lang fern geblieben. „Die Kunden, die trotzdem gekommen sind, waren wie Therapeuten für mich.“ Öfters über ihren Verlust zu reden, hätte auch Margareth, 34, aus Villanders gut getan. Aber mit vielen kann sie auch heute nicht über Sarahs Tod reden. „Sie haben Angst, alte Wunden aufzureißen“. Zu schlimm muss ihnen das Geschehene vorkommen.

„Sarah war ein Sonderfall für die Ärzte“

Ein halbes Jahr alt war Margareths Tochter, als ihr Kopf anfing zu zittern. Merkwürdig, dachten sich die Eltern und ließen das bis dahin kerngesunde Mädchen untersuchen. „Eine Magnetresonanz ergab, dass ein Abbau im Kopf stattfand“, erzählt Margareth. Dass sich Sarah, geboren am 19. April 2006, rück- statt weiterentwickelt. Fünf Monate wurde Sarah auf der Intensivstation einer Kinderklinik im Zentrum Münchens behandelt.

Aber ihr Zustand verschlechterte sich zunehmend, die Ärzte stellten bald eine Zwerchfelllähmung fest, Sarah wurde an eine Beatmungsmaschine gehängt. „Ohne dass wir es bemerkten, waren wir in der Maschinerie der Medizintechnik gefangen“, sagt ihre Mutter. Eine genaue Diagnose erhielten die Eltern nicht, „Sarah war ein Sonderfall für die Ärzte“, sie litt an einer seltenen neuromuskulären Erkrankung.

Im Januar 2007 verschlechterte sich der Zustand so sehr, dass eine Heilung ausgeschlossen wurde. „Niemand konnte uns sagen, wie lange sie leben wird“, sagt Margareth. Im April 2007 wurde Sarah nach Südtirol überstellt. Die Eltern überzeugten die Ärzte, ihre Tochter zu Hause zu pflegen, „wir wollten sie nicht mehr im Krankenhaus wissen.“ Täglich hatten sie Anrecht auf vier Stunden Pflegedienst, die restliche Zeit des Tages betreuten die Eltern ihre Tochter.

Im März 2008 entschieden die Eltern, Sarah keine Medikamente mehr zu geben, falls eine neue Infektion auftreten sollte, „ so war das kein Leben mehr“. Zwei Wochen vor ihrem Tod stellten die Ärzte Sarahs Hirntod fest. Die letzte Zeit verbrachte sie im komaähnlichen Zustand, bis am am 20. Mai 2008 um 6 Uhr früh ihr Herz aufhörte zu schlagen. Zuhause war nur die Mutter, „sie hat mir meinen Wunsch erfüllt, bei ihr zu sein in diesem Moment.“

Trauer und neues Leben

Auch wenn sie sich auf den Tod vorbereitet hatte, erlebte Margareth den Verlust der Tochter, als ob ihr jemand den Boden unter den Füßen weggezogen hätte. Ihre Beziehung stellte er auf die Probe. Seit neun Jahren waren Margareth und Markus zusammen, das erste Kind hatten sie bewusst geplant, sich vorgestellt, wie es laufen lernen, zur Schule gehen wird. Die Trauer hat ein neues Leben gelindert. Als Sarah starb, war Margareth seit einem Monat schwanger. Ende Oktober kam Leonie zur Welt, am 4. April 2013 ihr Brüderchen Hannes. Anfangs hatte Margareth große Angst, ihre Kinder könnten wie Sarah krank werden. Sie hielt ihre Fortschritte in einem Tagebuch fest, mit der Zeit war sie beruhigt.

In der Familie ist Sarah weiterhin präsent, „sie ist bei uns“, sagt ihre Mutter. Gemeinsam schauen sie sich Fotos von ihr an, reden über sie. Leonie, heute sechs Jahre alt, weiß, dass sie nicht die Erstgeborene ist, dass sie eigentlich eine große Schwester hätte. In München hatte Margareth mit den Eltern anderer kranker Kinder Kontakt, tauschte sich aus. An manchen Tagen war das ein Trost, an anderen hatte sie das Gefühl, es gäbe keine gesunden Kinder mehr. „Aber heute weiß ich, so ist es nicht.“

Laut Schätzungen leben in Südtirol etwa 120–160 Kinder und Jugendliche mit einem lebensbedrohlichen oder -verkürzenden Zustand, zwischen 10 und 36 Kinder sterben jährlich an den Folgen. Noch tun sie das zu Hause oder im Krankenhaus, ein Palliativzentrum für Kinder ist aber in Planung, 2018 soll es fertig gestellt werden. „Palliativ wird oft falsch verstanden“, sagt Marianne Siller, von der Pflegedirektion des Südtiroler Sanitätsbetriebs. „Als Terminalversorgung in den letzten Lebenswochen, aber das ist zu kurz gegriffen.“

Palliativ kommt vom lat. palliare, das bedeutet ummanteln, einhüllen. In einem Palliativzentrum arbeiten Ärzte, Therapeuten, freiwillige Helfer daran, die Schmerzen der Betroffenen zu lindern, Druck zu nehmen, ihre psychische Verfassung und soziale Anbindung zu verbessern – eine Betreuung von der Diagnose über den gesamten Krankheitsverlauf. Als Übergang ist in Südtirol seit Juni 2015 ein mobiles Palliative Care Team im Einsatz. Derzeit sind eine Ärztin und Kinderkrankenpflegerin in Teilzeit beschäftigt Familien ausfindig zu machen und sich in den Sanitätsbetrieben vorzustellen.

Die Hoffnung auf ein gesundes Kind

Nach dem Tod ihrer Tochter verlor Michaela im Mai 2013 ihr zweites Baby, am Muttertag erlitt sie eine Fehlgeburt im zweiten Monat. Im November 2014 wurde sie ein drittes Mal schwanger. Wieder würde es ein Mädchen sein, stellten die Ärzte fest. Starke Blutungen und ständige Kontrollen begleiteten sie durch die Schwangerschaft. Die Hoffnung, dass Michaela dieses Mal ein gesundes Mädchen zur Welt bringen werde, war groß. Doch die Angst vor erneuten Zwischenfällen bewahrheitete sich. „In der 19. Woche stellten die Ärzte fest, dass unser Kind keine Überlebenschance hat“, erzählt Michaela. Und auch ihr Leben war in Gefahr. Eine Woche später musste sie sich für einen Abbruch entscheiden. Am 25. März, dem Geburtstag ihrer Mutter, brachte sie ihre Tochter Annika tot auf die Welt. 19 Zentimeter lang, 205 Gramm schwer.

„Ich habe viel nachgeholt, was ich mit meiner ersten Tochter versäumt hatte.“ Das erste Mal mit einem toten Körperchen in Berührung zu kommen, sei „eine Katastrophe“, sagt Michaela. Katharina hielt sie nur kurz im Arm, durch den Kaiserschnitt konnte sie ihre Tochter nicht spüren. Mit Annikas Geburt verabschiedete sie sich von beiden Kindern. Sie hielt die Kleine im Arm, streichelte sie, drückte das noch nicht vollständig entwickelte Baby an sich, die bläulich-rote Haut für zwei Stunden auf ihrer.

Der Verlust ihrer Kinder hat Michaelas und Stephans Beziehung verändert, „wir haben ein unerschütterliches Vertrauen entwickelt, wir sind dadurch eins geworden“, sagt Michaela. Nie wollte sie heiraten, nach dem Tod Katharinas aber gab sie Stephan das Ja-Wort, in der Kirche in Lajen-Ried, die auf die Heilige Katharina geweiht ist.

Der Wunsch nach einem gesunden Kind ist nach wie vor da, aber das Ehepaar möchte ihn nicht mehr dem Zufall überlassen, von Ärzten ließen sie die Ursache der totgeborenen Kinder herausfinden. „Durch besondere Maßnahmen besteht für uns eine große Wahrscheinlichkeit gesunden Nachwuchs zu bekommen“, sagen die beiden. Sie gehen auch diesen Weg miteinander. Es ist ihre letzte Chance auf ein gemeinsames Kind.

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