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Julia Tapfer
Veröffentlicht
am 25.02.2016
LeuteEin Leben mit Mukoviszidose

„Heilung gibt es keine“

Veröffentlicht
am 25.02.2016
Die Schwestern Delia und Jana Laimer haben die Erbkrankheit Mukoviszidose. Ein offenes Gespräch über ihren Alltag, die Therapien und den Umgang mit dem Tod.
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„Aufwärts gehen fällt mir sehr schwer. Das schaffe ich fast nicht mehr. Auch Treppensteigen ist sehr anstrengend“, erzählt die 22-jährige Jana Laimer. Ihre Schwester Delia nickt zustimmend. Deshalb hätte sie beim kürzlichen Hausbau in Kastelbell darauf geachtet, ebenerdig zu bauen, fügt die 26-Jährige hinzu. Wir sitzen an ihrem neuen Küchentisch und sprechen über eine seltene, schwerwiegende Erbkrankheit, an der beide Schwestern seit ihrer Geburt leiden: Mukoviszidose. Man sieht den beiden ihre Krankheit nicht an, nur hin und wieder hustet Jana laut – ein Zeichen, dass sie momentan wieder einen Infekt hat, erklärt sie. In Südtirol werden jedes Jahr zwei Kinder mit der Erbkrankheit geboren, 70 Mitglieder zählt die Mukoviszidose-Hilfe Südtirol, die sich um Bekanntmachung der seltenen Krankheit bemüht und Patienten bei den Kosten von Behandlungen und Betreuung unterstützt.

Delia und Jana sehen gesund aus. Sie sind aber unheilbar krank.


Die zwei Vinschgerinnen Jana und Delia Laimer.

Mukoviszidose wird auch zystische Fibrose genannt und lässt sich auf eine Genmutation zurückführen. Der Name setzt sich aus den lateinischen Begriffen mucus, für Schleim, und viscidus, für zähflüssig, zusammen. Durch einen gestörten Salz- und Wasserhaushalt wird ein zähflüssiger Schleim erzeugt, der zu einer erheblichen Beeinträchtigung wichtiger Organe führt. Am meisten betroffen sind die Lunge und die Bauchspeicheldrüse – das sind die beiden Organe, die den Patienten die größten Probleme bereiten. Besonders die Lungenfunktion verschlechtert sich zunehmend.

Der zähflüssige Schleim ist ein guter Nährboden für Keime, deswegen müssen Patienten sehr vorsichtig sein. „Ich habe im ganzen Haus keine Blumen, denn in der Erde und im stehenden Wasser befinden sich Keime“, erklärt Delia. Tabu seien auch Hallenbäder, Schimmel oder Teppiche in der Wohnung. Selbst im Leitungswasser können Keime auftreten, die für gesunde Menschen unproblematisch sind, für Mukoviszidose-Patienten aber gefährlich werden können: „Ich lasse das Wasser immer etwas laufen, bevor ich es trinke. Das ist sicherer“, sagt Jana und fügt erklärend hinzu: „Das Problem ist das stehende Wasser in den Leitungen, darin können Keime sein.“ Desinfektionsmittel stehen immer im Haus bereit – einmal am Tag werden alle Türgriffe desinfiziert, Delia und Jana wissen, dass sie vorsichtig sein müssen. Ob sie sich durch all diese Maßnahmen im Alltag eingeschränkt fühlen? „Wir kennen das ja nicht anders. Für uns ist das eigentlich schon normal“, antworten die jungen Frauen.

Auch die Mutter der beiden, bei der Jana nebenan wohnt, sitzt am Küchentisch. Wenn sich Anita heute an die Kindheit ihrer beiden Töchter zurückerinnert, sagt sie: „Es war wirklich schlimm.“ Damals hat sie es noch nicht als so schlimm empfunden, erst im Rückblick wird ihr dies klar. Als Mutter von zwei kranken Kindern musste sie einfach funktionieren. Es sei wie eine eigene Welt gewesen, „ich habe das alles nicht so realisiert“, überlegt sie. Für Delia ist es nicht einfach zuzuhören, wenn ihre Mutter über diese schwierige Zeit erzählt. Sie versucht ihre Tränen zurückzuhalten.

Besonders schlimm war es für Anita mitanzusehen, wie ihre kleinen Mädchen von den Ärzten mit den Nadeln gestochen wurden. Als die keine Venen an den Armen mehr fanden, mussten auch schon Zugänge im Gesicht gelegt werden, erinnern sich Delia und Jana. „Und als Mutter ist man da ja immer die Böse. Wenn man dabei die Kinder festhalten muss. Da waren sie schon zornig mit mir“, denkt Anita an die Zeit im Krankenhaus in Verona zurück. Das habe sich im Krankenhaus in Innsbruck gebessert, als die Ärzte den Kindern besser erklären konnten, was sie tun. Ihre Krankheit haben Delia und Jana lange nicht verstanden. „Aber das kannst du als Kind ja auch gar nicht verstehen“, sagt Delia und schüttelt den Kopf.

Ich habe das alles nicht so ganz realisiert.

Mutter Anita

Mutter Anita erzählt, wie sie nach Delias Geburt von der Diagnose Mukoviszidose erfahren hat.

Ein Schweißtest hilft bei der Diagnose von Mukoviszidose.

In der Familie hat es vielleicht schon früher einmal einen Fall von Mukovisdizose gegeben. Eine Tante von Anita war schon früh gestorben, man sagte, sie sei ein „salziges Kind“ gewesen. Mukoviszidose konnte zu der Zeit noch nicht diagnostiziert werden, aber der Hinweis auf das „salzige Kind“ ist ein Indiz für den gestörten Wasser- und Salzhaushalt der Erkrankten. Ihr Schweiß weist einen höheren Chlorid-Ionengehalt auf als der gesunder Menschen. Heute wird deswegen schon bei Säuglingen ein Schweißtest gemacht. Mukoviszidose ist eine sehr alte Krankheit, hat die Medizingeschichte herausgefunden. Auch wenn man die Krankheit als solche erst im 20. Jahrhundert entdeckte und benannte, erkannte man das Krankheitsbild schon im Mittelalter. Um 1850 konnte man schließlich etwa im Wörterbuch der Schweizerdeutschen Spache lesen: „Wehe dem Kind, das beim Kuss auf die Stirn salzig schmeckt, es ist verhext und muss bald sterben.“

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Als Delia und Jana geboren wurden, lag die Lebenserwartung von Mukoviszidose-Patienten bei 18 Jahren. Durch neue Therapieformen hat sich viel geändert, man liest im Internet von einer Lebenserwartung von 40 Jahren. „Eigentlich gibt man heute aber kein Alter mehr an“, erklärt Anita, sie selbst kenne zum Beispiel schon zwei über 50-Jährige mit Mukoviszidose. Die Lebenserwartung sagt für den individuellen Fall nicht viel aus. Mit einer Infektion kann es auch sehr schnell gehen, Anita vergleicht die Krankheit mit einem ruhenden Vulkan, bei dem man nie weiß, wann er ausbricht. „Es kann innerhalb von ein paar Wochen abwärts gehen, ja auch schon von heute auf morgen“, sagt Jana mit fester Stimme. Die beiden Schwestern gehen unterschiedlich mit dem Tod um. Wahrscheinlich werden sie früher sterben, als die meisten ihrer Freunde. Jana plant deswegen nicht zehn Jahre in die Zukunft, sondern sagt: „Wer weiß, ob ich dann noch da bin. Ich rechne lieber ein bisschen damit, als dass ich anders hoffe, aber es dann doch nicht so ist.“

Delia blendet das Thema lieber aus: „Sonst würde man sich ja total verrückt machen. Wenn ich den ganzen Tag denke, jetzt muss ich den Tag heute genießen, weil ich vielleicht morgen schon nicht mehr da bin. Das kann man sich ja nicht vorstellen!“ Anita stimmt ihrer Tochter zu. Sicher habe man Angst, aber man lasse diese nicht die Oberhand gewinnen. „Die Krankheit ist zwar da, aber man versucht den Alltag so gut wie möglich zu meistern. Man redet nicht jeden Tag über die Krankheit, sie beeinflusst nicht das ganze Leben“, erklärt die Mutter. Als die Kinder noch klein waren, hat sie immer versucht, ein normales Leben zu führen, die Familie war Skifahren, auf dem Berg und auch im Urlaub.

„Es kann innerhalb von ein paar Wochen abwärts gehen, ja auch schon von heute auf morgen“

Jana

Der Alltag von Mukoviszidosepatienten ist von Therapien und Medikamenteneinnahme geprägt. Zwei- bis dreimal täglich muss mit Antibiotika inhaliert werden, dazu kommt eine spezielle Atemtechnik, mit der auch tiefsitzender Schleim hochgehustet werden kann. Zudem sollen Patienten mehrmals in der Woche Sport treiben. Das ist sehr zeitintensiv, deswegen arbeiten Delia und Jana täglich nur vier Stunden in einem Büro. Jeden Monat verbringt Jana einen Tag in der Innsbrucker Klinik, zweimal im Jahr bleibt sie für zwei Wochen dort und macht eine Antibiotikakur, Therapien und Sport mit ihrer Therapeutin. „Das hilft mir persönlich sehr. Sonst merkt man halt noch schneller, dass es abwärts geht“, sagt die 22-Jährige. Weil Delia in den letzten drei Jahren bei einer Medikamentenstudie mitmachen konnte, musste sie in dieser Zeit nicht mehr zwei Wochen lang nach Innsbruck zur Kur.

Weil die Krankheit auch die Bauchspeicheldrüse betrifft, müssen Jana und Delia zu jedem Essen mehrere Enzymtabletten schlucken. Sonst könnten sie keine Nährstoffe aufnehmen. Viele Mukoviszidose-Patienten sind deshalb untergewichtig, was unbedingt vermieden werden soll – das geht mit Zusatznahrung oder notfalls auch mit einer Nasen- oder Magensonde. „Wir essen eigentlich fast den ganzen Tag“, sagt Delia. Für die Schwestern wird besonders fettig gekocht, mit extra viel Butter, Nachspeisen mit extra viel Sahne. 

Jana hatte, bis sie 17 Jahre alt war, eine Magensonde. Sie hat sehr wenig gegessen, weil sie keinen Hunger hatte und kaum einen Bissen runtergebracht hat. Ihre Mutter erinnert sich an den täglichen Kampf: „Man hat es im Guten versucht, man hat geteufelt, man hat gestraft, man hat versprochen – nichts hat geholfen. Manchmal hat Jana in einer ganzen Stunde nur einen Schlutzkrapfen runtergebracht.“ Den Frust kann man auch in einem Freundebuch lesen, Jana hat unter der Rubrik Lieblingsspeise geschrieben: „Ich hasse essen.” Die Magensonde brachte schließlich Erleichterung, auch wenn Jana nicht aß, wurde sie über Nacht mit genügend Nahrung versorgt. Erst mit 15 Jahren war es bei ihr, als hätte sich ein Schalter umgelegt: „Plötzlich hatte ich Hunger und konnte essen“, erzählt sie. Seitdem isst Jana so viel, dass sie keine Sonde mehr braucht.

Vor allem in der Pubertät war aber Delia das Sorgenkind. Sie hat damals ihre Krankheit total unterdrückt. Sie dachte, sie sei eigentlich gesund und das wüssten die anderen nur nicht. Oft hat sie die Therapie ausgelassen und sogar heimlich geraucht. „Ich war in meiner Jugend, glaub ich, ganz schrecklich“, sagt sie kopfschüttelnd und blickt ihre Mutter entschuldigend an. Anita lächelt zurück.

Der tägliche Kampf ums Essen.

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„Eine Organspende kann Leben retten. Nicht nur unseres.“

Delia

Die Leute im Umfeld würden unterschiedlich auf ihre Krankheit reagieren, erzählen Jana und Delia. Oft hätten sie sich schon beschimpfen lassen müssen, wenn sie aus dem Auto auf dem Behindertenparkplatz ausgestiegen sind. „Man sieht uns die Krankheit ja nicht an, das kann einerseits ein Vorteil sein. Andererseits meinen aber auch viele, dass es dann ja nichts Schlimmes sein kann.“ Selbst wenn die Leute über die Krankheit Bescheid wüssten, so ganz verstehen würde es kaum jemand, sind sich die Schwestern einig. Immer noch werden Jana Hustenbonbons angeboten, wenn sie zu husten beginnt. Darüber lächelt sie dann einfach. Dass man sich nach ihr umdreht, wenn sie im Krankenhaus einen Mundschutz trägt, um sich vor Keimen zu schützen, ist sie mittlerweile auch gewohnt. Wenn ihr aber selbst gute Freunde „einen schönen Urlaub” wünschen, wenn sie nach Innsbruck zur Therapie muss, dann ärgert sich die junge Frau doch. „Das ist ja kein Urlaub!“, empört sich Jana. Sie spricht offen über ihre Krankheit, damit viele Leute sie kennenlernen und verstehen.

Einen großen Wunsch haben alle drei Frauen am Tisch: dass sich mehr Südtiroler als Organspender eintragen lassen. Eine Transplantation ist die letzte Therapiemöglichkeit für Mukoviszidose-Patienten mit starken Lungenfunktionseinschränkungen. „Eine Organspende kann Leben retten. Nicht nur unseres, es sind ja auch viele andere darauf angewiesen“, sagt Delia mit Nachdruck.


Delias dreijähriger Sohn inspiziert das Inhaliergerät seiner Mama. Dass sie krank ist, versteht er noch nicht. Delia macht ihre Therapie immer dann, wenn Nils schläft.

Der dreijährige Nils kommt auch zum Küchentisch, bis eben hat er im Wohnzimmer gespielt. Delia ist die zweite Südtiroler Mukoviszidose-Patientin mit Kind. Vor der Schwangerschaft hat sie sich mit ihrem Arzt besprochen, der ihr geraten hat: Wenn, dann jetzt, wenn es ihr gut geht. Delias Freund hat sich testen lassen, ob er Träger des mutierten Gens ist – dann wäre nämlich ein krankes Kind möglich gewesen. Da er aber zwei gesunde Gene hat, war klar, dass Nils gesund auf die Welt kommen würde. Sonst hätte sich das Paar gegen eine Schwangerschaft entschieden.

Hinterrücks haben die Leute schon viel geredet, gibt Delia zu: „Spinnt die, dem Kalle das Kind anzudrehen!“, haben sie gesagt. Delia könnte ja bald sterben. „Das haben wir uns aber natürlich auch überlegt. Und wir haben das mit allen besprochen, unsere ganze Familie steht hinter uns.“ Großeltern, Eltern und Tanten – sie alle unterstützen die junge Familie, sei es beim Putzen in der Wohnung, beim Kochen oder beim Babysitten. Auf den rechten Unterarm hat sich Delia den Schriftzug „Nils” tätowieren lassen. Er ist es, der seiner Mutter Delia und seiner Tante Jana Kraft gibt zu kämpfen.

Weitere Informationen zur Krankheit gibt es zum Beispiel hier.
Bei der Mukoviszidose-Hilfe Südtirol finden Patientinnen und Patienten Unterstützung.

Fotos
Julia Tapfer, Anita Platzgummer,
wikipedia/Armin Kübelbeck

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