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Julia Tappeiner
Veröffentlicht
am 22.06.2020
LebenInterview über LSD und Pilze

Heilsame Trips?

Veröffentlicht
am 22.06.2020
Filmemacher Florian Gebauer über die therapeutische Wirkung von Psychedelika und seine eigenen Trip-Erfahrungen. Am wichtigsten, so findet Gebauer, ist das Setting.
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Im April strahlte 3sat die Doku “Heilsame Trips” des österreichischen Filmemachers Florian Gebauer aus. Was ihn zu dieser Recherche zu psychedelischen Drogen antrieb, waren vor allem viele Fragen: Ist das Stigma, das diesen Substanzen anhaftet, wirklich gerechtfertigt? Welche Potentiale haben sie? Und welche Risiken nehmen ihre Konsumenten auf sich?

In deiner Doku sprichst du über psychedelische Drogen als Form der Therapie – ein kontroverses Thema. Muss man selbst Erfahrungen mit Psychedelika gemacht haben, um so ein Thema filmisch umsetzen zu können?
Als ich Anfang 20 war, hatte ich mit Pilzen meine erste intensive psychedelische Erfahrung. Danach habe ich aber viele Jahre die Finger davon gelassen, weil das Thema für mich immer noch ein bisschen mit Angst und etwas Schlimmem verbunden war, vor allem, was LSD angeht. Vor einigen Jahren habe ich dann von dem amerikanischen Journalisten Michael Pollan einen Artikel gelesen, wo es um die Behandlung von Menschen an ihrem Lebensende mit Psilocybin [siehe Infokasten rechts] ging. Das war eine unglaublich bewegende Geschichte von einem schwer depressiven Krebspatienten, dem durch die Behandlung eine ganz neue Sichtweise geschenkt wurde. Das war dann auch der Grund, warum ich mich in diese Recherche gestürzt habe. In Wien machte ich dann bei einem Schamanen ein zweitägiges Ayahuasca-Ritual.

Filmemacher Florian Gebauer

Wie waren diese Trip-Erfahrungen?
Zunächst ist es wichtig zu betonen, dass psychoaktive Substanzen sehr unterschiedlich wirken. Psilocybin und LSD sind eher chaotisch, während Ayahuasca sehr konkret ist, das heißt, die Substanz gibt dir genau die Erfahrung, die du brauchst. Nach meinem Ayahuasca-Trip habe ich zum Beispiel aufgehört zu rauchen. Ich hatte auch immer wieder unangenehme, angstauslösende Visionen, die sind oft Teil des Trips.

Was geschah dann?
Bei einer meiner Pilzerfahrungen befand ich mich plötzlich in einem rostigen Zimmer, um mich herum tropfende Rohre. In den Rohren lief irgendein ekliges Vieh herum. Was ich gelernt habe: Wenn du beim Trip an einen unangenehmen Punkt angelangst, der dir Angst macht, dann lauf nicht weg, denn das macht es nur schlimmer. Das ist wie bei jeder normalen Psychotherapie: wenn du es schaffst, dich deinen Ängsten zu stellen, kannst du unglaubliche Fortschritte in deiner Heilung machen. Und als ich das tat, sah ich, wie ein riesiges Auge aus den Rohren herausschaut. Da konnte das Monster sich nicht mehr verstecken. Und mir wurde bewusst, dass das Monster meine Trauer repräsentierte, die ich als vierjähriger Junge weggepackt und in diesen Rohren verbannt hatte, weil Trauer damals für mich nicht zulässlich war. Bei solchen Erfahrungen wurden Prozesse in mir angestoßen, durch die ich Teile meiner Persönlichkeit wiedergefunden habe, die ich irgendwann verloren hatte – zum Beispiel durch die Scheidung meiner Eltern.

Ich wollte einen wissenschaftlichen Film drehen.

Hat sich deine Einstellung zu psychoaktiven Substanzen nach dem Dreh des Films geändert?
Ich finde, vor diesen Substanzen sollte man immer einen gewissen Respekt haben. Trotzdem sollte man sich nicht von seiner Angst davon abhalten lassen. Das allerwichtigste ist aber ein richtiges und sicheres Setting, das heißt, die Umgebung muss stimmen. Idealerweise ist ein sogenannter „Trip-Sitter“ dabei, der dich betreut und dich zum Beispiel in einer schlechten Phase des Trips aus deiner Angst befreien kann. Er oder sie kann auch helfen, genau diesen Effekt zu erzielen, der sich einstellt, wenn du dich deiner Angst stellst. Das ist schlussendlich das Ziel.

Das Thema ist ideologisch behaftet: Auf der einen Seite stehen die Verherrlicher psychedelischer Drogen, auf der anderen jene, die Halluzinogene als Lebenszerstörer verteufeln. Wie hast du es geschafft, mit der nötigen Distanz und Objektivität an das Thema ranzugehen?
Indem ich mir ein klares Konzept für den Film vorgenommen habe. Ich wollte einen wissenschaftlichen Film drehen. Das heißt für mich, Fakten zu sammeln und diese den Klischees, die wir jahrelang in der Schule und durch Medien kennengelernt haben, entgegenzustellen. Dafür war es mir wichtig, mit Wissenschaftlern zu reden, die jahrelang Menschen auf diesen Trips betreut haben, und sie nach ihren Erfahrungen und Forschungsergebnissen zu fragen.

Die negative Behaftung solcher Substanzen gab es aber nicht immer. Halluzinogene waren sogar Teil vieler antiker Hochkulturen, die Azteken nannten sie etwa „Flesh of the God“ und nutzen sie für medizinische Zwecke. Wie kam dieser Wandel?
Bevor Psychedelika die „westliche Welt“ erreichten, wurden sie Jahrtausende lang von indigenen Völkern auf dem ganzen Planeten in spirituellen Settings verwendet. Meistens nahm dabei der Schamane selbst diese Substanz, um den Kranken zu heilen, weil er dadurch Kontakt zu den Geistern aufnehmen konnte, um herauszufinden, was seinen Patienten krank machte. Erst in den 1940er Jahren ging ein Journalist nach Mexiko zu einer Schamanin, um psychoaktive Pilze zu nehmen und schrieb über diese Erfahrung einen Artikel im Time-Magazin. Er gilt als der erste „westliche Mensch“, der über einen solchen Pilz-Trip berichtete. Die Geschichte verbreitete sich rasant und immer mehr Menschen im Westen gingen nach Mexiko zu der Schamanin, um Pilze zu nehmen. Dann kam LSD, das vom Chemiker Albert Hoffmann entdeckt wurde, und, wie Michael Pollan treffend sagt: „irgendwann entkam LSD aus den Laboren“. Psychedelika wurden so Teil der westlichen Freizeit- und Hippiekultur. Die Schamanin meinte später, dem Westen psychoaktive Pilze zu geben, sei das Schlimmste, was sie in ihrem Leben getan hätte, denn der spirituelle, heilige Charakter des jahrtausendealten Pilz-Rituals ist im Westen komplett verloren gegangen.

Die Schamanin meinte später, dem Westen psychoaktive Pilze zu geben, sei das Schlimmste, was sie in ihrem Leben getan hätte.

Psychedelika wurden aber erst in den 70er-Jahren verboten. Noch in den 50ern und 60ern gab es eine sehr aktive Forschung zum Therapiepotential von LSD. Was hat eine so wichtige Forschung und medizinische Nutzung daran gehindert, sich weiterzuentwickeln?
Die Politik. LSD und Psilocybin haben die Hippie-Friedensbewegung unglaublich groß werden lassen, denn Menschen, die psychedelische Erfahrungen machen, wollen niemanden umbringen. Die USA befanden sich zu dieser Zeit aber im Vietnamkrieg und brauchten Soldaten. Es entstand eine Gegenkultur, die 68er-Generation, die die etablierten Machtstrukturen in Frage stellte. Das war einer der Gründe, warum der damalige Präsident Nixon den „Krieg gegen die Drogen“ ausrief. Daraufhin rollte eine Propagandawelle, ausgehend von den USA, über den Planeten, die LSD und Pilze als unglaublich gefährliche, süchtig machende Drogen darstellte. In Schulbüchern und Filmen wurden Horrorszenen gezeigt, wie Menschen sich aus dem Fenster schmeißen und so weiter – ziemlicher Humbug. Diese Klischees haben sich damals verfestigt, denn es gab ja keine Psychedelika mehr, und schon gar nicht in einem sicheren „Setting“. Menschen sind bis heute davon geprägt und viele machen sich nicht die Mühe, nachzuprüfen, ob denn das alles so stimmt. Es gibt tatsächlich Gefahren und es können Unfälle passieren. Aber häufig liegen in solchen Fällen andere Gründe dahinter, etwa ein unpassendes Setting, unerkannte, latente Psychosen oder Mischkonsum mit anderen Drogen.

Findet im Bewusstsein der Leute jetzt ein Umdenken statt?
Das schönste Kompliment, das ich bekommen habe, war von meiner Mutter. Ich rede sehr offen mit meinen Eltern und habe ihnen auch von meinen Erfahrungen erzählt. Meine Mutter hat davon aber tendenziell immer Angst bekommen. Als sie den Film gesehen hat, hat sie sich bei mir bedankt für diese neue Sichtweise. Sie konnte zum ersten Mal auch das Gute daran sehen. Und ich glaube, das ist mein Ziel: den Menschen zeigen, welches Potential in dieser Form der Therapie liegt. Ich glaube schon, dass es eine Art Renaissance gibt. Im Moment sieht es auch danach aus, dass die amerikanische Zulassungsbehörde die „psychedelic-assisted therapy“ in den USA bald genehmigen könnte. Aber ich merke in Gesprächen, dass die meisten Menschen immer noch nicht von diesem unglaublichen therapeutischen Potential von Psychedelika wissen.

Wie ist die Gesetzeslage hinsichtlich Psychedelika als Medizin in Europa?
Das Verbot in den USA hat sich nach und nach auf der ganzen Welt durchgesetzt. Auch die Gleichstellung von LSD mit Heroin wurde in die UNO-Drogenkonvention aufgenommen, LSD wurde also als süchtigmachend und ohne medizinischen Nutzen eingestuft. Das ist mit Ausnahme weniger Länder in Südamerika auf der ganzen Welt so.

Es ist nicht so, dass du LSD nimmst, und alles ist gut. Du musst den Trip mit einer Behandlung in dein Leben integrieren.

Therapeutische Einsatzmöglichkeiten für Psychedelika betreffen zum Beispiel die Behandlung von Depression oder der Suchtbekämpfung. Der Gründer der Anonymen Alkoholiker Bill Willson etwa hat selbst seine Alkoholsucht damit geheilt. Worin liegt das große Potential von Psychedelika als Form der Therapie?
Das Potential gegenüber anderen Therapien ist zum einen die Geschwindigkeit, mit der du zur Ursache deines Problems angelangst. Bei Sucht ist es zum Beispiel so, dass du extreme Ängste, die du nicht aushältst, selbst durch Alkohol oder andere Drogen behandelst. Du läufst also von deinen Gefühlen weg, lenkst dich ab. Das Problem ist, dass diese Drogen nicht helfen, weil du irgendwann eine Toleranz entwickelst, das heißt, du brauchst immer mehr. Je länger du diese Drogen aber nimmst, desto weiter entfernst du dich von dem Grund für dein Trauma. Mit einem begleiteten psychedelischen Trip kannst zu wieder an diesen Punkt zurückgelangen, wo es weh tut, und von dem aus du dann eine Behandlung beginnen kannst. Es ist nicht so, dass du LSD nimmst, und alles ist gut. Du musst den Trip mit einer Behandlung danach in dein Leben integrieren.

Es gibt auch Gegner dieser Annahme, LSD und CO seien geeignete Therapieformen. Auf welche potentiellen Gefahren oder Nebenwirkungen berufen sich die Skeptiker?
Leider noch immer auf die alten Klischees, dass diese Substanzen hochgefährlich seien und abhängig machten. Es gibt aber etliche Studien, die zeigen, dass Psychedelika nicht süchtig machen. Ich denke übrigens auch, dass Halluzinogene nicht für jeden etwas sind. Menschen mit latenten Psychosen etwa sollten keine psychedelischen Substanzen nehmen, denn die können diese Psychosen auslösen. Dennoch sollte jeder die Chance dazu bekommen, sich therapeutisch mit sich selbst auseinander zu setzen. Und ich glaube, dass diese Substanzen einem dabei helfen, wenn man das gemeinsam mit einem ausgebildeten Therapeuten macht.

Im Film wird auch der spirituelle Teil von psychedelischen Erfahrungen angesprochen: Viele berichten davon, der „Trip“ sei die wichtigste Erfahrung in ihrem Leben gewesen, habe ihnen die Welt mit anderen Augen sehen lassen. Können Psychedelika dazu beitragen, die Menschheit zu einer glücklicheren und vor allem zu einer friedlicheren Spezies machen?
Es ist nicht zu beantworten mit einem einfachen „Ja“. Aber es ist schon eher ein Ja. Mir haben die Pilze geholfen, erstmals meine Spiritualität zu entdecken. Ich besuchte als Kind eine Klosterschule, die hat mir die Spiritualität komplett genommen. Die katholische Kirche wäre ja spirituell, hat aber meiner Meinung nach zu viele Gebote und Verbote, was nicht mit Spiritualität vereinbar ist. Psychedelische Erfahrungen lassen dich die Verbundenheit von allem spüren. Und dann gehst du auch anders mit deinem Umfeld um. Mit deinen Mitmenschen, dem Baum neben dir. Da fängst du an, Müll von der Straße aufzuheben und wegzuschmeißen, weil du realisierst, dass alle davon profitieren. Oft, wenn es mir schlecht geht, erinnere ich mich an den Trip zurück, und spüre wieder dieses spirituelle Gefühl der Verbundenheit. Dann fühle ich mich gleich weniger gestresst. Ich glaube, das ist auch das Heilende an dieser Erfahrung.

Psychedelische Erfahrungen lassen dich die Verbundenheit von allem spüren.

Ein Patient spricht davon, wie er dank LSD das schönste Weinen seines Lebens hatte, weil er vorher keine Gefühle zulassen konnte. Ist die Kommunikation über unsere Gefühle in unserer Gesellschaft ein Problem? Und wie können Drogen dabei helfen?
Ich glaube vor allem bei Männern ist es ein ganz großes soziales Problem. Aus meiner eigenen Sozialisation heraus kann ich sagen, dass ich nie gelernt habe, über meine Gefühle zu sprechen. Mein Vater auch nicht. Meine Mutter hat sich das über Jahrzehnte in Therapie selber beigebracht. Aber ich kenne niemanden, der von sich aus überhaupt keine Probleme hätte, über seine Gefühle zu sprechen. Bei einem Trip bricht die Mauer, die du dir normalerweise aufbaust, zusammen, du kannst dich einfach nicht mehr wehren, und deine Gefühle kommen raus. Das ist enorm befreiend.

Viele Patienten, die Erfahrung mit psychedelischer Therapie haben, berichteten, die Erfahrung habe ihnen die Angst vor dem Tod genommen.
Der Tod ist bei uns immer noch ein Tabu. Keiner redet über das Sterben. Psychedelika helfen dir, indem sie dir aufzeigen, dass es noch eine andere Realität gibt, dass es etwas Göttliches gibt, etwas Größeres, als dich selbst. Auch diese Verbundenheit mit allem ist eine Art, die Angst vor dem „Nicht-mehr-Sein“ zu verlieren, weil du auf irgendeine Art weißt, du wirst nach deinem Tod wieder zu allem, weil alles verbunden ist, weil du Teil von einem großen Ganzen bist. Da spielt Endlichkeit keine Rolle mehr.

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