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Barbara Bachmann
Veröffentlicht
am 05.11.2013
LebenSpanien und die Krise

Arbeit, egal wo

Veröffentlicht
am 05.11.2013
Sie sind sehr gut ausgebildet und finden im eigenen Land keine Arbeit. Viele junge Spanier versuchen deshalb ihr Glück im Ausland – Teil 2
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Als erste von meinen Freunden hat Ana León verlassen. Seit drei Jahren lebt sie in Hannover. Es ist 22 Uhr im „Rias Baixas II”, einem spanischen Restaurant im Stadtteil Linden-Süd. Bestecke klirren, Menschen reden durcheinander. Ana bestellt Tintenfisch. Sie liebt das Restaurant, weil sie hier noch lange nach deutschen Abendbrotzeiten bedient wird. Unweit von Anas Stammkneipe steht die Hanomag – die Hannoversche Maschinenbau AG. Eine Fabrik, die in den 60er-Jahren viele Spanier beschäftigte.

Von den ungelernten Arbeitern von damals will sich Ana abgrenzen. „Jederzeit könnte ich gehen und woanders einen Job finden.“ Sie möchte von mir nicht Krisenflüchtling genannt werden, Stolz ist in Spanien eine Tugend und Ana ist darin ganz Spanierin. Sie formuliert es lieber so: Das Land Niedersachsen hat sie nach Deutschland geholt. „Kulturministerium Niedersachsen sucht Spanischlehrerinnen“ stand auf dem Aushang im Arbeitsamt von León. Noch am selben Tag hat sie ihre Bewerbung verschickt. Wenige Monate später fand sie sich im Klassenzimmer eines Gymnasiums in Bad Nenndorf wieder.

Am Anfang sah sie oft Mitleid in den Gesichtern der Deutschen, hörte Sätze wie: „Wir retten euch vor dem Ruin.“ Das machte sie wütend. „Mal sehen, wer am Ende wen rettet“, gab sie trotzig zurück. Den strammen Gang, ihre direkte Art hat Ana behalten. Aber sie redet nicht mehr so laut am Telefon wie früher, geht mit Rucksack durch die Stadt, hat sich ein Fahrrad gekauft. „Das ist deutsch an mir“, sagt sie.

Zwei Jahre lang unterrichtete sie am Gymnasium, dann lief das Förderprogramm aus. „Danach wird von uns erwartet, dass wir wieder gehen.“ Ana will bleiben. In Deutschland hat sie ihre erste eigene Wohnung bezogen, 30 Quadratmeter Dachgeschoss. Hier hat sie sich verliebt, in Axel, einen Deutschen. Im Moment arbeitet sie nicht. Hartz IV steht ihr nicht zu, dafür hat sie zu viel gespart, seit sie in Deutschland lebt. Weil ihr das Unterrichten ohne deutsches Staatsexamen und Förderprogramm schwergemacht wird, versucht sie sich jetzt als selbstständige Übersetzerin. Die Konkurrenz ist hart. „Mittlerweile leben so viele Spanier in Deutschland, dass wir uns bei der Arbeitssuche auf die Füße treten“, sagt Ana. Und es werden immer mehr.

„Wir sind eine Nummer, ein Kostenfaktor“

Bald könnten Zaida und David dazu zählen. Seit vier Jahren sind sie nun ein Paar. León, die Stadt ihrer Kindheit, haben sie eingetauscht gegen Madrid, die Hauptstadt der Krise – nirgendwo sonst ist das Elend sichtbarer. Dort teilen sie sich ein WG-Zimmer in einer 50 Quadratmeter großen Wohnung. Das Bad ein Loch, die Küche eine Besenkammer. 1.400 Euro beträgt die Miete inklusive Nebenkosten.

Die 27 Jahre alte Zaida ist erwachsen geworden, verdient ihr eigenes Geld. Seit vergangenem November arbeitet sie als Sekretärin in der Abteilung für internationale Projekte einer multinationalen französischen Firma, betreut Vorhaben in Millionenhöhe im Nahen Osten und Nordafrika. Eigentlich möchte sie als Englischlehrerin arbeiten, das hat sie studiert, 2012 wurden für ganz Spanien jedoch nur zehn neue Stellen ausgeschrieben. Sie ging leer aus. Zaida will nicht jammern: „Wer heute in Spanien eine Arbeit hat, hütet einen Schatz.”

Das hat Jorge schon zuvor in León gesagt. Auch er würde niemals kündigen, ohne ein anderes Jobangebot in Aussicht zu haben, egal, wie schlimm die Bedingungen werden. „Wir sind eine Nummer, ein Kostenfaktor, nicht mehr“, sagt Zaida. Sie ist, wie beinahe alle jungen Spanier, über ein Subunternehmen angestellt, mit einem Zeitvertrag. So spart das Unternehmen lästige Nebenkosten. „Ich bin froh ausgebeutet zu werden“, sagt sie und weiß, wie absurd das klingt.

Die Geschichte wiederholt sich. 1987, im Jahr von Davids Geburt, litt Spanien an massiver Arbeitslosigkeit. Damals wie heute liegt sie in keinem Land Europas höher, nicht einmal in Griechenland. Nachdem David morgens aufgestanden ist, geht er noch vor dem Frühstück die Jobinserate durch, blättert in Zeitungen, sucht stundenlang im Internet. Er hat in einem Monat mehr als 100 Firmen angeschrieben, halb Europa seinen Lebenslauf geschickt. David ist wie ein Sprinter, der loslaufen möchte, aber nicht kann, weil man ihn an den Schnürsenkeln festgebunden hat. Wenn er lächelt, verzieht sich sein Gesicht noch genauso wie früher. Seine Augen werden dann zu Strichen. Doch er wirkt nun unruhiger, zappelt viel. Ich würde ihn gerne festhalten und so etwas sagen wie: „Wird alles gut.“ Aber ich fürchte, das wäre kein Trost.

Ein Jahr lang hat David als Praktikant für eine Firma gearbeitet, die zu Airbus gehört. In der Abteilung für Design hat er Flugzeugmotoren gezeichnet, für 820 Euro brutto im Monat. „Es wird eine Zeit kommen“, sagt er, „da werden wir in Spanien bezahlen, um arbeiten zu dürfen.“ Wenn David in den nächsten Monaten in seinem Land keinen Job findet, wird Zaida und ihn hier nichts mehr halten. Selbst ihr Vater rät den beiden zu gehen. Kann man jungen Spaniern ein Land wie Spanien überhaupt noch zumuten? Schon einmal haben Intellektuelle das Land fluchtartig verlassen – es folgten 40 Jahre Franco-Diktatur.

Dreimal im Jahr fährt Ana aus Hannover nach León. Seit ihr Bruder in Singapur arbeitet, ist die Mutter alleine zurückgeblieben. Vieles an Spanien zieht Ana der deutschen Lebensweise vor. In León hat sie ein entspanntes Leben geführt. In Deutschland, sagt sie, müsse man Stress vortäuschen, um ernst genommen zu werden. Wenn sich Spanien von der Krise erholt hat, möchte sie zurück. „Das wird in 40 Jahren sein, oder?“, sagt sie mit einem Galgenlachen. Von Zeit zu Zeit sieht sie auf Onlineportalen die Arbeitsangebote für León durch. Für einen Posten als Telefonistin treffen innerhalb von viereinhalb Stunden 211 Bewerbungen ein. Dann doch lieber Deutschland.

In Spanien hackt die Armut täglich Löcher in die Staatsfassade. In León lässt sie sich mit etwas Mühe noch überdecken. Zwar gibt es an manchen öffentlichen Schulen kein Geld mehr für Klopapier, aber die Lokale rund um die Plaza Mayor servieren weiterhin Sommercocktails. Statt drei Gläsern Bier trinkt man nur noch eines. Zu Hause zu bleiben kommt für einen Spanier nicht in Frage. Manch einer, der die Barterrassen füllt, wird – wie schon so viele – im nächsten Monat sein Haus verlieren, weil er die Kredite nicht mehr bedienen kann. Und selbst dann wird noch gescherzt. „Wie heißt die größte Firma Spaniens?“, wird Zaida gefragt, als sie in León zu Besuch ist. Sie weiß keine Antwort darauf. Ihre Freundin: „Na, das Arbeitsamt! Da stehen die Menschen Schlange.“

Die Krise galt als überwunden

Viele Folgen der Krise werden erst in Jahren erkennbar sein. Wenn keine Akademiker mehr übrig sind in Spanien. Wenn die einzigen Ausländer Touristen sind. Wenn nur noch Alte im Schatten sitzen und die Kinder fehlen, weil junge Paare wie Zaida und David sich nicht trauen, eine Familie zu gründen. Die Krise verändert León, sie hat meine Freunde verändert. Am härtesten hat sie Jorge getroffen.

„Papá“, schreit die vierjährige Agnes Noelia, wenn er spätabends von der Arbeit kommt, 250 Kilometer Fahrt hinter sich. Erwin, neun Monate alt, strahlt, wenn Jorge die Tür zur Wohnung öffnet. In seiner Nachbarschaft fehlen an vielen Häusern die Namensschilder, an manchen sogar die Nummern. Die Wohnung, in die Jorge von seinem Küchenfenster aus blickt, steht leer. Seine eigene würde er lieber heute als morgen loswerden. Aber im Land der leerstehenden Eigenheime findet sich niemand, der sie kaufen könnte. Und eine wie die von Jorge, bei deren Bau gepfuscht wurde, ist so attraktiv wie ein verschimmelter Pappkarton.

Nur drei Jahre nach dem Kauf ist der Keller feucht, auf den Wänden zeichnen sich Risse ab. Die Hausgemeinschaft hat das Bauunternehmen verklagt; anders als der Immobilienmakler ist es noch nicht Bankrott gegangen. Auch Jorge würde Spanien verlassen, wenn er denn könnte. Aber vor drei Jahren hat er einen teuflischen Pakt unterschrieben. Damals schrumpften die Preise für Wohnungen, die Krise galt als fast überwunden. Da lieh sich Jorge 150.000 Euro und kaufte die Wohnung in einer Neubausiedlung in Virgen del Camino, außerhalb von León. 40 Jahre wird ihm die Bank dafür im Nacken sitzen. Damals glaubte der Mann, der heute noch von sich behauptet, nicht länger als eine Woche im Voraus zu planen: „Das wird schon, das krieg ich hin." Es wurde nicht.

Die Verschnaufpause nach der ersten Krise dauerte nur kurz. Innerhalb von drei Monaten brachen 2011 fast alle Projekte seiner Firma ein, acht Kollegen wurden an einem Tag entlassen. Jorge durfte bleiben, wurde 125 Kilometer entfernt versetzt. Seitdem steht er jeden Morgen um halb sieben auf, kommt abends nach 20 Uhr nach Hause, ist zum Sklaven einer fragilen Sicherheit geworden. Er plant keine Autobahnen mehr und auch keine Brücken. Der spanische Staat hat kein Geld mehr. Im Grunde hatte er nie welches. Ein einziges Projekt ist ihm und auch Jorge geblieben, der Hochleistungszug, der ganz Spanien verbinden soll.

Jorge ist Alleinverdiener, seine Frau sucht seit Jahren vergebens nach Arbeit. Ende März 2014 läuft sein Vertrag aus. Er erzählt das ganz nüchtern – als ob es das Leben eines anderen wäre. Was danach passiert, sagt er, seine beiden Kinder im Arm, mag er sich heute noch nicht vorstellen.

Hier der erste Teil des Beitrags.

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