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Illustrations by Sarah
Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 14.03.2018
MeinungBis ans Ende der Straße

Heim(at)weh

Man kann an den aufregendsten Orten leben, die ganze Welt bereisen. Irgendwann fragt man sich doch: Ist das schönste Stück davon die Heimat mein?
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Ich versuche gerade, mich zu erinnern. Habe ich unter all meinen Bekannten jemanden, der Südtirol im Hass verlassen hat und bis heute am Entschluss festgehalten hat, nie wieder zurückzukommen?

Was den ersten Teil betrifft, bin ich mir sicher: Ich kenne genug Südtiroler, die ihr Land im Hass verlassen haben. Oder zumindest mit einer guten Portion an Verachtung. Fast jeder, der auch nur ein geringes Maß an Weltoffenheit, kritischem Denkvermögen und Autonomie besitzt (Autonomie, die nicht nur die Regionalpolitik, sondern auch die eigene Persönlichkeit mit einschließt), der kam früher oder später einmal zu dem weisen Schluss: „Diese konservative Provinz mit ihren Schützen, Kirchtagen und Moralaposteln kann mich mal am Arsch lecken.“ Und damit war man weg. Meistens über den Brenner Richtung Norden, wo die Welt lockerer, aber im Gegensatz zum Süden auch zivilisierter ist.

Jetzt schreibe ich jedoch schon einige Minuten lang an diesem Text und mir ist immer noch niemand eingefallen, der selbst nach vielen Jahren an dieser Südtirol-Abscheu festgehalten hat. Oft ist es das Wetter im europäischen Norden, eine Sonne, die sich im Winter höchstens zwei bis drei Mal blicken lässt, die viele verlorene Söhne und Töchter zur reuigen Umkehr bewegt. In anderen Fällen ist es das Flachland, das die selbe Wirkung erzielt. Spätestens nach einigen Jahren, in denen das Südtiroler Auge weit und breit keine Erhebungen am Horizont erblickt hat, kommt es zu akuten Entzugserscheinungen im Bergsteiger-Blut. Und manchmal vermisst man auch einfach nur die guten Marillenknödel von der Mama.

„Noch einige Jahre im Ausland, solange ich jung bin, aber irgendwann will ich schon zurück“ – ein Satz, den man oft hört.

Doch wirklich zufriedenstellend sind diese Erklärungen nicht. „Noch einige Jahre im Ausland, solange ich jung bin, aber irgendwann will ich schon zurück.“ Das ist ein Satz, den man oft hört. Und eigentlich fasst er auch meine eigene Einstellung gut zusammen. Während des Semesters in Amsterdam hätte ich eigentlich wenig Gründe gehabt, mich zu beklagen. Zwischen den malerischen Kanälen, hedonistischen Rotlichtvierteln und entspannenden Kräutern an jeder Straßenecke sollte es einem gutgehen. In der Gemütlichkeit Münchens habe ich als Student ganze fünf Jahre verbracht. Und zwischendurch versuchte ich – sofern Bankkonto und universitäre Verpflichtungen es zuließen – in der Welt umher zu reisen. Im Grunde befinde ich mich auch jetzt, während ich an dieser Kolumne schreibe, in Toronto, einem Ort, der denkbar weit von Südtirol entfernt ist. Notgedrungen sozusagen, um meine Freundin zu besuchen, die hier studiert: die privaten Auswirkungen der Globalisierung. Meine Großmutter hingegen empfand es noch als großen Umbruch, wenn sie von Oberinn nach Signat ziehen musste, um zu heiraten. Immerhin 500 Meter Höhenunterschied.

Trotzdem konnte ich mir nirgends wirklich vorstellen, zu bleiben und für immer dort zu leben. Gleichzeitig wurde dieses seltsame Gefühl von Mal zu Mal größer, wann immer die Füße wieder Südtiroler Boden betraten: Ein Gefühl der Zugehörigkeit, der stille Drang, zu allen Dingen Hallo zu sagen, „ich bin zurück“, weil man sie kennt und weil sie seit Urzeiten etwas bedeuten; oder auch ein merkwürdiges Gefühl des Glücks, wenn man plötzlich wieder den Kuhmist von der Nachbarwiese riecht, nach einigen Reisemonaten, in denen man an jedem Tag woanders übernachtet hat. Selbst Schilder und Aufkleber nach dem Motto „Süd-Tirol ist nicht Italien“ stören nicht mehr. Oder auf der anderen Seite das Siegesdenkmal und die peinlichen Kampagnen von Casapound-Aktivisten.

Fast jeder Südtiroler ist ein Patriot. Und je länger man im Ausland gelebt hat, desto leichter fällt es, dazu zu stehen.

Ein junger Mann aus Nals, der jetzt im Libanon Politiker in Krisensituationen berät, hat es so formuliert: Man muss irgendwo starke Wurzeln geschlagen haben, um in die Welt hinaus zu können. Wann immer er nach Südtirol zurückkehrt, fühlt er sich sofort zuhause. Wenn man aber monate- oder jahrelang im Ausland ist, tendiere man dazu, dieses Südtirol zu idealisieren; sobald man dann längere Zeit wieder hier lebt – so sagt er – verschwindet dieses besondere Etwas, das einen mit der „terra natia“ so verbindet, nach und nach wieder.

Er hat vielleicht recht. Dennoch wurde mir in diesen Momenten der Heimkehr die ebenso kleinkarierte wie erstaunliche Wahrheit bewusst: Ich bin selbst ein Patriot. Fast jeder Südtiroler ist ein Patriot. Und je länger man im Ausland war, desto leichter fällt es, dazu zu stehen. Nur braucht man eben keine Fahnen und Feinde, keine Treueschwüre und Ausländerängste, um diese Heimatliebe auszuleben. Nach wie vor ärgert man sich über die Südtiroler, die das nötig haben. Aber selbst an diesem Ärger hat man eine gewisse Freude. Vielleicht, weil es einfach dazugehört. Oder weil man inzwischen in Gegenden gewesen ist, wo sich Menschen wirklich gegenseitig abgeschlachtet haben, nur weil der andere einer anderen Ethnie oder Sprachgruppe angehörte. Da relativiert sich dann vieles.

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