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Illustrations by Sarah
Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 01.08.2018
MeinungKommentar zur „Heimat“

Das Südtirol-Problem

Südtirol ist ein schönes Land und die Südtiroler sind brave Leute – das weiß jeder. Warum nur ist es so verdammt schwer, dazu zu gehören?
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Die 60er-Jahre waren eine bewegte Zeit. Eiserner Vorhang, Hippies, Vietnamkrieg. Die Tagesschau war voll von weltbewegenden Nachrichten. Und natürlich die Bombenjahre. Für Südtirol war es die Zeit zwischen Magnagos Rede auf Sigmundskron und dem Zweiten Autonomiestatut. Doch im Weltgeschehen spielte all das eine verschwindend geringe Rolle. Andere Reden gingen damals um den Globus und erregten weit mehr Furore, zum Beispiel: Kennedy. Am 26. Juni 1963 hielt er in Westberlin vor hunderttausenden Zuhörern eine legendäre Rede, in der er der Sowjetunion die klare Ansage machte: „Ich bin ein Berliner.“ Bis heute ist jene Rede berühmt. Undenkbar, ein amerikanischer Präsident, der sich als Berliner präsentiert – spätestens seit damals war es saucool, Berliner zu sein.

Nehmen wir jetzt aber an, Kennedy sei 1963 gar nicht nach Berlin gegangen. Machen wir ein Gedankenexperiment und stellen wir uns vor, er wäre stattdessen nach Südtirol gekommen, um der deutsch-ladinischen Minderheit die amerikanische Solidarität zu bekunden. Etwas absurd, aber nehmen wir an, es lag ihm daran, Italien unmissverständlich klarzumachen, Südtirol gehöre dem deutschsprachigen Kulturraum an und das solle auch so bleiben. In Bozen hätte er deswegen vor Tausenden Zuhörern stolz erklärt: „Ich bin ein Südtiroler!“

Berliner kann jeder werden. Südtiroler zu sein ist aber ein Privileg, das man nur mit der Geburt erhält.

Wie würden die Südtiroler, die echten, reagieren? Leicht zu erahnen: Freude und Staunen würden sich zunächst breitmachen. Die „Dolomiten“ würde während der darauffolgenden Wochen nur über dieses Ereignis berichten, und wenn auch in der Zwischenzeit die Welt unterginge. Der amerikanische Präsident, der sich vor aller Welt zu Südtirol bekennt? Jeder hier würde sich tief im Herzen geschmeichelt fühlen.

Aber ich vermute, dass es nicht lange dauern würde, bis der Erste sich fragt: „Der? Der konn jo netamol Dialekt reden!“ Zuerst einer, dann ein anderer, schließlich würden sehr viele zunehmend skeptisch werden. „I bin a Südtiroler“, hätte es richtig geheißen. Aber das wäre womöglich noch schlimmer gewesen. Dass sich ein Amerikaner einfach so als Südtiroler bezeichnen kann? Und dann auch noch unseren Dialekt nachahmt? Eine nette Geste ist es auf jeden Fall gewesen, sich für die Anliegen der deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler so einzusetzen. Aber sich selbst als einen solchen zu inszenieren? Damit wäre Kennedy mit Wohlwollen belächelt, aber wahrscheinlich nicht besonders geschätzt worden. Denn Berliner kann jeder werden. Südtiroler zu sein ist aber ein Privileg, das man nur mit der Geburt erhält.

Zugegeben, das Gedankenexperiment mit Kennedy mutet etwas absurd an. Solange die Italiener nicht in Massen zum Kommunismus übertreten, hätte ein amerikanischer Präsident keinen Grund, sich für die deutsch- und ladinischsprachige Minderheit besonders zu interessieren.

Weniger hypothetisch ist hingegen eine bestimmte Mentalität, die durch das Gedankenexperiment deutlich wird. Diese Mentalität ist sehr real und in Südtirol weit verbreitet: „Südtirol den Südtirolern.“ Es gibt zahllose Beispiele – keine Experimente – von wirklichen Menschen, die heute in Südtirol leben, die davon erzählen können. Dabei muss man gar nicht erst die minderjährigen Flüchtlinge befragen, die unter der Brücke leben müssen. Es reichen die angesehenen, finanziell starken „Immigranten“, solche mit einem aussagekräftigen Diplom und einschlägigen Qualifikationen in der Tasche: Marketing-Experten, Ingenieure, Ärzte, Universitätsprofessoren. Menschen also, die üblicherweise mit offenen Armen empfangen werden, weil sie das wirtschaftliche und kulturelle Leben in einer Region immens bereichern.

Auch Südtirol wirbt um sie: „Lokale Authentizität schließt Internationalität nicht aus“, so macht sich Südtirol auf der Webseite von IDM, dem Wirtschaftsdienstleiter des Landes, im Ausland attraktiv. Im selben Absatz steht weiterhin: „Trotz seiner touristischen Tradition galt Südtirol lange als der Welt gegenüber verschlossen. Infolge steigender Migration und wirtschaftlicher Entwicklungen hat das Land jedoch mittlerweile eine lebendige, internationale Seite.“

„Südtirol ist Italien ‚geworden‘, ohne es zu wollen. Damals war es bestimmt notwendig, sich und die eigene Identität nach außen zu schützen.“

Mohsen Farsad, Primar für Nuklearmedizin am Bozner Krankenhaus und gebürtiger Iraner, würde diese internationale Seite gerne etwas öfter spüren. Als er vor etwa zehn Jahren aufgrund seiner Spezialisierung nach Bozen gerufen wurde, fand er seine neue Heimat unfassbar spannend. Vom ersten Tag an las er sich in die Geschichte der Region ein – mit Andreas Hofer, dem Vertrag von Saint Germain und dem Kampf um Autonomie ist er heute besser vertraut als so mancher gebürtige Südtiroler. Auch wenn er wandern geht, weiß er die einzelnen Gipfel Südtirols zu benennen. Überhaupt sind ihm die Berge das Liebste in Südtirol, dort fühlt er sich zuhause.

Mohsen Farsad

Etwas schwerer tut er sich mit der Südtiroler Gesellschaft. Oft, wenn er sich in innersüdtirolerischen Angelegenheiten zu Wort meldete, erfuhr er eine ausschließende Haltung. So, als gehörten solche Angelegenheiten nur unter „richtigen“ Südtirolern geklärt. „Ich denke, die Menschen wollen dadurch sich und ihre Traditionen schützen. In den letzten hundert Jahren haben die Südtiroler eine sehr schwierige und komplizierte Geschichte gehabt, sie haben die erzwungene Italianisierung erlebt, sind Italien ‚geworden’, ohne es entscheiden zu können. Dass es damals notwendig war, sich und die eigene Identität nach außen zu schützen, ist mir verständlich”, sagt Mohsen. Aber heute? Der gebürtige Iraner glaubt, dass die Südtiroler Gesellschaft es mit einer größeren Offenheit viel weiter bringen könnte.

Fakt ist aber, dass oft sogar Bundesdeutsche und Italiener Außenseiter bleiben. Bezeichnend ist ein Kommentar, den ich neulich auf Facebook entdeckte: „Ou, do isch Dialekt zi redn!“, herrschte der Kommentator, der sich auf seinem Profilbild mit einem Tiroler-Adler-T-Shirt präsentierte, einen anderen an, der sich in der selben Kommentarspalte fatalerweise auf Hochdeutsch zu Wort gemeldet hatte.

Auch ich bin ein Teil dieses Südtirol-Problems. Obwohl ich einen italienischen Vater habe, habe ich die deutsche Schule besucht und bin heute auschließlich mit deutschsprachigen Südtirolern unterwegs. Vergeblich suche ich unter meinen engeren Freunden nach Italienern. Das ist mein eigenes Versäumnis, aber zugleich auch das Ergebnis einer Strategie, die der Historiker Günther Pallaver „dissoziative Konfliktlösung“ nennt: Das friedliche Zusammenleben verschiedener Gruppen soll garantiert werden, indem sie möglichst getrennt voneinander leben und wenig Kontakt miteinander haben. Zu diesem Zweck gibt es in Südtirol alles doppelt (weil es getrennt ist): das Schulamt, die Sportvereine und so weiter.

Wäre es nicht gesünder für die Liebe – auch die Heimatliebe – wenn sie offen ist?

Durch diese Politik der dissoziativen Konfliktlösung wird die Haltung „Südtirol den Südtirolern“ zusätzlich verstärkt. Die Mentalität dahinter erinnert mich an jene langweiligen, verschlossenen Pärchen, die keine Freunde haben, immer nur zuhause herumsitzen und selbst am Samstagabend nur mit sich selbst beschäftigt sind. Die Liebe, die hinter solchen Beziehungen steckt und die Menschen dazu bringt, sich der Welt so zu verschließen, hat aber meistens etwas Krankhaftes, etwas Morbides.

Umso bedenklicher ist es, wenn auch die Heimatliebe gerade von denen reklamiert wird, die ihre Bindung zu Südtirol auf so verklemmte und obsessive Weise praktizieren. Wäre es nicht gesünder für die Liebe, wenn sie offen wäre? Das heißt nicht gleich, eine offene Beziehung zu führen und mit allen ins Bett zu gehen. Offenheit fängt schon damit an, dass man ab und zu mal ausgeht, Freunde trifft, andere Pärchen kennenlernt. Oder dass man das T-Shirt mit dem Tiroler Adler einmal zuhause liegen lässt und die eigene Welt für andere öffnet. Zum Beispiel könnte man mit Bundesdeutschen auf Hochdeutsch sprechen und mit den Nachbarn aus Pakistan ein Gespräch beginnen – oder sogar mit ihnen essen gehen.

Das wäre jedenfalls das Südtirol, wie ich es mir gerne vorstelle. Lokale Authentizität, die Internationalität nicht ausschließt: So lautet der IDM-Werbespruch.

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