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Illustrations by Sarah
Teresa Putzer
Veröffentlicht
am 23.11.2023
LebenBARFUSS im BDSM-Keller

„Ich bin Dom – und du?“

Zwischen Schlagstöcken, Fesselspielen und Safewords: BARFUSS nimmt euch mit in den privaten BDSM-Keller eines Südtiroler Paares und gibt Einblick in eine unkonventionelle Form der sexuellen Vorliebe.
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Inmitten tiefer Täler und idyllischer Dörfchen habe ich die Gelegenheit, ein außergewöhnliches Südtiroler Paar zu treffen, dessen Lebensstil jenseits gängiger Vorstellungen von Liebe und Intimität liegt. David und Nela (Namen wurden geändert) praktizieren bereits seit Jahren verschiedenste SM-Praktiken, experimentieren wild im Sex- und Liebesleben umher und tauchen immer weiter in die Welt des BDSM ein. Eine Welt, die bei so manchen Menschen Unverständnis hervorruft.

Vier Buchstaben, sechs Begriffe
Keine Lederleggings und Lackstiefel: David und Nela treten äußerlich unauffällig auf, gekleidet in lockeren Jeans und warmen Pullover. Der erste Eindruck, den sie vermitteln, ist von einer gewissen Zurückhaltung geprägt – ihre Vorlieben im privaten Bereich wären auf den ersten Blick nicht zu erahnen. Im Schein gedämpfter Beleuchtung führt mich das Paar in ihren sorgfältig eingerichteten Keller. Sie erzählen von ihren ersten Schritten in die Welt des BDSM und wie sie sich in diese einzigartige Beziehungsdynamik verliebt haben. „Es geht um Vertrauen und Kommunikation“, erklärt David und fügt hinzu: „Unsere emotionale Bindung hat sich durch BDSM noch vertieft.“ 

Die Abkürzung BDSM leitet sich von den englischen Begriffen Bondage and Discipline, Dominance and Submission, Sadism and Masochism ab. Hinter diesen Buchstaben verbirgt sich eine breite Palette sexueller Praktiken, die in der Gesellschaft oft als unkonventionell angesehen werden. Für viele Menschen erscheinen BDSM-Spiele aufgrund ihrer wahrgenommenen Intensität schwer verständlich und sind häufig mit Vorurteilen belastet, da sie nicht dem traditionellen Bild von liebevoller Sexualität entsprechen. Allerdings geht BDSM weit über bloße körperliche oder psychische Gewalt hinaus und beinhaltet mehr als das Zufügen von Schmerzen.1

Die BDSM-Beichte
Wer vielleicht vermuten würde, dass sich ein solches Paar bei einer Sex-Positive-Party oder einem Fetisch-Event kennenlernte, liegt damit komplett daneben. David lernte Nela vor sechs Jahren auf einem Feuerwehrfest in einer kleinen Gemeinde in Südtirol kennen. Der 32-Jährige war bereits über seine dominant-sadistische Neigung im Bilde, behielt jedoch diese Informationen in den ersten Treffen mit Nela für sich. „Ab dem fünften Date wurde klar, dass sich das zwischen uns richtig anfühlt, weshalb ich Nela von meiner sexuellen Vorliebe – meinem sexuellen Ich – erzählte“, erinnert sich der BDSM-Liebhaber.

Die „Beichte“ war für David alles andere als leicht, denn er ist Dom und Sadist. Seine sexuelle Neigung wurde bereits mehrfach abgelehnt, als abartig beschimpft oder ausgelacht. In der BDSM-Beziehung übernimmt er die dominante Rolle, hat Kontrolle über die Sub und gibt Anweisungen (Anm. d. Red.: Eine Sub ist eine passiv-unterwürfige Person im BDSM). Er ist für die Umsetzung von Grenzen und Regeln verantwortlich. Seine sadistische Ader zieht sexuelle Befriedigung daraus, anderen körperliche, psychische Schmerzen oder Unannehmlichkeiten zuzufügen. 

„Ich bin durch und durch Feministin. Der Gedanke daran, mich einem Mann vollkommen zu unterwerfen – obwohl es mir von Anfang an Spaß machte – war mir völlig fremd und zuwider.“

Nela

Beide grinsen, als sie sich an Davids sexuelles Geständnis zuückerinnern. Auf meine Frage an Nela, ob diese Offenbarung schockierend oder gar ein Abturner gewesen sei, lacht die 30-Jährige: „Im Gegenteil. Ich wusste nicht wirklich, was BDSM war, war jedoch interessiert daran, mehr darüber zu erfahren. Es wird zu selten offen über sexuelle Vorlieben gesprochen. Daher kommt besonders häufig die Frau im Bett zu kurz. Ich fand es anregend, dass David so offen über Sex sprechen konnte.“

In ihrer Kennenlernphase experimentierte das BDSM-Paar wild umher und lernte die beidseitigen BDSM-Vorzüge kennen, wie mir die beiden ohne jeglichen Anflug von Scham sehr detailliert berichten. Heute definieren sie sich als sogenanntes D/S Paar. Diese Abkürzung steht für Dominance und Submission und bezeichnet das Spiel um die bewusste und einvernehmliche Schaffung ungleicher Machtverhältnisse zweier oder mehrerer Partner.2 In diesem Spiel switcht Nela zwischen den „Rollen“ Sub, Masochistin und Brat. (Anm. d. Red:. Ein/e Brat ist keine völlig devote Person, sondern jemand, der Strenge einfordert und Dom mit seiner/ihrer Frechheit herausfordert

Die zugefügten „Schmerzen“ im Bett haben Sub-Nela zu keiner Zeit abgeschreckt: „Ich fands immer schon sehr gut, wenn ich etwas härter angepackt werde“, grinst die 30-Jährige frech. Das, womit die Südtirolerin längere Zeit zu kämpfen hatte, war hingegen das Ausleben ihrer devoten Art. 

Eine devote Feministin?
Während sich Nela auf einem schwarzen Ledersessel vor einer der Kellertüren niederlässt, erzählt sie: „Ich bin durch und durch Feministin. Der Gedanke daran, mich einem Mann vollkommen zu unterwerfen – obwohl es mir von Anfang an Spaß machte – war mir völlig fremd und zuwider.“ Die beiden erzählen, dass es eine gewisse Zeit gedauert hat, bis Nela sich auch im Bereich der Unterwerfung völlig sicher fühlte und sich ohne Vorbehalte fallen lassen konnte.

Wir gehen weiter. Im Inneren des Kellers zeigt mir das Paar ihr schalldichtes Spielzimmer, in dem zahlreiche BDSM-Utensilien akkurat aufbewahrt sind. Verschiedene „Schlaginstrumente“ hängen ordentlich nach Größe sortiert an der Wand, die Rohrstöcke sind oberhalb einer Kommode sorgfältig gestapelt. Im Inneren der Kommode herrscht im Gegensatz zum schlichten und in dunklen Farben gehaltenen Raum ein buntes Sammelsurium an Vibratoren, Dildos, Nippelklemmen, Wäscheklammern, Gagballs, Analplugs in allen Farben und Größen, Strominstrumente und vieles mehr. Es vergehen sicherlich 15 Minuten, bis mir David alle Spielzeuge gezeigt und deren Funktionen erklärt hat. 

An der gegenüberliegenden Wand hängen Seile in unterschiedlichen Stärken kunstvoll in pfadfinderischer Manier verknotet. Nela schaut sich glücklich um: „Dies ist der Ort, an dem wir unsere Fantasien zum Leben erwecken,“ lächelt Nela und erzählt weiter: „Hier konnte ich lernen, dass meine Sexualität nicht mit meinen politischen und feministischen Werten kollidiert.“ 

Ein fesselndes Gespräch
Wir nehmen auf einer bettähnlichen Konstruktion in der Mitte des Raumes Platz, während Nela schildert, wie sehr sie es genießt, sich fallen zu lassen, die Kontrolle abzugeben und blind Anweisungen zu befolgen. Dabei offenbart sie, dass sie in manchen Sessions sofort in ihre masochistisch-devote Rolle schlüpft. Gelegentlich jedoch wagt sie es bewusst, David herauszufordern: Sie verweigert Anweisungen, um bestraft zu werden.

Wie aufs Schlagwort deutet Dom-David auf die sorgfältig platzierten Sicherungskarabiner an Decken und Wänden hin. „Wir haben schon sehr viel ausprobiert, Orgasmuskontrolle, verschiedene Schlagtechniken, Doktorspiele und diverse maschinelle Konstruktionen. Im letzten Jahr haben wir gemeinsam viele Fesselkunst-Kurse besucht und Shibari als unser neues Hobby entdeckt.“ 

Shibari ist eine japanische Form des erotischen Fesselns oder Bondage, die oft als Kunstform betrachtet wird. Diese Praxis verwendet kunstvolle Seiltechniken, um den Körper des Partners auf ästhetisch ansprechende Weise zu binden.3
Die Leidenschaft fürs Fesseln steht David – während seinen Bemühungen, mir die verschiedenen Knotentechniken zu erklären – ins Gesicht geschrieben. Angesichts meines verwirrten Blicks und meiner wenig erfolgreichen Versuche, das Seil seinen Anweisungen getreu korrekt zu knoten, fragt er schließlich: „Sollen wir es dir zeigen?“ Überrumpelt stimme ich zu.

Gesagt, getan
David fesselt Nela sorgfältig und erklärt bei jedem Knoten, was er genau tut und wo sich das Notfallseil befindet, das die gesamte Konstruktion mit einem Zug auflöst. Getrieben von Neugier in diesem doch surrealen Setting, frage ich unverblümt, ob ihre reguläre intime BDSM-Fesselsession auch so aussieht. Beide lachen, während David das Fesselkunstwerk mit Nela langsam in die Luft zieht. Kopfüber baumelt die 30-Jährige nun von der Decke und erklärt: „Bei einer richtigen sexuellen Session wäre ich nackt und wir beide in unseren BDSM-Rollen.“
Trotz der unnatürlichen Verdrehung von Nelas Körper versichert mir die 30-Jährige, dass die Seile gar nicht schmerzen und es bei ihren Shibari-Sessions im Gegensatz zu anderen BDSM-Praktiken nicht um den physischen Schmerz geht.
„In diesen Momenten stehen die Fesselkunst, die Kontrolle und das Ausreizen von Angst, also die psychische Kontrolle, im Mittelpunkt. Das Nicht-Wissen, wie weit ich Nela noch nach oben ziehe, sie einfach hängen lasse, das bloße Zeigen eines Rohrstockes und Nelas Ungewissheit, ob ich zuschlagen werde oder nicht, sind oft viel befriedigender als das tatsächliche Zufügen von körperlichen Schmerzen“, fasst es David zusammen und lässt seine Partnerin wieder behutsam zu Boden sinken.

Shibari – Japanische Fesselkunst

Nachdem Nela  sich von den Seilen befreit hat, öffnet die devote Südtirolerin einen zwei Meter hohen Wandschrank. Meine Neugier steigt: Was wird wohl darin sein? Weitere Sex-Toys, Peitschen, ein Elektroschocker? Ich liege komplett daneben. Im Inneren des Schrankes befindet sich eine teure Siebträger-Kaffeemaschine. Zwinkernd bietet sie mir einen Kaffee an und meint: „Schließlich sind wir oft mehrere Stunden hier unten – also soll es auch gemütlich sein.“

Zwischen Kaffee und Spekulatius-Keksen, Silikon-Duft und einer Vielzahl von Sexspielzeugen, wechselt das Paar im Gespräch mit mir mühelos zwischen Anekdoten aus ihrem Liebesleben und anderen Themen, wie der Problematik der Zerstörung der Südtiroler Wälder durch den Borkenkäfer. Ganz so, als wären solche Gespräche das Gewöhnlichste der Welt … Ein durch und durch skurriler Nachmittag. Sobald wir jedoch auf die Gefahren der BDSM-Welt kommen, werden die beiden ernster. 

„BDSM basiert in erster Linie auf Kommunikation.“

David

Konsens: das Fundament des BDSM
„Leider verwechseln viele Menschen das authentische BDSM, dessen A und O der Konsens, gute Kommunikation, Respekt und klare Grenzen sind, mit durch und durch problematischen Gewalt- und Vergewaltigungsfantasien“, erklärt das Südtiroler BDSM-Paar und zeigt offen ihren Missmut gegenüber solcher Gefahren.
Tatsächlich zeigen meine Recherchen, dass die internationale BDSM-Szene immer wieder in Skandale verwickelt ist, bei denen Unfälle passieren, es später zu Anzeigen kommt und viele Betroffene – vor allem die devoten Parts – traumatisiert hervorgehen.

Die beiden betonen, dass BDSM in erster Linie auf Kommunikation basiert: „Eigentlich sind es 80 % Kommunikation und nur 20 % die eigentliche Session und die Sex-Praktiken“, meint der Südtiroler Sadist. Nela erklärt, dass gegenseitige Tabus im Voraus geklärt werden müssen und der dominante Part in der Beziehung sich strikt daran halten muss. Darüber hinaus verwenden sie verschiedene Safewords. Safewords im BDSM signalisieren dem Partner, dass die eigenen Grenzen überschritten werden, bestimmte Praktiken oder Situationen in der Session zu weit gehen und sofort beendet werden müssen. Das Paar zeigt mir eine Geste mit der linken Hand, die in Sessions, wenn Nela nicht sprechen kann – weil sie gefesselt oder anderweitig unfähig zum Sprechen gemacht wurde – das Safeword symbolisiert und zum Abbruch der Session führt.

Die 30-Jährige teilt mit, dass sie oft an ihre Grenzen beim Experimentieren gekommen ist, aber noch nie das Safeword zum Abbruch verwenden musste. Das liegt daran, dass David Nela respektiert, ihre Grenzen und Tabus kennt und nie darüber hinausgeht. „Eigentlich besitzt der submissive Part die ganze Macht im BDSM und nicht der Dom. Nela kann die Session in jeder Situation komplett abbrechen und gibt mir auch ihre Grenzen vor. Natürlich kann ich diese ausloten und mit ihr spielen, aber das letzte Wort hat immer sie“, fügt David hinzu, während er liebevoll seinen Arm um Nela legt.

Wir verlassen das Spielzimmer und gehen in ein helleres, deutlich gemütlicheres Zimmer mit einem großen senfgelben Sofa und einer Leinwand, eine Art Heim-Kino – ein kompletter Kontrast zum düsteren Spielzimmer mit Akustikpaneelen. Hier findet die sogenannte Aftercare nach einer BDSM-Session statt.

Aftercare beschreibt die physische und emotionale Unterstützung und das gemeinsame Reflektieren nach einer BDSM-Sitzung. Hierbei wird durch Gespräche und – falls gewünscht – durch körperliche Zuneigung das Wohlbefinden gefördert, um Post-Session-Gefühlen ohne Scham zu begegnen und dem Nervensystem Sicherheit zu signalisieren. 

Diese Nachsorgezeit gestaltet sich bei jedem Paar individuell. Das Südtiroler BDSM-Paar erzählt, dass ihre Aftercare anfangs oft stundenlanges Gespräch, Kuscheln und das Schmieden neuer Pläne für zukünftige Sessions beinhaltete. Heute kuscheln sie meistens, besprechen die Sessions kurz und bingen die Serie „Breaking Bad“.

Während Nela und David bereitwillig intime Details aus ihrem Privatleben preisgeben und dabei keinerlei Verlegenheit zeigen, entsteht bei mir der Eindruck, dass zwischen den beiden eine tiefe Verbindung aus Respekt und Liebe besteht. Das alles wirkt gleichzeitig irgendwie paradox in Anbetracht dessen, was ich eben gesehen habe.

Wir verlassen den Keller, Schritt für Schritt steigen wir die Holztreppen nach oben und kehren in die „Normalität“ zurück. Ein Gefühl der Nachdenklichkeit überkommt mich, begleitet von einem Hauch Faszination durch den intensiven und authentischen Einblick. Bei der Verabschiedung winken mir die beiden noch einmal zu. Ein surreales Bild bietet sich mir: Ein junges Paar auf den Treppen ihres unscheinbaren kleinen Hauses, im Hintergrund erstrecken sich die Berge Südtirols und in der Ferne hört man bereits die Kirchenglocken zur Abendmesse läuten. Ein idyllisches Bild, wie auf einer Postkarte Südtirols … Wenn man nicht wüsste.


1 https://www.deviance.app/bdsm/#BDSM_Eine_kleine_Begriffsklaerung

2 https://www.deviance.app/ds/

3 https://www.deviance.app/bdsm/#2_Shibari_Achtsame_Fesselkunst

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