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Illustrations by Sarah
Thomas Hanifle
Veröffentlicht
am 16.11.2016
LebenDoping im Freizeitsport

Vollgepumpt

Sie spritzen sich Anabolika und EPO. Südtirols Freizeitsportler haben keine Chance auf Olympiamedaillen und Werbeverträge, dennoch greifen viele zu leistungssteigernden Mitteln. Warum nur?
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Peter Pichegger* frühstückt jeden Morgen zehn Eier. Im Laufe des Tages verputzt er reichlich weißen Reis, Fisch, weißes Fleisch und trinkt mehrere Eiweiß-Shakes. Dazu nimmt der Bodybuilder Tribulus Terristris, ein Mittel, das den Testosteronspiegel erhöhen soll. Für den Muskelaufbau. Zur Diät gehört auch der Muskel-Tuner Kreatin und die Aminosäure Glutamin. Für eine schnellere Regeneration der Muskeln. Alles legale Mittel, betont Pichegger. Anabolika habe er nur früher genommen, als er noch bei Wettkämpfen gepost hat. Fünf Mal die Woche trainiert Pichegger im Fitnessstudio für einen perfekten Körper. Das heißt für ihn: „Definierte Muskelstränge, die Körperteile voneinander abgrenzen, und kein Fett.“

An diesem Herbstnachmittag sitzt Pichegger in einem Cafè in einem Südtiroler Dorf, den muskelbepackten Körper verborgen unter einem weiten Jogginganzug. Im Fitnessstudio, in dem er trainiert, wollte sich der Enddreißiger nicht treffen. Er will uns ja erzählen von einer Szene, die immer schon vergiftet war. Und von seiner eigenen Dopingkarriere. Das tut man lieber nicht im eigenen Nest.

Wie ist der Wunsch entstanden, systematisch Muskeln aufzubauen?
Als Jugendlicher war ich schmächtig und meine Schulkollegen haben mich gehänselt. Deshalb habe ich begonnen, mit Hanteln zu trainieren.

Wie oft haben Sie trainiert?
Zuerst ein paar Mal die Woche, bald täglich. Meine Garage habe ich später zu einem Fitnessstudio verwandelt. Bei der Arbeit hatte ich nur mehr das Training im Kopf, ich habe wie ein Besessener trainiert, eindeutig zu viel.

Und wann sind Sie mit Doping in Kontakt gekommen?
Mit Mitte 20.

Welche Mittel haben Sie genommen?
Anabolika und andere Substanzen.

Woher hatten sie die Mittel?
Von meinem Trainer. Die Dopingkur sollte mich wettkampftauglich machen.

Das hat sie offensichtlich getan. 
Ja. Die Eisen ließen sich mit einem Mal viel leichter liften, ich habe an Masse zugelegt und die dauernden Schmerzen waren plötzlich auch nicht mehr da. Und ich war bei den Wettkämpfen erfolgreich.

Da hatten Sie also alles, was sie wollten.
Na ja, ich war noch zu „schmächtig“ und mir fehlten ein paar Kilogramm. Ich war 1,83 m groß und wog 95 Kilo, das war zu wenig, um mit den Besten mithalten zu können.

Mit der richtigen Diät und effizienterem Training war da nichts zu machen?
Genau. Deswegen wollte mein Trainer dann, dass ich Wachstumshormone nehme.

Und? Haben Sie das gemacht?
Nein, ich bin ausgestiegen.

All die Mühe für die Katz’?
Das Risiko war mir zu groß. Außerdem fehlte mir das Geld für die teuren Pillen.

Den Traum vom perfekten Körper lebte Peter Pichegger aber weiter. Auch ohne Trainer. Und sollte sich schon bald bestärkt darin sehen, seinen eigenen, weniger riskanten Weg zu gehen. Einen Freund verlor er an die Muskeldrogen, andere wirken gezeichnet vom Dauerkonsum der vermeintlichen Wundermittel.

Peter Pichegger erzählt von einer Szene, die immer schon vergiftet war. Und von seiner eigenen Dopingkarriere.


Der Traum vom perfekten Körper. Für Peter Pichegger heißt das: „Definierte Muskelstränge, die Körperteile voneinander abgrenzen, und kein Fett.“

Verschiedenen Studien aus Deutschland zufolge greifen rund 20 Prozent der Freizeitsportler, die ins Fitnessstudio gehen, zu leistungssteigernden Mitteln, die auf der Dopingliste stehen. „Machen wir uns nichts vor“, sagt Stefan Resnyak, „es gibt in Südtirol zwar keine Studien wie in Deutschland, aber auch hierzulande dopen Freizeitsportler und zwar nicht nur im Bodybuilding, sondern vor allem im Ausdauersport“.

Der Bozner Sportmediziner war viele Jahre Antidoping-Arzt des Nationalen Olympischen Komitees CONI. Doping im Amateursport sieht er als das wirklich beunruhigende Phänomen. Im Profisport ständen die Sportler in der Regel unter ärztlicher Kontrolle, im Amateursport verließen sie sich meist auf Informationen aus dem Internet oder von Bekannten, die selbst dopen. Zwar funktioniere die Dopingkontrolle im Spitzensport kläglich, aber zumindest gebe es, anders als im Amateursport, regelmäßig Tests.

Bei Resnyak wurde schon ein Bodybuilder vorstellig, dem wegen der Anabolika Brüste wuchsen. Er bat um ein Antihormonpräparat, das dem entgegenwirkt. Er kennt auch Ausdauersportler, die EPO spritzen, um mehr Sauerstoff in die Lungen zu bekommen. „Über die Risiken sind sich viele nicht im Klaren“, sagt Resnyak.

Anabolika etwa sind dem männlichen Sexualhormon Testosteron nachempfunden, das in den Hoden gebildet wird. Der künstliche Wirkstoff lässt die Muskulatur schneller wachsen und langsamer ermüden, außerdem lagert sich kein Fett ein. Kommt im männlichen Körper zu viel Testosteron vor, wird es zum Teil in das weibliche Sexualhormon Östrogen umgewandelt. Die Brust wächst, die Hoden schrumpfen, es werden weniger Spermien gebildet. Schlimmstenfalls bilden sich Lebergeschwüre, Krebs, Blutgerinnsel im Hirn. Typische Nebenwirkungen sind auch Akne und Depressionen. Das künstlich hergestellte Hormon EPO (Erythropoetin) steigert dagegen die Bildung der roten Blutkörperchen. So gelangt mehr Sauerstoff in die Lunge, die Ausdauer steigt. Radsportler, Marathon- oder Bergläufer profitieren davon. Was sie ignorieren: Das Blut wird zähflüssig, es steigt das Risiko für einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall.

Doping im Amateursport ist beunruhigender als im Profisport.


Doping auch im Ausdauersport: Bei einer anonymen Umfrage unter Triathleten unmittelbar nach Wettkämpfen in Deutschland gaben 13 Prozent der befragten Freizeitsportler an, im Vorfeld leistungssteigernde Mittel konsumiert zu haben. 

Peter Pichegger meint die Gefahren zu kennen. Ist doch alles eine Sache der richtigen Dosierung und der Qualität der Präparate. Ein Freund aus Deutschland, ein „120-Kilo-Mann“, der es in die höchste Liga der Bodybuilder geschafft hatte und mit dicken Schlitten vorfuhr, starb vor einigen Jahren. Seither sei Pichegger noch vorsichtiger geworden. Er kennt aber Kollegen, die das ganze Jahr hindurch Testosteron nehmen. Es sind junge Sportler, mit denen er manchmal trainiert. Die wollen Erfolg sehen und nehmen, was geht. Pichegger sagt: „Wenn ihre Augen glänzen, sie richtiggehend aufgepumpt sind und dazu noch bis zu den Ellenbogen Pickel haben, dann weiß ich was los ist: Das ist Steroide-Akne“.

Er selbst vertraut auf die eigene Erfahrung und auf die „Bibel“ unter Bodybuildern und Fitnesssportler: „Anabole Steroide. Das schwarze Buch“. Ein Buch aus der Schattenwelt für die Schattenwelt, eine Anleitung zum Dopen. Es informiert über Effekt und Dosierung, Einnahme und Kosten, Verfügbarkeit und Nebenwirkungen von mehr als 100 Substanzen. Die Autoren benutzen Pseudonyme. Sportmediziner Peter Resnyak sind solche Quellen suspekt. Immerhin handelt es sich um rezeptpflichtige Medikamente, die auf jeden Menschen anders wirken. Das größte Problem ortet Resnyak aber im Internet, beim Onlinehandel und in einschlägigen Foren, in denen sich  die „Stoffer“ darüber austauschen, wie man die Testosteronspritze richtig setzt oder die erste „Kur“ angeht:

El Loco: Meiner Meinung nach sollte die erste Kur nur aus Testo bestehen, 250mg e5d. Clomifen und Tamox sollten bereit liegen für den Notfall (Gyno, absetzen bei Nebenwirkungen, etc.). Ich empfehle auch das tägliche Supplementieren von einem Mariendistelextrakt um Leberschäden entgegen zu wirken.

Lundgren: Notwendig: wissen wie man absetzt und womit. Tamox und Clomid … wenns ne lange Kur ist oder Deca bzw. Tren drinnen war auch mit hcg. Das auch schon zu Beginn zu Hause haben!! … Erste Kur… alle Formen von Testo von ca. 300-400 mg Wochendosis.

OldMichi: Tamox und Clomid. Was soll in welcher Höhe bereit liegen?

Lundgren: Clomid ca. 60 Stk a 50 mg. Fürs Absetzen genug. Tamox 60-90 Stk a 20 mg. Fürs Absetzen genug und im Notfall was parat für den Fall einer Gyno. **

**  Clomid: Clomifen wird nach dem Absetzen von Anabolika verwendet und soll die körpereigene Testosteronproduktion steigern. Gesicherte Daten dazu gibt es nicht. Tamox: Tamoxifen soll die als Nebenwirkung vieler Anabolika auftretenden Gynäkomastie unterdrücken. Gyno: Die Gynäkomastie ist die Vergrößerung der Brustdrüsen beim Mann. Deca-Durabolin: Handelsname von Nandrolon, einem anabolen Stoff, der muskelaufbauend und vermännlichend wirkt. Tren: Trenbolon ist ein Anabolikum. HCG: Das humane Choriongonadotropin ist ein Protein, das die körpereigene Testosteronproduktion anregt. Vor allem Bodybuilder injizieren HCG, um die durch die Gabe künstlichen Testosterons verursachten Hodenschrumpfungen zu vermeiden.


Auch auf YouTube finden sich Anleitungen, wie man sich die Testosteronspritze richtig setzt.

Wo die Muskelmänner früher einen Dealer aufsuchen mussten, genügen heute ein paar Mausklicks, um an die einschlägigen Präparate zu kommen. Und das Angebot ist enorm. Onlinehändler locken mit Anabolikapaketen zu Schnäppchenpreisen für Anfänger und Fortgeschrittene. Es gibt Pakete für die Fettverbrennung und Pakete für den Muskelaufbau. Eine Dopingkur von sechs bis acht Wochen etwa mit den Anabolika Dianabol und Oxandro kostet 249 Euro. 50 Tabletten Dianabol aus China sind schon für 17,95 Euro zu haben, Lieferzeit nach Italien sechs bis neun Tage. Weil die Einnahme des Präparats die Leber schädigen kann, empfiehlt der Anbieter gleich ein Medikament dazu, das die Leber schützen soll. Stefan Resnyak sagt da nur: „Pervers.”

Was wirklich in den Medikamenten steckt, erfahren die Käufer häufig nicht. Denn Beipackzettel suchen sie meist vergeblich. „Das ist ja das Problem“, sagt Peter Pichegger. Je billiger die Medikamente, desto gefährlicher, aber desto attraktiver für junge Männer mit breiter Brust und schmaler Börse. „Meine jungen Kollegen zeigen mir oft die Seiten, auf denen sie das Zeug kaufen: Billiges Rattengift“, nennt es Pichegger, „meistens aus dem Osten, aus Thailand oder China“. 

„Billiges Rattengift aus Thailand oder China.“ 

Peter Pichegger

Aber nicht nur Bodybuilder greifen zu vermeintlich leistungssteigernden Präparaten. Klaus Murg* betreibt seit rund zehn Jahren ein kleines Fitnessstudio. Jetzt im Herbst, wenn die Tage wieder kürzer werden, ist es abends voll. Dann tummeln sich dort Bodybuilder, die schwere Eisen stemmen, Fitness- und Kraftsportler, die sich einen durchtrainierten Körper wünschen, aber auch Menschen mit Rückenproblem, die Mobilisationsübungen machen. Sein Laden bietet die neuesten Geräte, seinen Kunden stellt Murg auf Wunsch Trainingsprogramme zusammen. Ob hier auch gedopt wird? „Ich kann es nicht ausschließen“, beginnt Murg. „Nein, sicher dopen einige“, schiebt er nach, „aber ich wäre der Letzte, dem sie es sagen“.

Ein Zubrot verdient Murg mit dem Verkauf von Nahrungsergänzungsmitteln: Eiweißshakes, Powerdrinks und -riegel, Tabletten und Pülverchen, die den Muskelaufbau erleichtern, der Müdigkeit vorbeugen, das Wohlbefinden steigern oder bei der Gewichtsabnahme helfen sollen. Verkaufsschlager sind Eiweißpräparate oder der Fatburner L-Carnitin, den vor allem Frauen konsumieren. „Das ist ein typisches Mittel“, sagt Resnyak, „es bringt aber absolut nichts“. Das Präparat, da ist der Sportmediziner sicher, verbrennt kein Fett, sondern vor allem Geld. Immerhin scheint der Stoff eher harmlos zu sein: Bis auf vereinzelte Durchfallerkrankungen sind bisher keine Nebenwirkungen bekannt. Aber nicht alle Nahrungsergänzungsmittel sind harmlos. Der Muskel-Tuner Kreatin ist gleichermaßen bei Bodybuildern, Fitness- und Ausdauersportlern beliebt, weil er auch die Schnellkraft verbessern und die Erholungszeit nach Belastungen verkürzen soll. Allerdings plädieren Experten seit Jahren dafür, Kreatin-Produkte auf die Dopingliste zu setzen. Sie sind häufig mit kleinen Mengen von anabolen Substanzen durchsetzt, die ausreichen, um positiv getestet zu werden. Kreatin kann außerdem Muskelkrämpfe und Magenbeschwerden verursachen oder zu einer unkontrollierten Gewichtszunahme führen. 


Nicht alle Nahrungsergänzungsmittel sind harmlos.

Gefährlich wird es, wenn Nahrungsergänzungsmittel wiederum über das Internet bestellt werden oder von Dealern stammen, die sich im Umfeld von Fitnessstudios bewegen. „Dann bekommt man zwar billige Eiweißprodukte, aber ich habe schon Leute gesehen, die davon Ausschlag bekommen haben“, weiß Peter Pichegger. Nahrungsergänzungsmittel sind mittlerweile überall zu haben: im Supermarkt, in Apotheken und Drogerien, im Fitnesscenter, aber eben vor allem im Internet. Der jährliche Umsatz in Europa im Jahr 2013 belief sich auf rund sechs Milliarden Euro – eine halbe Milliarde mehr als der gesamte Südtiroler Landeshaushalt im Jahr 2016.

Für Stefan Resnyak braucht es keine zusätzlichen Präparate, um die eigene Leistung zu steigern. Im Gegenteil: Es liegen bisher kaum vertrauenswürdige wissenschaftliche Studien über Nahrungsergänzungsmittel vor. Und nur wenige Produkte haben überhaupt eine positive Wirkung auf die Leistung. Und wenn, dann sei der Effekt „geringer als jener, der durch die eine ausgewogene Ernährung erzielt werden kann“. 

Der jährliche Umsatz von Nahrungsergän-zungsmitteln in Europa belief sich 2013 auf rund sechs Milliarden Euro.


Sportmediziner Stefan Resnyak: „Nur wenige Nahrungsergänzungsmittel wirken sich positiv auf die Leistung aus.“

Werner Maier* ist Radsportler. Er kennt keinen Kollegen, der nicht Nahrungsergänzungsmittel zu sich nimmt. Maier war ein talentierter Nachwuchsfahrer, den Sprung zu den Profis schaffte er allerdings nicht. Bis heute fährt er Amateurrennen, bei denen ein Wellnesswochenende oder ein paar Hundert Euro Siegprämie rausspringen. Dopingtests gibt es selten. Wenn doch fliegen regelmäßig einzelne Sportler auf. Er legt jährlich 20.000 bis 30.000 Kilometer auf dem Rennrad zurück. Als er zum verabredeten Treffpunkt in einem Cafè am Bozner Bahnhof kommt, zieht er sich noch schnell einen Powerriegel rein. „Wer im Glashaus sitzt, darf nicht mit Steinen werfen“, beginnt der Endzwanziger das Gespräch.

Haben Sie jemals gedopt?
Nein, zumindest nicht wissentlich. Als ich noch in einem Team war, bekamen wir nach den Rennen Infusionen: Glukose und Aminosäuren zur schnelleren Erholung. Was da tatsächlich drin war, weiß ich nicht.

EPO war also nie ein Thema?
Als junger Athlet habe ich mir gesagt: Komm, probier‘s aus. Aber so leicht kommst du an EPO ja nicht heran. Und den Teamarzt zu fragen, hatte ich nicht den Mut.

EPO-Präparate lassen sich heute bequem übers Internet bestellen.
Ich weiß. Die Medikamente kommen dann häufig aus der Türkei, aus Thailand oder weiß Gott woher. EPO muss immer kühl gelagert werden. Wer sagt dir, dass das auf dem Weg von China nach Europa immer der Fall war? Das ist sehr gefährlich. Jungen Kollegen, die mich fragen, woher sie das Zeug bekommen können, rate ich davon ab.

Kennen Sie Kollegen, die EPO nehmen?
Ja, zwar wenige, aber manche dopen das ganze Jahr hindurch, häufig ohne Unterbrechung. Die können nicht mehr anders, das ist wie eine Sucht.

Woher wissen Sie, dass sie dopen?
Sie können einfach nicht den Mund halten. Und wenn jemand mit 100 Umdrehungen pro Minute ein Aufstiegsrennen fährt, so wie Lance Armstrong in den besten Zeiten, dann kann etwas nicht stimmen.

Nehmen Sie Nahrungsergänzungsmittel?
Ja, Eiweißpräparate, Kreatin und Aminosäuren, damit ich mich besser erhole. Das ist kein Doping. Viele nehmen die Präparate aber, weil sie stärker werden wollen. Das ist für mich psychologisches Doping.

Geht es nicht ohne Nahrungsergänzungsmittel?
Auf gewissen Strecken geht es nicht ohne gewisse Präparate. Na ja, gehen tut es schon, aber du gehst früher unter.

Der italienische Sportwissenschaftler Alessandro Donati schätzt, dass sich weltweit 500.000 Menschen mit EPO dopen. Laut seiner Studie aus dem Jahr 2007 übersteigt die jährlich produzierte Menge an EPO den effektiven therapeutischen Bedarf um das Fünf- bis Sechsfache.

„Auf gewissen Strecken geht es nicht ohne gewisse Präparate. Na ja, gehen tut es schon, aber du gehst früher unter.“

Amateur-Radsportler Werner Maier

Bei Amateurrennen werden selten Dopingtests durchgeführt.

Warum greifen Freizeitsportler aber zu Präparaten, die ihre Gesundheit gefährden? Oder, wie zahlreiche Nahrungsergänzungsmittel, schlicht nichts bringen?

Monika Niederstätter ist Sportpsychologin und verrät Profi- und Nachwuchssportlern, wie sie positiv mit Druck umgehen können. Selbst war sie über Jahre hinweg die schnellste 400-Meter-Hürdenläuferin Italiens. Bei der Europameisterschaft in München 2002 erreichte sie den vierten Platz, bei den Olympischen Spielen in Athen 2004 verpasste sie das Halbfinale um einen Platz. Das Finale gewann die bis dahin fast unbekannte Griechin Fani Chalkia, die ihre persönliche Bestzeit um dreieinhalb Sekunden pulverisierte – und vier Jahre nach dem Erfolg des Dopings überführt wurde.

„Ich habe mich nie gefragt, wo ich stehen würde, wenn ich dope, sondern wo ich stehen würde, wenn alle sauber wären“, sagt Niederstätter. Es wundert sie aber nicht, dass Doping auch den Breitensport erreicht hat. Denn in der modernen Leistungsgesellschaft ist es selbstverständlich, sich mit Medikamenten aufzuputschen: Studenten tun es, um sich besser konzentrieren zu können, LKW-Fahrer, um am Steuer nicht einzuschlafen. Und Freizeitsportler tun es, um sich aus der Masse hervorzuheben und einem Schönheitsideal zu entsprechen, das ihnen die Werbung täglich vorgaukelt. Der Körper ist zum Statussymbol geworden. „Je mehr er leistet, desto mehr Anerkennung bekomme ich“, erklärt Niederstätter.

Der Leistungsgedanke beeinflusst schon Kinder: „Die vergleichen sich schon in der Schule und im Sport und glauben, mehr wert zu sein, wenn sie mehr leisten“, sagt Niederstätter. Der Pusterer Sportmediziner Alex Mitterhofer berichtet von Eltern, die ihren Kindern Sportdiäten oder Vitamine und Proteine verschreiben lassen wollen, damit sie etwa beim Fußball fitter sind. Eine gefährliche Entwicklung. Denn so wachsen Kinder im Glauben auf, nur bestehen zu können, wenn sie etwas nehmen. „Dann ist es nicht mehr weit bis zur Spritze“, glaubt Mitterhofer. „Wenn es schon als Kind nicht schlecht war, warum soll es das im Erwachsenenalter sein?“ Der Übergang von Nahrungsergänzungsmitteln hin zu Doping verläuft fließend. 

Eltern wollen schon ihren Kindern Sportdiäten, Vitamine und Proteine verschreiben lassen.


Ex-Leichtathletin und Sportpsychologin Monika Niederstätter: „Kinder vergleichen sich schon in der Schule und im Sport und glauben, mehr wert zu sein, wenn sie mehr leisten.”

Der deutsche Psychologe Werner Hübner sieht gar Parallelen zwischen Drogensüchtigen, die Kokain konsumieren, und Stoffern, die Anabolika spritzen. Beide wollen etwas nicht haben und suchen eine Möglichkeit, wie sie es loswerden. Der Kokser will sich von seinem tristen Alltag befreien, der Stoffer von seiner Statur, mit der er nicht zufrieden ist. Deshalb greifen sie nach einem Mittel, das ihnen hilft, dieses Ziel zu erreichen, erklärte Hübner dem „Spiegel“.

So wie Peter Pichegger. Mit Training, einer strikten Ernährung und mit Hilfe von Doping und Nahrungsergänzungsmitteln hat er sich seinen Wunschkörper erarbeitet, und auf den will er nicht mehr verzichten. Deshalb wird er weiterhin auf Mittel wie Tribulus Terrestris vertrauen, das angepriesen wird als natürliches Anabolikum ohne Nebenwirkungen. Bislang weist jedoch keine einzige Studie die gewünschte Wirkung nach. Auch über Langzeitfolgen ist nichts bekannt, betont Stefan Resnyak. Picheggers Lebensstil kann er wenig abgewinnen. Und sagt: „Jeder kann für sich selbst entscheiden, wie er sich umbringen will.“

*Namen von der Redaktion geändert.

Fotos
Mattys Flicks/Flickr, Lin Mei/Flickr, EnhancedAthlete/YouTube, Marco Verch/ Flickr, Stefan Resnyak, Varzeamtb/Flickr, Monika Niederstätter

Kontakt Autor: thomas@barfuss.it

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