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Selma Mahlknecht
Veröffentlicht
am 07.03.2018
MeinungTV-Helden der Kindheit

Wickie und die starken Mädchen

Veröffentlicht
am 07.03.2018
Wickie, Biene Maya oder Jerry haben das Frauenbild der Achtziger geprägt. Die Mädchen von damals sind heute trotzdem ganze Frauen.
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Neulich haben mein Mann und ich einen Klassiker aus dem Jahr 1988 angesehen: Midnight Run mit Robert De Niro und Charles Grodin. Seinerzeit kein Kassenerfolg, ist der Film mittlerweile zum vielzitierten Kult geworden, und dafür gibt es durchaus Gründe. Schon allein die beiden Hauptdarsteller sorgen mit ihrem grandiosen Mienenspiel in manchen Situationen für einige Lacher. Und doch wurde mir im Laufe des Films immer unbehaglicher. Irgendwann sagte ich zu meinem Mann: „Sag mal, ist dir aufgefallen, wie wenig Frauen in diesem Film vorkommen?“

Tatsächlich kann man die weiblichen Auftritte in diesem Roadmovie von der Ost- zur Westküste, der zahllose Akteure involviert, an einer Hand abzählen.

Da ist die Ehefrau des von Grodin gespielten „Dukes“.

Da ist die Exfrau des von De Niro gespielten „Jack“.

Da ist Jacks Tochter.

Und da ist eine Kellnerin, bei der die beiden Hauptdarsteller sich kein Chorizo-Frühstück leisten können.

Keine dieser Figuren kommt länger als wenige Minuten vor, keine hat eine erkennbare Persönlichkeit, keine ist für den Verlauf der Handlung wirklich unverzichtbar.

Alle anderen wichtigen Rollen – der Gangsterboss und seine vertrottelten Handlanger, der FBI-Agent und sein Tross, Jacks Arbeitgeber und dessen Assistent, Marvin, Jacks schärfster Konkurrent im Kopfgeld-Business – lauter Männer.

Mit dieser einseitigen Geschlechterverteilung steht Midnight Run keineswegs allein da. Frauen in Nebenrollen, als unbedeutende Ehefrauen, desillusionierte Kellnerinnen, verwöhnte Töchter oder allenfalls noch zickige Geliebte sind bis weit in die 90er Jahre durchaus Normalität. Den Part des aktiven, abenteuerlustigen, schlagfertigen, tiefgründigen, facettenreichen Protagonisten haben Männer inne. Ausnahmen gibt es natürlich immer wieder, doch gerade in Actionfilmen ließ man die Damen lieber im häuslichen Milieu verharren, getreu dem Schillerspruch „Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben (…) und drinnen waltet die züchtige Hausfrau“.

Seit den 2000ern hat sich freilich auch in dieser Hinsicht einiges getan. Frauen als alleinige Protagonisten in Abenteuerfilmen sind zwar immer noch selten, aber in mehrköpfigen Teams hat sich die Quotenfrau mittlerweile ebenso einen Platz erobert wie der Quotenschwarze. Und ebenso wie beim Quotenschwarzen fühlt sich dieser Platz im Team nach wie vor irgendwie gekünstelt an – aber wir wollen nicht jammern.

Mir geht es in diesem Text ja eigentlich auch gar nicht um heute, sondern um damals. Um die Zeit, als Frauen in Abenteuerfilmen rar gesät waren, nämlich die 80er Jahre. Damals war ich ein Kind und ich liebte Abenteuerfilme. Die Frauen, die dort vorkamen, mussten aber meistens gerettet werden, kreischten hysterisch herum, weil ihnen beim Wandern durch den Dschungel die Frisur verrutschte, sehnten sich nach kräftigen Männerarmen, in denen sie schmelzen konnten oder waren sowieso viel zu ängstlich, um sich aus dem Haus zu bewegen. Es gab freilich Ausnahmen. Scarlett O’Hara in Gone With The Wind (kein Film der 80er, aber damals schon ein häufig wiederholter Klassiker) war eine rebellische, störrische, freche und selbstbewusste Frau – und obwohl der Film mit seiner aus heutiger Sicht tränentreibend rassistischen Darstellung von Schwarzen nicht mehr tragbar ist, hat ihm mein kindliches Ich doch einiges zu verdanken (wer jetzt einwirft, dass das kein Film für Kinder ist, hat zwar recht – aber damals saß man mit der ganzen Familie vor dem Fernseher, schaute Sissi, Winnetou, Quo Vadis und Vom Winde verweht, so war das eben bei uns in der Steinzeit). Auch Pippi Langstrumpf war unerschrocken und abenteuerlustig und konnte sogar fliegen – wie ich das bewundert habe!

Aber ansonsten – keine Frauen, keine Mädchen, denen ich hätte nacheifern können.

Als Kind war mir das alles freilich nicht klar. Ich schaute mir Filme an und träume mich in die Figuren hinein, und obwohl ich nie entscheiden konnte, ob nun Old Shatterhand cooler war oder Winnetou, war es mir völlig klar, dass ich, wenn schon, einer von den beiden sein wollte und nicht irgendeine schweigende Schönheit im Hintergrund. Auch in Quo Vadis beanspruchte ich den Part des irren Kaisers Nero für mich – so viel Kindertheatererfahrung hatte ich schon, dass ich wusste, dass die Schurken die dankbarsten Rollen abgeben.

Aber es war keineswegs so, dass ich mich überall nur in eindeutig männliche Gestalten hineindenken musste. Im Gegenteil, ich erschuf mir weibliche Parts, wo – aus Erwachsenensicht – gar keine waren, und ich war damit nicht allein. Zwei Beispiele sind mir besonders im Gedächtnis.

Erstens: Tom und Jerry. DER gefräßige Kater und DIE schlaue Maus – schon die Artikel waren für mich eindeutig. Zudem waren Namen, die auf –i, -ie oder –y enden (eben wie Pippi) für mich ganz klar weiblich. Als Mädchen hatte ich in der Maus also eine weibliche Vorbildfigur, die ihrem Widersacher immer einen Schritt voraus ist und sich aus jeder Patsche befreien kann. Dass Jerry ein Männername ist und die Maus somit eigentlich gar nicht weiblich ist – geschenkt. Auch heute noch bleibt das für mich „DER“ Tom und „DIE“ Jerry.

Ähnlich gelagert ist der Fall bei „Wickie und die starken Männer“.

Wieder ein Vorname auf -ie. Außerdem hatte Wickie lange Haare und trug ein Röckchen. Deutlicher ging es wohl nicht! Da überhörte ich geflissentlich, wenn Halvar von Flake Wickie als seinen Sohn bezeichnete. Außerdem wollte ich mich natürlich gerne mit Wickies Problemlösungskompetenz identifizieren. Wickie war ja keineswegs eine makellose Heldenfigur, Wickie hatte Ängste und saß ebenso wie die Maus Jerry häufig in der Klemme. Die Lösung lag aber nicht in der Anwendung von Gewalt, sondern im Nachdenken – das leuchtete mir sofort ein und das schien mir im Übrigen auch eine sehr weibliche Qualität.

Erst viel später wurde mir klar, dass weder Jerry noch Wickie wirklich als weibliche Figuren gedacht waren. Da spielte es aber schon keine Rolle mehr.

Meine Kindheit in den 80er Jahren ist daher geprägt von einem starken Frauenbild – obwohl die (Kinder-)Filme der damaligen Zeit das insgesamt gar nicht hergaben (Knight Rider, Nils Holgersson, Calimero, Puschel, das Eichhorn, Niklaas, ein Junge aus Flandern, Pinocchio, Captain Future, Die Schlümpfe, Tao Tao, Grisu, der kleine Drache – wären nicht Perrine und die Biene Maya, hätten die Mädchen gar nichts Apartes für sich gehabt).

Was es in meiner wilden Kindheit hingegen wirklich nicht gab, waren rosarote Feen und Prinzessinnen. Figuren, die Glitzer versprühen, mit Quietschestimmchen quaken und mit langen Wimpern klimpern, kamen schlichtweg nicht vor. Sehe ich auf den pinken Wahn heutiger Kindergartenkinder, von dem alle Eltern beteuern, dass er auf keinen Fall von außen gesteuert sei, sondern inhärent aus der Mädchenseele sprudle, so will mir scheinen, dass wir damals mit unseren eingebildeten Frauenfiguren doch besser bedient waren. Andererseits sehe ich durchaus ein, dass mich meine Fernseh-Helden auch verdorben haben: Ein „richtiges Mädchen“ ist aus mir nie geworden. Seltsamerweise aber doch eine Frau.

Wie konnte das passieren.

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