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Julia Tappeiner
Veröffentlicht
am 22.04.2020
MeinungNetflix-Serien

Von Pop Trash zu Quality-TV

Veröffentlicht
am 22.04.2020
Popkultureller Trash? Inzwischen üben Serien immer häufiger eine wichtige sozialpolitische Aufklärungsfunktion aus. Über die tiefere Bedeutung von Netflix.
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Welcher Besitzer eines Netflix-Accounts schätzt die online Streaming-Plattform dieser Tage nicht besonders? Mit seinem breiten Angebot an Serien und Filmen wurde Netflix seit der Corona-Isolation vom beliebten Zeitvertreib zum rettenden Schiff im Ozean der Langeweile.

Besonders Netflix-Serien[1] sind in den letzten Jahren Objekt jugendlichen Binge Watchings geworden, also exzessiven Schauens vieler Folgen einer Serie hintereinander.

Doch blicken wir über die Funktion von Serien des 21. Jahrhunderts als Freizeitlückenfüller hinaus, merken wir: Ihre Rolle geht heute über jene der TV-Shows aus den 90ern und frühen 2000ern hinaus. Friends, Dr. House oder die CSI-Krimiserien galten um die Jahrtausendwende als popkultureller Trash. Unterhaltsam, ja. Bildungsrelevant oder tiefgründig, nein. Moderne Netflix-Serien wie House of Cards oder Westworld hingegen werden mit Quality-TV und Fernsehintellektualität verbunden.

Der neue Kulturstatus vieler dieser Serien zeigt sich daran, dass sich neuerdings Feuilletonseiten renommierter Medien mit ihnen auseinandersetzen. Auch in mehreren Wissenschaftsdisziplinen haben Netflix-Serien als Untersuchungsobjekt Einzug gewonnen, darunter Medienwissenschaften und Soziologie. Immer mehr Netflix-Serien klettern somit in der Hierarchie gesellschaftsrelevanter Kulturprodukte eine Stufe höher. Doch worin unterscheiden sich diese online Serien der 2010er von jenen TV-Shows der früheren Jahrzehnte?

Qualität wie im Film

Schaut man sich auf Netflix zum Beispiel Breaking Bad oder Orange is the New Black an, so spielen die einzelnen Folgen mit allen technischen Tricks, die auch ein niveauvoller Langzeitfilm bietet. Vom Perspektivwechsel in der Kameraführung, bis zu den zeitlichen Rückblenden im Handlungsstrang und unerwarteten Pointen ist alles dabei. Auch die Charaktere sind vielschichtig und entwickeln sich über die gesamte Serie hinweg. Diese komplexere Erzählstruktur ist in den neuen Qualitätsserien deshalb möglich, weil sie „serial“ erzählt werden. Das heißt, das Narrativ ist nicht pro Folge in sich geschlossen, wie es in Serien wie Grey’s Anatomy oder Malcolm Mittendrin der Fall war, sondern die Geschichte wird über alle Folgen der Serie hinweg gespannt. Natürlich gibt es weiterhin weniger anspruchslose Serien im Fernsehen. Doch gibt es heute auf Netflix auffallend viele dieser neuen Qualitäts-Serien.

Neben der Struktur ändert sich auch der Inhalt von Serien. Sie behandeln Themen wie die Realität in Frauengefängnissen, Bipolare Störung, künstliche Intelligenz oder Korruption und erfüllen somit wichtige Funktionen zur gesellschaftlichen Aufklärung. Viele Themen reflektieren aktuelle Gesellschaftsdiskurse, und zeichnen somit ein Bild unserer gegenwärtigen Realität ab. Dadurch erhalten sie eine geschichtskulturelle Relevanz: Was beschäftigte die Menschen im frühen 21. Jahrhundert? Welche gesellschaftlichen Konflikte gab es? Welche Geschlechterrollen waren in bestimmten Kulturen dominant?

Bis zu den 70er-Jahren zeigten Serien primär familienfreundliche Inhalte. Zwar änderte sich das bereits mit der 68er Bewegung, als Serien nicht mehr nur eine „heile Welt“ vorgaukelten, sondern sich auch mit gesellschaftlichen Umbrüchen beschäftigten. Jedoch geht die Gesellschaftskritik im modernen Quality-TV deutlich weiter als noch Ende des 20. Jahrhunderts. Die neuen Netflix-Serien brechen Tabus auf radikale Art und Weise und heben die Grenzen der kulturellen Aufarbeitung und des „im Fernsehen Sagbaren“ auf eine neue Ebene.

Let’s talk about Sex…and other Tabus

Am deutlichsten wird der Bruch, wenn man sich Jugendserien auf Netflix anschaut. Shows aus den 90er und 200er Jahren behandelten zwar das Thema des Erwachsenwerdens. Doch beschrieben Serien wie O.C. California, Dawson‘s Creek oder Der Prinz von Bel-Air Themen wie die erste Liebe überspitzt anhand klischeehafter Beziehungsdramen. Eltern-Kind-Beziehungen oder Schulstress wurden oberflächlich gezeigt, und die Darstellung von Freundeskreisen oder Paaren festigte vielfach Rollenstereotype.

Überhaupt ähnelten sich all diese Serien in ihren Handlungssträngen und Konflikten. Zwar gab es in der ein oder anderen Show auch einen Quoten-Schwulen oder die obligatorische dunkelhäutige Beste Freundin (wenn auch nie zu dunkel). Doch diese Serien pinselten sexuelle oder diskriminatorische Tabus mit so zarten Farbstrichen an die Leinwand, dass deren Tiefenwirkung kaum zu erkennen war. Moderne Netflix-Jugendserien hingegen klatschen den vollen Farbeimer mit allen Schrillitäten und Kontrasten auf den weißen Hintergrund. Auch wenn es manchmal im Auge weh tut. Quality-TV ist bunt, laut und schonungslos. Dafür aber umso authentischer.

Ein gutes Beispiel ist die neueste Highschool-Serie auf Netflix: Sex Education. Darin gibt ein Teenager, dessen alleinerziehende Mutter Sextherapeutin ist, seinen Mitschülern heimlich Sextherapiestunden auf der Schultoilette. Weder schwere Themen wie sexuell übertragbaren Krankheiten oder Abtreibung kommen dabei zu kurz, noch wird über die Vielfältigkeit der modernen Gesellschaft hinweggesehen: Schüler jeglicher kulturellen Abstammung, Klassen und sexuellen Orientierungen sind in die Handlung eingespannt. Natürlich bedient sich auch Sex Education klassischer Liebesfloskeln. Doch ist die Serie gewürzt mit der schonungslosen Offenbarung von Peinlichkeiten und Ängsten, die dem echten Leben viel näher kommen und beim jungen Publikum zum Reflektieren anregen: von der asexuellen Theaterfanatikerin, zum Bad Boy mit Errektionsproblemen bis hin zum Mädchen, das mit Vaginismus kämpft. Genau diesen Tabubruch braucht eine aufgeklärte Gesellschaft, und eine junge Generation, die selbstbewusster und gesünder mit der Entdeckung ihrer Sexualität in all ihren Facetten umgehen kann.

Manchmal führt die Offenheit aber auch zu Kontroversen. Die Highschool-Serie Thirteen Reasons Why erzählt von einem sechzehnjährigen Mädchen, das sich umbringt, weil sie auf ihrer Schule gemobbt und sexuell belästigt wird. Diese Serie entfachte eine Reihe an Debatten darüber, was man Jugendlichen zeigen, und womit man sie hingegen schonen sollte. Die Produzenten reagierten auf die Kritik mit einem Video, in dem die Darsteller das junge Publikum über die Wichtigkeit gegenseitigen Respekts informieren und Stellen aufzeigen, an denen man sich bei Suizidgedanken wenden kann.

Diese tiefgehende Auseinandersetzung mit Themen wie Mobbing und Depression unterstreicht noch einmal die Bildungsfunktion vieler moderner Jugendserien. Sie haben heute zwar keine anderen Themen als die alten Jugendsoaps. Doch behandeln sie sie gründlicher, differenzierter und vielfältiger.

[1] Netflix steht beispielhaft für moderne Streamingplattformen. Weil die Marke eine der bekanntesten ist, nenne ich hier ausschließlich Netflix-Serien. Allerdings sind in dem Begriff auch andere Seiten wie Amazon Prime miteingeschlossen.

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