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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 24.08.2017
LeuteReisefotografin Paola Marcello

Die Welt vor der Linse

Veröffentlicht
am 24.08.2017
Paola Marcello fängt mir ihrer Kamera die Geschichten von Menschen ein, die an den entlegensten Orten der Erde leben.
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Markante Tätowierungen

„Unter höllischen Schmerzen wurden die jungen Mädchen von alten Tattoo-Masterinnen mit den Dornen von Bambus ähnlichen Pflanzen gebrandmarkt.“

Es war drei Uhr morgens als Paola Marcello in dem kleinen Dorf der Bergregion Chin in Burma ankam. Das Gästehaus, das sie mit Hilfe eines handgeschriebenen Zettels einer fremden Reiseleiterin gefunden hatte, war um diese Uhrzeit bereits geschlossen. Also verbrachte sie die restliche Nacht gemeinsam mit dem Fahrer zusammengekauert im Auto. „Eigentlich wollte ich ursprünglich gar nicht nach Chin, sondern nach Nagaland, ein indischer Bundesstaat, der aufgrund seiner Bräuche und der Folklore sehr interessant ist“, erzählt die 44-Jährige. Situationen wie diese gehören immer wieder zum Alltag der Meranerin. Paola Marcello ist nämlich Reportagefotografin.

Mit hochgezogenen Augenbrauen und großen Augen erzählt sie von schlechten Straßen, der kühlen Luft in den Chin-Bergen und den alten Frauen dort. Für diese hat sie die Reise nämlich auf sich genommen. Bereits im Kindesalter wurden die Chin-Frauen mit schwarzen Gesichtstätowierungen als stammesangehörig markiert. „Unter höllischen Schmerzen wurden die jungen Mädchen von alten Tattoo-Masterinnen mit den Dornen von Bambus ähnlichen Pflanzen gebrandmarkt“, erzählt Paola. Als Tinte diente eine Mischung aus Knospen, Ruß und fermentierten Blättern. Seit den 1960er-Jahren ist dieser Brauch verboten. Die letzten Frauen mit Gesichtstätowierungen sterben aus. Um diese mit ihrer Kamera einzufangen, ist die Fotografin nicht nur zwei Mal in die entlegene Region gereist, sondern hat tagelang nur Reis gegessen, auf harten Holzböden übernachtet und ist mit Unbekannten auf klapprigen Mopeds über unsichere Straßen gefahren. Anpassungsfähigkeit gehöre eben zu ihrem Job, meint Paola. Die Geschichten von Menschen zu erzählen, die an den verstecktesten Orten der Erde leben, ist ihre Leidenschaft.

Paola Marcello stammt aus einer Kaufmannsfamilie und ist nach ihrer Ausbildung direkt in den elterlichen Betrieb eingestiegen. „Dabei habe ich bereits als Jugendliche Landkarten, Fotobildbände und alte Ansichtskarten gesammelt“, erzählt Paola und schüttelt über sich selbst den Kopf, „mein ganzes Haus ist voll davon.“ Fotografie war damals nur ein Hobby. Weil sie mit 20 Jahren als euphorischer Tennis-Fan aber oft bei Profi-Turnieren mit dabei war und bereits gute Sport-Bilder schoss, publizierte Paola bereits damals ihre ersten Fotos. Es folgten einige Kurse und schließlich der Übergang zur Reisefotografie.
Mit 25 Jahren konnte sie sich den Traum der ersten großen Fernreise endlich erfüllen und ist alleine für zwei Monate nach Südamerika aufgebrochen. „Ich wollte andere Kulturen kennenlernen und mit meinen Fotos erzählen, was ich erlebt hatte“, meint Paola. 

Nachdem Marcello in Mailand das Masterstudium in Reportage-Fotografie an der John Kaverdash School abgeschlossen hatte, machte sie sich kurzerhand als Fotografin selbständig. Es folgten zahlreiche Projekte zu sozialen Themen. „Für mich ist der Mensch im Alltag wichtig. Ich will eine Beziehung zu ihm aufbauen, seine Geschichte, bekannte und weniger bekannte Themen mit der Gesellschaft teilen“, erzählt Paola und zieht ein kleines Buch aus ihrer schwarzen Tasche. Auf der Titelseite ein Schwarz-Weiß-Foto, das einen kargen Ort hinter einem Stacheldrahtzaun zeigt. „Palestina: vita oltre al muro“ der Titel, der in weißen Buchstaben darunter abgedruckt ist. „Damals wollte ich das Leben der Palästinenser zeigen, die in ihrem Territorium hinter dieser Mauer eingesperrt sind und politisch und gesellschaftlich sehr unterdrückt leben müssen“, erklärt die Fotografin. Drei Mal ist sie dafür nach Palästina gereist, hat bei den Einwohnern gelebt und Kindern in einem Jugendzentrum das Fotografieren beigebracht. „Was wir in den Medien übermittelt kriegen, ist nicht die Realität“, meint Paola. In Palästina zu leben sei gefährlich, aber das Bild vor Ort sei ein anderes. Einige ihrer Fotos musste sie bei diversen Checkpoints zwar löschen, Angst hatte sie aber trotzdem nie. „Je schwieriger, desto wertvoller das Resultat“, meint die Fotografin.

„Für mich ist der Mensch im Alltag wichtig.”

Immer wenn Paola von einer Reise zurückkehrt, fühlt sie sich bereichert und ein Stück weltoffener. „Nur wenn man an einem fremden Ort das tägliche Leben mitlebt, kann man ein Bewusstsein für die Lage der Menschen und deren Schwierigkeiten im Alltag erlangen“, meint die Meranerin. Was man auf der eigenen Haut erlebe und spüre, würde einen im Tiefen verändern. Deshalb lässt die Fotografin sich für jede ihrer Reisen Zeit. „Nichts geht nur so im Durchzug mit ein bisschen Klick-Klick“, stellt sie klar. Ihr letzter Aufenthalt in Asien hat 14 Monate gedauert. Unter anderem hat sie dort einige Monate mit Jungnonnen in einem Kloster in Sri Lanka gearbeitet. Durch Zufall habe sich dabei das Projekt „HappYness“ ergeben: Mittels Fotografie und Schreibwerkstätten haben die jungen Nonnen über Monate hinweg erzählt und aufgearbeitet, was Glücklichsein für sie bedeutet. „Unglaublich, was diese jungen Frauen, die mit zehn, zwölf, dreizehn Jahren von Zuhause weg und ohne Familie ins Kloster müssen, zu erzählen hatten“, erinnert sich Paola sichtlich bewegt. 

„Nichts geht nur so im Durchzug mit ein bisschen Klick-Klick.“


Soziale Projekte liegen der 44-Jährigen seit jeher nahe. „Schon immer hatte ich das Bedürfnis zu zeigen, dass jede Person in ihrer Form und ihrer persönlichen Situation das gleiche Recht hat zu sein“, erläutert Paola. Ihre vielen Erfahrungen auf Reisen haben ihr gezeigt, dass das einzig Wahre die Vielfalt sei. „Ich sehe meine Aufgabe darin, diese Vielfalt hier zu teilen und zu erzählen“, sagt sie. Ihre vergangenen Foto-Projekte sprechen für sich. Paola Marcello hat sich nämlich nicht nur mit Meraner Kaufmannsgeschichten, mit den Geschichten von Meraner Migrantinnen und Migranten, sondern auch mit dem Leben von Menschen mit Beeinträchtigung auseinandergesetzt. Letzteren hat sie über einen längeren Zeitraum hinweg das Fotografieren beigebracht. „Wir sind keine geklonten Personen. Jeder ist individuell und diese Individualität gilt es zu ehren“, meint sie. Die Fotografie mit dem Sozialen und bestenfalls mit dem Reisen zu verbinden, sei für Marcello der siebte Himmel.

„Jeder ist individuell und diese Individualität gilt es zu ehren.“

„Fotografieren ist für mich eine alternative Art, mich auszudrücken. Was ich in Worten nicht erzählen kann, erzähle ich in einem Bild“, erklärt Marcello. Wenn die Fotografin ihren Blick durch die Linse richtet, fühlt es sich für sie wie meditieren an. Jedes Shooting verlangt jedoch nicht nur eine akribische Vorab-Recherche, sondern auch den intensiven Kontakt zu Menschen. „Und das braucht Zeit“, weiß Paola. Durch Organisationen, Schulen, Unternehmen, ansässige Reiseführer oder auch durch reinen Zufall findet sie meistens dorthin, wo sie hin will. Dann gilt es, Vertrauen zu den Menschen aufzubauen und die Intimität zwischen Model und Fotografin schließlich mit einem Klick festzuhalten. „Ein Moment, der sich so nie mehr wiederholen wird“, präzisiert die Fotografin. Die Fotos am Ende in Ausstellungen oder Multi-Media-Shows zu zeigen oder gar in einem Buch zu verewigen, sei der Teil, der den Kreis schließe. Der Höhepunkt eines jeden Projekts sozusagen. Partner dafür zu finden, sei aber nicht immer einfach. Genauso wenig wie von der Fotografie zu leben. Alle Reisen, die Paola bisher für ihre Reportagen unternahm, bezahlte sie aus eigener Tasche. Momentan macht sie eine Ausbildung zur Kunsttherapeutin und zum Selbstporträt als Therapieform. Künftig will sie auch davon leben. „So lastet weniger Druck auf meiner Fotografie, das ist gut so.”  

Vom 5. bis 15. Oktober 2017 stellt Paola Marcello ihre Bilder der Serie „Auf der Haut” im Rahmen des International Mountain Summit in der Stadtgalerie Brixen aus. Am 11. Oktober wird sie bei der IMS Brixen Night von ihrer Reise nach Burma und den Begegnungen mit den tätowierten Frauen erzählen (um 20 Uhr im Forum Brixen).


Paola Marcello – ein Selbstporträt.

Fotos
Paola Marcello

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