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Illustrations by Sarah
Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 04.09.2017
LebenCannabis Light

Leistungsfähig und entspannt

„Cannabis Light“ ist nun auch in Italien im Handel. Manche Konsumenten sind begeistert, andere skeptisch. Wird Cannabis bald völlig legalisiert?
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Ab dem Frühjahr dieses Jahres, seit der Vertrieb völlig legalisiert wurde, macht Cannabis Light Furore. Einschlägige Geschäfte und „Grow-Shops“ werden von Kunden überrannt. Die Webseiten der Produktanbieter waren wochenlang wegen der Bestellungen völlig ausgelastet. Auch Südtirol wurde vom Hype nicht verschont. „Der Andrang war groß“, bestätigt Patrick, der Verkäufer von Chacruna, einem Fachgeschäft in Bozen. In den Regalen seines Ladens stapeln sich inzwischen ebenfalls Cannabis Light-Produkte: Tüten und Dosen mit Cannabis-Blüten, Extrakte und Öle. Neuen Kunden erklärt er gerne, was diese Produkte auszeichnet und was sie vom herkömmlichen Cannabis unterscheidet.

Der entscheidende Unterschied ist, dass sie kaum THC enthalten. Der maximal zugelassene Anteil beträgt 0,6 Prozent. Dadurch wirkt Cannabis Light nicht als Rauschmittel. „Dieses Zeug ‚schickt‘ dich nicht. Man wird nicht high davon“, erläutert Patrick neugierigen Kunden. „Dennoch beruhigt und entspannt es.“ Das liegt an dem relativ hohen Anteil von Cannabidiol (CBD). Denn im Gegensatz zu THC ist CBD kaum psychoaktiv. Gleichzeitig hat es aber die gleichen gutartigen Effekte wie das umstrittene THC: Es entspannt, wirkt entzündungshemmend, entkrampfend, angstlösend, als Mittel gegen Übelkeit und sogar gegen die Symptome von Epilepsie.

Cannabis Light: „Ein ganz neuer Raucher-Typ“

Zwar mag es irritierend klingen, aber selbst der Anbau von Pflanzen, die nur das harmlose CBD enthalten, war bis vor kurzem so gut wie verboten. Jedenfalls handelte es sich dabei um eine juridische Grauzone und jeder, der die Pflanze anbauen wollte, musste sich von der Quästur eine offizielle Erlaubnis dafür holen. Für die Produzenten war der damit verbundene bürokratische und finanzielle Aufwand einfach zu hoch.

Geändert hat sich das mit einem Gesetz, das im November 2016 verabschiedet wurde. Zwei Produzenten haben seitdem die Marktnische übernommen: „Easyjoint“ und „Mary Moonlight“. Die Konsumenten hingegen teilen sich in verschiedenste Gruppen auf. „Anfangs waren es vor allem Neugierige“, sagt Patrick. Das betraf größtenteils die „konventionellen“ Kiffer: Sie wollten probieren, wie sich der Konsum von Cannabis Light vom Rauchen eines herkömmlichen Joints unterscheidet. Doch bei dem neuen Produkt bleiben sie selten, denn wer Joints raucht, tut dies meistens wegen des Rauscheffekts. Stattdessen beobachtete Patrick, dass sich innerhalb weniger Monate ein ganz neuer Rauchertyp herausgebildet hatte.

Zuvor gab es nur den Tabak-Raucher oder den Kiffer. Der typische Cannabis Light-Konsument hingegen ist mittleren Alters, meist 40 oder 50 Jahre alt. Er oder sie ist meist berufstätig und von den Herausforderungen in Beruf und Privatleben stark beansprucht. Da stellt CBD eine hervorragende Methode dar, sich zwischendurch zu entspannen, ohne die Leistungsfähigkeit zu verlieren. Im Gegenteil: Dadurch, dass man ruhiger ist, werden Konzentration und Leistung oft sogar gesteigert. Nicht selten hat es Patrick auch mit Senioren zu tun. Menschen, die früher regelmäßig kifften, aber aufgrund ihres Alters weniger starke Produkte vorziehen und zu Cannabis Light greifen. Doch am interessantesten sind wohl die Menschen, die es zu therapeutischen Zwecken nutzen.

Kiffen als Medizin

Einer von ihnen ist Klaus, ein junger Landwirt, der eigentlich anders heißt und anonym bleiben möchte. Als er im Alter von 17 Jahren mit seinen Freunden die ersten Joints rauchte, war das noch zum Zweck des Vergnügens. Doch das änderte sich rasch durch einen Unfall. Die Knochenverletzung, die er sich dabei zuzog, wurde ein chronischer Fall. Immer wieder entzündete sich die Wunde, eiterte, verursachte Klaus starke Schmerzen und machte ihn teilweise zum Invaliden. Die Therapien, die ihm von Ärzten verschrieben wurden, schlugen kaum an. Doch mit der Zeit merkte Klaus: Kiffen hilft. Wenn er sich längere Zeit von Joints fernhielt, wurden die Schmerzen stärker, die Entzündung weitete sich aus. In Zeiten des regelmäßigen Konsums trat das Gegenteil ein.

Bemerkenswert für Klaus war, dass Kiffen offenbar nicht nur die Schmerzen linderte, sondern sich direkt auf deren Ursachen auswirkte. Die Entzündung schwächte sich sichtlich ab, auch die Eiterausbrüche wurden seltener. So begann Klaus, Cannabis als therapeutisches Mittel zu nutzen. Der Zweck war es nicht mehr, high zu sein, sondern ganz einfach die Lebensqualität zu verbessern. „Wenn ich zu starkes Gras rauche, kann der Schuss auch nach hinten losgehen. Es kommt auf die richtige Dosierung an“, ist sich Klaus sicher.

„Auch Cannabis heilt nicht. Aber es kann Patienten zu einem würdigen und besseren Leben verhelfen.“

Wie hoch die Dosierung sein muss, hat Klaus durch jahrelanges Experimentieren selbst herausgefunden. Doch was sagt die Medizin zu solchen Fällen von Selbsttherapie? Wenn die Ärztin Verena Mutschlechner mit Berichten wie denen von Klaus konfrontiert wird, bleibt ihr meistens nichts anderes übrig, als deren Erfahrungen zu bestätigen.

„Ja, die therapeutischen Effekte sind da“, sagt sie. Im Falle von Klaus sei es die entzündungshemmende Wirkung von Cannabis, die hilft. Außerdem fördere das Cannabis die Knochenneubildung. Von den schmerzlindernden Effekten ganz zu schweigen. Die Ärztin verschreibt in gewissen Fällen auch selbst Cannabis-Produkte, meistens als THC- oder CBD-Öl, weil sich das leichter dosieren lässt. Es gibt keine gefährlichen Nebenwirkungen wie bei den herkömmlichen Pharmaka. Cannabis könne das Übel mindestens genauso wirksam bekämpfen beziehungsweise eindämmen. „Auch Cannabis heilt nicht“, stellt Mutschlechner klar. „Aber es kann Patienten zu einem würdigen und besseren Leben verhelfen.“

Cannabis Light als Türöffner

Dies trifft vor allem auf Menschen zu, die ein chronisches Leiden mit sich tragen. Einer von ihnen ist Stefano Balbo. Er ist Mitorganisator des Hanfmarkts im Brixner Hofburggarten und Veteran des Cannabis Social Clubs im Kampf für die Legalisierung von medizinischem Cannabis. Seine Multiple Sklerose lässt sich nicht heilen. Dazu kommen drei weitere schwere Krankheiten, die sein Leben belasten oder belastet haben – darunter ein Tumor. Vor einigen Jahren prognostizierten ihm die Ärzte, er hätte nur noch einen Monat Lebenszeit. Heute geht es Stefano Balbo wieder relativ gut, er ist aktiv und lebensfroh. „Das verdanke ich dem medizinischen Cannabis“, sagt er.

Für schwere Krankheiten wie Multiple Sklerose reicht das CBD, das in Cannabis Light enthalten ist, kaum aus. Auch Klaus hat es versucht. Er merkte bald, dass das THC unverzichtbar ist – zumal die Produktion von Cannabis Light in Italien noch in den Kinderschuhen steckt. „Die Cannabis-Blüten, die es bei uns im Handel gibt, sehen aus wie eine verdorrte Staude“, sagt er. „Geht man in die Schweiz, wo Cannabis Light schon länger produziert wird, sieht es hingegen aus wie eine Pflanze in voller Blüte.“ Der Unterschied zeige sich auch in Geschmack und Wirkung.

Cannabis Light: von THC-haltigem Cannabis nicht zu unterscheiden.

Nichtsdestotrotz ist Cannabis Light für Stefano Balbo und den Landwirt Klaus ein neuer Hoffnungsschimmer. Es soll die gesellschaftliche Hemmschwelle gegenüber den THC-haltigen Cannabis-Produkten senken. Balbo nennt Cannabis Light einen „apripista“, einen Türöffner für die endgültige Legalisierung. Auch Klaus hofft stark, dass damit ein neuer Schritt in Richtung Legalisierung und gegen die Dämonisierung von Cannabis gemacht ist. Leidende Menschen wie er müssten sich ihre Medizin dann nicht mehr auf dem Schwarzmarkt besorgen und riskieren, als Kriminelle durchzugehen.

Die Furcht der Pharma-Industrie

Was die einen begrüßen, ist für andere ein Ärgernis. Der Polizei zum Beispiel macht das Cannabis Light schwer zu schaffen. Es riecht wie herkömmliches Gras und sieht genauso aus. In einigen Fällen wurden bereits vermeintliche Täter gefasst, angeblich im Besitz von Rauschgift. Auf der Polizeistation entpuppte es sich später als harmloses Cannabis Light.

Noch ärgerlicher dürfte die Angelegenheit für die Pharma-Industrie sein. Diese vermeidet es wohl nicht ohne Grund, medizinische Studien zu den therapeutischen Wirkungen von THC und CBD durchzuführen. Experten vermuten, dass es an den Patentrechten liegt. An einer natürlichen Pflanze ließe sich ein Patent kaum anwenden. Dadurch kan man auch nicht die gleichen Preise wie für konventionelle Pharmaka erzielen. Jeder Schritt in Richtung Legalisierung ist für die Pharma-Konzerne also gleichbedeutend mit einem Einschnitt in die eigenen Profite. Ihre größten Feinde sind Ärzte, die Cannabis-Produkte verschreiben, Aktivisten wie Stefano Balbo und seine Mitstreiter vom Cannabis Social Club.

Wer sich eingehender über den therapeutischen Einsatz von Cannabis informieren will oder selbst an einer Krankheit leidet, deren Symptome durch THC und CBD gelindert werden könnten, wendet sich am besten an den Cannabis Social Club Bozen.

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