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Illustrations by Sarah
Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 19.02.2021
LebenDie Corona-Jugend

Jung sind wir später

Sie sind stark von der Corona-Pandemie betroffen, kommen in der aktuellen Krise aber gefühlt am wenigsten zu Wort: Wie erfahren Jugendliche das Leben im Notbetrieb?
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Emilia ist 16. Mit ihren Freundinnen spricht sie in letzter Zeit oft darüber, was Leute in ihrem Alter normalerweise so machen. Ausgehen und feiern. Zum ersten Mal ohne Eltern in den Urlaub fahren. Sich verlieben, anderen Menschen nahekommen. „Irgendwann werden wir das alles nachholen“, versichern sie sich dann, bevor sie den Hörer auflegen.

Tatsächlich ist der jetzige Zeitpunkt denkbar ungünstig, um jung zu sein. Im ersten Lockdown konnte man der ganzen Sache noch etwas Spannung abgewinnen oder auf ein baldiges Ende hoffen, aber so langsam will Emilia nicht mehr nur zu Hause herumhocken. Sie würde gerne wieder Freunde treffen, in echt, nicht nur per Video-Call. Jetzt im harten Lockdown vermisst sie es vor allem, mit dem Rad in die Schule zu fahren und in den Pausen mit den Banknachbarn zu ratschen.

Wer erwachsen ist, erlebt die Zeit der Pandemie vielleicht als eine nervige Programmunterbrechung, als einen Aufschub des normalen Lebens auf unbestimmte Zeit oder kommt bestenfalls unverhofft zur Ruhe. Was nicht jetzt sein kann, kommt eben ein bisschen später. Aber wie ist es mit dem Jungsein: Lässt sich das nachholen? Sind Jugendliche, die Erwachsenen von morgen, die großen Verlierer dieser Krise?

„Was fehlt, ist ein Ventil“

Lauretta Rudat warnt zunächst davor, von „den Jugendlichen“ im Allgemeinen zu sprechen. Wie verschieden diese Altersgruppe auf die aktuellen Herausforderungen reagiert, hat Rudat im letzten Jahr immer wieder deutlich an den Erfahrungen ihrer Kolleginnen und Kollegen gesehen. Als Sozialpädagogin ist sie im Jugendzentrum Papperlapapp hauptsächlich für die Öffentlichkeitsarbeit und die Koordination von Projekten zuständig. Die Nachfrage der Jugendlichen ist auch im Lockdown ungebrochen groß: Diese Woche hätte im Rahmen des Projekts ExPEERience ein Winter-Camp mit zwanzig Jugendlichen stattfinden sollen. Trotz des Vorschlags an die Landesregierung, solche Aktivitäten unter strengen Sicherheitsauflagen mit vorherigen PCR-Tests aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer stattfinden zu lassen, musste das Projekt – wie viele andere – nun ausfallen.

Hat im Lockdown noch mehr zu tun als sonst: Sozialpädagogin Lauretta Rudat.

Paradoxerweise haben die Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter des papperlapapp noch mehr zu tun als sonst. Oft wenden sich Jugendliche mit Problemen an sie, manchmal brennt es in der Familie, manchmal fehlt ihnen einfach nur ein Ausgleich, irgendein Ventil, um den Druck abzulassen. „Und wenn Jugendlichen das Ventil fehlt, wird es meistens kritisch“, warnt Rudat.

Emilia kennt die Suche nach dem „Ventil“ gut. Wenn ihr zuhause die Wände zu eng werden, geht sie raus in die Natur, spielt Klavier oder telefoniert mit Freundinnen. Gabriel, ebenfalls 16, fand seinen Ausgleich früher im Fußballspielen. Jetzt ist Mannschaftsport tabu. Statt auf dem Feld trifft er seine Vereinskameraden alle zwei Wochen zum Videochat auf Zoom. So bleibt wenigstens ein bisschen vom Mannschaftsgefühl erhalten. Oder er macht, wenn es gerade erlaubt ist, einen „giro“ mit zwei Freunden in der Stadt. Joel, der im März 18 wird, geht auch viel nach draußen. Er hat den schneereichen Winter zum Langlaufen genutzt, einmal ist er mit Freunden mit dem Rad nach Meran gefahren. Seit die Musikkapelle geschlossen ist, spielt er Klarinette nur noch für sich. Ein erinnerungswürdiger Moment war für ihn, wenn im März alle auf die Balkone gegangen sind und dort zur gegenseitigen Aufmunterung Musik gemacht haben.

Wer jetzt psychisch gut über die Runden kommen will, muss kreativ sein. Das gilt umso mehr für die Jugendlichen. Der innere Ausgleich und die Abwechslung, die sie früher im sozialen Austausch fanden, müssen anderswo her.

Wer es schafft, für das, was im letzten Jahr weggefallen ist, einen Ersatz zu finden, wer ein sicheres Elternhaus hat und wer ein gewisses Urvertrauen in sich trägt, hat gute Chancen, die Herausforderung zu meistern. Solche Jugendliche könnten aus der Krise sogar wachsen, ist der Psychiater Andreas Conca überzeugt: „Wer in dieser Krise Chancen wahrnimmt und sie nutzt, zum Beispiel für ein neues Hobby oder um sich konstruktiv mit sich selbst auseinanderzusetzen, kann am Ende von dieser schwierigen Zeit profitieren.“

Sie begegnen den Herausforderungen mit Kreativität: Emilia (16), Joel (17) und Gabriel (16).

Die Gewinner hängen die Verlierer ab

Emilia, Gabriel und Joel scheinen diese günstigen Voraussetzungen mitzubringen. Was sie verbindet, ist ein nahes Verhältnis zur Natur, ein sicherer familiärer Hintergrund, Kreativität und vor allem die Fähigkeit, mit sich selbst gut zurechtzukommen.

Neben allem, was sie vermissen, haben diese drei Jugendlichen auch einiges dazugewonnen. Durch die Zeit mit sich selbst sei sie innerlich gewachsen und offener geworden, sagt Emilia. Joel hat gelernt, kleine Alltäglichkeiten zu wertschätzen. Und auch Gabriel ist dankbarer geworden für das, was er hat: „Wenn ich jammere, dann bin ich mir bewusst, dass ich das auf sehr hohem Niveau mache“, gibt er zu. Es gibt zurzeit einfach zu viele Menschen, mit denen er nur sehr ungern Rollen tauschen würde: die Alten im Altersheim, das medizinische Personal, ja, auch Politiker. Und einige Gleichaltrige, denen es zurzeit sehr schlecht gehe.

Mit diesen Fällen hat dann Andreas Conca zu tun. Als Primar und Koordinator des landesweiten Dienstes für Kinder- und Jugendpsychiatrie registriert er bei Jugendlichen einen deutlichen Anstieg psychischer Probleme, allem voran Depressionen, Essstörungen, selbstverletzendes Verhalten, Suchterscheinungen und Angststörungen. „Langsam aber sicher kommen wir an unsere Kapazitätsgrenzen“, sagt Conca. Dabei handelt es sich vor allem um fehlendes Personal. Bisher habe die Jugendpsychiatrie in Südtirol wegen ihres ambulanten Dienstes noch eine vergleichsweise gute Versorgung sicherstellen können. Ganz anders in Österreich und Deutschland. Hier erfolgt der Dienst stationär, sodass die Betten durch die höhere Nachfrage schnell ausgelastet waren. Österreichs Jugendpsychiatrien müssen schon nach dem Triage-Prinzip vorgehen: Nur die allerschlimmsten Fälle können behandelt werden.

“Die Zeit zwischen 13 und 18 ist für die Herausbildung einer stabilen Identität entscheidend”: Andreas Conca, Leiter der Jugendpsychiatrie Südtirol

Für die Betroffenen zeiht das möglicherweise bleibende Schäden nach sich. Zwar haben auch junge Mensch in ihren 20ern zurzeit das Gefühl, das Jungsein zu verpassen. Aber für die Jugendlichen hat dieser Verlust eine ganz andere Dimension. „Die Zeit zwischen 13 und 18 ist für einen Menschen entscheidend, um eine stabile und gefestigte Identität herauszubilden“, erklärt Conca. „Ein verlorenes Jahr kann da einen enormen Unterschied machen“.

Während also diejenigen, die bereits gefestigt sind, die aktuellen Herausforderungen dazu nutzen können, sich persönlich noch weiter zu entwickeln, sind andere völlig überfordert. Und zerbrechen daran. Wer zuvor schon mit psychischer und physischer Gewalt aufwachsen musste und nun mit dieser Gewalt zwischen vier Wänden eingesperrt ist, zieht sich noch tiefere Verletzungen zu. Wer nie gelernt hat, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, vertreibt die Leere mit Online-Gaming, Social Media oder pausenlosem Essen – und wird möglicherweise süchtig. Wer sich schon vorher im eigenen Körper unwohl fühlte, hatte jetzt viel Zeit, um jedes einzelne Gramm Körpergewicht auf der Waage genau abzumessen – und isst jeden Tag ein bisschen weniger. So verschärft Corona nicht nur materielle, sondern auch psychische Ungleichheiten.

Der Mythos der unverantwortlichen Jugendlichen

„Das Dramatische ist, dass jetzt ganze Menschengruppen auf der Strecke bleiben“, sagt Conca. Dabei kämen ausgerechnet diese Gruppen so gut wie gar nicht zu Wort: Wann wurden etwa die Jugendlichen zu ihrer Sicht auf die Dinge befragt? Welches Medium gab ihnen Platz?

Conca erinnert sich, dass er letztens immerhin ein paar Mal zur Lage der Jugendlichen interviewt wurde. Das sei eine erfreuliche Sache. Noch besser aber wäre es, wenn man auch den Betroffenen das Wort gibt und sie für sich selbst sprechen lässt. Hört man den Jugendlichen erst einmal zu, so hofft der Primar, würden manche auch die fehlgeleitete Annahme fallenlassen, die meisten jungen Leute seien ohnehin nur leichtsinnige und unverantwortliche Egozentriker. Im Gegenteil, behauptet Conca: Häufig sind es mittel-alte Menschen, die sich nicht an Richtlinien halten und ohne Maske auf Wutbürger-Demos gehen.

Als ich mit Emilia, Gabriel und Joel über ihre Lage sprach, war Faschingsdonnerstag. Ein Tag, der normalerweise Schlagzeilen mit krakeelenden Pöblern und minderjährigen Komasäufern macht. Auf die Frage, was sie gegenüber letztem Jahr gerade am meisten vermissen, nannte keiner von ihnen das Trinken und Abfeiern. Es ging vielmehr um Freunde, Hobbys, Sport. Allenfalls die Geburtstagsparty zum 18. Geburtstag wurde in einer melancholischen Anwandlung kurz erwähnt.

Obwohl sie einen hohen Preis zahlen, viel höher als die meisten Menschen gerade, ist ein überwiegender Teil der Jugendlichen bereit, für den Schutz der Schwächeren Einschnitte und Opfer hinzunehmen. Ungerecht aber wäre es, diejenigen, die das nicht schaffen, pauschal zu verurteilen. Dieser Punkt ist Lauretta Rudat besonders wichtig: Nicht alle finden ihren Ausgleich in einem neuen Hobby oder einem ausgeglichenen familiären Umfeld. „Wenn wir als Jugendzentrum unsere Aktivitäten nicht unter Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen anbieten können, treiben wir die Jugendlichen in gewisser Hinsicht in die Illegalität – denn dann treffen sie sich einfach trotzdem, und zwar ohne professionelle Begleitung“, so Rudat.

Für die Sozialpädagogin sind klare Regeln gut, aber sie dürfen den Jugendlichen nicht auch noch das wegnehmen, was sie zum inneren Ausgleich dringend benötigen. „Wenn man ihnen das nimmt“, warnt Rudat, „suchen sie sich ihr Ventil irgendwo anders.“

Was dann passiert, spielt sich zunächst im Verborgenen ab. Sichtbar wird es in den Nachrichten erst nach einigen Monaten, wenn, so wie jetzt, zunehmend über überfüllte Jugendpsychiatrien berichtet wird.

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