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Illustrations by Sarah
Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 11.05.2017
LebenNachhaltigkeit

Der Luxus des guten Gewissens

Es gibt immer mehr Möglichkeiten, nachhaltig einzukaufen. Doch nicht jeder kann sich das leisten. Ist die Moral ein Privileg der Reichen?
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Jetzt noch einen Sack Dinkelmehl und zwei Liter Hafermilch. Damit ist Annemaries Einkaufswagen voll. Während sie ihn zur Kasse schiebt, lässt sie noch einmal den Blick über die Regale schweifen. Die 50-jährige Familienmutter kauft Bio-Produkte aus Überzeugung, aber allein schon die rurale Ästhetik der Verpackungen gefällt ihr. Vor der Kasse hat sich inzwischen eine Warteschlange gebildet. Als Annemarie sich anstellt, fällt ihr nicht zum ersten Mal auf, wer außer ihr sonst noch hier einkaufen geht. Großteils sind es die Frauen aus den gutbetuchten Mittel- und Oberschichtsfamilien. Einige Kundinnen kennt Annemarie persönlich, über deren finanzielle Möglichkeiten weiß sie Bescheid. So, wie über ihre eigenen. Annemarie weiß: Sie wäre wohl nicht hier, wenn sie Putzfrau wäre statt Lehrerin und ihr Mann auf dem Bau arbeiten würde anstatt im Gericht. Als auf dem Kassenmonitor dann ein dreistelliger Preis erscheint, bekommt sie ein ungutes Gefühl. Nicht, weil sie sich den Preis nicht leisten kann. Im Notfall spart Annemarie dafür irgendwo anders. Das ungute Gefühl hat sie, weil sie einmal mehr merkt: Gutes Gewissen ist ein Luxus. Man kann es sich kaufen und dafür braucht es Geld.

Das Geld steht selbstverständlich nicht jedem zu Verfügung. Oder wie es in einem Songtext der Band Kraftklub heißt: „Mit 400 Euro Hartz kommt man nicht weit im Biomarkt“. Wer in der Sozialwohnung lebt, geht eben eher in den Billigdiscounter, das ist oft die einzige Möglichkeit. Damit hat nicht nur die Familienmutter Annemarie ein Problem. Wer im Bioladen einkauft, tut das in der Regel nicht nur, um hipp zu sein. Es geht um Nachhaltigkeit, um eine konkrete Veränderung der Gesellschaft, oder ganz platt gesagt: Es geht darum, auch als Konsument die Welt zu verbessern. Das ist aber kaum möglich, solange ein großer Teil der Bevölkerung gar nicht die Mittel dazu hat. Im Supermarkt wird es dann zwar die Bio-Abteilung geben, aber gleich daneben liegen in den Regalen weiterhin das Schweine-Kotelett aus Massentierhaltung, Klopapier aus Regenwaldholz oder die Pestizid-Tomate aus Spanien. Damit sich daran etwas ändert, muss auch der Geringverdiener die Möglichkeit haben, nachhaltig zu konsumieren. Aber geht das überhaupt?

Oft wurden die Bio-Pioniere nur belächelt oder verächtlich „Kornfresser“ genannt.

Wenn es darauf eine Antwort gibt, dann müsste Hannes Desaler sie kennen. Als Geschäftsführer der Naturalia und als Präsident der Bio-Fachgeschäfte im hds ist er mit dem Thema vertraut. Angefangen hat es bei ihm vor etwa 25 Jahren. Dadurch, dass er damals seine Kinder auf die Waldorf-Schule in Meran geschickt hatte, kam er mit den Ideen Rudolf Steiners in Kontakt. Dieser war nicht nur Begründer der Waldorf-Schulen, sondern auch der biodynamischen Landwirtschaft. Dahinter steckt aber dieselbe Philosophie, sagt Desaler. Ob es die Erziehung zur Freiheit ist oder die faire Auszahlung eines Bauern aus dem Obervinschgau: Hier wie dort gehe es um den gerechten Umgang mit sich selbst, mit anderen Menschen, mit Tier und Umwelt. Doch damals, in den späten 80er- und frühen 90er-Jahren, waren die Rudolf Steiner-Jünger noch eine gesellschaftliche Randerscheinung. Ihre Ideen waren neu und trafen auf Misstrauen, oft wurden die Bio-Pioniere nur belächelt oder verächtlich „Kornfresser“ genannt.

Bio-Ware: Auch nicht immer das Wahre

Mit Hemd und lässigem Marken-Jacket sieht Desaler längst nicht mehr wie ein Kornfresser aus. Auch die Bewegung, hinter der er steht, hat in den letzten 25 Jahren einen großen Wandel durchgemacht. Bio ist nicht mehr jene Alternative für Querdenker, die es einmal war. Bio ist inzwischen für viele eine Notwendigkeit, vereinzelt sogar ein Modephänomen. Seit ungefähr drei Jahren sind die Bio-Produkte auch in den konventionellen Supermärkten angekommen. Oder besser gesagt: Der konventionelle Markt ist beim Bio angekommen. Denn er hat seine Profitmöglichkeiten erkannt.

Desaler wertet die Entwicklung als klares Zeichen dafür, dass immer mehr Menschen bewusst leben wollen und es ihnen nicht einfach egal ist, was in ihrem Magen landet oder was sie sich auf die Haut schmieren. Als Betreiber eines biologischen Fachgeschäfts warnt er aber auch zur Vorsicht: Nicht überall, wo Bio draufsteht, sei auch Bio drin. Gerade im konventionellen Markt, wo der Profit nach wie vor die höchste Priorität hat, sei Vorsicht angebracht. Betrugsfälle mit angeblichen Bio-Produkten gab es bereits einige. „Und es werden mit Sicherheit durch die bereits heutige Knappheit der Rohmaterialien noch einige Skandale auf uns zukommen“, sagt Desaler. Er fürchtet, dass solche Vorfälle langfristig den gesamten Biomarkt diskreditieren könnten und damit auch all jene Produzenten, die tatsächlich faire und nachhaltige Sachen auf den Markt bringen.

„Es werden mit Sicherheit noch einige Skandale auf uns zukommen!“ – Hannes Desaler, Präsident der Bio-Fachgeschäfte im hds

Doch was unterscheidet eigentlich den Konsumenten, der seine Bio-Sachen im Supermarkt kauft, von jenem, der sie sich in einem Bio-Fachgeschäft wie der Naturalia besorgt? Hannes Desaler will nicht vorschnell urteilen, seine persönliche Meinung ist aber, dass der Konsument im Biomarkt mit weitaus höherer Sicherheit auch das vorfinden wird, was vom Bio-Siegel versprochen wird; zumal es verschiedene Siegel gibt und die Bio-Fachgeschäfte meist nur die qualitativ höchsten und sichersten handeln. Und der Profit? „Der steht im Bio-Markt hinten an“, sagt Desaler und fügt dann hinzu: „Interessanterweise kommt der Profit aber ganz von selbst, wenn man mit Überzeugung und der richtigen Einstellung hinter der Sache steht.“

Tatsächlich findet man manchmal auch im Lidl-Markt exakt dieselben Sachen wie im Bio-Fachgeschäft. Dasselbe Produkt, dieselbe Marke – aber um einige Cent billiger. Auch im konventionellen Supermarkt ist es also möglich, mit erleichtertem Gewissen einzukaufen. „Es ist zwar allgemein bekannt, dass unter anderen auch im konventionellen Lebensmittelhandel die grundeigensten Notwendigkeiten des Menschen und dessen Würde mit Füßen getreten werden. Doch auch, wer sich nur den konventionellen Supermarkt leisten kann, kann darauf achten, gewisse Marken zu boykottieren und so seinen Beitrag leisten“, dessen ist sich Hannes Desaler sicher. Dabei muss man aber sehr selektiv sein, muss bei jedem Produkt genauestens auf Herkunft und Inhalt achten. Der Biomarkt hingegen will genau das dem Konsumenten abnehmen. Gut und nachhaltig soll dort alles sein, lautet das Versprechen. Auch dafür wird dann der Mehrpreis gezahlt.

Jenseits von Bio: „Containern“, GAS und Bauernmarkt

Matthias lehnt inzwischen beides ab, den konventionellen Supermarkt wie auch den Biomarkt. Seit er in Deutschland Betriebswirtschaftslehre studiert, ist er mit einer ganz anderen Möglichkeit des Konsums in Kontakt gekommen: dem „Containern“. Für seine Zunft der BWL-Studenten eher unüblich, bedeutet das für Matthias, dass er sich, wenn er die Möglichkeit hat, seine Lebensmittel einfach aus dem Müll holt. In vielen Städten Deutschlands ist das bereits eine etablierte Praxis: Menschen aus allen Schichten – Anwälte, Arbeitslose, Angestellte, Studenten – treffen sich in kleinen Gruppen und bedienen sich bei den Abfallcontainern der großen Supermärkte. Was dort weggeworfen wird, sind oft noch verwertbare Produkte: Obst mit Macken, abgelaufene, aber noch genießbare Nahrungsmittel, einwandfreie Sachen, deren Verpackung lediglich etwas beschädigt wurde.

„All das Zeug wird sowieso weggeworfen. Wer containert, der erzeugt keine überflüssige Marktnachfrage. Außerdem ist es gratis.“

Angesichts einer Welt, in der dreimal so viele Lebensmittel produziert werden, wie eigentlich nötig wären, um die ganze Menschheit zu ernähren, ist das Containern für Matthias die denkbar nachhaltigste Form des Konsums: „All das Zeug wird sowieso weggeworfen. Wer containert, der erzeugt keine überflüssige Marktnachfrage. Außerdem ist es gratis.“ Und illegal. Wer in Deutschland oder Italien containert, riskiert eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs, da die Abfallcontainer der Supermärkte meist durch Umzäunungen geschützt sind, oder sogar wegen Diebstahls, da der Abfall rechtlich gesehen ein Eigentum der Gemeinde darstellt. Das Verschwenden von Lebensmitteln läuft währenddessen munter weiter, völlig legal. Für Menschen wie Matthias ist das eine verkehrte Welt.

In Südtirol hat sich noch keine richtige Containerszene herausgebildet. Aber selbst wenn das einmal der Fall werden sollte, ist es klar, dass nicht jeder es sich leisten kann, mitzumachen. Diesmal sind es jene mit einem gewissen sozialen Status, die ausgeschlossen sind. Auch die Familienmutter Annemarie kann es sich nicht vorstellen, in einem Container zu wühlen, obwohl sie die Idee an sich befürwortet. „Dafür bin ich inzwischen zu alt“, sagt sie. Für den gesetzten Teil der Bevölkerung bleiben also nur die konventionellen Wege, alternativ zu sein. Und da gibt es nicht nur Bio. In Südtirol sind auch der Bauernmarkt oder die GAS-Gruppen eine wichtige Alternative. Hinter beiden stecken jeweils dieselben zwei Prinzipien für Nachhaltigkeit: Regional und saisonal.

„Man muss auch damit leben können, dass man Erdbeeren nur in der Sommerzeit essen kann.” – Robert Thurner, Bauer im Sarntal

Robert Thurner vom Afingsbruckhof ist einer von mehreren Bauern, die ihre Produkte jede Woche auf den Bauernmarkt bringen und dort direkt an die Kunden weiterverkaufen. Am Dienstag in Bozen und am Samstag in Sarnthein. „Was heute verkauft wird, wurde gestern geerntet“, so lautet sein Motto. Neben ökonomischen Überlegungen haben auch ökologische Gedanken ihn und seine Frau vor einigen Jahren dazu bewegt, den Hof zu übernehmen und ihre Produkte direkt an die Kunden zu verkaufen. Thurner, der zuerst ein gelernter Handwerker und gar kein Bauer war, war irgendwann einfach zutiefst irritiert: „Ich verstehe es, dass man Bananen oder Kiwis nicht beim einheimischen Bauern kaufen kann, aber Erdbeeren und Äpfel?“ Dass auch die aus Spanien, Frankreich oder sonst woher importiert werden, findet er absurd. Man müsse auch damit leben können, dass man Erdbeeren nur in der Sommerzeit essen kann.

Langfristige Lösung: das Grundeinkommen?

Die Veränderung kann nur vom Konsumenten ausgehen, seine Nachfrage bestimmt das Angebot. Aber auch der Produzent muss mitziehen. Diese Überlegung unter anderen hatte Robert Thurner dazu bewegt, Bauer zu werden. Auf dem Bauernmarkt, wo er seinen Warenstand hat, sind alle Preisklassen vertreten. „Es gibt auch Bauern, die ihre Produkte verschleudern“, berichtet Thurner. Doch um eine nachhaltige Wirtschaft langfristig zu unterstützen, müsse der Kunde bereit sein, einen höheren Preis zu zahlen. Bei saisonalen und regionalen Produkten werden die Transportkosten zwar eingespart, doch hinter der hohen Qualität steckt viel Arbeit. „Und der Wert muss auch einen Preis haben“, sagt Thurner.

Damit kommt man aber auch hier wieder beim anfänglichen Dilemma an. Hannes Desaler ist zwar überzeugt, dass die allermeisten sich einen bewussteren Konsum leisten könnten, wenn sie ihre Prioritäten neu setzen und irgendwo anders einsparen. Doch dass so ein Laden wie sein Biomarkt nicht für alle Geldbörsen gedacht ist, weiß auch er. Was kann man dagegen tun? Der einzelne Konsument hat zwar im Kleinen seine Möglichkeiten. „Aber nicht zuletzt ist auch die Politik gefragt“, sagt Desaler. Dort spukt in letzter Zeit eine Idee herum, die zuletzt immer mehr an Popularität gewonnen hat: das bedingungslose Grundeinkommen. Die Aussage „Ich kann es mir nicht leisten” ist bereits heute in vielen Fällen nur eine Ausrede. In Zeiten des Grundeinkommens wäre sie das ganz bestimmt. „Das könnte eine Lösung sein, wenn nicht die Lösung!“ – in seiner Branche stehe jedenfalls bereits jeder hinter dem Projekt, berichtet Desaler. Feines Hemd und Marken-Jacket, das können sich womöglich auch dann nicht alle leisten, aber wenigstens ein gutes Gewissen beim Einkaufen. Und das wäre ja schon mal was.

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