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Illustrations by Sarah
Sarah Meraner
Veröffentlicht
am 15.11.2023
LebenPostpartale Depression

Die Traurigkeit im Wochenbett

Rund jede vierte Frau erkrankt nach der Geburt an einer postpartalen Depression. Was die Krankheit für Betroffene bedeutet und warum niemand Schuld daran trägt.
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Söhnchen Julian (Name von der Redaktion geändert) ist für Andrea aus dem unteren Vinschgau und ihren Mann ein absolutes Wunschkind. Die Schwangerschaft verläuft problemlos und ist für die junge Frau eine wunderschöne Erfahrung. „Mein Nestbautrieb war extrem ausgeprägt, alles sollte picobello sein für unseren Kleinen“, erinnert sie sich. Gegen Ende der Schwangerschaft wird klar, dass die Geburt ein geplanter Kaiserschnitt wird, denn das Baby sitzt in der Gebärmutter. Kurz nach der Geburt verändert sich in Andrea etwas. Baby Julian kann nicht dauernd bei ihr sein, weil Zuckerwerte und Körpertemperatur nicht okay sind. Viele Fragen und Unsicherheiten tauchen auf. Die sonst so selbstbewusste und positiv gestimmte Andrea fühlt sich in ihrer neuen Rolle als Mama hilflos und überfordert. Als ihr Mann zwei Wochen nach der Geburt wieder zur Arbeit geht, erwacht in ihr endgültig das Gefühl der kompletten Hilflosigkeit. Sie schafft es nicht mehr zu duschen oder zu kochen, geschweige denn Termine bei der Kinderärztin zu vereinbaren. „Ich wurde meinen eigenen hohen Ansprüchen nicht mehr gerecht“, sagt sie rückblickend, „und ich wusste nicht mehr, wie es weitergehen soll.“

Mit diesen Gefühlen steht Andrea nicht alleine da. Zwischen 15 und 20 Prozent der Frauen leiden postpartum an einer Depression – weil sich viele der Betroffenen das oft aber selbst nicht erkennen oder sich keine Hilfe holen, dürfte die Dunkelziffer weitaus höher liegen. Auch Caro (Name von der Redaktion geändert) fällt nach der Geburt ihres Kindes 2018 in eine Depression – sie erzählt von einer traumatischen Geburt inklusive Kontrollverlust und übergriffigem Verhalten der Hebamme. „Ich wog damals noch über 130 kg und hatte das Gefühl, deshalb nicht ernst genommen worden zu sein“, erzählt die heute 40-jährige Vinschgerin, „außerdem verlor ich sehr viel Blut und konnte durch die PDA nicht mehr atmen. Ich kam auf die Intensivstation, konnte deshalb nicht gleich stillen und auch keine Bindung zu meinem Sohn aufbauen.“ Von Anfang an hat sie das Gefühl, sie könne nicht die Mama sein, die ihr Kind braucht. „Das spürte der Kleine. Je mehr ich weg wollte, desto mehr hat er geklammert. Und ja: Ich wollte weg.“

Karin M., 37

Ungefähr 100 Frauen und auch eine Handvoll Männer betreut das multiprofessionelle Team rund um die Psychotherapeutin Monica Greco – bestehend aus zwei Psychiaterinnen und zwei Psychotherapeutinnen – jährlich. Greco arbeitet seit 20 Jahren in der Psychiatrischen Fachambulanz für die seelische Gesundheit in Schwangerschaft und Post Partum in Bozen. „In schwerwiegenden Fällen arbeiten wir nicht nur ambulant, sondern auch stationär – es gibt zwei Zimmer bei uns in der Psychiatrie, die nur für Patient:innen mit postpartalen Depressionen reserviert sind.“ Leichte Formen der Wochenbettdepression werden meistens anhand einer Gesprächstherapie behandelt, bei mittleren und schweren Depressionen kommt noch eine pharmakologische Behandlung mit Antidepressiva hinzu, die auch während der Stillzeit eingenommen werden können. So wie bei Andrea – und auch bei Verena K. (Name von der Redaktion geändert): Die 38-Jährige hatte derart starke Symptome – Handlungsunfähigkeit, extreme Traurigkeit, Ängste und Panikattacken – dass irgendwann der Gedanke für sie im Raum stand: „Es wäre egal, wenn ich nicht mehr da wäre.“ Nach außen habe man ihr wenig angemerkt, erzählt sie, sie habe wie eine sehr fröhliche Person gewirkt. Heute, dreieinhalb Jahre nach der Geburt ihres Kindes, ist sie nach wie vor auf Antidepressiva angewiesen. „Bin mir nicht sicher, ob ich alles schon überstanden habe, bin aber dabei, die Tabletten zu reduzieren und auch die Abstände der Therapiestunden werden größer.“

Doch: Wie äußert sich eine postpartale Depression überhaupt? Wie sollen Angehörige und Freunde und auch die Betroffenen selbst die Postpartale Depression als solche erkennen? Und wann sollten sich Frauen Hilfe holen?

„Du bist sicher nur übermüdet!“
Eine postpartale Depression lässt sich oft nicht leicht erkennen. Gerade das unmittelbare Umfeld, wie der Partner oder die eigenen Eltern, verwechselt eine Depression häufig mit Müdigkeit, so Greco. Unmittelbar nach der Geburt leiden über die Hälfte aller Frauen am bekannten Babyblues, der mit den starken Schwankungen des Hormonspiegels zu tun hat und normalerweise nach einigen Tagen wieder abklingt. Ist dies nicht der Fall, bzw. verstärken sich einige der Symptome und/oder kommen andere hinzu, sollte man eine postpartale Depression in Erwägung ziehen. Bei vielen kann diese aber auch erst nach Wochen oder sogar erst Monate nach der Geburt auftreten. Typische Gefühle reichen beispielsweise von Traurigkeit, häufigem Weinen, innerer Leere, starker Erschöpfung und Energielosigkeit über Schuldgefühle, Versagensängste, Nervosität, Schlafstörungen und Ängsten bis hin zu Panikattacken, zwanghaften Gedanken, zwiespältigen Gefühlen gegenüber dem Kind sowie Suizidgedanken. 

Eine weitere Frau, die 35-jährige Katharina, berichtet: „Ich verspürte über einige Wochen keine Mutterliebe für das Kind – erst als es angefangen hat zu lächeln. Ich war müde, schwach, ängstlich und in ständiger Sorge.“ Ihr Umfeld wusste nichts von alldem – nur ihr Partner. Da es aber für ihn ebenfalls eine neue Situation war, habe er es nicht richtig einordnen können, so Katharina. „Erst Monate später konnte ich mir eingestehen, dass es eine postpartale Depression war und offen darüber reden. Ich schämte mich anfangs dafür, dass ich nicht die Liebe empfinden konnte, die man mit dem Muttersein verbindet.“

Bereits vorausgehende psychische Erkrankungen wie Angststörungen oder Depressionen, oder aber eine tendenziell höhere Vulnerabilität der Person kann eine postpartale Depression begünstigen – sie kann aber auch auftreten, wenn eine Person bisher psychisch stabil war, erklärt Greco. Auch Andrea beschreibt sich selbst als eigentlich sehr starken Charakter. „Mein Leben lang bin ich immer mit meinem Kopf durch die Wand – das änderte sich durch das Leben mit Kind. Und auf einmal wusste ich nicht einmal mehr, was richtig und falsch ist.“

Wie kommt es zu einer postpartalen Depression?
Eltern, vor allem aber Mutter werden, bringt emotionale, körperliche und hormonelle Herausforderungen mit sich – und sehr viele Höhen und Tiefen. Neben der eigenen Vulnerabilität, die Greco anspricht, vermuten Forscher:innen außerdem, dass die individuelle Biochemie des Gehirns manche Menschen für Depressionen anfälliger macht als wiederum andere. Zudem kann die Geburt ein überwältigendes oder gar traumatisches Erlebnis sein, das Mütter nicht einfach überwinden können.

Auch die gesellschaftlichen Vorstellungen einer Traumgeburt oder die scheinbare idyllisch-positive Anfangszeit mit einem Kind, wie sie von vielen zelebriert wird, übt auf Frauen zusätzlichen Druck aus und hinterlässt bei ihnen den Gedanken: Warum fühle ich mich nicht so glücklich wie all die anderen Frauen? Dazu trägt auch die Social-Media-Welt stark bei.

Zudem wird das „neue“ Leben als Mama oder Papa als gravierende und belastende Situation empfunden. Caro erinnert sich: „Bis vor einem Jahr bereute ich es, Mama geworden zu sein. Ich fühlte mich wie begraben.“ Sie lässt früh das Stillen, was sie so sehr unter Druck gesetzt hat, gibt das Fläschen und sucht sich Arbeit draußen auf dem Hof, um nicht bei ihrem Kind sein zu müssen. „Ich bin geflohen – und hab mich dadurch wieder freier gefühlt.“ Gleichzeitig beginnt sie Hass gegen sich selbst zu hegen: „Ich fühlte mich wie eine Versagerin, weil ich das scheinbar natürlichste auf der Welt nicht auf die Reihe bekam. Ich verspürte keine schönen Gefühle mehr und hatte den Gedanken und den Wunsch, mein Leben zu beenden.“

„Man kann eine postpartale Depression nicht verhindern“, weiß Greco, „eine Frau, bzw. ein Mann kann nur versuchen, eine gesunde Stress-Ressourcen-Balance zu halten, genügend Psychohygiene zu betreiben und Energie tanken. Und Eltern sollten wissen, an wen sie sich bei Bedarf wenden können.“ Der Partner sollte immer ein wachsames Auge haben – und sich bei Zweifel oder Unsicherheiten an eine Fachperson wenden.

Im Krankenhaus Bozen hat 2006 niemand erwähnt, dass es psychologische Hilfe gibt. Das war und ist für mich heute noch unverständlich. Im Zustand der Depression ist es für die Betroffenen oft nicht möglich, nach Hilfe zu fragen. Mein Umfeld hat es mitbekommen. Aber alle haben gesagt, dass das schon vorbeigeht.“

Eine weitere Frau, die anonym bleiben möchte, berichtet ebenfalls, dass sie im Jahr 2016 im Bozner Krankenhaus nach der Geburt noch keine Beratung oder Aufklärung zu dem Thema erhält. Als sie aber 2022 ihr zweites Kind dort entbindet, besucht eine Hebamme sie in ihrem Zimmer und spricht mit ihr über das Thema. Und sie bekommt eine Broschüre in die Hand mit der Bozner Anlaufstelle „Psychiatrische Fachambulanz für die seelische Gesundheit in Schwangerschaft und Post Partum“. Hier hat sich in den vergangenen Jahren also zum Glück etwas getan. Andrea ist der Meinung, dass es aber nach wie vor an ausreichender Aufklärung fehlt. „Ich habe auch meinen Frauenarzt direkt darauf angesprochen und ihm gesagt, wie wichtig es wäre, Frauen schon während der Schwangerschaft darüber zu informieren, dass es z. B. diese Anlaufstelle in Bozen gibt. Das wissen nämlich sehr viele Frauen nicht.“

Von Hilfe und Offenheit
Nicht jede der befragten Frauen hat ihre Wochenbettdepression nach außen getragen, nicht jede hat eine professionelle Hilfe in Anspruch genommen. Die 29-Jährige Andrea geht von Anfang an sehr offen mit ihrer postpartalen Depression um – und sie holt sich ein paar Monate nach Julians Geburt Hilfe bei Monica Greco: Gesprächstherapie sowie eine 6-monatige, leichte Psychopharmaka-Kur.

Auch Caro holt sich 2018 schließlich Hilfe, hat aber erstmal Schwierigkeiten damit, sie zu finden. Von der Anlaufstelle in Bozen weiß sie nichts. „Ich hab glaub ich bei fünf verschiedenen Stellen angefragt, bis ich schließlich zur Familienberatung gekommen bin. Dort hatte ich dann ungefähr zehn bis zwölf Sitzungen, bevor es mir besser ging.“ Heute haben Caro und ihr Sohn eine gute Bindung zueinander. Die Vinschgerin ist froh, diese schwierige Zeit hinter sich gelassen zu haben. Sie achtet gut auf sich, schafft sich weiterhin notwendige Freiräume und spricht negative Dinge auch mal laut aus. „Das muss auch Platz haben in der heutigen Gesellschaft“, ist sie überzeugt.

Mittlerweile hat auch Andrea einen gesunden und positiven Blick auf diese schwierige Zeit – das schaffen nur die wenigsten. „Inzwischen kann ich mich über kleine Sachen freuen, ich genieße Momente. Und es ist mir wichtig, mit meiner Depression offen umzugehen.“ Damit möchte sie anderen Müttern zeigen, dass sie mit ihren Gefühlen nicht alleine sind – und dass sie keine Scham empfinden müssen. Dieser Ansatz ist gut und wichtig. Alle Betroffenen wünschen sich im Nachhinein nämlich vor allem eines: dass das Thema enttabuisiert wird. Und jedes werdende Elternteil sollte wissen, dass es die postpartale Depression überhaupt gibt, was sie bedeutet und wo man sich Hilfe holen kann. Vielleicht im Rahmen von Geburtsvorbereitungskursen oder im Rahmen eines aufklärenden und ausführlichen Gesprächs bei der Gynäkologin oder dem Gynäkologen. Spätestens aber im Krankenhaus nach der Geburt des Kindes. Denn: Eine postpartale Depression kann jede:n treffen. Sie ist kein persönliches Versagen und bedeutet nicht, dass eine Frau eine schlechte Mutter ist. Sie ist eine Krankheit, die behandelt werden kann. Und über die ganz dringend offen gesprochen werden muss.


Traut euch, Hilfe zu holen!
Hast auch du das Gefühl, an einer postpartalen Depression zu leiden? Oder glaubst du, dass dein:e Partner:in Hilfe braucht? Hier gibt es wichtige Kontaktdaten für dich: 

Psychiatrische fachärztliche Visiten für die seelische Gesundheit in der Schwangerschaft und im Post Partum:
Krankenhausgebäude W, 1. Stock. (Bei Bedarf auch in der Geburtshilfe)
Tel. 0471 435 146/147 (Montag-Donnerstag 08:00-17:00 Uhr; Freitag 08:00-14:00 Uhr)
E-Mail: psichiatria.bz@sabes.it

Familienberatungsstellen:
Bozen – Sparkassenstr. 13
Tel. 0471 973 519

Meran – Rennweg 6
Tel. 0473 210 612

Bruneck – Oberragen 15
Tel. 0474 555 638

Schlanders – Hauptstraße 14/c
0473 210612 (Beratungsstelle Meran)

St.Ulrich – J.B.-Purger-Str. 16
Tel. 0471 973519 (Beratungsstelle Bozen)

E-Mail: fabe-bozen@familienberatung.it

Familienberatungsstelle Lilith Meran:
Marlingerstraße 29
Tel. 0473 212545
E-Mail: info@lilithmeran.com

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