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22 Jahre alt. Meranerin. Siebtes Semester Studium der Humanmedizin in Innsbruck. Mit Zukunftsplänen, -wünschen und -träumen. So viel zu mir. Drei Jahre bleiben mir noch, dann hat mich der Ernst des Lebens endgültig eingeholt. Dann kommt das große Kopfzerbrechen: Wohin mit mir? Zumindest weiß ich jetzt bereits, „was“, also meinen Wunsch-Facharzt (Pädiatrie), und habe so einigen Kommilitonen zumindest eine schwere Entscheidungsfindung voraus. Doch das „wo“ ist nicht so einfach. Schauen wir uns die Möglichkeiten in nächster geographischer Nähe einmal an:
Anstatt uns junge Leute gehen zu lassen, lernen zu lassen, und einem Teil von uns das Heimkehren schmackhaft zu machen, wird das Hierbleiben krampfhaft erzwungen.
Wie unschwer zu erkennen ist, sind beide Systeme nicht das Wahre – und werden es auch so schnell nicht werden. Karrieremöglichkeiten gibt es kaum, von passablen Forschungslabors ganz zu schweigen. Einem großen Teil meiner Kommilitonen genügt dies nicht, wie denn auch. Wer auf den vielen Gebieten forschen möchte, die unsere EURAC nicht behandelt, wird sich keine zweite Minute mit dem Gedanken herumschlagen, nicht vielleicht doch im Meraner Krankenhaus anzufangen und seine Fähigkeiten hinten anzustellen. Wir sind ein kleines Land, ja. Wir sind Provinz, zum Glück! Eine solide Grundversorgung, die braucht es hier. Nicht alle wollen in die Forschung. Nicht alle wollen an eine Universitätsklinik. Ich habe genügend Freunde in meinem Semester, die gerne wieder in ihren Heimatort zurückkehren würden, um dort eine Hausarztpraxis zu übernehmen. Aber wie soll dies ihnen schmackhaft gemacht werden, wenn alle ständig nur noch weiter und noch weiter nach oben stapeln, ohne dabei zu bemerken, dass das dringend benötigte Fundament beinahe am Einbrechen ist? Überall wollen wir Weltspitze sein, alles muss es bei uns geben, alles muss jedem zwischen Brenner und Salurn möglich sein. Anstatt uns junge Leute gehen zu lassen, lernen zu lassen, und einem Teil von uns das Heimkehren schmackhaft zu machen, wird das Hierbleiben krampfhaft erzwungen. Das beste Beispiel dafür ist die MedSchool, die in Bozen aufgestellt werden sollte, um politisch lammfromme Drittklasse-Mediziner auszubilden – Hauptsache, jemand kann sich ein Denkmal setzen. Zum Glück ist das alles jetzt Geschichte, gebessert hat sich aber trotzdem nichts. Aber das ständige Rätseln der Politiker, wieso wir nicht heimkommen, das Suchen nach dem Grund für den brain drain, ist entweder von Scheuklappen oder von Scheinheiligkeit geprägt.
Ich habe mittlerweile das Gefühl, nicht nur weg zu wollen, sondern weg zu müssen. Im Vergleich zu den meisten Ärztinnen möchte ich gerne früh Kinder bekommen, nicht erst mit 35. Ich möchte in ein Land gehen, welches meinen Status als Frau und somit potentielle junge Mutter nicht als Ballast ansieht, sondern mich ermutigt und im Ernstfall unterstützt. Ich möchte in ein Land gehen, in dem nicht eine Partei fast im Alleingang das System bestimmt, in dem ich arbeite – ich möchte mitbestimmen können, oder zumindest angehört werden. Ich möchte lernen, ich möchte eine gute Ärztin werden, und möchte, dass mein Enthusiasmus und mein Wille mit einer dementsprechend hochqualitativen Ausbildung belohnt werden. Ich will nicht eine überqualifizierte Sekretärin, Kaffeetassenträgerin und Infusionsmagd sein. Ich möchte, dass der Wert der Arbeit, die ich leiste, in der Gesellschaft so anerkannt wird, wie sie es verdient. Ich will keine Quotenfrau sein, möchte aber auch nicht in einem Land ausgebildet werden, in dem Primare es für angebracht halten, junge Ärztinnen aus der Abteilung zu mobben, aus dem einfachen Grund, dass Frauen in der Chirurgie nichts verloren hätten.
Es gibt nichts, was mich hier hält – außer den Bergen, und die werden schon nicht weglaufen, bis ich wiederkomme.
Ich habe einen weiteren Vorteil gegenüber vielen Freunden von mir: Ich habe kein Problem mit der Ferne. Ich bin oft genug weit weg gereist und noch weiter weg gezogen, als dass mir ein anderes europäisches Land irgendwie Angst machen könnte. Schnee gibt‘s in Skandinavien auch, und in London gibt’s genügend internationales Setting, um an passables Essen zu kommen. Es gibt nichts, was mich hier hält – außer den Bergen, und die werden schon nicht weglaufen, bis ich wiederkomme.
Denn ja, ich würde gerne wiederkommen. Es gibt tausend Gründe, bei der Schönheit unseres Landes angefangen und beim Hauswein meines Onkels aufgehört. Auch meine Eltern, meine Familie, mein zukünftiges Patenkind. Aber nicht jetzt. In fünfzehn Jahren vielleicht. Aber dann nicht so, dass mich unsere Baustelle von einem Sanitätswesen schnell in seinen Strudel zieht, sondern so, dass ich mein eigener Herr sein kann. Dass ich politisch ungemütlich sein und trotzdem Karriere machen kann. Dass meine Kinder dann bereits alt genug sind, damit ich trotz Familie richtig arbeiten kann. Und schon allein die Tatsache, dass ich diesen Satz betonen muss, unterstreicht, wie weit entfernt von einem realistisch verlockenden Arbeitsplatz für Jungärzte wir noch sind.
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