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Illustrations by Sarah
Barbara Plagg
Veröffentlicht
am 26.10.2023
LabernKolumne

Sie kommt

Nanu, wie hat sich das Patriarchat denn in unsere Betten geschlichen? Autorin Barbara Plagg über eine Porno-geprägte „Aufklärung“, Gründe für die schlechte Orgasmusquote der Frau und wie mehr Gleichberechtigung dem „Orgasm Gap“ Einhalt gebieten könnte.
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Bekanntlich ist wenig gerecht verteilt. Geld nicht, Grundbesitz nicht, Gewalt nicht. Gehört zum allergrößten Teil den Männern. Weiß man ja. Was viele hingegen nicht wissen, ist, dass Männer im Vergleich zu Frauen nicht nur deutlich höher auf der Karriereleiter, sondern auch deutlich häufiger im Bett kommen. Und das hat sogar einen Namen: Orgasm Gap (oder Pleasure Gap) nennt sich das Phänomen, dass Männer prozentual gesehen öfter kommen als Frauen. Zwischen 70 % und 100 % der Männer geben an, immer zu kommen – im Gegensatz zu den Frauen, bei denen es nur 20 % bis maximal 72 % sind. Die Prozentsätze schwanken je nach Erhebung zwar, sind insgesamt aber eindeutig: Auch 50 Jahre nach der sexuellen Revolution geht den Frauen Orgasmus-technisch noch immer einiges durch die Lappen. Die Nase vorn haben sie nur in einer Sache beim Sex: im Vortäuschen von Orgasmen. Hm, warum das wohl so ist? Ist das Patriarchat möglicherweise nicht nur als Gender Pay Gap auf dem Lohnstreifen, als Gender Care Gap im Alltag, und als Gender Data Gap im Krankenhaus zu finden – sondern vielleicht sogar im eigenen Bett?

Stopfgans, Steckdose, Vagina
Wer schon einmal einen Porno geguckt hat, weiß die Antwort: ja, klar. Und kurzer Einschub (jaja, haha): Wohl die allermeisten haben schon mal irgendwo einen geguckt, weil wo Sexualpädagogik in den Schulen faktisch inexistent ist (wie hierzulande) und die Eltern nur bedingt als Ansprechpartner:innen taugen, übernimmt zu oft die Pornoindustrie die „Aufklärung“. Und die macht es dann so, dass es die Frau dem Mann macht. Ab und zu wird sie während des penetranten Penetrierens – als wäre ihre Vagina eine Stopfgans und die Klitoris inexistent – noch ein bisschen erniedrigt, hat ihrem Gestöhne nach zu urteilen überraschenderweise aber trotzdem multiple Oh-oh-Oooorgasmen. Das suggeriert dem unbedarften Zuschauer, dass der Frau so was wohl gefallen müsste und der unbedarften Zuschauerin, dass so was eigentlich auch bei ihr funktionieren sollte. Tut es aber meistens nicht, weil Vulva und Vagina insgesamt etwas komplexer sind als eine Steckdose.

Obwohl die Geschichte der Anatomie so in etwa um 1.500 vor Christus begann, wusste die Menschheit zuerst, wie es auf dem Mond aussieht, bevor sie wusste, wie eine Klitoris aufgebaut ist.

Wie komplex, wissen wir insgesamt erst seit Kurzem, denn obwohl die Geschichte der Anatomie so in etwa um 1.500 vor Christus begann, wusste die Menschheit zuerst, wie es auf dem Mond aussieht, bevor sie wusste, wie eine Klitoris aufgebaut ist. Dank Helen O’Connell, einer australischen Wissenschaftlerin, ist die Klitoris seit 1998 endlich nicht mehr nur erbsengroß und ohne Schaft und Schenkel, sondern vollständig in (medizinischen) Lehrbüchern abgebildet. Wenn sie denn überhaupt abgebildet wird, weil die Kirche ja seit Jahrhunderten erfolgreich daran arbeitet, die weiblichen Schöpfungsanteile, die nicht ausschließlich der Fortpflanzung dienen – und den weiblichen Orgasmus braucht es ja im Gegensatz zum männlichen nicht dazu – mit weirden Geschichten von Schlangen und Äpfeln auszuradieren. Weswegen man nach wie vor zwar unzählige Peniskarikaturen auf Schul- und Parkbänken, an Bushaltestellen, Spielplätzen und als Dick Pics im Social-Media-Postfach, aber noch nie eine vollständige Klitoris gesehen hat. Das, meine Damen und Herren, ist wahre Cancel Culture.

Frauen in homosexuellen Beziehungen kommen nach Studienlage deutlich öfter als Frauen in heterosexuellen Beziehungen.

Vortäuschen, um nicht zu enttäuschen
Aber es sind nicht nur physische, sondern auch psychische Wirkmechanismen des Patriarchats, die ihr den Spaß verderben können. Sich selbst mit dem male gaze möglichst minderwertig mitzudenken, ist beispielsweise eine relativ sichere Strategie für einen orgasmischen Rohrkrepierer. Und während er fein kommt, ist sie damit beschäftigt, an ihre Cellulite zu denken, den Bauch einzuziehen und schön auszuschauen. Studien belegen seit Jahren, dass Mädchen bereits im Kindesalter ein geringeres Selbstbewusstsein als Jungs haben und spätestens in der Pubertät hadern viele mit ihrem Körperbild. Umgeben von normschön gefilterten Frauenkörpern auf den Socials, in Zeitungen und auf Werbeflächen, lernen Mädchen schnell, den eigenen Körper mit defizitärem Blick zu betrachten. Alle glatt, strahlend, perfekt – nur man selbst nicht. Und selbst wenn man in der Bodypositivity-Bubble surft, und der Mann zig mal versichert, dass hotter nicht geht: Die Unsicherheit bleibt. Und die schlägt sich proportional aufs Sexualleben nieder. Frauen, die unzufrieden mit ihrem Körper sind, haben Erhebungen zufolge auch weniger zufrieden stellenden Sex. Apropos zufriedenstellend: Frauen in homosexuellen Beziehungen kommen nach Studienlage übrigens deutlich öfter als Frauen in heterosexuellen Beziehungen. Am größten ist der Orgasm Gap also in der gegengeschlechtlichen Konstellation, auch wenn Männer ihn deutlich kleiner schätzen, als er wirklich ist. Logisch, weil bei ihnen kommt ja jede. Fragen Sie ruhig mal im Freundeskreis die Runde: Wetten, da sind fast alle der Meinung, dass jede ihrer Sexualpartnerinnen jedes einzelne Mal gekommen ist?

Raus mit der Diskriminierung aus dem Schlafzimmer!


Aber kann man ihnen auch nur bedingt vorhalten: Wie sollen sie es auch wissen, wenn’s ihnen niemand sagt? Im Gegenteil: Rund 70 % der Frauen täuschen den Höhepunkt schon mal vor, um den Mann nicht zu enttäuschen.

Also echt, Hut ab, Patriarchat, du alter Haudegen, wie du das mal wieder hinbekommen hast! Da kommt sie nicht und eine ihrer größten Sorgen dabei ist er und seine fragile Männlichkeit! Respect für so viel Disrespect! Naja. Aber es muss schon auch gesagt sein, dass er es auch nicht einfach hat, so als Mann, mit all den lückenhaften Informationen, der erbsengroßen Klitoris im Schulbuch, den Riesenpenissen im Porno, dem Performancedruck und den eigenen Unsicherheiten – aber immerhin kommt er trotzdem. Und es muss auch gesagt sein, dass Sex nicht nur mit Orgasmus gelingt, sondern selbstverständlich auch ohne liebevoll, erfüllend und schön sein kann. Aber sagen wir mal so: Mit ein bisschen mehr Sexualpädagogik und ein bisschen weniger Mainstreamporno, mit ein bisschen mehr Verständnis der weiblichen Anatomie und ein bisschen weniger Klitoris-Cancelling, mit ein bisschen mehr Bodylove und ein bisschen weniger Instafilter, mit ein bisschen mehr Ehrlichkeit und ein bisschen weniger Faken, kann Gleichberechtigung richtig geil sein. Und Spaß machen. Also: Raus mit der Diskriminierung aus dem Schlafzimmer! Weil das Patriarchat f**** uns ja sonst schon überall – dann muss es das nicht auch noch im eigenen Bett tun. 

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