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Illustrations by Sarah
Sarah Meraner
Veröffentlicht
am 05.05.2025
LebenKommentierende Reportage

„Aus der Mitte der Gesellschaft“

Rechtsextreme Ideologien sind auf dem Vormarsch – auch in Südtirol. Und: Immer mehr junge Menschen scheinen sich von ihnen angezogen zu fühlen. Was steckt hinter dieser Entwicklung? Welche gesellschaftlichen Sorgen treiben Jugendliche heute um? Unsere Autorin hat den Schulsozialpädagogen Thomas Kobler bei einem Workshop begleitet – und Platz genommen in einer Maturaklasse.
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250.000. Diese Zahl schreibt Thomas Kobler auf die Klassentafel. „250.000 – so viele rassistisch motivierte Verbrechen passieren in Deutschland pro Jahr. Rechnet mal aus, wie viele das pro Tag sind.“ Eine der Schülerinnen holt ihr Handy hervor und tippt die Zahl ein. „685!“, ruft sie. 685 pro Tag – und die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen, ist Kobler überzeugt, denn nicht alle solcher Verbrechen werden auch zur Anzeige gebracht: „Wir können also in etwa von 1.000 rassistisch motivierten Gewalttaten sprechen – pro Tag.“

Flurgeflüster
Es ist Ende April, als ich der Fachoberschule Marie Curie in Meran einen Besuch abstatte. Ich begleite heute Thomas Kobler bei seiner Arbeit. Seit drei Jahren ist er hier als Schulsozialpädagoge tätig. Der Grund für meinen Besuch: die vermehrte Aktivität rechtsradikaler Gruppierungen in den Sozialen Netzwerken – und der erstaunliche Zuspruch, den diese von vor allem jungen Leuten erhalten. Bereits mehrfach in den Medien heftig diskutiert und von Kobler analysiert, habe ich mir die Frage gestellt, wie die Jugendlichen dem Thema Rechtsextremismus tatsächlich entgegenstehen. Wie anfällig sind sie für rechtsextreme Ideologien? Wie sehr beschäftigt sie das lokal- wie auch das weltpolitische Geschehen diesbezüglich – und wie kritisch stehen sie ihm gegenüber?

Man schnappt hier auf dem Flur schon sehr viel auf.

Thomas Kobler

Der Politikwissenschaftler Kobler, der den meisten als künstlerischer Leiter im OstWestClubOvest Meran, aber auch als Experte in Sachen Rechtsextremismus bekannt ist, macht in den Klassen der FOS keinen Unterricht im klassischen Sinne, sondern hält regelmäßig Workshops – vor allem zu diesem Thema, das er selbst als sein Steckenpferd bezeichnet. „Ich sehe es als meinen pädagogischen Auftrag für bestimmte Themen zu sensibilisieren“, sagt er in unserem Vorgespräch in der Schulcafeteria. Es ist halb acht Uhr morgens, gleich klingelt es zur ersten Stunde. Wie seine bisherigen Erfahrungen denn seien, frage ich ihn, während die Schüler:innen in ihre Klasse gehen. „Eigentlich sehr gut“, erwidert Kobler, „aber man schnappt hier auf dem Flur schon sehr viel auf.“

Die Schulglocke läutet, wir gehen hoch in den dritten Stock, wo uns Viktoria Vent vor ihrer Klasse schon erwartet. Sie ist die Deutsch- und Geschichteprofessorin der Maturaklasse, in der wir heute die ersten zwei Stunden verbringen werden. Ich nehme zwischen den Schülerinnen Platz – ich will den Workshop aus ihrer Perspektive miterleben. Ich möchte mich als Beobachterin zurücknehmen und verfolge das Geschehen, lausche dem, was Thomas Kobler den Jugendlichen erzählt. In Geschichte hat die Klasse das Thema Nationalsozialismus schon vor einiger Zeit abgeschlossen, die Mädchen kennen die Fakten, die Zahlen. Sie wissen, dass der 8. Mai 1945 als das Ende des Zweiten Weltkrieges gilt – doch ist mit diesem Tag auch der Nationalsozialismus, die Ideologie dahinter, vorbei? Das ist eine jener Fragen, die Thomas Kobler an diesem Vormittag noch stellen wird. „Das Problem am Geschichtsunterricht, ist, dass die Lehrinhalte mit dem Zweiten Weltkrieg so ziemlich durch sind – viel kommt danach nicht mehr. Obwohl der Nationalsozialismus mit diesem Datum sich ja nicht in Luft aufgelöst hat“, sagt er zu mir auch im Vorgespräch und ich denke kurz an meine eigene Schulzeit zurück. Und es stimmt: Ich war damals noch zu wenig reflektiert, um wirklich zu verstehen, dass mit 1945 zwar der Krieg, aber nicht der Rechtsextremismus vorbei war, kaum bewusst. Der Ku Klux Klan als Überbleibsel war uns damals noch ein Begriff, aber das wars auch schon. Sind die Jugendlichen heute reflektierter? Ich bin gespannt. 

Eine der Schülerinnen erkennt Parallelen zwischen der NS-Zeit und heutigen Machthabern, wie den USA und Russland, die ihre Ideologien durchsetzen möchten. „Das ist ja auch eine Form der Diktatur“, meint sie. Außerdem berichtet sie von ihrer Uroma, die noch heute die Fliegergeräusche von damals hört. Eine andere Schülerin berichtet von ihrem Besuch in  Auschwitz – und wie prägend das für sie gewesen sei: „Das wird mir ewig in Erinnerung bleiben.“ Wieder eine andere Schülerin stellt sich die Frage: „Wie kann sowas zustande kommen?“

Parolen im Freundeskreis
„So was“ – wir erinnern uns: In dem als Holocaust in die Geschichte eingegangenen Völkermord ermordeten die Nationalsozialisten, ihre Verbündeten und Kollaborateure sechs Millionen Juden. Außerdem töteten sie Millionen nicht jüdischer Menschen: Sinti und Roma, behinderte Menschen (im Rahmen der sogenannten Euthanasieprogramme), politische Gegner:innen und Widerstandskämpfer:innen, Zeugen Jehovas, homosexuelle Menschen, sowjetische Kriegsgefangene. All diese Menschen wurden in Gaskammern, durch Erschießungen, in Folge von Zwangsarbeit, Misshandlungen, Folterungen, Hunger oder durch medizinische Experimente ermordet.

Sehr viele Jugendliche schmeißen mit Parolen um sich.

Eine Schülerin

Was all diese Menschen gemeinsam hatten? Auch diese Frage stellt Kobler in seinem Workshop. Die Antwort: Sie waren Minderheiten. Und er zeigt auf, dass Minderheiten auch heute noch Zielscheibe rechtsextremer Gruppierungen sind. Kobler spricht von sogenannten „Feindbildern“. Die Schülerinnen beobachten die Entwicklungen auch auf Social Media, eine Schülerin aus dem Passeiertal erzählt, dass sehr viele Jugendliche aus ihrem Umfeld mit rechten Parolen um sich schmeißen. Sie sieht auch in der KI ein großes Problem: „Man fragt sich bei all den Bildern und Videos irgendwie, was noch echt ist und was nicht. Und ob alles, was wir gelernt haben, richtig ist.“ Ob alles, was wir gelernt haben, richtig ist … Dieser Satz hängt mir nach: Ist das ein Zweifel, den Jugendliche heute in sich tragen? 

„Wir haben nichts gewusst“
Um auf die eine Frage der Schülerin zurückzukommen: „Wie kann sowas zustande kommen?“, antwortet der Schulsozialpädagoge: „Viele Leute damals behaupteten ja, dass sie von den Massenvernichtungen angeblich gar nichts mitbekommen haben. ,Wir haben nichts gewusst‘, sagten sie.“ Thomas Kobler erzählt von der vermeintlichen Unwissenheit damals und zeigt – neben seinen persönlichen Erfahrungen mit Neonazis im Meraner Raum in den 1990er -und frühen 2000er-Jahren – auch bekannte Beispiele rechtsextremer Gewalttaten auf, die noch gar nicht so lange her sind. Er macht eindringlich klar, dass das Phänomen des Rechtsextremismus nie am Rande der Gesellschaft aufkeimt, sondern immer in ihrer Mitte. 

Bewusstsein schaffen
Nein, das rechte Gedankengut ist mit 1945 nicht verschwunden. Millionen von Menschen lebten mit ihm weiter – nur eben in einem demokratischen Staat. Die rechte Szene wählte neue Strategien, erklärt Kobler, manche von ihnen wurden militant. Er erzählt vom Oktoberfestattentat von 1980 – ein rechtsextremer Terroranschlag, durch den 13 Menschen getötet und 221 Menschen zum Teil schwer verletzt wurden. Der Schulsozialpädagoge erzählt vom Rechtsterrorist Anders Behring Breivik, der im Juli 2011 die Anschläge auf Oslo und auf der Insel Utøya verübt hat. „Er hat dort eine Art ,Hasenjagd‘ veranstaltet – und 69 junge Menschen niedergeschossen.“ Abgesehen davon, dass mir wieder derselbe kalte Schauer über den Rücken läuft, wie damals vor 14 Jahren,  erstaunt es mich, dass die Jugendlichen noch nie von dieser Tat gehört haben. Im gleichen Jahr, also 2011, werden die beiden Thüringer Neonazis Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tot in einem ausgebrannten Wohnmobil gefunden. Ihre Komplizin Beate Zschäpe wird lebend gefasst. Jahrelang zog das Trio, das unter dem Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) eine rechte Terrorzelle gegründet hatte, mordend und raubend durch die Bundesrepublik. Zum Trio gibt es übrigens eine Querverbindung zu Südtirol, so Kobler: Ralf Wohlleben zählte zum Unterstützernetzwerk der NSU und brachte auch Geld nach Südtirol, um die rechtsextreme Szene in Südtirol aufleben zu lassen. In Meran waren beispielsweise Anschläge geplant. Letzteres war auch mir neu. Kobler erzählt von den Beispielen in einer Nüchternheit, dass sie einen kurz erschlagen – ob man von ihnen schon mal gehört hat oder eben nicht. Nicht zuletzt erinnert der Schulsozialpädagoge noch an den Anschlag in Halle, der vom Anschlag in Christchurch in Neuseeland inspiriert wurde. „Was all diese Attentate eint, ist die Ideologie, das Volk ,rein zu machen‘“, so Kobler. Und genau solche Ideen scheinen wieder wie Pilze aus dem Boden zu schießen. Auch hier in Südtirol.

Die größte Gefahr geht nicht von Migrant:innen aus, sondern von uns Männern.

Thomas Kobler

Von Vorurteilen und Fakten
„Aber Linkextremismus ist gleich schlimm wie Rechstextremismus“ – so hört man von vielen. Doch ist das wirklich gleichzusetzen? Kobler sagt nein und argumentiert mit Zahlen aus Deutschland: Auf drei linksextrem motivierte Gewalttaten kommen dort 113 rechtsextrem motivierte.

„Wir haben ein Problem mit Ausländer:innengewalt.“ Auch das heißt es bei uns in Südtirol immer wieder. Solche Aussagen sind jedoch pauschalisierend und müssen differenziert betrachtet werden: Sozioökonomische Faktoren wie Armut, Arbeitslosigkeiteine niedrige Bildung, eine schwierige soziale Position aufgrund von Diskriminierung sowie Alkohol seien laut Kobler eine explosive Mischung – und die findet man vor allem bei Männern zwischen 16 und 25 Jahren. Sie begehen statistisch gesehen am meisten Straftaten. „Die größte Gefahr geht nicht von Migrant:innen aus, sondern von …“ Kobler zeigt mit dem Finger auf sich selbst. „ … uns Männern.“ Dass auch viele migrantische Männer darunter sind, leugnet er nicht, stellt aber den Kontext zur strukturellen Gewalt her – sie bezeichnet gesellschaftliche Bedingungen oder institutionelle Strukturen, die Menschen systematisch benachteiligen oder ihnen den Zugang zu grundlegenden Ressourcen, Rechten oder Chancen verwehren.

Aussagen wie die obigen fördern rassistische und fremdenfeindliche Einstellungen und lenken vom eigentlichen Problem ab, etwa sozialer Ungleichheit oder mangelnder Integrationspolitik. Und sie stigmatisieren ganze Bevölkerungsgruppen. Von bestimmten politischen Gruppierungen werden solche Aussagen aber gezielt verwendet, um Wähler:innenstimmen zu bekommen. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist überall. Die vielen Erzählungen, die auch über die Sozialen Netzwerke oder über Medien auf uns einprasseln, prägen uns. Und plötzlich hat jede:r Angst, nachts durch den Bozner Bahnhofspark zu gehen. Das bestätigen auch einige der Mädchen. Und eine sagt, sie habe weniger Angst vor der Hautfarbe, als einfach vor Männern. 

Dass wir alle Vorurteile in uns tragen, das macht der Schulsozialpädagoge auch nochmal deutlich. „Das alles hat mehr mit uns selbst zu tun, als wir glauben. Ich habe auch rassistische Anteile in mir und habe Vorurteile – es ist wichtig, sie zu erkennen“, sagt er ernst. Thomas Kobler regt zum Nachdenken an. Meine Gedanken kreisen – und ich merke: Jene der Mädchen tun es auch. Sie wirken nachdenklicher, es kommen mehr und mehr Wortmeldungen.  „Natürlich entsteht dieses Bild in der Gesellschaft – schon nur wegen der Medien“, bemerkt eine der Maturantinnen, die vor mir sitzt und dreht sich entschuldigend zu mir um. Ich antworte: „Alles gut, du hast vollkommen recht.“ Nachdem das Thema Medien kurz besprochen wird – es geht um die einseitige Perspektive, die reißerischen Headlines und die Verantwortung der Medien – bringe ich mich dann doch noch ein: „Warum bringen Medien solche Schlagzeilen? Ganz einfach: um mehr Klickzahlen zu bekommen und um zu verkaufen. Und weil die meisten Medien nun mal nicht unabhängig sind.“

Die Auseinandersetzung mit dem Thema ist so wichtig.

Viktoria Vent, Professorin für Deutsch- und Geschichte

Dann meldet sich eine Stimme, die ich an diesem Vormittag noch nicht gehört habe. Eine Schülerin – sie sitzt in der gleichen Reihe wie ich auf der anderen Seite des Klassenraums –  sagt: „Ich finde – und es kann sein, dass ihr da anderer Meinung seid als ich – es ist aber auch kein Wunder, dass man so viel darüber liest und Angst hat.“ Sie helfe im Gastgewerbe mit und erlebe da „durch die Albaner sehr viele anzügliche und abwertende Kommentare.“ Ihre ganze Art sei abwertend ihr als junge Frau gegenüber. Ob Migranten laut ihr mehr Catcalling betreiben als Einheimische, fragt Kobler nach. Ja, das denke sie. Und ich denke: Vielleicht nehmen wir das Catcalling von Südtirolern gar nicht als solches wahr? Das „Schneggele.“ Das „Wieso lochschn net, sem bisch viel scheaner.“ Das „Kimm amoll awia her.“ Nehmen wir diese Übergriffe nicht so wahr, weil wir denjenigen kennen und er „es ja nicht so meint“? Ich würde meine Gedanken gerne teilen, will aber die Gesprächsdynamik weiter verfolgen. Thomas Kobler bedankt sich für das Statement des Mädchens. In den Schüler:innen arbeitet es, das merkt man. Die zwei Workshop-Stunden neigen sich ihrem Ende zu.

Eine weitere Schülerin, die eine Reihe hinter mir sitzt und sich heute schon einige Male zu Wort gemeldet hat, sagt noch: „Vielleicht sollten wir zuerst die eigenen Probleme lösen und erst dann den anderen helfen.“ Nach ihren vielen – sehr überlegten Wortmeldungen vorher – klingt diese letzte ein wenig so, als hätte sie sie von jemandem aufgeschnappt. Aber vielleicht ist das nur mein persönlicher Eindruck. Das hört man doch öfter, oder? „Wir haben selbst genug Probleme. Wir können uns nicht um alle kümmern.“

Kurz geht Thomas Kobler noch auf den demographischen Wandel ein. Darauf, dass Südtirol immer älter wird und darauf, dass wir auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen sind. Auf die Pflegekräfte. Auf die Menschen im Gastgewerbe. Oder in der Landwirtschaft. Die Wichtigkeit der arbeitstätigen Migrant:innen hierzulande werde sehr oft vergessen.

Reflexion
Der Workshop ist zu Ende, die zwei Stunden sind verflogen. Schade, denn jetzt am Ende ergaben sich noch spannende Diskurse. Thomas Kobler wird in einer Woche wieder hier sein. „Es ist gut, dass sie jetzt ein paar Tage zum Reflektieren haben“, sagt er, als wir die Treppen wieder hinuntersteigen. In der zweiten Workshop-Session will er mit einer offenen Gesprächsrunde einsteigen und schauen, was hängengeblieben ist und welche Gedanken von der Klasse kommen. Die Klassenlehrerin betont, wie wertvoll und wichtig solche Stunden für die Jugendlichen sind. „Wenn jemand Externes kommt, kann man die Schüler:innen nochmal ganz anders erreichen“, ist sie überzeugt. „Und die Auseinandersetzung mit dem Thema ist so wichtig.“

Vielleicht haben wir gelernt, bestimmte Menschen oder Lebensweisen als fremd oder bedrohlich zu empfinden – ohne je hinterfragt zu haben, warum eigentlich.

Sofern das das Ziel ist. Ob jede:r Professor:in einer Schule sich kritisch mit dem Thema Rechtsextremismus auseinandersetzen will, sei dahingestellt, schließlich gehen auch die politischen Gesinnungen bei den Erwachsenen auseinander. Fakt ist: Rechtsextremes Gedankengut und rassistisch motivierte Gewalttaten sind heute wieder omnipräsent. In der Politik. In Amerika. In Deutschland. In Russland. In Österreich. Bei uns in Südtirol. Rechtsradikales Gedankengut entsteht in der Mitte unserer Gesellschaft. An Stammtischen, in Familiengesprächen, auf dem Dorffest, auf Schulhöfen, in Kommentaren im Netz. Im Pub, auf dem Sportplatz, auf den Fluren der Schulen und in den Klassenräumen. Und was geschieht mit dieser Präsenz? Sie wird überhört. Oder banalisiert. Entschuldigt. Und damit normalisiert.

Ich verlasse die Schule mit einem zwiegespaltenen Gefühl. Auf der einen Seite habe ich heute Jugendliche erlebt, die kritisch sind und besorgt darüber, welche Form die Welt gerade wieder annimmt. Und auf der anderen Seite sind auch Angst und Vorurteile tröpfchenweise durchgesickert. Und diese sind gefundenes Fressen für Rechte, die in politischen Häusern sitzen oder mit der „Liebe zur Heimat“ locken. Für diese rechten Jugendorganisationen, wie sie zuletzt auch in Südtirol auftauchen. Menschenfeindliche Ideologien entstehen nicht plötzlich, sondern wachsen schleichend, genährt durch Ängste, Unwissenheit, das Bedürfnis nach Zugehörigkeit oder aufgrund des Gefühls von Kontrollverlust. Unsere Erziehung, unser Umfeld und mediale Einflüsse formen unsere Sicht auf die Welt. So entstehen Bilder von einem „Wir“ und „den Anderen“ – oft ganz unbewusst. Vielleicht haben wir gelernt, bestimmte Menschen oder Lebensweisen als „fremd“ oder „bedrohlich“ zu empfinden – ohne je hinterfragt zu haben, warum eigentlich. Selbstreflexion ist eine Notwendigkeit, um weniger anfällig für Vereinfachungen, Schuldzuweisungen und populistische Parolen zu sein. So viele Gedanken. So viele Gedanken zu einem so schwierigen Thema, mit dem wir uns alle – mehr als je zuvor – beschäftigen sollten.

Auf dem Parkplatz der Schule atme ich erstmal durch. „Ich muss jetzt mal alles sacken lassen“, sage ich zu Thomas Kobler und verabschiede mich. Und ich bedanke mich für seine wertvolle Arbeit – denn sie setzt genau da an, wo es womöglich noch nicht zu spät ist: in der Bildung.

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