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Illustrations by Sarah
Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 08.05.2018
LebenBis ans Ende der Straße

Komfortzone, adieu!

Die Anziehungskraft des Komfortablen ist mächtig, aber Widerstand lohnt sich.
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Nach einigen Tagen des Hitchhikens quer durch den Balkan kamen wir schließlich in Sarajevo an. In Bosniens Hauptstadt ließen wir uns sofort in einem Hostel nieder. Zwischen Schlafsaal und Doppelzimmer fiel die Entscheidung ohne weiteres Zögern auf das letztere. Endlich Ausatmen. Die nassen Socken aufhängen. Eine warme Dusche! Angesichts unserer letzten Übernachtungsorte, wo wir unsere Essenspakete zum Schutz vor Bären an einen Baum in sicherer Entfernung des Zeltes hängen mussten, stellte dieses Hostel in Sarajevo den reinen Luxus dar. Naja, das vielleicht nicht – auf jeden Fall bot es aber eine Menge Komfort.

Die erste Nacht war wunderbar. Matthias, mein Reisegefährte, musste mich am nächsten Tag wachrütteln, ich wäre von alleine sonst nicht mehr aufgewacht. Warum überhaupt noch aus diesem wunderweichen Bett aufstehen? Schließlich überwand ich mich doch. Nach einem kurzen Stadtrundgang sah ich aber zu, dass ich baldmöglichst wieder in dieses Reich des Komforts zurückzukehrte. Im Bett liegen, ein bisschen lesen, die Abenteuer der letzten Tage Revue passieren lassen. So vergingen schließlich mehrere Tage, in denen die Anziehungskraft dieses Bettes immer größer wurde, sich zu einem regelrechten Sog entwickelte. „Clinomania” ist nichts, worüber man spaßen sollte: das exzessive Verlangen danach, im Bett liegen zu bleiben. Ich fühlte mich zunehmend leer, ausgehöhlt, dieses ganze Reisen ergab auch keinen Sinn mehr. Schlussendlich musste ich mir ernsthaft die Frage stellen: Kann Komfort zu einer morbiden, die Psyche beeinträchtigenden Sucht werden?

„Ich musste mir ernsthaft die Frage stellen: Kann Komfort zu einer morbiden, die Psyche beeinträchtigenden Sucht werden?”

Als Allererstes denkt man beim Wort „Komfort“ doch an beheizte Sitzpolsterungen, Infinity-Pools im Wellnesshotel oder den Frei-Haus-Lieferservice vom Lieblingsrestaurant. Nichts Schlechtes also. Auch die Etymologie des Wortes spricht zu dessen Gunsten. Komfort, abgeleitet vom lateinischen Verb „confortare“: das bedeutete im alten Rom so viel wie „stärken“, „Mut machen“. Nach drei Tagen in diesem gemütlichen Hostel fühlte ich mich aber alles andere als gestärkt oder ermutigt. Mein Reisekumpan Matthias wollte diese Stadt schnell wieder verlassen und Richtung Süden weiterziehen. Die griechischen Inseln und deren Strände waren unser Ziel. Davon wollte ich jetzt nichts mehr wissen, wenn es bis dahin hieß, die Nächte im Zelt zu fristen, bei Minusgraden am Morgen alles wieder einzupacken und dann frierend am Straßenrand auf den nächsten Anhalter zu warten. Ich flehte ihn an: Lass uns doch einen Bus nehmen! Einen Zug! – Es war ein erbarmungswürdiges Schauspiel.

Das beeindruckte Matthias aber wenig. Schließlich schaffte er es doch, mich auf die Straße zu schleppen. Es war ein Kraftakt. Drei Stunden lang am Straßenrand stehen und niemand hielt an. „Siehst du?“, klagte ich lautstark. Am Ende aber, als der Nachmittag schon in den Abend überging, nahm uns doch noch jemand mit. Es war ein Serbe namens Vuk. Auf Serbokroatisch heißt das „Wolf“. Wie alle hier in der Region hatte er ein ausgeprägtes Interesse für Geschichte, eine Geschichte, die allerdings mehr auf Nationalmythen als auf Wissenschaft basierte, und so erging sich der Geschichtsexperte in langen Ausführungen darüber, dass Sarajevo, das heute vorwiegend muslimisch bevölkert ist, eigentlich die „Stadt der Serben“ bedeute.

„Der Untergrund war hart und die Nacht eisig kalt – das Gefühl der Leere war verschwunden.”

An der Grenze zu Montenegro, in einem gottverlassenen Tal, ließ Vuk uns endlich aussteigen. Hier schlugen wir in der Dämmerung unser Zelt auf. Der Untergrund war hart, die Nacht eisig kalt. In der Nähe fuhr von Zeit zu Zeit ein Auto vorbei, hielt plötzlich an. Ich lauschte. In dieser Gegend, wo vor knapp mehr als 20 Jahren noch ein blutiger Krieg gewütet hatte, weiß man ja nie. Das macht die Menschen roher. Einige Minuten lauschte ich noch in die angespannte Stille hinein: Nichts. Man schlief weiter, wachte dann durch irgendwelche Tiergeräusche aus dem Wald wieder auf. Kurze Windstöße rüttelten am Zelt. Als es schließlich hell wurde, lag auf der Zeltaußenwand eine dicke Eisschicht. Das Kondenswasser war bei minus 5 Grad eingefroren. Mit steifen, schmerzenden Fingern packten wir das Zelt zusammen.

Es war hart. Aber da merkte ich, dass ich wieder froh war. Das Gefühl der Leere war verschwunden, ich fühlte mich lebendig.

Während ich meinen Rucksack packte, dachte ich mit Verachtung an das komfortable Bett in Sarajevo zurück: das war vorbei. Inzwischen war hinter dem Berg die Morgensonne hervorgetreten. Die Gesichtsfalten der nächtlichen Anspannung lösten sich in der Wärme der Sonnenstrahlen auf. Matthias und ich schulterten unsere Rucksäcke, brachen auf und gingen einem neuen Reisetag entgegen. Dazu ertönte im Hintergrund irgendein italienisches Lied aus meinem Handy. „Se mi rilasso, collasso“, sang der Cantautore im Refrain.

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