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Selma Mahlknecht
Veröffentlicht
am 17.01.2019
MeinungDas digitale Zeitalter

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Veröffentlicht
am 17.01.2019
Lügen im Web zahlen sich aus – jedenfalls für den, der sie verbreitet: Wie man mit Fake News Geld verdient.
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Artikel zu schreiben oder gar ein Infoportal zu betreiben, erfordert Zeit. Es ist langwierig, oft mühsam und aufwendig. Auf Dauer macht man das nicht in seiner Freizeit. Viele, die mit Verve und Enthusiasmus mit ihrem Bastel- oder Reiseblog gestartet sind, lassen es irgendwann wieder bleiben. Außer, es gelingt ihnen, aus dem Hobby ein kleines Business zu machen und sich damit einen kleinen Nebenverdienst zu sichern. Das ist für viele der Traum – aber ihn zu erfüllen ist schwierig. Im Internet verdient man auf zwei Arten Geld: durch den Verkauf von Produkten. Oder durch Werbung. Ersteres habe ich schon im letzten Artikel anklingen lassen: Mit Content Marketing lockt man seine Kunden auf eine Seite, die auf den ersten Blick nützliche Tipps zu alltäglichen Themen gibt, meistens im Beauty-, Lifestyle- oder Gesundheitsbereich. „So zaubern sie mit wenigen Handgriffen aus alten Weinflaschen diese schicken Kerzenständer“ – „Sie nimmt einen Teelöffel von diesem Pulver – und was dann passiert, macht mich völlig sprachlos.“ – „Noch kein Weihnachtsgeschenk? Hier kommen die ultimativen Geheimtipps, um deine Liebsten so glücklich zu machen wie noch nie!“

„Denn hier werden keine Produkte verkauft, sondern die Leser der Nachrichten selbst.”

Die Titel klingen vielversprechend, meist gibt es dazu ein Bild, das neugierig macht – und schon hat man die betreffende Seite angeklickt. Dort findet man dann häufig Anregungen, was man alles kaufen könnte. Der auf den ersten Blick „nützliche“ Text ist nur ein Vehikel, um auf ein Produkt oder eine Marke aufmerksam zu machen.

Das Geschäft mit Fake News funktioniert ähnlich, aber noch subtiler: Denn hier werden keine Produkte verkauft, sondern die Leser der Nachrichten selbst. Wie das funktioniert?
Jede Internetseite hat einen gewissen „Traffic“, das heißt, man kann in ihrer Statistik sehen, wie viele Menschen auf sie zugegriffen haben, wie lange sie im Schnitt verweilen, welche Inhalte besonders beliebt sind, ob und wie oft diese Inhalte geteilt werden, wie viele Kommentare dazu geschrieben werden usw. Diese Metadaten erzählen aber noch viel mehr: Woher kommen die Leser dieser Seite? Von welchen Geräten aus wählen sie die Seite an? Welches Betriebssystem nutzen sie? Kurzgesagt: Ich kann sehen, wie viele Menschen beispielsweise aus Italien diesen Artikel lesen. Ich sehe, wie viele mit einem Mobilgerät, wie viele mit einem PC auf diese Seite zugegriffen haben. Und ich weiß, wie viele Nutzer ein Applegerät haben (wegen des Apple-Betriebssystems). Diese Daten sind zwar anonymisiert, aber doch recht aussagekräftig. Ich weiß damit beispielsweise: Mein Artikel interessiert vor allem Menschen aus einer bestimmten geographischen Region – dies kann für gewisse Werbetreibende durchaus eine interessante Zielgruppe sein. Wenn die Zahl meiner Leser eine bestimmte Größe erreicht hat, kann ich versuchen, Werbekunden auf meine Seite aufmerksam zu machen. Seht her, ich habe 30.000 Leser aus der Schweiz, könnte das für euch interessant sein?

„Dafür braucht man keinen Abschluss an irgendeiner Journalistenakademie oder Literaturpreise. Man muss nur wissen, wie man die neuralgischen Punkte der empörungswilligen Masse trifft.”

Nun sind 30.000 Leser global betrachtet eher dürftig. Wenn ich tatsächlich Geld verdienen will, muss ich den Traffic auf meiner Seite signifikant erhöhen. Da muss wirklich die Post abgehen, meine Artikel müssen am besten virale Hits und also von meinen Lesern weiter verbreitet werden. Wie schaffe ich das?

Die traurige Antwort: Eher nicht mit seriöser journalistischer Arbeit. Die nämlich verlangt, dass ich abwäge, differenziere, recherchiere und wirklich viel Zeit und Präzision in einen Artikel lege. Dafür dankt mir am Ende aber kein Mensch, zumindest nicht in Form von Traffic, denn derartige Artikel sind meist lang, sachlich und – das Schlimmste vom Schlimmen – „kompliziert geschrieben“. Was sich hingegen lohnt: einfach mal Emotionen schüren. Am besten Wut, Hass, Empörung. Wer sich aufregt, teilt. Der will nämlich seinen Mitmenschen zeigen: „Schaut euch das an, was sich die da oben schon wieder geleistet haben!“ Und der empörte Mitmensch teilt es gleich weiter – der Artikel wird zum Hit.

Dafür braucht man keinen Abschluss an irgendeiner Journalistenakademie oder Literaturpreise. Man muss nur wissen, wie man die neuralgischen Punkte der empörungswilligen Masse trifft. Dazu nimmt man ein erprobtes Feindbild, dem die Leute sowieso schon alles zutrauen, und behauptet dann etwas, was ins Klischee dieses Feindbildes passt. Beispiel Migranten. Denen traut man im Bezug auf Drogen- und Sexualdelikte alles zu: Also nimmt man das Bild eines weinenden Mädchens, nennt es Tiffany, erfindet eine knackige Schlagzeile, hackt dazu einen kurzen Text über Betäubungspillen und Vergewaltigung in die Tasten, und fertig ist der nächste Aufreger.

„So gab es in der Vergangenheit bereits Fälle, in denen Werbetreibende mit Entsetzen feststellen mussten, dass ihre Anzeigen vor Videos von Hasspredigern zu sehen waren […].”

Das Perfide dabei: Diese Nachricht ist eine Lüge, aber sie reiht sich ein in ähnliche Nachrichten, die durchaus stimmen. Der Leser macht sich nun nicht die Mühe, jeden einzelnen Fall für sich zu prüfen. Er liest einfach nur „jetzt ist schon wieder was mit Sex und Drogen und Migranten passiert“. Damit wird einerseits die Sex-Drogen-Migranten-Einheit in den Köpfen zementiert, andererseits dreht sich die Empörungsspirale immer schneller. Beides ist Wasser auf den Mühlen der Fake-News-Erfinder. Wobei es manchmal gar nicht notwendig ist, tatsächlich etwas zu erfinden. Oft wird auch einfach nur eine alte Geschichte von irgendwoher wieder hochgeholt oder es werden Vermisstenmeldungen übernommen und erfunden. Beliebt: „Die Polizei bittet um Ihre Mithilfe. Diese Person wird vermisst, bitte teilen!“ Dabei weiß „die Polizei“ häufig gar nichts von dieser Vermisstenmeldung oder es handelt sich um alte, zum Teil längst abgeschlossene Fälle. Auch mit Bildern kranker oder behinderter Menschen wird auf ähnliche Weise Traffic generiert: „Ich habe keine Beine und alle lachen mich aus. Gib mir ein Like, teile mein Bild und lass mir einen Kommentar da, damit die Leute, die mich hassen, sehen, dass es auch viel Liebe in der Welt gibt.“

Wer diesen Aufforderungen nachkommt, macht genau das, was der Seitenbetreiber zum Geldverdienen braucht: so viel Interaktion wie nur möglich. Dadurch hat die Seite regen Zulauf und kann sich über ordentlichen Traffic freuen. Das wiederum ist für Werbekunden attraktiv. Dabei ist diesen manchmal überhaupt nicht klar, auf welchen Seiten ihre Werbung überhaupt sichtbar ist. Viele haben Werbeverträge mit Google, die nur pauschal beinhalten, dass ihre Anzeigen auf Seiten mit vielen Lesern oder in Videos mit vielen Zusehern aus ihrer Zielgruppe geschaltet werden. Dass diese Seiten oder Videos gewaltverherrlichende oder hetzerische Inhalte haben können, ist vielen oft gar nicht bewusst. So gab es in der Vergangenheit bereits Fälle, in denen Werbetreibende mit Entsetzen feststellen mussten, dass ihre Anzeigen vor Videos von Hasspredigern zu sehen waren und damit indirekt geholfen haben, diese zu finanzieren.

Vor allem Facebook und Google stehen in der Kritik, weil ihre Algorithmen undifferenziert Klick-Erfolg belohnen. Wer viel Traffic generiert, wird in der Timeline oder bei den Suchergebnissen vorgereiht und erhält damit eine höhere Sichtbarkeit und mehr Aufmerksamkeit – und das virale Rad dreht sich munter weiter. Zwar haben beide Unternehmen schon beteuert, Gegenmaßnahmen ergreifen zu wollen, doch das dürfte schwierig sein. Im Moment hängt es immer noch an uns Lesern und Konsumenten selbst, ob wir auf Fake News hineinfallen oder nicht. Doch warum wir für manche Lügen empfänglicher sind als andere und weshalb die Lügen nicht einmal unser größtes Problem sind, erkläre ich im nächsten Artikel.

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