BARFUSS LogoDas Südtiroler Onlinemagazin
BARFUSS LogoSüdtiroler Onlinemagazin

Support Barfuss

Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus

BARFUSS LogoDas Südtiroler Onlinemagazin
Illustrations by Sarah
Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 08.09.2025
LebenDigitalisierung des Unterrichts

Vom Buch zum Tablet – und wieder zurück

Italien bildet bei der Digitalisierung des Unterrichts seit Jahren das Schlusslicht in Europa. Nun wenden sich ausgerechnet die skandinavischen Länder – bisher Pioniere des digitalen Klassenzimmers – wieder Stift und Papier zu. Lag man in Italien doch richtig?
Damit BARFUSS weiterhin hinterfragen, aufklären, erzählen und berühren kann, brauchen wir DEINE Unterstützung!
Werde Teil unserer Community.
Teile unsere Story
patricia-prudente-qESmLLXAmWs-unsplash

Kinder und Bildschirme – fördern oder verbieten? Und falls fördern: ab welchem Alter und unter welchen Bedingungen? Lange Zeit wurde das Thema nicht nur an Stammtische und in Elterngruppen, sondern auch unter Bildungspolitiker verschiedener Länder kontrovers diskutiert.

Weil es kaum wissenschaftliche Untersuchungen gab, gingen die Meinungen weit auseinander: Während beispielsweise Australien die Nutzung von Social Media unter 16 Jahren komplett verbieten will, förderten die skandinavischen Länder den Einsatz digitaler Lernmittel bis 2023 sogar in Kindergärten und Grundschulen.

Italien schien dagegen aus der Zeit gefallen. In der internationalen Studie ICILS 2023 (International Computer and Information Study) schnitten italienische Schülerinnen und Schüler bei den digitalen Kompetenzen im europäischen Vergleich eher unterdurchschnittlich ab. Besonders schlechte Ergebnisse gab es in Süditalien. Zugleich hat die Regierung einen eindeutig technologieskeptischen Kurs eingeschlagen: So sind Smartphones an italienischen Grund- und Mittelschulen seit 2024 und ab dem neuen Schuljahr auch an Oberschulen verboten.

So zeigte eine aktuelle Studie des „Journal of the American Heart Association“, dass schon eine zusätzliche Bildschirmstunde pro Tag das Risiko für Kurzsichtigkeit, depressive Symptome und sogar kardiometabolische Erkrankungen, wie Bluthochdruck und Insulinresistenz, deutlich erhöht.

Nun mehren sich die wissenschaftlichen Studien, die einen solchen harten Kurs bestätigen – zumindest auf den ersten Blick. Denn offenbar geht die erhöhte Bildschirmzeit der Kinder und Jugendlichen mit allerhand negativen Folgen für die Gesundheit einher. So zeigte eine aktuelle Studie des „Journal of the American Heart Association“, dass schon eine zusätzliche Bildschirmstunde pro Tag das Risiko für Kurzsichtigkeit, depressive Symptome und sogar kardiometabolische Erkrankungen, wie Bluthochdruck und Insulinresistenz, deutlich erhöht.

Nicht zuletzt schränkt ein erhöhter Handykonsum die Lern- und Sprachfähigkeit der Kinder und Jugendlichen ein. Man könnte also fragen: Wenn Smartphone und Laptop schlecht fürs Lernen sind, was haben sie dann an Schulen verloren?

Eine Frage, die man sich zuletzt auch in Skandinavien häufig stellt – gerade dort, wo bis vor kurzem die größte Digitalisierungs-Euphorie herrschte. 2023 kam dann die radikale Kehrtwende: Schwedens Regierung verbannte digitale Geräte aus Vorschulen, auch in den Grundschulen sind Bücher und Handschrift wieder zurück. Insgesamt 106 Millionen Euro stellte die Regierung 2024 bereit, um im großen Stil gedruckte Lehrbücher anzukaufen.

Schwedens Bildungsministerin Lotta Edholm erklärte den Schritt mit einem klaren Plädoyer für Stift und Papier: „Analoge Umgebungen und Lernmittel bieten die besten Voraussetzungen, um grundlegende Lese- und Schreibfähigkeiten zu entwickeln.“ In Dänemark entschuldigte sich der Bildungsminister Mattias Tesfaye sogar dafür, Jugendliche zu „Versuchskaninchen in einem digitalen Experiment“ gemacht zu haben. Was ist schiefgelaufen im digitalen Klassenzimmer? Und was lässt sich daraus auch für Südtiroler Schulen lernen?

Die skandinavische Digitalisierungs-Offensive hatte tatsächlich etwas von einem Experiment. Wenn die Kinder die bunten Bildschirmlichter schon mit der Muttermilch aufsaugen und mit Smartphones und Tablets in Berührung kommen – warum sollte man die digitale Transformation nicht auch an Schulen bewusst umarmen? Warum nicht möglichst früh einen kompetenten Umgang mit digitalen Medien vermitteln?

„Die Digitalisierung der Schulen hat große negative Auswirkungen auf den Wissenserwerb der Schüler“.

So lauteten jedenfalls die Überlegungen, die bis 2023 hinter der digitalen Strategie in mehreren skandinavischen Ländern steckten, allen voran Schweden und Dänemark. 2018 hatten bereits ein Viertel aller schwedischen Grundschulkinder – Kinder im Alter von 7 bis 9 Jahren – Zugang zu einem persönlichen Gerät. Ähnlich war die Situation in Dänemark: 2018 gaben mehr als 80 Prozent der befragten Lehrpersonen in Grundschulen an, im Unterricht digitale Endgeräte einzusetzen.

Der Rest der Welt blickte damals noch gespannt auf diesen Versuch, Bildungswissenschaftler aus anderen Ländern lobten die Weitsicht der Skandinavier. Doch je länger das Experiment andauerte, desto häufiger stellten empirische Untersuchungen den Nutzen der digitalen Lernmittel infrage.

Entscheidend für die Trendwende war eine wissenschaftliche Stellungnahme, die das Karolinska-Institut in Stockholm am 28. April 2023 veröffentlichte. Das Urteil der Wissenschaftler aus den Bereichen Neurowissenschaft, Entwicklungspsychologie und Geriatrie fiel eindeutig aus: „Die Digitalisierung der Schulen hat große negative Auswirkungen auf den Wissenserwerb der Schüler“.

Tatsächlich hatten sich die schulischen Leistungen schwedischer Schülerinnen und Schüler während der letzten Jahre stetig verschlechtert – und die Bildschirme sollen Schuld daran sein. Wer etwa Texte auf Bildschirmen las, lag nach Erkenntnissen des Karolinska-Instituts im Durchschnitt etwa zwei Jahre hinter Schülern zurück, die Texte auf Papier lasen. Die Wissenschaftler forderten daher eine Rückkehr zu traditionellen Lernmitteln, zumindest in den frühen Schulstufen.

Wenn es darum geht, die Schulbildung strikt analog zu halten, galt Italien bisher als Extrembeispiel. Geben die skandinavischen Länder dem italienischen Weg nun nachträglich recht?

Wenn es darum geht, die Schulbildung strikt analog zu halten, galt Italien bisher als Extrembeispiel. Geben die skandinavischen Länder dem italienischen Weg nun nachträglich recht?

Noch ist es früh, um das zu sagen. Denn die jüngsten Restriktionen haben neue Kritiker auf den Plan gerufen. Die schwedische Medienwissenschaftlerin Ingrid Forsler beispielsweise sah die übereilte Digitalisierung an den Pflichtschulen schon vor Jahren kritisch – doch auch die 180-Grad-Wende nennt sie „populistisch“ und „kurzsichtig“.

Fragwürdig ist aus ihrer Sicht vor allem, dass die Regierung offenbar nur die kognitiven, medizinischen Aspekte der Digitalisierung berücksichtige. „Andere Standpunkte, wie beispielsweise die Bedeutung der Medienkompetenzbildung oder die digitalen Rechte von Kindern, lässt man völlig außer Acht“, sagt Forsler.

Die Medienwissenschaftlerin bedauert, dass sich die öffentliche noch immer um ein pauschales Pro-oder-Kontra drehe: „Es wird viel über die Bildschirmzeit gesprochen, aber nicht so sehr darüber, was Kinder während ihrer Zeit im Internet tatsächlich tun.“

In anderen Worten: Digitale Technologien seien weder die Lösung noch das Problem. Es komme vielmehr darauf an, wie die Technologie in den Klassenzimmern eingesetzt wird.

Wer sich über Internet-Recherchen Wissen aneignet, müsse bereits über eine solide Wissensbasis verfügen.

Das ist ein Standpunkt, den auch die schwedische Pädagogin Inger Enkvist vertritt, eine der prominentesten Stimmen unter den Gegnern der überhasteten Digitalisierung.

Sie sieht Tablet und Laptop nicht per se als Problem, sondern das pädagogische Prinzip, das häufig damit einhergehe: eigenständiges Lernen. Wer sich über Internet-Recherchen Wissen aneignet, müsse bereits über eine solide Wissensbasis verfügen. Zumindest für die Primarstufe plädiert Enkvist deshalb für traditionelle Lehrmethoden, wie Frontalunterricht, angeleitete Übungsaufgaben und Gruppenarbeiten.

Das deckt sich mit der Feststellung des Karolinska-Instituts, die Schülerinnen und Schüler hätten im Zuge der Digitalisierung nicht eigens entwickelte digitale Lern-Tools, sondern das Internet als breite Wissens-Ressource genutzt. Dabei hätten jüngere Schulkinder noch gar nicht die kognitiven Fähigkeiten, sich Wissen eigenständig anzueignen.

Medienwissenschaftlerin Ingrid Forsler hofft darauf, dass die Regierung noch einen guten Mittelweg zwischen unüberlegter Digitalisierung und radikaler Rückkehr zu Stift und Papier findet. „Es gibt zahlreiche Best-Practice-Fälle, die zeigen, wie man digitale Technologien auf pädagogisch wertvolle Weise in den Unterricht integriert. Anstatt die Digitalisierung komplett rückgängig zu machen, hätte man sie von Fall zu Fall verbessern können.“

Die Debatte ist in den nördlichen Nachbarländern also noch längst nicht erledigt. Das sollte auch für Italien eine Warnung vor allzu einfachen Lösungen sein.

Dienste

  • News
  • Wetter
  • Verkehrsbericht

BARFUSS


Support BARFUSS!
Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus:
https://www.barfuss.it/support

© 2023 SuTi GmbH
© 2023 SuTi GmbH . Rennstallweg 8 . 39012 Meran . MwSt: 02797340219
DatenschutzNetiquetteCookiesImpressum